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In vier Wochen um halb fünf

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01.04.2023
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In vier Wochen um halb fünf

„Ist bei Ihnen noch ein Platz frei?“

Helen war, als stünde David Beckham plötzlich vor ihrem Tisch und hätte gefragt, ob er sich zu ihr setzen dürfe. Sie schaute den Mann mit dem Dreitagebart mit starren Augen an und war bemüht, sich ihre Verlegenheit nicht anmerken zu lassen.

„Natürlich“, sagte sie mit belegter Stimme und versuchte, möglichst charmant, aber völlig desinteressiert zu klingen. „Drei Stühle, Sie haben die Wahl.“

„Ich setze mich Ihnen gegenüber“, kam es prompt. „Natürlich nur, wenn es Ihnen nichts ausmacht.“

Was sollte sie denn darauf antworten? Oh Gott, was brachte der Mann sie in Verlegenheit! Dabei war überhaupt nichts Besonderes an ihm: Jeans, ein kariertes Hemd, leichte Sommerschuhe ohne Strümpfe. Das Einzige, was nicht zu seinem stinknormalen Outfit passte, war die goldene Armbanduhr, die dezent unter dem Ärmel seines Hemdes hervorlugte. Aber sein Gesicht! Es brachte sie fast aus der Fassung. Sah so der echte Womanizer aus? Klar! Wie denn sonst?, entschied sie für sich.

Er setzte sich und sah sich um, hob für einen Atemzug seine Nase, sog genießerisch den schwachen Duft ein, der vom Bratwurstgrill am anderen Ende des Biergartens an seinem Tisch vorbeizog, und bevor er irgendetwas entdeckte, was an diesem idyllischen Platz unter der ausgewachsenen Kastanie seine weitere Aufmerksamkeit fand, hörte er die Bedienung leichtfüßig über den groben Kies auf ihn zu kommen. Das zwanzigjährige Mädchen blieb aufgeregt vor dem Tisch stehen.

„Was darf’s denn sein?“, fragte es, bemüht, ganz normal zu wirken.

„Ein Weizen, alkoholfrei, bitte.“

„Sehr gern.“ Das junge Ding notierte das Getränk, strahlte ihn dabei an – und blieb stehen.

Der Mann ließ drei, vier Sekunden verstreichen, in denen er dem Gezänk dreier Spatzen zusah, die sich um den Brocken einer Semmel balgten, dann hob er den Kopf und strahlte zurück.

„Eh, ja, ein alkoholfreies Weizen“, wiederholte sie leicht errötet die Bestellung und glitt sichtlich erregt davon.

„Es ist nicht fair, wie Sie dem armen Mädchen den Kopf verdrehen“, bemerkte Helen scherzhaft, aber durchaus ernst gemeint. „Als hätten Sie das nötig.“

„Ich habe das nicht bewusst getan. Es tut mir leid, wenn Sie mein Benehmen abstoßend finden.“ Er zuckte um Entschuldigung bittend mit den Schultern und legte gleichzeitig die Stirn in leichte Falten. „Dort, wo ich zu Hause bin, übersieht man mich eher.“

„Und wo ist dort, wo Sie zu Hause sind?“

„Ich wohne in der Nähe von Köln, bin aber alle vier Wochen hier in Nürnberg. Beruflich.“

„Ein Gelegenheitspendler sozusagen. Arbeiten Sie bei der Bundesanstalt? Oder, lassen Sie mich raten: bei einer Bank?“, fragte sie aus Jux.

Der Mann schaute sie an und lächelte. Es war offensichtlich, dass sie ihm gefiel. Nicht nur ihr bildhübsches Äußeres, sondern auch die charmante, gepflegte Art, mit der sie das Gespräch lenkte. Donnerwetter!, dachte er. Wie sie mich ausfragt, ohne direkt und aufdringlich zu sein.

Das Getränk kam, und der Mann zahlte.

„Nein, nicht bei der Bundesanstalt. Das wäre ein paar Schuhnummern zu groß für mich“, gab er sich bescheiden. Er verriet bewusst nicht mehr. „Und Sie?“

„Auch nichts Besonderes“, wiegelte sie ab.

„Was darf ich mir darunter denn vorstellen?“, witzelte er.

Sie schauten sich in die Augen, lächelten sich an und wussten, dass sie sich einem Flirt ganz ungewöhnlicher Art hingaben. Es war eine Art Versteckspiel, ein taktisches Manöver, das darin bestand, dass jeder vom anderen mehr wissen wollte, als er preiszugeben selbst bereit war. Ihre Antworten schienen wohlüberlegt, ja, besonders abgewogen, damit das Gegenüber ja nicht zu viel erfuhr.

„Ich heiße übrigens Marc.“

„Helen.“

„Okay, Helen, lassen Sie mich raten. Sie machen etwas Kreatives, stimmt’s?“

Helen zögerte wieder einen Moment. Eine Strähne ihres langen brünetten Haares fiel ihr ins Gesicht. Sie schob die untere ihrer dezent geschminkten Lippen nach vorn und pustete sie weg. „Die Richtung stimmt. Aber was tun Sie? Und weswegen fahren Sie regelmäßig nach Nürnberg?“

„Es hat schon ein bisschen mit Geld zu tun, da haben Sie vorhin ganz richtig gelegen. Meine Firma sorgt dafür, dass am Schluss die Finanzen stimmen. Hm, eigentlich kann ich gar nicht richtig mitreden. Ich habe nämlich erst vor kurzem umgeschult und bin praktisch noch in der Lernphase. Aber nochmal zu Ihnen: Sind Sie Künstlerin? Kunstdesign, Schriftstellerei? Verraten Sie’s mir einfach.“

„Das hätten Sie jetzt gern!“ Sie zögerte, fuhr aber fort: „Na gut, ich verrate es Ihnen. Danach …“

„Klar! Ich habe keinen Grund, etwas zu verheimlichen“, schnitt er ihr das Wort ab. „Also, raus mit der Sprache.“

„Ich schreibe. Reicht Ihnen das?“

„Vorerst. Ich berate. Was und worüber schreiben Sie?“

„Kinderbücher. Und hin und wieder ein Jugendbuch.“

„Unternehmen, die unsere Hilfe brauchen. Im Augenblick bin ich aber noch Assistent. Mir fehlen die Routine und die Erfahrung, um Kunden eigenständig zu betreuen.“ Er schaute ihr in die Augen und schüttelte vor Bewunderung ganz unscheinbar den Kopf. „Eine Kinderbuchautorin, wow! Ich finde, das ist eine tolle Lebensaufgabe. Chapeau!“ Er nickte überzogen anerkennend.

Und sie lächelte zurück in dem Stolz, eine besonders gute Figur abgegeben zu haben.

„Und wem helfen Sie, ich meine, welchen Unternehmen?“

„Es sind die, die wirtschaftlich in eine Schieflage geraten sind oder zu geraten drohen.“

„Aha!“, stieß sie aus. „Aber sind Sie nicht ein bisschen jung für so einen Job. Das machen doch nur erfahrene Leute ab fünfzig, oder?“

„Die Älteren brauchen auch Junge, weil die Jungen manchmal die besseren Strategien draufhaben und sich in manchen Märkten besser auskennen. Aber wie gesagt, ich bin noch nicht soweit.“ Marc erschrak über sich selbst. Was erzählte er denn jetzt für einen Unsinn? Er überlegte kurz, dann versuchte er, die Dinge wieder geradezurichten: „Ich werde ja nur auf einem Gebiet beratend tätig sein. Ich bin ein Zahlenmensch. Ich hab’s mit Statistiken und Kontrollvorgängen.“

„Ich kann mir vorstellen, dass so eine Tätigkeit sehr gut bezahlt wird.“ Höflicher konnte man nicht nach dem Verdienst fragen.

„Ach, Helen“, versuchte Marc besonders tief zu stapeln. „Welche Arbeit wird schon richtig bezahlt? Als Single hat man sein Auskommen, aber eine Familie könnte ich davon nicht ernähren.“

Helen schluckte trocken. Er war Single!, folgerte sie. Dieser Hammertyp war allein auf dieser Welt, ohne feste Bindung und vielleicht sogar noch zu haben. Sie entschloss sich, sich noch mehr ins Zeug zu legen.

„Sie sagten, Ihr Job führt Sie regelmäßig nach Nürnberg. Alle vier Wochen, das sagten Sie doch?“

„Ja, ja.“ Er nickte zustimmend. „Da werden alle Umschüler zu Seminaren geladen. Ich bin übrigens mit fünfunddreißig der älteste. Unsere Firma ist in ganz Deutschland vertreten. An welchem Buch arbeiten Sie denn gerade?“

„Ach, es geht um … um … die Bedeutung von Freundschaften. Darum, dass sich auch Kinder auf ihre Freunde müssen verlassen können. Ich habe eine Probe an drei Verlage geschickt, und stellen Sie sich vor: Alle drei sind sehr interessiert. Ich glaube, ich stehe kurz vor dem Durchbruch.“

„Oh, Gratulation! Wie viele Bücher haben Sie denn schon geschrieben?“

Helen schaute ihn grinsend an. Ihre Lippen öffneten sich ein wenig, dass zwei schneeweiße Zahnreihen zum Vorschein kamen. Ihre mittleren Schneidzähne stießen nicht aneinander, sondern waren durch einen feinen Spalt getrennt. Der winzige Makel fiel Marc sofort auf. Aber statt an ihrem hübschen Gesicht Abstriche zu machen, fand er, dass er es noch interessanter machte. Dann schaute sie, Bescheidenheit vortäuschend, nach unten.

„Sieben, es sind inzwischen sieben. Aber die habe ich alle als angestellte Autorin eines Verlages geschrieben. Sie sind nur unter dem Verlagsnamen erschienen. Schade drum. Jetzt bin ich selbstständig, und das, woran ich im Augenblick arbeite, schreibe ich unter meinem eigenen Namen.“

Sie kramte plötzlich nervös in ihrer Tasche, klappte ihr Handy auf, um nach der Uhrzeit zu sehen, und erschrak. „Oh Gott, ich hätte längst an … ich habe einen Termin … es ist schon viel zu spät. Ich muss sofort los, tut mir leid.“

„Schade, Helen, die Unterhaltung mit Ihnen hat mir sehr viel Spaß gemacht. Verraten Sie mir, auf welchen Autorennamen ich bei den Kinderbüchern achten muss?“

Sie war aufgestanden und fast schon im Weggehen begriffen. „Das sage ich Ihnen in vier Wochen.“

„Okay, Helen, heute in vier Wochen um halb fünf. Hier im Biergarten.“

*

Marc trank in Ruhe sein Bier aus. Eine Kastanie samt Schale fiel, viel zu früh für die Jahreszeit, krachend auf den Tisch und riss ihn aus seinen Gedanken. Was für ein hübsches kleines Ding, murmelte er vor sich hin, und irgendwie hat sie etwas, was man mögen muss. Hm, tolles Mädchen. Wie alt wird sie wohl sein? Achtundzwanzig, dreißig, vielleicht so alt wie ich? Er grinste vor sich hin, wie man das häufig bei einem Selbstgespräch tut. Dann stand er auf und verließ die Gartenwirtschaft. Das Mädchen, das ihn bedient hatte, sah ihm nach.

Er betrat einen Parkplatz, öffnete die hintere Tür einer Großlimousine und stieg ein.

„Leo, fahren Sie mich ins Hotel zurück“, sagte er zu seinem Chauffeur. „Ich muss mich noch rasieren und umziehen.“

„Gern, Herr Siebeck, hoffentlich kommen wir nachher gut durch den Verkehr. Die Aufsichtsratssitzung beginnt in nicht einmal einer Stunde.“

„Ich weiß, Leo“, sagte er gelassen. „Aber es gibt keinen Grund zur Hetze. Ohne mich können die nicht anfangen.“

„Ja, da haben Sie auch wieder recht.“

Als Marc Siebeck das Firmengebäude ganz in der Nähe des Biergartens betrat, musste er auf dem Weg zum Fahrstuhl einen Durchgang passieren, von dem aus man in ein Speiselokal sehen konnte. Zwischen den Tischen war eine Bedienung im weißen Schürzchen dabei, Essen aufzutragen. Sie hatte lange brünette Haare, die zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden waren. Und sie hatte ein bildschönes Gesicht.

Marc war zu sehr in Eile, um sie wiederzuerkennen.

 

Hallo @linedrop ,
ich finde deine Geschichte echt gut, doch meiner Meinung nach erfährt man wenig über die beiden Hauptpersonen, dafür aber viel über die Nebenfiguren. Wie z.B. hier:

hörte er die Bedienung leichtfüßig über den groben Kies auf ihn zu kommen. Das zwanzigjährige Mädchen blieb aufgeregt vor dem Tisch stehen.
Ich weiß jetzt wie alt die Bedienung ist, aber nicht wie alt Helen ist, obwohl sie ja eine der Hauptpersonen ist.
Viele Grüße
Gigorry

 

Hallo Gigorry,
die Bedienung hat nur die Funktion darzustellen, wie attraktiv Marc ist. Sie hätte auch dreißig sein können.
Ich denke, der Leser erfährt viel über die beiden Hauptfiguren. Das ganze Flirtgespräch, wenn man es mal so nennen will, gibt Stück für Stück Informationen über die beiden preis, die auf die Pointe hinführen. Dabei lügen sie das Blaue vom Himmel, jeder mit einer anderen Motivation. Ihr Alter wird später noch ein Thema. Lies nochmals die Passage nach dem Stern. Diese Einschätzung reicht; die genauen Jahre halte ich für nicht entscheidend.
Gruß
Linedrop

 

Hallo @linedrop,

was ich unter deinem letzten Text positiv anzumerken hatte, gilt auch hier, deshalb wiederhole ich mich da jetzt nicht und beschränke mich stattdessen auf das, was mir an speziell diesem Text hier aufgefallen ist.

Du machst eine spannende psychologische Kiste auf: Beide Protagonisten verstellen sich, geben vor, jemand anderes zu sein, um sich einen "Vorteil" zu verschaffen. Dabei bleiben sie für meine Begriffe aber doch sehr unschuldig: Sie stapelt hoch, aber nicht zu hoch. Er tief, aber auch nicht supertief. Sie gibt nicht vor, eine internationale Bestsellerautorin, er nicht, ein kompletter Versager zu sein. Das ist alles so mittelmäßig.

Die Pointe kann das Ruder dabei für mich auch nicht rumreißen, denn die kommt ja erst ganz zum Schluss - wie Pointen das so an sich haben -, und so liest sich das alles dann halt wie ein oberflächlicher Flirt, wie Smalltalk. Bis kurz vor Ende weiß ich ja nichts von dem spannenden Unterbau und so bleibt dann erst mal nicht viel übrig außer dieser Mittelmäßigkeit.
Interessant fände ich es, wenn das Gespräch ein wenig tiefer gehen würde, wenn sie sich nicht zügeln könnte in ihrer Hochstapelei, sie von den leuchtenden Kinderaugen spricht, davon, dass ja bald eine Verfilmung ansteht ... Oder er davon erzählt, dass er der absolute Überflieger war, Aufsichtsratsvorsitzender, und dann gemerkt hat, dass das nicht seine Welt ist, dass er doch näher bei den Menschen sein will ... Wenn der Kontrast zwischen Schein und Sein also noch größer wäre. Und sie im Gespräch vielleicht, ohne es selbst zu merken, wirklich von ihren Träumen sprechen.

Eine andere Überlegung wäre es, das Versteckspiel schon früher zu teasen: Vielleicht steigt der Dude schon ganz am Anfang aus seiner Luxuskarre und sagt dem Chauffeur, dass er sich bedeckt halten soll. Dann würde ich mich über sein "doppeltes Spiel" wundern, hätte also gleich eine spannende zweite Ebene beim Lesen. Oder andersrum: Die Kellnerin, die an den Tisch kommt, das "junge Ding", sieht ihre Kollegin an, tauscht bedeutsame Blicke mit ihr aus - dann würde ich als Leser denken: Moment mal, hier stimmt doch was nicht ... (Und weil ich das junge Ding gerade anspreche - wer erzählt denn da? Eigentlich ja ein neutraler Erzähler, deshalb wundere ich mich auch über das "junge Ding" - wer nennt eine junge Frau denn ernsthaft ein "junges Ding"?)

Aufgefallen sind mir noch solche Dinger wie "der echte Womanizer" oder "David Beckham mit Dreitagebart" - bei aller Mainstreamtauglichkeit, die du ja anstrebst, würde ich mir da doch ein bisschen weniger ... Einfachheit wünschen, das klingt für mich, um es drastisch zu formulieren, nach Bravo-Lovestory-Sprechblase. Kennst du eine Frau Ende zwanzig, die unironisch das Wort "Womanizer" in den Mund würde?

Wenn ich all das hier schreibe und sage, das könnte man vielleicht so oder so machen, dann soll das übrigens nicht heißen, dass du das genau so tun sollst. Ich will auch nicht sagen, dass das, was ich da beschreibe, meine Erwartungen an den Text waren und du die nicht erfüllt hast und er deshalb bei mir durchfällt. Ich versuche eher, laut zu denken, dich daran teilhaben zu lassen, was ich mir, wenn ich diese Geschichte selbst geschrieben hätte, für Gedanken machen würde, wie man vielleicht noch mehr rausholen könnte. Gut möglich, dass ich mir dann selbst sagen würde: Ja, könnte man machen, will ich aber nicht. Kann ich vielleicht auch nicht. Aber ich denke, dass einen schon solche Gedankenspiele weiterbringen, einem möglicherweise aufzeigen, wo man seine Grenzen zu eng abgesteckt hat und sich noch ein Stück weiter rauswagen könnte - vielleicht auch erst bei der über-übernächsten Geschichte.

Noch eine Sache: Der Titel der Geschichte. Der hält mich eher vom Lesen ab, als dass er mein Interesse weckt, zumal es "halb fünf" heißen müsste. Klar, sehr subjektiv, aber das ist ja eigentlich alles an meinem Kommentar - ich hoffe, du kannst trotzdem etwas damit anfangen :)

Bas

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo @linedrop ,

ich wills kurz machen und auch nicht für alles eine Passage rauszitieren, aber den Text finde ich problematischer als deinen "Esme"-Beitrag. Abgesehen davon, dass ich @Bas ' Eindrücke rundweg so unterschreiben würde (auch, wenn wir inzwischen ganz andere Vorlieben und Leseweisen haben), geht es mir in erster Linie um die Perspektive: auktorialer, allwissender Erzähler, der mit eigener Stimme wertet, aber auch Gedanken der beiden Protas wiedergibt - allerdings ist alles im selben Duktus, Stil, Idiolekt gehalten. Das ist ein handwerklicher Fehler. Warum nicht personal aus Sicht einer einzigen Person? Das würde imA das Mitgehen erleichtern. So habe ich zudem keine Gelegenheit, mir als Leser selbst etwas vorzustellen, mir wird alles vorgekaut, wie ich was zu sehen und zu interpretieren habe - mag ich zumindest nicht so.

Zwei Konzepte, die mal einen Blick wert wären:
- negativ: Headhopping - Ich bin kein Freund von Schreibratgebern, aber es wird z. B. hier an Beispielen sehr anschaulich gemacht, oder in James Woods angenehm deskriptivem How Fiction Works.
- positiv: Show, don't tell - Also eine indirekte Beschreibung / Ausarbeitung einer Szene oder eines emotionalen Zustandes, bei der Leser ihre eigenen Schlüsse ziehen können.

Ich lass die Info nur mal so hier stehen: Lektoren verbieten oft ein er/sie dachte xy, weil es eine offensichtliche Krücke ist und es eleganter personal (aus direkter Innensicht) gelöst werden kann.

Details:

Sah so der echte Womanizer aus? Klar! Wie denn sonst?, entschied sie für sich.
Das klingt ja irgendwie positiv. Ein womanizer ist aber jemand, der alles flachlegt, was nicht bei drei auf den Bäumen ist und ich denke nicht, dass Frauen es irgendwie spannend finden, sich da einzureihen. Ich sehe auch bei der Prota sonst keine Anzeichen, dass das passen könnte (Traumatisierungen, extrem geringes Selbstwertgefühl o.ä.). Das Wort könnte nur als Titel verwendet werden, weil das dann auf Ebene des Autors, nicht der des Textes wäre.

Was für ein hübsches kleines Ding, murmelte er vor sich hin, und irgendwie hat sie etwas, was man mögen muss.
Das ist die Stimme und Haltung des Protagonisten, der nicht gleichzeitig der Erzähler ist (wie es z.B. in rein personaler Perspektive aus Marcs Sicht wäre).
„Sehr gern.“ Das junge Ding notierte das Getränk, strahlte ihn dabei an – und blieb stehen.
Das ist die Stimme und die Haltung / Interpretation des auktorialen, nicht körperlich anwesenden Erzählers.
Diese beiden Stimmen sind nicht dieselbe Person und sollten daher nicht identische - extrem ungewöhnliche und inzw. unübliche (meine 1901 geborene Grossmutter hat sowas verwendet) - Formulierungen benutzen. Damit verwischt du die Perspektive und das klingt immer so wie eine dritte Stimme, die weder Erzähler noch Figur ist, und die - ausser bei metafiktionaler Prosa - eigentlich nicht so deutlich rausklingen sollte: nämlich die des Autors selbst.

Lösung: Alles personal oder personal-auktorial aus der Sicht einer Figur (Marc oder Helen) schreiben, ohne die vorgegeben neutrale Stimme / Autorwertungen und danach den Plot entwickeln. Fände ich auch spannender, weil ich nicht so schnell die Art der Interaktion erfassen kann.

Das Einzige, was nicht zu seinem stinknormalen Outfit passte, war die goldene Armbanduhr, die dezent unter dem Ärmel seines Hemdes hervorlugte.
Sicher Ansichtssache, aber das finde ich gerade sehr typisch für das Outfit und das Auftreten.

Eine ganz neutrale Formalie: Keinen Absatz zwischen den Zeilen, sondern einen einfachen Zeilenumbruch (1x Enter).

Und ja: halb fünf

Das nur als Anregungen, ganz herzliche Grüße,
Katla

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo Bas,
danke für deine Kritik. Ich muss dazu natürlich etwas bemerken.

. (Und weil ich das junge Ding gerade anspreche - wer erzählt denn da? Eigentlich ja ein neutraler Erzähler, deshalb wundere ich mich auch über das "junge Ding" - wer nennt eine junge Frau denn ernsthaft ein "junges Ding"?)
Hier habe ich mich nicht an die gewählte Erzählebene gehalten. Mit dem "jungen Ding" ist das so eine Sache. Die Geschichte spielt in Franken, wo jede Ortschaft ihren eigenen Dialekt hat. "Des jung Ding willst' heiraten? Erklärt sich so, hätte ich vermeiden können.
Du machst eine spannende psychologische Kiste auf: Beide Protagonisten verstellen sich, geben vor, jemand anderes zu sein, um sich einen "Vorteil" zu verschaffen. Dabei bleiben sie für meine Begriffe aber doch sehr unschuldig: Sie stapelt hoch, aber nicht zu hoch. Er tief, aber auch nicht supertief. Sie gibt nicht vor, eine internationale Bestsellerautorin, er nicht, ein kompletter Versager zu sein. Das ist alles so mittelmäßig.
Nein, ich denke nicht, dass sie anders sein wollen. Sie wollen sie selbst bleiben, aber etwas anders rüberkommen. Bei Marc, um keine Mauer aufzubauen, bei Helen um gesellschaftlich etwas höher zu stehen. Wenn du das Gleiche meinst, okay.
Dabei bleiben sie arg unschuldig. Das war so gewollt. Ich wollte nicht, dass die beiden so viel Gas geben, dass der Flirt in einem einzigen Lügengebilde untergeht. Mir kam es darauf an, den Flirt als sehr behutsam zu beschreiben, als grundanständig, null aggressiv und ohne Dominanzgebahren. Ein Flirt zwischen zwei wohlerzogenen Menschen, die nicht mit der Tür ins Haus fallen. Zurückhaltung wäre dafür mein Stichwort.
Interessant fände ich es, wenn das Gespräch ein wenig tiefer gehen würde, wenn sie sich nicht zügeln könnte in ihrer Hochstapelei, sie von den leuchtenden Kinderaugen spricht, davon, dass ja bald eine Verfilmung ansteht .
Siehe oben. Das war nicht mein Plan.
Eine andere Überlegung wäre es, das Versteckspiel schon früher zu teasen: Vielleicht steigt der Dude schon ganz am Anfang aus seiner Luxuskarre und sagt dem Chauffeur, dass er sich bedeckt halten soll.
Dann wäre der Witz aus der Geschichte und die Pointe halbiert.

Den Backham und den Womanizer sollte ich streichen. Wäre nicht nötig gewesen. Wenn man allerdings mal den Beckham im gemischten Publikum erlebt hat (heute wärs vielleicht der Cloony) wie ich, denkt man anders. Ich habe Frauen jeden Alters regelrecht zerfließen sehen.

Du hast ganz Recht: Jeder würde eine solche wie jede andere Geschichte auf seine Art schreiben. Mir kam es darauf an, Helen schon in einem sehr frühen Stadium des Flirts an ihre Grenzen zu bringen. Das war in dem Moment geschehen, als Marc nach dem Namen des Verlags oder der Autorin fragte. Da wurde es brandgefährlich, und deshalb hat sie abgebrochen und auf ein Folgedate gesetzt.

Danke nochmals
Linedrop

 

Hallo Katla,
ja, das mit der Perspektiv ist hier und da problematisch. Ich werde deinen Empfehlungen folgen und mir head hopping und show, don't tell- Texte mal reinziehen. Idiolekt - noch problematischer. Lass mich daran abeiten - ich kann's.

Die Uhr: In der Erstfassung hat sie ihn auf die Uhr angesprochen und er hat sich gerettet mit der Ausrede, dass es sich um eine Kopie vom Asiamarkt in Pilsen handelt. Wenn es anders gelaufen wäre, wäre seine "Verkleidung" aufgefallen, (mit der er sich gern unters Volk mischt).
Womenizer! Für mich zunächst jemand, den die Frauen anhimmeln und der sie elektrisiert. Siehe Kommentar zu Bas.

Ich mache mich mal für ein paar Tage klein. Muss reisen, u. a. nach Nürnberg.
Gruß
Linedrop

 

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