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In Monets Garten
Es war noch früh am Morgen. Das kleine schmiedeeiserne Tor stand offen und Leona konnte einfach nicht widerstehen. Sie betrat, vorsichtig jedes Geräusch vermeidend, den Garten. Beinahe ehrfurchtsvoll beschritt sie den schmalen Weg, welcher sich durch ein farbenfrohes Blütenmeer schlängelte. Lilien, Vergissmeinnicht und Margeriten streckten sich ihr entgegen. An manchen Stellen, des mit Kies bestreuten Weges, brach Löwenzahn ungeduldig durch den Boden. Leona tauchte mit allen Sinnen in diesen Garten ein, atmete den Duft der Rosen und berührte vorsichtig deren noch schlafende Knospen. Sonnenstrahlen umhüllten den aufsteigenden Morgentau und wärmte die zwitschernden Vögel, welche in einem kleinen Steinbrunnen ihr Morgenbad nahmen.
Leona ging auf die, in einem Bogen geschwungene Brücke zu. Sie fühlte wie einfach und leicht das Leben hier war. Ihre Gedanken schwebten mit den summenden Bienen über den Klee, wurden gleichsam von ihrer Schwere erlöst. Am höchsten Punkt des Brückenbogens hielt sie an und ihr Blick verlor sich in unzähligen Nuancen von Grün, warmen Gelb- und Orangetönen. Leuchtendes Lila, zartes Rosa und ein wenig Violett vollendeten das, von der Natur kraftvoll gemalte Bild.
Mit einer fast selbstverständlichen Klarheit betrachtete sie die Fülle um sich, wurde selbst Teil des Gemäldes indem sie sich im Wasser des Teichs spiegelte. Der sehnsuchtsvolle Blick in unendliche Weiten hatte hier jeden Sinn verloren. Beinahe liebevoll schwappten kleine Wellen in sanftem Gleichklang gegen einen alten Holzsteg. Weiße Seerosen und Wasserlilien schwammen im Teich, verbargen den Blick auf den dunklen, moosbedeckten Grund. Sie lehnte sich selbstvergessen über das Brückengeländer. Dem feuchten, von der Sonne erwärmten Holz entströmte der wundersame Geruch lieb gewordener Kindheitserinnerungen. Leona fühlte sich behaglich. Zu sein, war hier genug und sie sah, dass alles gut war. Die ganze Welt und sie selbst versanken in befreiender Bedeutungslosigkeit. Sie lauschte. Irgendwo verlor sich das Gurren einer Taube in der Stille des Gartens.
Von der Sonne ein wenig erhitzt, schlenderte sie in den milden Schatten eines Magnolienbaumes. Sie zog ihre Schuhe aus und berührte mit den nackten Füßen das kühle Moos. Ein behagliches Gefühl durchströmte ihren Körper. Sie lauschte der leisen Musik des Windes und dem Zirpen der Grillen. Im stillen Einklang mit der Natur legte sie ihre Kleider ab und fühlte sich behutsam in den harmonischen Rhythmus der Melodie ein. Alles Denken entglitt schwerelos wie zart schimmernde Seifenblasen. Die Sonne suchte den Weg durch das Blätterdach und streichelte ihre Haut. Welch ein Genuss, welch ungeahnte Freiheit. In diesem Moment wurde ihr bewusst bereits alles zu besitzen, nichts mehr zu begehren.
Behutsam spielte der Wind mit den hängenden Zweigen der Trauerweide, leise raschelten die zarten Blätter. Ein Reiher glitt auf den Teich hinab und ließ sich am Rand des Schilfs nieder. Leona bestaunte seine würdevolle Bewegungslosigkeit, die sanfte Wachsamkeit in seinen Augen und spürte worauf es ankam. Dieser kurze Augenblick der Demut vor dem Leben, befreite ihre Liebe, erlaubte ihr zu atmen, sich auszubreiten.
Ein leiser Windhauch strich über ihren Rücken, erinnerte sie sanft daran, dass sie in den Zauber eines fremden Gartens eingetaucht war. Ohne Eile spazierte sie durch ein Beet mit duftendem Wiesenlavendel, zerrieb seine Blüten zwischen den Fingern und atmete den Duft ein. Dann nahm sie lächelnd ihre Kleider auf, zog sie an, ohne auf deren angemessenen Sitz zu achten. Die Schuhe trug sie in der Hand und schlenderte gemächlich über die Brücke zurück zum Gartentor. Die schmiedeeiserne Türangel quietschte leise. Sie brauchte sich nicht nochmals umzusehen als sie hinaus in den Alltag trat. Das Bild intensiver Farben hatte sich bereits unauslöschlich in ihre Seele gemalt.