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In kalten Lettern...
Wenn du in deinem Zimmer sitzt, dich umschaust und dich fragst: Warum? Warum sie? Warum ich? Warum nicht wir? , ist das einer der Momente im Leben, die sich in ihrer Boshaftigkeit dermaßen in dein Gedächtnis brennen, dass du glaubst ihn nie wieder zu vergessen. Diesen Moment. Der Moment, in dem ein verbaler Genickschlag, deine bis eben noch gute Laune auf ein Minimum, wenn nicht sogar ins Negative gedrückt hat.
Sie liebe einen Anderen, meinte sie.
Lange hast du dir Hoffnungen gemacht und plötzlich, wie ein Schlag ins Gesicht, in kühlen unbeirrbaren Lettern gelesen, dass es vorbei ist. Vorbei, was eigentlich nie begonnen hatte.
Natürlich stehst du erst einmal auf und trinkst ein großes Glas Wasser, in der Hoffnung den Ärger, den Frust und deine Ratlosigkeit herunterzuspülen. Wieder fragst du dich: Warum? Wegen eines anderen? Warum er und nicht ich?
Und weder wird das Wasser deine Frage beantworten, noch kann es dir in sonst irgendeiner Weise helfen. Dann fällt dir auf, dass du eigentlich keinen Durst hast, stellst das Glas an die Spüle und gehst in dein Zimmer, dein Reich, dein Ort der Trauer und doch hatte alles hier auch seinen Anfang genommen.
Per Internet hattest du beschlossen, mit ihr Kontakt aufzunehmen, um sie näher kennen zu lernen, ihr von deinen Gefühlen für sie zu erzählen und es hatte auch ganz gut begonnen, nicht nur das, es war auch gut weitergegangen, dachtest du...
...bis jetzt. Gut verstanden hattet ihr euch, wenn auch nur über das Fenster, das du immer wieder voller Hoffnung mit einem Mausklick öffnetest.
Ins Kino wolltest du sie einladen, ein Eis essen, ihr nahe sein, sie glücklich machen und jetzt musst du erkennen, dass es jemanden gibt, der das besser kann. Viel besser. Aus dem ganz einfachen Grund, weil sie ihn liebt.
Ihn!
Nicht dich!
Aber warum?
Was hat er, was du nicht hast? Seine Raucherei? Selbst jetzt bist du noch genug von ihrem Einschätzungsvermögen überzeugt, um diese Frage zu verneinen.
Aber warum? WARUM in aller Welt dann?
Jetzt ist der Augenblick gekommen, in dem dir Tränen über die Wange laufen. Der Augenblick, in dem du endgültig die Fassung verlierst, dich in dein Bett fallen lässt und plötzlich krampfhaft anfängst, die Schuld bei dir zu suchen. Und du wirst sie auch finden. Immer mehr Gründe werden dir einfallen und doch weißt du, dass es nur daran liegt, dass sie sich ganz einfach in einen anderen verliebt hat.
Der erste Fluss der Tränen beginnt zu versiegen und allmählich beginnst du zu zweifeln und denkst dir immer fantastischere Lösungen aus warum sie das geschrieben hat, obwohl sie dich liebt.
Es war eine betrunkene Freundin, die sich einen Spaß erlauben wollte, es war die Mutter, die diese Mail aus Angst um ihre Tochter geschrieben hatte, um dich von ihr fernzuhalten. Bis du zu der Erkenntnis kommst, dass all das nicht der Fall sein würde, werden weitere zwanzig Minuten vergangen sein.
Aber was solls? Spielt Zeit jetzt überhaupt eine Rolle? Wohl kaum! Es gibt, wie du eben schmerzlich erfahren musstest, wichtigeres als Zeit.
Viel wichtigeres.
Biologisch gesehen, ist es nur der Fortpflanzungstrieb, der in uns die Hormone, sprich Glücksgefühle verursacht und damit Sex zu einer, uns allen, in verschiedensten Fromen, süchtig machenden Droge macht. Wird der Urpsrung dieser Sucht, aber inmitten seiner Entwicklung erstickt, so spiegelt sie sich in einer Art der Verständnislosigkeit wieder, dass man es kaum beschreiben kann.
Natürlich hattest du mit Sex nie ernsthaft spekuliert, aber man wird ja wohl träumen dürfen.
Du steigst aus deinem tränennassen Bett, machst das traurigste Lied rein das du kennst, legst dich auf den Boden und beginnst ein weiteres Mal, hemmungslos zu weinen.
Immer wieder hattet ihr euch so wunderbar unterhalten. Natürlich nur in Form von Buchstaben, aber was hat die Art der Kommunikation mit dem Inhalt des Gesagten zu tun? Nichts! Das dachtest du wenigstens, aber du warst wohl allein mit dieser Meinung.
Einer von zweien und schon allein.
Oft hattest du dich gefragt, ob jetzt der richtige Moment wäre, sie auf ein Eis einzuladen oder mir ihr ins Kino zu gehen und jedesmal hat deine "Vernunft" gesiegt und dich aufs nächste mal vertröstet. Egal wann. Schließlich warst du ja davon überzeugt, dir bis zur finalen Frage Zeit lassen zu können. Fraglich, dass es was geändert hätte, wenn du früher gefragt hättest, aber im Moment bist du dir bei nichts sicherer als bei dieser Tatsache, es damit verbockt zu haben.
Die Angst gibt immer vor, Schutz zu sein und doch verletzt sie mehr, als dass sie hilft. Was hat es dir gebracht, abzuwarten und sicherzugehen? Nichts! Zumindest nicht dir. Diesen anderen, diesen Namenlosen hat deine Unentschlossenheit dazu verholfen, sich nun als einer der glücklichsten Menschen des Erdballs fühlen zu können. Er sollte sich bei dir bedanken. Nur leider weiß er das wohl nicht.
So ist das einzige, was dir bleibt, die Freundschaft mit einem Mädchen, das du insgeheim liebst. Gibt es eine größere Bestrafung? Mag sein. Aber kaum eine ungerechtfertigtere!
Nach dem du dir das Lied mindestens zehn mal angehört hast, stehst du auf und beschließt deine Trauer niederzuschreiben. Vielleicht wirst du dir das eines Tages, mit ihr in den Armen, durchlesen und vielleicht sogar ein wenig schmunzeln, bei dem Gedanken, so etwas geschrieben zu haben.
Vielleicht...