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in der anderen
in der anderen
irgendwo in der anderen sprach jemand zu ihr. Aber Lucie ließ sich fallen. Sie ruderte mit den Armen. Es fiel ihr schwer. Wie Schwimmen in bitterem Honig. Je tiefer sie hineinfiel, desto weniger schmeckte es bitter. Und nach einer Strecke, die in der anderen vermutlich in Metern gemessen wurde, war die Masse weniger zäh.
Die Stimme aus der anderen reichte nicht mehr hindurch und endlich konnte sie sich konzentrieren. Auf das weiche Rauschen, das unter der zähen Oberfläche lag. Es hüllte sie vollständig ein. Sie trieb jetzt quer zur Fallrichtung. Jedenfalls noch so lange, wie es Richtungen gab. Danach war sie nur noch in Bewegung. Von irgendwo aus, nirgendwo hin. In der eigentlichen hatte sie darauf keinen Einfluß.
Sie schloß die Augen um für eine Weile, die hier nicht in Sekunden gemessen wurde, nicht in das satte Grün zu sehen. In der eigentlichen konnte man nie wissen, welche Farbe alles hatte, bevor man dort war. In der eigentlichen war alles irgendwie. Alles war. Weiter nichts. Nachdem sie die Augen wieder öffnete. Langsam und eigentlich treibend. Hatte das Grün einen Purzelbaum geschlagen und glitzerte ihr blau entgegen.
In der anderen lag eine Hand auf ihrem Arm, als sie vor der neuen Farbe zurückzuckte. In der anderen konnte er nicht verstehen, fragte aber nicht.
Weit unten in der eigentlichen konnte sie seine Nähe fühlen, während das Blau in grelles Orange umschlug und Flammen schlug. Wieder schloß sie die Augen. Ließ sich tiefer fallen. Tiefer hinein in die eigentliche. Weg von Nähen und Farben. An einen Ort ohne Maße und Fragen. Aber heute wollte es nicht gelingen. Niemals tief genug. Sie ruderte hilflos durch die zähe Masse und fühlte sich zu nah an der Oberfläche. In der anderen sprach er zu ihr. Und sie spürte seine Hände.
Dann wird sie hinuntergezogen. Viel zu tief und zu schnell. Sie fällt durch die Oberfläche der eigentlichen und will schreien, kurz vor dem Aufprall. Sie wird aufschlagen und zerspringen wie ein Stück Glas. Irgendwo in der anderen. Dort wo es mehr als eine Zahl geben wird, wird sie zu tausend Teilen zersplittern.
Er steht auf und löscht das Licht. "Sag’s nicht Mama", flüstert er, bevor er die Tür schließt. Eins der tausend Teile weint eine langsame Träne. Nur eine heut nacht.
[Beitrag editiert von: arc en ciel am 13.03.2002 um 09:10]