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In allen unseren Wünschen, bleiben wir so stumm.

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11.12.2024
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In allen unseren Wünschen, bleiben wir so stumm.

In allen unseren Wünschen, bleiben wir so stumm.

Das Böse weiß nicht, dass es böse ist, sondern glaubt, das Gute zu sein. Franz Kafka


Ein Stück Papier fliegt über die rautenförmigen Dächer der Häuser im Stadtkern, Beinahe wäre das Stück Papier in einen der Schornsteine reingefallen. Das Papier bekommt wieder einen Windstoß und fliegt am alten Pavillon vorbei, es wird über den Stadtteich getragen und landet vor die Füße eines Mannes, der im Stadtpark am Teich sitzt. Er nimmt das Stück Papier, das mit sehr kleinen, eng anliegenden Worten beschrieben ist. Er beginnt zu lesen.

Angst umhüllt eine kleine Stadt inmitten der grauenvollen Zeit. Es ist April, und es geht zu Ende. Mörder streifen in den Nächten umher. Dirnen, Morphiumsüchtige, Militärs und Aristokraten tanzen auf dem Gipfel des menschlichen Verfalls. Inmitten der sich quälenden, windenden und am Sterben befindlichen wilhelminischen Ära steht ein Haus auf einem Hügel inmitten der Stadt.

Das Haus, das hier steht, ist ein Würfel der Vergangenheit und des Jetzt. Zukunft kann es keine geben, denn sie ist ungewiss, genauso weit entfernt wie der Sieg der letzten Offensive, die begonnen hat. Die letzten Eisen werden an die Front geschickt, doch die Soldaten gehen diesmal nicht mit Gesang und Freude dem Tod entgegen. Keiner möchte es, auch der Feind möchte gerne leben und zurückgehen, in den Schoß seiner Familie. Es stimmt schon, ein paar Bewohner sind in Kisten zurückgekommen und hier und da verstarben Säuglinge an Unterernährung. Es gibt Bewohner in der Stadt, die meinen, es ist halb so schlimm. Hindenburg macht alles richtig. Andere Bewohner sagen spöttisch: Der Kaiser hat keinen Tannenbaum mehr.

Doch ein neuer Spieler ist aufgetreten, es ist ein Yankee, der munter und gesund geschwommen kommt, er hat so viel von allem, was auf den westlichen Schlachtfeldern fehlt. Farben, Farben für ein Kriegsgemälde. Farben, um einen falschen Sieg darzustellen. Farben, um das Leiden zu verstecken. Farben für den Jubel für den nächsten Krieg. Blut für Farbe und das Leiden ist die Konzeption für die Zerstörung aller Leben. Farben sind eine Macht, und der Gedanke an den Sieg für unsere Truppen ist nur ein lächerlicher Wunsch, wie der Traum eines Ikarus, fliegen zu können.
Doch der Krieg in dieser Stadt ist weit entfernt. Es fehlen an Lazaretten und deren gezeichneten Soldaten, die vom Gas vergiftet wurden, Soldaten, die sich in unvorstellbaren Schmerzen mit einem Bauchschuss krampfend vor Schmerzen auf einem weißen Bettlaken wälzen. Keine Verrückten, die als Simulanten von den Ärzten verspottet werden.


Doch die Angst, dass diese schöne Zeit mit dem Kaiser vorbeigeht, dominiert das Denken der Einfachen und Uneinsichtigen.
Mein Name ist Jurvel Arbrom, ich wohne mit meiner Frau Susanna in einem der Häuser, das auf dem siebten Hügel der Stadt steht.
Seit Generationen leben unsere Familien hier. Damals waren wir so arm, dass wir die ersten Mieter waren, die in dem Haus unsere Wohnung trocken gewohnt hatten. Doch wir blieben, auch wenn wir uns was anderes hätten leisten können.

Ich erzähle ihnen jetzt eine Geschichte. Es ist eine Geschichte von einem Menschen, der in seinen inneren Abgrund schauen musste.
Fräulein Mosbach zog ein Jahr vorher ein, als die Mächte sich spalteten und ihre todbringenden Monstermaschinen aus den Fabriken zogen, in Richtung alter Feinde. Man wusste nicht viel über sie, nur dass sie an der Universität studierte. Ihr Vater war in Schlottheim ein angesehener Arzt und die Mutter war eine bekannte Schauspielerin am Meininger Theater. Beide starben auf der Lusitania.

Sie verliebte sich in einen jungen Herren, er war ein mäßig talentierter Maler. Er flüchtete aus seinem Land, weil er nicht zum Militär wollte. Merkwürdigerweise ging er mit stolzgeschwellter Brust in den Krieg, für ein Land, das nicht einmal er Angehöriger war.

Ich kannte ihn kaum. Er war ein wenig eigen in seinen Ansichten, aber stets freundlich gegenüber den anderen hier im Haus.
An einem kalten Tag, es war sehr grimmig, wir hatten Vollmond, kam der Postbote Herr Meistmann und gab ein Päckchen für das Fräulein Moßbach ab. Da sie nicht aufmachte, fand er es besser, es mir zu geben. Kurz vor dem Abendbrot ging ich zu Frl. Moßbach und klopfte an ihrer Tür, es rührte sich nichts, ich klopfte noch einmal. Ich vernahm ein leises Knistern.

Ich wollte gerade kehrtmachen und es später versuchen, ich war schon auf halber Treppe, da ging ein Spalt der Tür auf, eine leise Stimme bat mich, das Päckchen vor die Tür zu legen, es war das Fräulein, sie bedankte sich und machte wieder zu. Ich ging wieder in die Wohnung. Ich setzte mich an den Abendbrottisch. Wir haben den Abend mit einem anregenden Gespräch ausklingen lassen.

Susanna ging eher ins Bett, die Arbeit in der Metallfabrik war sehr anstrengend, immer wieder die schweren Granatenhülsen stemmen. Das ist keine Arbeit für Frauen, doch die Männer sind im Felde. Ich war bis 1916 an der Ostfront, ich war Flugzeugwart. Als mir bei einem Angriff auf den Flugplatz durch eine Fliegergranate der zaristischen Russen das Bein abgerissen wurde, kam ich heim. Zwar mit einem Bein, aber ich überlebte. Ich bekam dann eine Stelle in der Administration des Heeres. Ich muss den Familien die Nachricht übermitteln, dass einer ihrer Söhne oder Väter für den Kaiser tapfer gefallen ist. Tapfer stirbt keiner, er ruft nach seiner Mutter oder auch nach seiner Frau. Der Kaiser ist für uns daheim immer ein unfähiger Dummkopf gewesen.

Ich zog es vor, sie zu begleiten und noch ein Buch zu lesen. Als es zehn Uhr schlug, gab es einen Schrei im Haus. Meine Frau schreckte auf und schaute mich an. Ich legte mein Buch zur Seite und ging zum Flur. Eine Weile verharrte ich hinter der Wohnungstür, bis ich nichts Verdächtiges mehr hörte. Ich ging zurück zu Susanna, sie bat mich, ein Glas Wasser zu bringen. Als ich die Küche verließ, kam wieder ein Schrei, doch dieser war sehr markerschütternd. Unsere Katzen sprangen vom Ofen herunter und schauten zur Wohnungstür. Es war ein entsetzlicher Schrei, ein Schrei von einem Kind, dachte ich mir. Ich ging zu Susanna und beruhigte sie.

Mir pochte das Herz. Ich zog mir meinen Bademantel an und öffnete vorsichtig die Wohnungstür. Im Treppenhaus war das Licht an, es flackerte und ich vernahm ein leises Summen von Strom, der durch die Leitungen kroch.
Während ich langsam die Treppen hinabging, sah ich eine halb geöffnete Toilettentür, es war die Toilette von Frl. Moßbach. Ich lief langsam und fragte mit leiser Stimme, ob alles in Ordnung sei. Keine Antwort. Ich schaute noch einmal herauf zu unserer Wohnung. Susanna stand an der Tür, die Katzen saßen neben ihr.

Ich nahm die letzte Stufe und griff nach der Toilettentür. Ich schaute dabei aus dem Treppenfenster, um mir Zeit zu lassen. Ich hatte Angst, etwas zu sehen, was schrecklich war. Ich hatte das Gefühl, dass etwas Schlimmes passiert ist. Ich verharrte und beobachtete eine Ratte auf einer der Aschentonnen im Hof. In dem Augenblick, in dem ich meinen Blick der offenen Toilette zuwandte, hörte ich ein kleines Wimmern, ein Wimmern und ein Flehen, einen Ruf nach Hilfe.

Das Fräulein Mosbach saß mit gespreizten Beinen halbnackt auf der Toilette, das weiße Porzellan war mit Blut verschmiert. Auf dem Boden sah ich etwas Breiiges , Undefinierbares . Ich schaute in ihr Gesicht. Sie fixierte mich mit ihren großen Augen an. Sie war blass, ihre schwarzen Haare bedeckten teilweise ihr Gesicht. Sie atmet sehr schnell und immer wieder stößt sie ein Seufzen hervor. Ich bat Susanna, den Dr. Weisbach zu holen. Meine Frau holte schnell ihren Mantel und lief in eilenden Schritten zu Dr. Weisbach, er wohnte im Nebenhaus.

Ich fühlte mich so hilflos, ich wusste nicht, was ich machen sollte. Sie fing an zu schreien, ich versuchte sie zu beruhigen. Ich erinnerte mich an ein traumatisches Erlebnis, das ich einmal bei einem Urlaub an der Ostsee hatte. Ein Mann war am Ertrinken, ich wollte ihm helfen, doch ich konnte nicht ins Wasser, weil ich es nie gelernt hatte zu schwimmen.

Menschen beim Ertrinken zusehen zu müssen, ist etwas sehr schlimmes, und die Hilflosigkeit verstärkt dieses Gefühl noch mehr. Ein junger Mann kam gerade mit seinem Fahrrad und erblickte die ertrinkende Person. Er ging beherzt ins Wasser und rettete die Person. Später stellte sich heraus, der Ertrinkende war Theodor D. Roosevelt, der dann später einer der großen amerikanischen Präsidenten wurde. Er war auf einer Rundreise durch Europa.

Das Fräulein schaute mich an, sie versuchte sich aufzurichten. In dem Augenblick, als ich ihr helfen wollte, fällt etwas auf den Boden. Es ist etwas, was sie in der ganzen Zeit festhielt. Ich erkenne, dass es eine kleine Kiste ist. In dem Augenblick, als diese auf den Boden fiel, gleiten einige Fotos heraus. Auf dem Boden erkannte ich auch etwas Metallisches.

Später stellte sich heraus: Es war ein Stück Eisendraht.
Ich bemerkte, dass Dr. Weisbach mit meiner Susanna auf dem Podest stand. Dr. Weisbach schob mich zur Seite und kümmerte sich um das Fräulein. Wir trugen sie in ihre Wohnung. Sie wurde von Dr. Weisbach verarztet. Da das Fräulein einiges an Blut verloren hatte, musste der Doktor ihr eine Transfusion geben. Er musste alles auf eine Karte setzen und bat Susanna, ihr Blut zu spenden. Meine Frau willigt sofort ein. Zwei Stunden war Dr. Weisbach da.

Zum Glück hat sie nicht so viel Blut verloren, als es aussah. Es war gut, dass der Doktor schnell da war. Denn er war auch Geburtsarzt im Krankenhaus gewesen. Er versichert uns, dass das Fräulein sich erholen würde. Er stellte eine kleine Flasche auf den Tisch, deutete mit dem Zeigefinger auf sie und erklärte uns, dass wir dem Fräulein aller sechs Stunden ca. fünf Tropfen geben sollen. Er kommt übermorgen wieder und schaut nach ihr. Er seufzt noch einmal tief durch.

Ich ging mit Dr. Weißbach die Treppen herunter und blieb auf der Höhe der Toilette stehen. Er schaut mich an und gibt mir zu verstehen, dass sie eine Abtreibung durchgeführt hatte. Dr. Weismann musste den Fötus entfernen. Wir schauten uns an, mir ging der Gedanke durch den Kopf, ob sie sich selber umbringen wollte. Der Doktor ging wortlos die Treppen herunter. Ich stand in der Dunkelheit und ein wenig Mondlicht fiel durch das Treppenfenster. Ich sah das Blut, das überall auf der Toilette verschmiert war. Es wirkt sehr eigenartig. Es sieht aus, als würde das Blut das Licht reflektieren.

Ich reinige die Toilette und versuche auch wieder Ordnung zu schaffen. Susanna sitzt bei dem Fräulein und hält ihr die Hand. Das Fräulein schläft. Ich setzte mich auf den Stuhl, der neben ihrem Bett steht. Wir sitzen bis zum Morgengrauen da. Wir schliefen manchmal kurz ein. Doch nicht länger als ein paar Minuten.

Als die ersten Sonnenstrahlen den Raum belichten, sehe ich, wie das Fräulein langsam die Augen aufmacht. Sie schaut sich um und erschreckt kurz, als sie uns bemerkt. Sie fragt, was denn los sei. Es ist eine kurze, schwere Stille, die mich unfähig macht, ihr eine Antwort zu geben. Meine Frau erzählt es ihr. Das Fräulein schaut unter die Bettdecke und blickt wieder zu meiner Frau. Ich hatte das Kästchen auf ihren Nachtschrank gelegt. Das Holz war mit getrocknetem Blut gebeizt. Sie greift nach dem Kästchen und öffnet es. Sie hat Schmerzen und Susanne gibt ihr die Tropfen, so wie es der Doktor uns aufgetragen hatte.

Nachdem sie die Medizin eingenommen hatte, nimmt sie die Bilder aus dem Kästchen. Auf ihrem Gesicht zeichnet sich eine Maske der Abscheu ab. Sie verschließt das Kästchen und bittet mich, es in den Müll zu werfen. Susanna und ich wechselten uns ab, um bei dem Fräulein zu sein. Nach zwei Wochen ging es ihr wieder gut. Sie bedankte sich noch einmal bei uns, sie sprach nicht über diese Nacht, vielleicht war es auch gut so.
Unser Verhältnis zu ihr wurde immer privater. Wir haben sie als unsere Tochter angenommen.

Wir und Anira wurden zu einer kleinen Familie. Durch diese schreckliche Nacht haben wir eine Tochter gefunden, ein Kind, das uns immer verwehrt blieb. Sie nahm ihr Studium wieder auf und ging nach Australien. Als die Nazis an die Macht kamen, mussten wir emigrieren. Wir gingen nach Australien zu Anira, die dort eine Klinik im Outback leitet. Sie hatte es sich zur Aufgabe gemacht, den unterdrückten Bewohnern, deren Land geraubt wurde, unentgeltlich zu helfen. Susanna und ich zogen nach Melbourne.

Da Anira keine Kinder gebären konnte, hatte sie drei Kinder aus einer Familie eines Stammes adoptiert, deren Eltern von weißen Farmern erschossen worden waren. Wir zogen später nach Wellington. Susanna und ich sind jetzt über siebzig. Wir haben uns eine kleine Existenz aufgebaut, wir machten eine kleine Gaststätte auf. Anira und die Kinder kommen dreimal im Jahr zu uns und sie verbringen ihre Ferien mit uns. Nach Deutschland kehrten wir nicht wieder zurück. Warum auch, die meisten Nazis leben immer noch unbehelligt in Freiheit. Es hat sich nichts geändert.

Doch etwas beschäftigt mich immer noch: Es war etwas an dem Morgen , als ich die Kisten in die Mülltonne geworfen hatte.
Ich öffnete diese und sah mir die blutverschmierten Bilder an. Es waren Bilder von jungen Männern, die neben einem Berg voller Leichen standen. Einer der Männer hielt eine Pistole an seinen Kopf und lachte dabei in die Kamera. Ich erkannte den Mann auf dem Foto. Es war ihr Verlobter. Ich bemerkte, dass alle Bilder dieselben waren. Ich drehte ein Bild um und erkannte noch einigermaßen etwas Schrift. Ich entziffere etwas, was mich heute noch beschäftigt.

Meine Rose, … Ich warte hier und bin begeistert von dem Tod um mich herum … Wenn ich wieder da bin … soll mein Lebenswerk … von guten Männern … fortgesetzt werden … die Christusmörder müssen bestraft … nur sie sind schuld am Krieg … nur sie … nur sie … sind an allem schuld… Doch ich …sie werde bezahlen … alles. Bald bin ich da und …sie werden bezahlen.

Dein dich liebender Wolfie


Ich habe meiner Frau nie davon erzählt, auch nicht, als wir erfuhren, was mit den Menschen in den KZ-Lagern geschehen ist. Die Saat des Hasses wurde schon viel früher gelegt, wahrscheinlich war sie immer da und wir wollten es nicht wahrhaben. Hätten wir es verhindern können? Diese Frage habe ich mir all die Jahre gestellt. Ich weiß bis heute keine Antwort. Mein Wunsch ist es, dass die junge Generation alles versuchen soll, damit so etwas nicht wieder geschieht, egal wo, egal wer. Es liegt an uns, etwas mehr zu lieben als zu hassen.

Der Wind lässt nach, der Mann sitzt mit dem Zettel in der Hand immer noch auf der Bank, er beobachtet die vorbeiziehenden Kraniche. Er steht auf und läuft langsam zum Parkausgang. Er verschwindet immer mehr, bis der Park menschenleer ist.

 

Hallo @Mädchen June,

Das ist eine gelungene und atmosphärisch sehr dichte Erzählung. Den Titel finde ich gut gewählt; nur das Komma ist hier fehl am Platz. Stilistisch mag ich deinen ruhigen Erzählton sehr. Du verfolgst nicht immer einen klaren roten Faden, sondern schilderst eher einzelne Szenen oder Episoden. Mir gefällt, dass nicht alles streng strukturiert ist. Tatsächlich könnte genau das manche Leser irritieren, aber mir persönlich macht das überhaupt nichts aus. Einige kleinere Fehler sind mir aufgefallen, aber da mir gerade die Zeit fehlt, sie zu korrigieren, belasse ich es hier beim Hinweis darauf (womöglich Chat GBT zu Rate ziehen? Ich bin absolut kein Fan davon, aber für Korrekturen dieser Art ist es dann doch ganz praktisch.)

Ich habe deinen Text gerne gelesen!

LG Jorinde

 

Hallo @Mädchen June

Entgegen @Jorinde21, gehöre ich dann wohl zu der Gruppe der Irritierten. :)

Nicht unbedingt aufgrund einzelner Szenen und Plot, sondern der Überfrachtung des Textes mit zahlreichen Themen wie erster Weltkrieg, Kriegsversehrtheit, zweiter Weltkrieg, Verbrechen an der Menschheit, KZ, u.a. die mehr Stoff für einen Roman bieten, als in deiner Kurzen Platz dafür vorhanden ist. So frage ich mich am Ende, was du mir eigentlich erzählen wolltest.

Angefangen mit dem Prolog, der mich zugegebenermassen überfordert hat, auch da die ganze Geschichte auf einem (!) Zettel steht, den ein Parkbesucher zufällig findet und liest, um am Ende ohne Reflexion des gelesenen sich aus dem Park stiehlt und verschwindet. Das hat mich sogar etwas geärgert, da ich genau da einen Zirkelschluss erwartet hätte.

Er beginnt also zu lesen und erhält erstmal eine Art Prolog und wird in die Zeit am Ende des ersten Weltkriegs verortet. Was es mit dem Haus auf dem Hügel auf sich hat, frage ich mich?
Nun denn, es springt weiter zu einem Yankee, der sich "mit Farben" irgendwie als Retter aufspielt, das ganze aber nur schlimmer machen sollte. Diese Anspielung habe ich nicht durchschaut, trugen doch die USA als eines der Mitglieder der Alliierten in der Hunderttageoffensive zum Waffenstillstand, und letztlich zur Kapitulation und Ende des Wilhelminismus bei. Aber vlt. hab ich es einfach nicht verstanden.

Doch die Angst, dass diese schöne Zeit mit dem Kaiser vorbeigeht, dominiert das Denken der Einfachen und Uneinsichtigen.
die schöne Zeit mit dem Kaiser, denn nach all dem Gräul ist  diese Zeit eindeutig nicht schön gewesen.

Nun denn, es geht weiter mit der eigentlichen Erzählung des Kriegsversehrten Jurvel Arbrom. Also eigentlich geht es um Fräulein Mosbach, dann springst du wieder zu Arbrom, jo, ziemliches hin und her in der Zeit.

Kurz vor dem Abendbrot ging ich zu Frl. Moßbach und klopfte an ihrer Tür
Ich wollte gerade kehrtmachen und es später versuchen, ich war schon auf halber Treppe,
Ich war bis 1916 an der Ostfront, ich war Flugzeugwart. Als mir bei einem Angriff auf den Flugplatz durch eine Fliegergranate der zaristischen Russen das Bein abgerissen wurde, kam ich heim.
Oha! Und da kann er einfach so normal rumlaufen? Ich würde ihn einen Arm verlieren, oder mit Krücken humpeln lassen, dann passt es wieder.

Die Abtreibungsszene mit dem unglückseeligen Fräulein Mosbach zeichnest du relativ ausführlich, was mir gut gefällt, während die weiteren Geschehnisse dann leider in Zeitraffer an mir vorbeirauschen, ohne dass mich irgendetwas davon weiter berührt.

Menschen beim Ertrinken zusehen zu müssen, ist etwas sehr schlimmes, und die Hilflosigkeit verstärkt dieses Gefühl noch mehr. Ein junger Mann kam gerade mit seinem Fahrrad und erblickte die ertrinkende Person. Er ging beherzt ins Wasser und rettete die Person. Später stellte sich heraus, der Ertrinkende war Theodor D. Roosevelt, der dann später einer der großen amerikanischen Präsidenten wurde. Er war auf einer Rundreise durch Europa.
Diese Illustration Arbroms Hilflosigkeit finde ich misslungen, da sie mich aus der Handlung reisst und keinen Mehrwert erzeugt, zumal in deiner Fiktion der angehende Präsident gerettet wurde.

Nachdem sie die Medizin eingenommen hatte, nimmt sie die Bilder aus dem Kästchen. Auf ihrem Gesicht zeichnet sich eine Maske der Abscheu ab. Sie verschließt das Kästchen und bittet mich, es in den Müll zu werfen. Susanna und ich wechselten uns ab, um bei dem Fräulein zu sein. Nach zwei Wochen ging es ihr wieder gut. Sie bedankte sich noch einmal bei uns, sie sprach nicht über diese Nacht, vielleicht war es auch gut so.
Unser Verhältnis zu ihr wurde immer privater. Wir haben sie als unsere Tochter angenommen.
Ab da packst du meiner Meinung nach viel zuviel in den Text, die Machtübernahme der Nazis, das Auswandern nach Australien, Adoption dreier Kinder, deren Eltern von weissen Farmern erschossen worden sind, das wirkt alles so plakativ, nein, da steige ich aus ...

Die Saat des Hasses wurde schon viel früher gelegt, wahrscheinlich war sie immer da und wir wollten es nicht wahrhaben. Hätten wir es verhindern können? Diese Frage habe ich mir all die Jahre gestellt. Ich weiß bis heute keine Antwort. Mein Wunsch ist es, dass die junge Generation alles versuchen soll, damit so etwas nicht wieder geschieht, egal wo, egal wer. Es liegt an uns, etwas mehr zu lieben als zu hassen.
Verstehe ich nicht, sie sind doch vor den Nazis nach Australien geflohen.

Und danach höre ich nicht Arbrom, sonden die Autorin reden.

Der Wind lässt nach, der Mann sitzt mit dem Zettel in der Hand immer noch auf der Bank, er beobachtet die vorbeiziehenden Kraniche. Er steht auf und läuft langsam zum Parkausgang. Er verschwindet immer mehr, bis der Park menschenleer ist.
Eben, hier bin ich enttäuscht, dass der Mann bloss als Zettelhalter fungiert, aber eigentlich sonst keine Funktion innehat.

Noch etwas zur Grammatik: Der Text spielt in der Vergangenheit, aber ab und zu schleicht sich Präsens ein. Du hast ja bereits an anderer Stelle geschrieben, dass du an einer Schreib-/Leseschwäche leidest. Trotzdem würde ich den Text nochmal konsequent nach Zeitfehler durchsuchen.

Ich reinige die Toilette und versuche auch wieder Ordnung zu schaffen. Susanna sitzt bei dem Fräulein und hält ihr die Hand. Das Fräulein schläft. Ich setzte mich auf den Stuhl, der neben ihrem Bett steht. Wir sitzen bis zum Morgengrauen da. Wir schliefen manchmal kurz ein. Doch nicht länger als ein paar Minuten.
reinigte, versuchte, sass, hielt, schlief, stand, sassen.

Da du ansonsten die Vergangenheit konsequent durchhältst, bin ich sicher, dass du – gezielt durch den Text lesend – die anderen Zeitenfehler ebenfalls finden wirst.
Aber, sorry @Jorinde21, ChatGPT ist weniger geeignet, da Texte zuerst in Englisch übersetzt werden, bevor sie durchs Sprachmodell gejagt werden.
-> Duden online.

Ich hoffe du kannst mit meinen Anmerkungen etwas anfangen.
Liebe Grüsse, dotslash

 

Hallo Dotslash, zuerst möchte ich mich bedanken für die Rückmeldung. Ich kann verstehen, dass einige Dinge, die ich beschreibe, nicht immer klar sind.

Das Haus auf dem Hügel ist eine Chiffre dafür, dass das Ehepaar in einer kleinen Stadt auch isoliert lebt, aufgrund ihres Andersseins, jedenfalls für die Mehrheit der Bewohner der Stadt.

Dass Jurvel nicht mehr im Krieg ist, muss auch plausibel erklärt sein, besonders gegen Ende des Krieges. Ja, man kann auch mit einer Prothese weiterleben. Australien war der Kniff , da ich das Ehepaar nicht nach Israel oder in die USA verfrachten wollte. Australien steht auch für einen Neuanfang unter sehr schweren Bedingungen. Und sie hatten ihre „Tochter“ schon dort.

Der Mann im Park sowie die Kraniche sind eine Deutung, dass sich alles wiederholt, und die Leere des Parks hat etwas mit unserer Wahrnehmung von Gewalt und Unterdrückung zu tun. Wie wir miteinander umgehen, wie wir Schwächere betrachten. Das Roosevelt hier auftaucht, sehe ich als eine Chance für eine neue Ordnung, nach dem Krieg. Die Amerikaner waren für einen fairen Umgang mit Deutschland nach 1918, siehe Woodrow Wilson. Doch die Amerikaner konnten sich gegenüber den anderen Staaten nicht durchsetzen. Nach 1945 haben die Alliierten, besonders die USA, nicht den Gedanken der Rache wiederaufgenommen.

Bis auf Ostdeutschland sind die Westdeutschen wirtschaftlich eher auf die Beine gekommen. Was auch wichtig war. Im Osten dauerte es noch Jahre. Damit will ich auch ganz klar die Wege eines Landes zeichnen, worüber wir uns heute wieder streiten, siehe Ost- und West-Stereotype. Mehr Zuspruch zu rechten Parteien und anderswo weniger Zuspruch für rechte Politik. Anira will das Kind von einem Typen, der sehr nahe an Hitler ist, nicht haben. Sie erkennt wahrscheinlich erst jetzt seinen Hass, der vor dem Krieg nicht so sehr in ihm war. Sondern der Krieg hat ihn zu einem menschlichen Monster werden lassen.


Das Schreiben ist für mich auch ein Versuch, mich mehr mit der Sprache auseinanderzusetzen. Für die einen oder anderen mag es eine Welt voller Klischees sein. Doch schaut man sich die Wege der Menschen in ihren Biografien an. Ein Jude, der im Ersten Weltkrieg kämpft, seine Frau, die wie alle anderen einen schweren Männerberuf nachgeht, weil die meisten Männer gefallen, sich in Gefangenschaft befinden oder noch kämpfen müssen. Eine junge Frau, die aus ihrer Sicht kein Kind von einem Monster auf die Welt bringen will und sich in Lebensgefahr bringt. Die Hilflosigkeit wird durch ein Trauma von Jurvel erklärt. Es ist ja auch nicht so, dass man immer jemanden vorfindet, der einen Interruptio durchführt, was aber tatsächlich auch in der Zeit und lange danach einige Frauen taten und die meisten es mit dem Leben bezahlten.



Ich bin dankbar für die Kritik, ich werde davon einiges mitnehmen. Beste Grüße, Mädchen June

 

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