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Im Schatten des Regenbogens

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07.08.2002
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Im Schatten des Regenbogens

Auch ich war einmal Kind gewesen, sah die Welt mit Kinderaugen.
Die Sonne stieg zum Himmel wanderte am Tage, in heller Bläue und senkte sich am Abend, arg gerötet.
Ihre Bahn spiegelte sich im Regen als bunter Sonnenring.
Ich glaubte an die Weichheit der Wolken und bewunderte den Mond, der den Sternen am Abend ihr Licht gab.
Die Menschen wurden nur für mich geschaffen. Sie trockneten meine Tränen, im ersten Schmerz und pflegten die aufgeschlagenen Knie, nach rastlosem Spiel.
Ich bedankte mich mit meinem Lächeln und legte meine Hand in ihre.
Ich atmete das Leben in tiefen Zügen, in frühen Kindertagen.

Die Sonne zog ihre Bahnen.
Geist und Körper reiften.
Markus, kleiner Bruder und einziger Freund, lebte im Kummer. Er weinte oft.
Sein Körper war schwach, die Seele verletzlich.
Ein Alltag in Traurigkeit, warum bloß?
Die Ärzte forschten, ihre Ratlosigkeit blieb.
Kinder fanden seinen Reiz an ihm, kitzelten sein Gemüt.
Seelenfresser!
Gerne hätte ich einen unsichtbaren Mantel um ihn gelegt, der ihn schützte und Unverwundbarkeit verleiht.
Ich presste den Kleinen an meine Brust, ganz fest, wollte ihn ewig halten.
Licht wuchs in blauen Augen, seine Sommersprossen färbten sich.
Und dann, … dann nahm er seine Hand und legte sie in meine!
Ein Kind, frei von Schuld und ohne Neid.
Kein böses Wort zu denen, deren Häme er ertrug.
Er spürte weder Groll noch Hass. Geschah ihm Unrecht, verzieh er.
Er lebte in Dankbarkeit. Dankbar dafür, dass diese Welt ihn annahm.

Der Herbstwind blies, wir rochen das Apfelsüß.
Zweige trennten sich vom Blattstiel und Goldgelb fiel zu Boden.
Wir hoben die Igel von den Straßen und verscheuchten die Krähen, damit sie die Jungtiere nicht raubten. Wir bekletterten Kastanienbäume, versteckten uns in ihren Laubdächern und ich erzählte Markus die Geschichte vom Geheimnis des Regenbogens. Die Engel rutschen auf ihm hinab. An dem Platz, an dem sie die Erde berührten, warf der Bogen einen Schatten.
Dort ließen die Engel goldene Schüsselchen fallen, wer aus ihnen trinkt, dürfe Jahrhunderte leben, ohne Schmerz und Sorgen.

Auf den Marschwiesen stiegen Herbstdrachen und tanzten mit den Rabenkrähen im milden Strahl der Sonne.
Wir bauten ein Kreuz aus Weideruten, bespannten es mit einem Tuch, verzierten seinen Schwanz mit Stanniol und schickten ihn zum Tanz.
Markus gab Schnur, wenn eine Böe unseren Drachen in die Höhe hob und rannte, als er zu trudeln begann.
Er verschnaufte nur kurz.
Rauer Schrei und hastiger Flügelschlag kündigten weiteres Unheil an.
Die Krähen glaubten an ein Beutetier.
Markus kämpfte im Schatten der Drachen und Krähen, die über die Wiesen huschten.
Erst zur Abenddämmerung siegte er gegen Wind und schwarzes Federvieh.
Schließlich warf er sich in meine Arme, erschöpft, vom Schweiß durchtränkt. In seinem Gesicht ein Lächeln, das Stolz verriet. Ich fühlte Glück, als das Herz meines Bruders schlug.


Die Orgel spielte Moll.
Seine Hände wurden gefaltet, der Mund geschlossen. Die Sommersprossen blieben blass.
Er trug einen blauen Anzug, zum ersten Male in seinem Leben!
Ich verstand es nicht.
Der Sarg, aus Eiche und rot gebeizt. Trockenblumen, zu einem Kranz gebunden, zierten ihn. Ich berührte seine Hände, sie waren kalt. Er hielt ein weißes Taschentuch, wozu? Ich trocknete doch seine Tränen!
Vor ein paar Tagen spielten wir auf den Wiesen, ließen einen Drachen steigen, er flog so schön!
Wir gingen nachhause, schliefen bald.
Am nächsten Morgen schrie die Mutter.

Die Sonne schien, im sanften Regen.
Der Himmel glitzerte bunt.
Ein paar Wölkchen standen in halber Höhe, noch leicht gefüllt. Ich stand am Grab, beobachtete den Regenbogen und fragte mich, wo er wohl seinen Schatten warf?
Der Pastor sprach, die Menschen weinten.
„Manchmal gehen die Besten zuerst.“
Eine Frau, die ich nicht kannte, hielt ihren Jungen in den Armen. Sie streichelte seine Wangen und verwischte ihre Tränen.
Männer ließen den Kindersarg an Seilen in die Grube gleiten.
Meine Mutter warf Erde, bedeckte Markus und legte meine Hand in ihre.

Der Herbst kippte.
Flach stand die Sonne am Horizont und warf ein mattes Licht.
Dahlien und Chrysanthemen starben, Reif bedeckte die Wälder.
Der erste Frost brach die Halme der Wiesen und löschte den letzten Hauch von Leben auf den Feldern.
Herbstdrachen flogen nicht. Krähennester zwischen welkem Birkenweiß blieben stumm.

Meine Mutter trug schwer an ihrer Trauer.
Sie lächelte, wenn sie mich in ihrer Nähe wusste, weinte aber im Herzen weiter.
Ich schleppte Kummer.
Am Tage prügelten mich Erinnerungen, in der Nacht färbten sich die Sommersprossen.
Eines Abends wich die Illusion der Wahrheit. Ein Bild brannte sich in mein Gedächtnis, ich behielt es.

Dumpfer Klang von Kirchenglocken.
Stille und Dunkelheit umzingelt von Wänden mit kalten, glatten Flächen, gehalten in Erde und braunem Schlamm.
Der Körper im eisigen Inneren, er liegt auf rotem Samt und weißem Seidekissen, blass und starr.
Eine Zukunft gibt es nicht.

Jahre verstrichen.
Der Regenbogen blieb. Unerreichbar fern und doch so nah.
Meine Gedanken schwiegen nicht.
Warum lacht der Mensch in seinem Leben, wenn er weiß, dass er noch sterben muss?
Der Lehrer: „Sterben müssen wir doch alle, die einen heute, die anderen morgen!“
Die Schüler lachten. Ihre Verdrängung begann schon längst.
Die Großmutter: „Der Tod gehört zum Leben, Junge!“
Wahrheiten, die mir die Angst nicht nahmen.
Meine Mutter blieb mir eine Antwort schuldig. Ihre Tränen flossen, das verstand ich.
Ein Leben in Zufriedenheit trägt im Tod doch keine Früchte?
Der Therapeut: „Es scheint nur schlimm, wir fühlen es doch nicht.“
Nichts mehr fühlen! Das Wissen darum, die Schlimmste aller Qualen!

Trotz allem! Verstand und Seele halten sich die Waage.
Ich lebe im Heute.
Gehöre zu denen, die oft die Hände anderer halten.
Manchmal, wenn Sonnenstrahlen eine Wand aus Regen treffen, ihr Licht dicke Tropfen bricht, Rot-Orange bis Violett am Himmel eine Brücke ziehen, dann sehe ich die Welt mit Kinderaugen. Ich warte auf die Engel und wünsche mir ihre Schüsselchen, die sie im Schatten fallen ließen.
Ob wohl irgendwan einmal jemand meine Hand in seine legt?

 

Hallo Arche!

Muss Deinen Namen bei der Geschichte nicht lesen, um zu wissen, dass sie von Dir ist, ganz typisch- gewohnt guter Stil. Wunderbar berührend geschrieben... das kindliche Vertrauen, nicht-verstehen, die Gedanken und Gefühle...ganz toll beschrieben. Hat mich sehr mitgenommen, aber es tat gut, zu lesen. Besonders gelungen fand ich den Anfang und der Bezug zum Schlusssatz...

Liebe Grüße, Stefan!
Anne

 

Abend Maus, tja leider muss ich da immer meinen Namen hinschreiben. Würd das ja gerne mal versuchen, evtl. mit anderm Namen...Archetype... oder so. Wär pfiffig was?
Ich hab mir natürlich gedacht, dass sie dier auf der einen Seite gefällt! Alles andere, da hatten wir ja schon drüber geschrieben. Tja, diesmal hat es mich echt, echt, echt Zeit gekostet. Aber echt du. Vielen dank fürs Lesen und deinen Beitrag.

Liebe grüsse Stefan

 

Hallo Archetyp,

mich beeindruckt die tiefe Liebe, die aus deiner Geschichte spricht. Mich beeindrucken gleichfalls die poetischen Bilder, die du für die Sorge, für die schönen Erinnerungen und für die Trauer findest.
Einzig den vorletzten Absatz finde ich nicht so gelungen. Er steht sprachlich ein bisschen abseits. Es ist der einzige zynische Teil. Den kann ich zwar in deinem Prot nachvollziehen, aber er wirkt dadurch leicht wie ein Fremdkörper.
Ansonsten geht diese Geschichte wirklich sehr zu Herzen.

Liebe Grüße, sim

 

Hallo Sim, vielen dank für deine Worte, hab es als Kompliment verstanden. Du hast da nicht so unrecht. Ich glaube, dass sich das "Zynische" im vorletzten Absatz auf "der Lehrer ein kluger Mann" und den Satz davor, versteckt...und auvh "halb so schlimm". Tja, mal sehen, ob ich da was machen kann/werde. Vielen dank auch für den Hinweis.

Liebe grüsse Stefan

 

Hallo Archtyp,

eine wunderschöne Geschichter, voll von Bildern.
Du verstehst es wirklich mit Worten zu malen und deinen Leser zu fesseln, mitfühlen zu lassen.

Deine Geschichte hat mich wirklich gerührt.
Steffi

 

Danke Steffi, "mit Worten malen", das rührt mich auch, wirklich. Hab ich ´ja noch níe gehört!

@Sim, war ein guter Hinweis, den du mir gabst, hab das Zynische rausgenommen, weiß schon warum ich solange bei besagtem Absatz brauchte!

Liebe grüsse an euch beide

stefan

 

Hallo Archetyp,

so liest es sich auch besser. Es kommt deutlicher raus, dass die platten Trostwahrheiten eben leider die Ängste nicht nehmen. Die Antworten wirken jetzt hilflos, so wie du es wahrscheinlich auch vorhattest.

Lieben Gruß, sim

 

Hallo Archetyp!

Hast es wieder einmal geschafft, eine Geschichte zu zaubern, die berührt, ohne rührselig zu wirken. Die Sprache, die Du verwendest, lässt, wie st.a.r bereits anmerkte, sehr intensive Bilder im Kopf des Lesers entstehen und Gefühle nachvollziehbar werden.
Verlust und die nicht greifbare Angst vor dem Tod beschreibst Du in eindrucksvollen Worten, die unter die Haut gehen. Super!

Was mir auffiel:

Die Engel rutschten auf ihn hinab.
Meinst Du nicht: ihm?
und:
Wir bauten ein Kreuz aus Weideruten, bespannten es mit einen Tuch, ...
einem

Das war´s schon.


Lieben Gruß
Antonia

 

Hei Sim, ja ... danke, denke auch so passt es.

Hallo Antonia, schon längst ist mir aufgefallen, dass du regelmässig ließt, was ich schreibe. Und mir ist aufgefallen, wie vorsichtig du deine Rechtschreibkritik anbringst, die du abschließt mit "das war es schon", als ob du die Geschichte nicht verletzen wolltest.Also ich weiß auch nicht was heute mit mir los ist!

Danke jedenfalls. Es gibt ein paar Leser, da warte ich immer drauf, was sie dazu wohl sagen. Es hat nämlich sehr viel Gewicht für mich! Naja, weisst, was ich meine.

Dann weiß ich immer: "Sie ist wohl wirklich gut!"

Liebe grüsse Stefan

 

Lieber Stefan!

Eine sehr traurige, aber auch sehr schöne Geschichte, für die Du das Lob, dem ich mich nur anschließen kann, wirklich verdient hast! :thumbsup: :)

Stilistisch ist sie Dir meiner Meinung nach ebenfalls einwandfrei gelungen.

Nur ist mir eines nicht klar (aber nachdem ich scheinbar die einzige bin, reicht es, wenn Du es mir sagst, statt gleich den Text zu ändern ;)): Du schreibst erst "Sein Körper war schwach, die Seele verletzlich" - nun hätte ich eigentlich geglaubt, daß er an einer Krankheit gestorben ist, aber die Stelle "Tu mir so etwas nie an, mein Kleiner!" läßt mich dann eher auf Selbstmord schließen. - Bitte um Aufklärung. :)

Besonders gefallen hat mir auch die Feststellung:

Trotz allem! Verstand und Seele halten sich die Waage.
Ich lebe im Heute.

Ein e hab ich da grad herumliegen, das schenk ich Dir für die Chrysanthmen. ;)

Liebe Grüße,
Susi :)

 

Hei Susi, vielen dank für die Chrys..., ich weiß schon jetzt nicht mehr, wie man es schreibt!

Wir können mal davon ausgehen, dass er an einer Krankheit gestorben ist, nennen wir sie Krankheit!
hab ich absichtlich offen gelassen.

"Tu mir das nie an, Kleiner"
Gemeint ist auch hier: das Sterben, ihre Trauer, dass sie bei der Beerdigung ihres Sohnes dabei sein muss.
Natülich hat der Kleine das nicht in der Hand, allein.
Wie man halt das so sagt!

Vielen Dank susi, für dein Lob

Liebe grüsse nach Wien

 

Hallo Archetyp,
kann nicht mehr viel Neues hinzufügen. Aber auch mich hat diese Geschichte sehr bewegt, ich fand sie sooo schön, besonders die Erklärung des Regenbogens und die schönen Naturbeschreibungen, die Du in die Handlung eingebettet hast.
In Deinem ersten Satz hätte ich vom Gefühl her die Kommata anders gesetzt, auf jeden Fall den nach Tage hätte ich weggelassen.

LG
Blanca

 

Hei Blanca, schön, dass sie doch noch, trotz Traurigkeit, als schön empfunden werden kann.
Ich weiß, dass man am Anfang mehrer Komata setzen könnte, hab auch überlegt. Muss mal sehen, vielleicht nehme ich noch eins raus, oder verschiebe es.

Vielen dank für das Lesen

Stefan

 

vielen dank für die Chrys..., ich weiß schon jetzt nicht mehr, wie man es schreibt!
Hm, ich dachte, es sei nur ein Tippfehler und Du weißt, wo das e hingehört: Chrysanthemen - im Absatz, der mit "Der Herbst kippte." beginnt. :)
nennen wir sie Krankheit!
Du hast Recht, eine Krankheit ist es so oder so. ;)

Liebe Grüße,
Susi :)

 

Hei Susi, vielen dank für die Chrysanthemen. Ich wusste, wie sie geschrieben werden, hatte aber gar nicht bemerkt, dass ich sie falsch schrieb!!

Ich habe lange überlegt, ob ich nicht doch irgendwie die Krankeheit des Jungen erkläre. Hätte auch ein paar Möglichkeiten. Aber...nach all diesen langen Überlegungen, bin ich doch zu dem Entschluss gekommen, dass es für die Geschichte nicht relevant ist. Auch während des Schreibens kam mir immer wieder dieser Einfall! Erklärung oder nicht. Da ich aber doch sehr verdichtet schreib´ lass ich es. Bin allerdings selber immer noch am hardern. Naja..!

Liebe Grüsse Stefan

 

Servus Stefan!

Es ist viel Poesie in deinen Geschichten. Die geistigen Bilder des Erzählenden sind in all der Schmerzlichkeit doch bunt und bewegt, von Wünschen und einer farbigen Stimmungstiefe getragen. Der Anfang findet sich im Ende wieder - ein Mensch der die Welt mit einem unvergänglichen Kinderherzen fühlt. Die Seitenblicke auf den Tod symbolisieren für mich, die noch fehlende Erfüllung nach all den Jahren noch nicht gefunden zu haben. Aber da ist ja, all den unbefriedigenden Ratschlägen zum Trotz - die Hoffnung, auf eine Hand welche endlich die seine aufnimmt.Schön.

Lieben Gruß an dich - Eva

 

Hei Eva, deine Interpretationsfähigkeit ist enorm. Ja, es existieren einige Seitenblicke auf den Tod. Dahlien verwelken nicht, sondern sterben. Aber auch sonst gibt es dieser Kritik nichts hinzuzufügen. So wollte ich sie - und genau so - verstanden wissen. Danke, dass du dich drum gekümmert hast.

Liebe Grüsse an dich

 

Hallo Stefan!

Schnee.eule entdeckt immer wieder Feinheiten, die anderen entgehen. Sehr gute Interpretation!

Was Du zum Nicht-verletzen-wollen der Geschichte geschrieben hast: ins Schwarze getroffen!
Ich habe nämlich den Eindruck, dass Dir vermittelte Stimmungen und Gefühle wichtiger sind als Perfektion der äußeren Textform.
Nun, jeder Mensch setzt andere Prioritäten. So lege ich großen Wert darauf, wie mir Gefühle und Atmosphäre nähergebracht werden und überlese dabei oft Fehler. Deshalb bin ich auch so froh, dass mich Kritiker auf Fehler in meinen Beiträgen aufmerksam machen. :)

Deine Geschichte ist wirklich gut!


Ganz liebe Grüße
Antonia

 

Hei Antonia, völlig richtig. Ich lege nicht so den Wert auf logische Zusammenhänge und drück auch mal ein Auge zu, wenn Sachlogik hinkt. Ich bewerte aufgrund von Entstehung von Empfindungen beim Lesen, darf natürlich nicht zu abstrus sein. Wass die Syntax betrifft: Ausserdem mag ich gern mal die Adjektive an das Satzende stellen!

schönes We für dich!

stefan

 

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