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Im Moor
Zahniges Schilf schabt an der Wange. Ich schließe die Augen und lasse es geschehen. Stillhalten und eintauchen in den Sumpf. Die Sonne nähert sich dem Untergang. Geboren mit rosiger Unschuld und hinaufgestiegen in den Himmel, nur, um mit versengten Flügeln abzustürzen. So wie ich. Die Schatten werden länger, bedecken mich mit tröstlicher Dunkelheit. Wenn ich mich nicht rühre, lässt sich sogar die Nässe ertragen.
Ich höre Getrappel, Dreckklumpen prasseln auf fauliges Wasser. Über das Moor gellen scharfe Rufe, werden verschluckt vom Bodendunst. Fackeln tunken sandige Grasinseln in flackerndes Licht, holen sie einen Moment aus der Schwärze, bevor sie zurücksinken in den Orkus des Moors. Vereinzelt schlagen Vorderhufe in finsteren Morast, hörbar nervöses Tippeln von Fluchttieren. Aufgeblähte Nüstern, die ihn durch den Gestank wittern. Ihn, den Rächer aus dem Marschland, in dem sich die Erinnerung so taufrisch windet.
Die Ketten ziehen an den Händen, ich schmecke das Eisen, gallig und schal wie Blut. Oft schon habe ich mir vorgestellt, eine flache Kuhle aus dem Torf zu stechen, mich hinein zu betten und zu warten, bis das Moor mich einatmet, damit endlich Frieden herrscht. Doch etwas hält mich davon ab. So leicht will ich es ihm nicht machen. Ich weiß, was noch zu tun ist.
Eine Mücke landet auf meiner Stirn, sticht mehrfach den Saugrüssel in die Kruste aus Dreck, will sich gütlich tun am vergifteten Blut. Ich stelle mir vor, ihre Nachkommen wären ebenso verdorben wie ich. Durch mein bitteres Lächeln spannt der angetrocknete Schlamm auf meinen Wangen. Die Tarnung bröckelt und das wird bestraft.
Etwas fällt auf mich, das noch dunkler ist als die Schatten ringsum. Mir gelingt es, mich zur Seite zu winden, bevor die Spitze aus blankem Stahl dort niederrauscht, wo vor Bruchteilen von Sekunden noch mein Kopf lag. Tief steckt die Sense im Schlick.
Der Schlamm gibt mich schmatzend frei. Mich, die wandelnde Moorleiche. Lässt zu, dass ich auf die Beine springe und aus der Drehung heraus die schnurrende Kette an seine Schläfe klatschen lasse, was den Bauernvasallen aus den Stiefeln fegt.
Mit scharfem Gerassel und aufgeregtem Gebrüll kommt die Gefolgschaft des Landvogts zum Stehen, doch bis die Pferde auf dem schmalen Weg gewendet sind, bin ich längst abgetaucht. Habe jetzt einen blauen, stählernen Zahn mehr. Einen gierigen Hauer aus kalter Schärfe mit zwei Griffen, der in meinen Händen nach dem Herrn von Lobenfels schreit – nebenbei ein niedlicher Name für einen Schänder, wie es im Marschland nie zuvor einen gab.
Auf dem Rücken der Pferde explodieren rote Funken, schicken ihre bleiernen Grüße wie zynische Handküsse herüber. Einige lassen Moder aufspritzen, andere schlagen im Körper des Mannes ohne Sense ein, der das Stöhnen eingestellt hat und stattdessen still vor sich hin blutet. Zu spät bemerken sie, dass nicht ich es bin, der dort liegt, sondern einer der Ihren. Gezischte Flüche und weitere ungezielte Schüsse in die Dunkelheit folgen. Das ist gut, sehr gut, denn ich weiß, blinde Wut vernebelt den Verstand.
Jetzt tränken sie den gestochenen Torf mit Öl, zünden es an und halten mit strengen Gesichtern Ausschau. Sinnlos, der Rauch verdeckt mehr, als das Feuer zeigt.
Ein Schwarm Krähen zieht aufgescheucht seine Bahnen, landet in einem der kahlen Bäume, die den schmalen Pfad säumen, lässt dem toten Holz schwarze Flügel wachsen. Die Luft ist gesättigt mit Schwarzpulver, Fäule und Angst. Ich halte die Nase in den Dunst, sauge den rauchigen Odem des Moores bis in die tiefsten Verästelungen meiner Lungen. Schmecke rostiges Eisen und eine Spur von Salz. Krieg und Gemetzel. Beides habe ich im Gepäck. Beides werde ich zu ihm tragen.
Will nicht mehr bleiben auf dieser Welt, die für mich ausgehöhlt ist und kalt, seit sie mir die Liebste genommen haben. Geschändet von der ansehnlichen Hülle des Landvogts, die bis zum Stehkragen angefüllt ist mit Unrat, Talern und erträumter Allmacht.
Doch nun hat sich das Blatt gewendet. Jetzt trieft ihm die Furcht aus den Poren. Zu Recht, denn er weiß, er wird meinen Hass nicht überleben. Den kalten Ingrimm, der mir die Kraft gab, die Schinderei in den Gräben seiner Ländereien durchzustehen. Niemals hätte Lobenfels mich entkommen lassen dürfen. Niemals und er weiß es.
Ich schlage einen langen Bogen zurück zur richtigen Stelle, halte die Kette kurzgefasst, die Sense unter den Arm geklemmt. Gespenstgleich husche ich von Schatten zu Schatten. Niemand sieht mich im kärglichen Mondlicht. Dann, als ich dort bin, lasse ich mich auf den Sumpf sinken, tauche in die Oberfläche. Ich kann sie spüren, meine Liebste, sie liegt unter mir. Ich rede tröstend auf sie ein, nicht mehr lange, Liebste, es dauert nicht mehr lange.
Langsam quält sich der Tross den Weg zurück. Müde Gestalten, schmutzig, durchnässt und satt von der finsteren Nacht. Ich höre ihr Zögern, ihr Zaudern, ihre Vorsicht. In mir wächst Zuversicht. Es wird nicht genügen, sie können ihn nicht schützen, nicht vor mir.
Ich erkenne sein Pferd, es ist das größte, springe auf die Füße, hole dabei aus. Schwinge die Sense wie Gevatter Tod und sehe in seinen Augen: Genau das bin ich für ihn. Die Sense vollendet einen Halbkreis durch den Nachthimmel, kurz erhellt vom Fackelschein, bevor sie niedersaust. Unaufhaltsam schlägt sie durch Handgelenk, Oberschenkel und Gemächt, bevor der Sattel sie schluckt. Das Tier steigt hoch, wirft ihn rittlings ab.
Es bricht die Hölle los. Die anderen Pferde scheren aus und gehen durch. Ich knie mich ins Moor und warte. Die Arme ausgebreitet. Meine Ohren werden taub von seinem kindlichen Geschrei. Erneute Feuerküsse strecken mich nieder, lassen den groben Stoff aufplatzen und Dreck herausrinnen. Stumm und gerne nehme ich sie auf, heiße sie willkommen.
Schlamm zu Schlamm. Über mir ziehen die Krähen Achten. Das Moor atmet aus, begrüßt mich. Ich sinke hinein, werde eins, alles ist an seinem Platz. Die letzte Nacht ist angebrochen.