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Im Gewächshaus
Wie Schmetterlingskokons warten die Knospen der Magnolie darauf, dass es Frühling wird. Als könnte es jeden Tag losgehen. Als gäbe es den langen, dunklen Winter nicht.
Helene steht im Gewächshaus und spürt ihn bereits in den Knochen. Sie setzt sich schwerfällig auf die Bank zwischen den Hochbeeten an der Stirnseite und zieht die hochhackigen Samtschuhe aus. Atmet tief ein. Genießt die Ruhe. Erholt sich von der Musik, den Umarmungen, den schmerzenden Zehen, dem Lachen Sigrids und der entsetzlich vertrauten Art, mit der sie Mels Krawatte zurechtgerückt hat.
Neben ihr liegt das Päckchen Kerzen, das sie vor kurzem zum Schutz gegen den Frost bereitgestellt hat. Die Streichhölzer liegen in einer Frühstücksdose mit ausgeblichenem Micky Maus Motiv, ein Geschenk ihres ältesten Enkels. Eine dünne Laubschicht zum Schutz der Erde liegt auf den Hochbeeten. Im Laufe der Jahre hat die Krone der Magnolie das ganze Gewächshaus ausgefüllt und es den Blumen darunter schwerer gemacht. Trotzdem hat Helene keinen Ast gekappt. Ihr Großvater hat das Gewächshaus als standesgemäßes Gegenstück zur Stadtvilla erbauen lassen und diese Magnolie als Erstes gepflanzt. Der Baum gehört hierher, so wie er ist und immer war. So wie der Koffer.
Dinge, die Helene über das Gewächshaus lernt:
Es ist Treffpunkt der zwei optischen Achsen im Garten.
Es schützt die Pflanzen vor dem strengsten Frost.
Es ist so weit weg vom Haus, dass niemand sehen und hören kann, wie eine sechzehnjährige Helene einem Schusterlehrling mit kommunistischen Eltern die ewige Liebe schwört, seine Hand hält, ihn küsst, verspricht, dass sie es ernst meint, einen gepackten Koffer unter der Bank hervorholt, es wirklich ernst meint, eine Träne aus seinem glücklichen Gesicht wischt, ihm hinterher sieht und wartet.
Wartet, weil er sie seine Helena nennt, weil er sich nur kurz verspätet, weil sie ihn vielleicht nicht in die Straßenbahn gelassen haben, weil es ihm bestimmt gut geht, weil er ganz sicher nicht auf einer Liste steht, weil sie sich lieben und das muss doch etwas wert sein.
Die Sache mit ihrer Mutter geht so:
Als Helene stundenlang gewartet hat, die verräterischen Tränen und den Schnodder ignorierend, steht ihre Mutter mit offenen Armen vor ihr und sagt: „Sei froh, der Junge hätte dich nur mit ins Unglück gerissen.“
Als ginge es hier um Glück.
Als Helene die Nächte wieder im Haus verbringt – es ist Ausgangssperre und auf den Straßen patrouillieren schwer bewaffnete Männer – steht ihre Mutter mit verschränkten Armen im Türrahmen und sagt: „Dein Vater glaubt noch an den Sieg. Du bist genauso stur. Es wird euch beide ins Unglück stürzen.“
Als ginge es hier um Glück.
Als Helene an ihrem fünfzigsten Geburtstag aus dem Gewächshaus tritt – nach all den Jahren erwartet sie ihn nur noch an solchen außerordentlichen Tagen – sagt ihre Mutter in Helenes beständiges Schweigen hinein: „Was für eine schöne Feier. Mel sieht im Anzug immer noch aus wie bei eurer Hochzeit. Und die kleine Paula läuft so gut, ich habe sie ja schon lange nicht mehr gesehen. Du kannst dich wirklich glücklich schätzen.“
Da wird Helene zum ersten Mal bewusst, wie traurig es sein muss, im Leben nur die Hoffnung auf Glück zu haben.
Ihre Mutter wird noch ein Jahr lang Glück haben, bevor ein Herzinfarkt sie tötet.
Helene und der Koffer warten, während in der Ferne Sirenen ertönen und einmal in gar nicht großer Ferne eine Bombe einschlägt und die Glasscheiben des Gewächshauses zum Klirren bringt. Sie zieht die Knie vor die Brust und denkt an seine Worte: Tanzen. Reisen. Kinder. Miteinander alt werden. Und an ihren Traum: Sich im Mondschein unter der Magnolie lieben.
Jahre vergehen, Helene wird älter und die Magnolie mit ihr. Die Baumkrone berührt beinah die gläserne Decke des Gewächshauses und ihre Mutter lässt die obersten Äste abschneiden. Noch eine Sache, die Helene nicht verzeiht.
Nachdem sie das Haus übernimmt, wird sie Jahr für Jahr darauf warten, dass die Äste durch das Glas brechen, aber es wird nicht passieren. Die Rinde wird rau, reißt hier und da auf, aber jeden Frühling blühen mehr Magnolien, mal begleitet von Narzissen, mal von Blausternchen und immer unter dem aufmerksamen Blick von Helene. In einem feuchten Sommer tauscht sie die morsche Bank aus. Der Koffer darunter bleibt.
Einer der Seitentriebe wird zu schwer und Helene bleibt ihrem Schwur treu. Ein umgedrehter Besen stützt den Ast und als sie nach einer Operation am Knie wieder vor ihrem Gewächshaus steht, grinst Mel sie an. „Könntest du die Krücke am anderen Arm tragen? Nur wegen der Symmetrie.“
Ja, Mel weiß ganz genau, wie er sie zum Schmunzeln bringt. Und er hat gelernt, worüber er nicht einmal sprechen darf.
Den Koffer zum Beispiel.
Die Sache mit Mel ist folgende:
Während Helene nach dem Krieg eine Ausbildung als technische Zeichnerin beginnt, teilt sich das Lokomotivwerk die Etage mit einer Druckerei. Das Zeichnen der Maschinenanlagen geschieht meist still und auch die Setzer sind leise, bis auf das gelegentliche Klackern der Schubfächer und Bleisätze. Von Zeit zu Zeit aber ertönt ein Rufen aus der unteren Etage: „Kunde sitzt auf der Treppe und weint.“ Dann läuft ein Junge durch die große Halle und übergibt einem der Setzer einen Zettel, der sich sofort an die Arbeit macht. Einer dieser Männer sitzt vor ihr, unsichtbar hinter einem hohen Regal, welches die sittliche Ordnung erhalten soll, aber offenbar braucht es mehr als ein Regal, denn besagter Mann hat die Angewohnheit, sein Bein zur Seite zu strecken und seinen wippenden Fuß neben dem Regal hervorragen zu lassen. Manchmal stellt sich Helene vor, dass hinter diesem Holzregal ein unheimlich leises Konzert stattfindet und sie malt sich die tollsten Dinge aus und niemand kann sie vom Gegenteil überzeugen, solange sie auf den wippenden Schuh schaut.
Eines besonders verwegenen Montags lernt sie:
Der wippende Fuß gehört zu einem jungen Mann, mit einer ganz gewöhnlichen Erscheinung und einem ganz und gar ungewöhnlich schönem Lächeln.
Kunde sitzt auf der Treppe und weint, meint, dass Eile geboten ist beim Verfassen einer Todesanzeige, denn Trauernde haben weniger Zeit als Tote.
Der Mann heißt Melvin, aber bitte nennen Sie mich Mel.
Später lernt sie:
Sein Vater hieß Melvin und war kein Mann, dessen Namen man mit Stolz trägt.
Mel hat nie beide Beine unter einem Tisch, weil er auf die nächste Fliegerbombe wartet und bereit sein will, um aus zusammenstürzenden Häusern durch brennende Gassen zu fliehen, und er wird sein ganzes Leben lang nicht damit aufhören.
Er wippt zu Ray Charles.
Er ist rastlos.
Er liebt Helene.
Er wird sie trotz allem lieben.
Helene geht mit ihm in den botanischen Garten, in rauchgeschwängerte Keller voller Musik, lädt ihn zu sich nach Hause ein, stellt Mel ihren Eltern vor und sagt Ja, weil sie es wirklich will. Sie ziehen in die Villa, Mel baut sie eigenhändig um, und die Kinder pflanzen Radieschen und Karotten ins Hochbett. Sie haben dreckige Finger, streiten und lachen und Helene liebt es. Aber immer wieder ertappt sie sich dabei, wie ihr Blick von der Arbeit hochschnellt, so als hätte sie eine Bewegung aus dem Augenwinkel gesehen, so als hätte sie Schritte auf dem Weg gehört oder ihren Namen, gerufen aus weiter Ferne. Dann strömt Kälte über sie und sie blickt zum Koffer.
Ihre Kinder merken es nicht.
Mel schon. Er fragt nie. Es ist, als ahnte er, dass er nur verlieren kann.
Helene hebt den Kopf, mag es, wenn bleiches Mondlicht durch die Äste fällt, aber heute ist der Himmel bedeckt. Es hat fast zwei Tage nur geregnet und die Feier musste nach drinnen verlegt werden. Trotzdem hängen überall im Garten Lampions und Lichterketten und leuchten wie Sterne in den tropfenbehangenen Wänden des Gewächshauses.
Helena.
Ihre Ohrringe klimpern leise, als sie den Kopf zur Tür dreht. Nicht hoffnungsvoll, sondern voller Gewissheit. Es ist eine Bewegung zwischen den Lichtreflexen, dann ein Schatten, die Tür öffnet sich und da steht Béla mit feuchten Locken, schlaksig, in den zu großen Sachen seines Vaters, und keinen Tag älter als in diesem Frühling vor fünfzig Jahren. Er ist außer Atem, drückt die Hand gegen seine Seite und als er ihren Namen sagt, bebend und verzweifelt, ist sich Helene sicher, dass er nicht mehr daran geglaubt hat, sie hier zu finden.
„Ach Béla“, erwidert sie und steht auf. Die Kälte des Bodens prickelt an ihren Fußsohlen. Sie geht zwischen den Hochbeeten entlang und stellt sich zwischen die Magnolie und ihn, fühlt, wie seine Atemzüge über ihr Gesicht streichen und riecht die Pfefferminze, die er immer kaut, um den Geruch nach Leder und Schuhwichse zu überdecken.
„Helena.“ Sein Blick gleitet über sie, nicht scheu und sehnsüchtig wie damals, sondern mit unerschütterlicher Selbstverständlichkeit. Seine Hände umfassen ihren Kopf, greifen in ihr Haar, zärtlich, aber unnachgiebig. „Du hast gewartet.“
Sie will sagen: „Natürlich“, aber da beugt er sich auch schon zu ihr herab, um sie zu küssen, und sie glaubt das metallische Klicken der Kofferverschlüsse unter der Bank zu hören. Etwas fließt warm von ihren Wangen hinab in ihren Körper, macht Dinge ungeschehen, dreht die Zeit zurück, gibt ihr Recht mit allem. Sie seufzt, als sie sich voneinander lösen und da gibt es einen Moment, ein Warten, Lauern oder Zögern ... was immer es ist, der Moment endet und während Helene die Knöpfe seines Hemdes öffnet, nestelt Béla an den Verschlüssen ihrer Bluse. Keiner von ihnen sagt ein Wort, während Kleidungsstücke wie verblüht zu Boden sinken. Béla beugt sich herab. Sie spürt kaum, wie der Stoff des Rockes über ihre Hüften gleitet, denn Bélas Fingerspitzen hinterlassen ein Prickeln auf ihrer Haut, das tief in ihren Schoß sinkt und ihre Knie weich werden lässt. Sie gräbt ihre Hände in seine Locken und blickt hinaus in den von Sternen erleuchteten Garten. Wann werden die Gäste ihr Fehlen bemerken? Wann Mel?
Als Béla sich wieder aufrichtet, blickt sie ihm tief in die dunklen Augen, kohlenschwarz, wie beim Schneemann hatte sie immer gesagt, aber er hatte nur gelacht, siehst du sie glühen? und sie will jetzt nur an dieses Lachen denken und an das Toben in ihrem Magen und darunter. Sie schmiegt sich an seinen nackten Oberkörper, weich und fest zugleich, schiebt ihm die Hose herunter, fühlt das erregte Pulsieren seines Körpers an ihrem Oberschenkel, drückt das Bein sanft gegen ihn, spürt das heiße Keuchen in ihrer Halsbeuge und will ihn so sehr. Er öffnet ihren Büstenhalter, drückt sie behutsam von sich und schiebt ihr die Träger über die Schultern. Für einen Atemzug fragt sich Helene, was er wohl sieht: Den Busen der jungen Frau, auf die er – selbstverständlich Helena – noch drei Jahre warten will, oder den Busen der vierundsechzig jährigen Helene, die ein halbes Jahrhundert auf ihn gewartet hat, aber das ist plötzlich nicht mehr von Belang, denn seine Lippen schließen sich um die Spitze ihrer Brust und diese Empfindung erschüttert ihr Denken. „Oh“, haucht sie in die kalte Luft, spürt seine Finger heiß auf ihrer Haut und das Holz des Hochbeetes in den Kniekehlen. Béla löst sich von ihr, schiebt sie langsam nach hinten – es fühlt sich fast wie Tanzen an – eine Hand um ihren Nacken gelegt, die andere an ihrem Rücken, um sie behutsam auf das Laub des Hochbeetes zu legen. Seine Finger streichen über ihre Wange, das Kinn und den Hals hinab, so wie sie es sich immer gewünscht hat, damals, als ihre Haut straff war und leicht errötete. Damals, als sie nur ahnte, wohin es führen konnte, wenn ein Mann sie so berührte. Jetzt folgen Bélas Finger altbekannten Bahnen auf ihr, beschleunigen Helenes Atem, hinterlassen prickelnde Spuren und wecken das Verlangen nach mehr in ihr. Sie biegt den Rücken durch, hebt den Oberkörper gegen seine Hände und presst ihre Schenkel gegen seine Hüften.
Béla direkt über ihr, mit glühenden Augen und stockendem Atem.
Bitte. Ihr Stöhnen, als er mit der Hand zwischen ihre geöffneten Beine fährt. Sie strebt ihm entgegen, bitte, bitte ... spürt seine Lippen an ihrem Hals und endlich ... seine Finger in ihr. Seine Hand reibt gegen sie, ihre Hüften gehen mit jeder Bewegung mit, erst langsam, dann schneller. Sie verliert Ort und Zeit, blickt hoch und sieht die Magnolie über sich, in voller Blüte, karges Holz mit weißen Sternen.
Oh bitte ...
Hör nicht auf.
Hör nicht auf.
Hör nicht auf.
„Hör nicht auf.“ Ihr Wispern zwischen keuchenden Atemzügen. Er löst sich von ihrem Hals, beobachtet jede ihrer Regungen und hält schließlich inne. Ist das Wehmut in seiner Miene? Helene streckt die Arme aus, zieht ihn an sich, lass es etwas wert sein, schmeckt Minze und Salz auf seinen Lippen, will ihn trösten, spüren und lächeln sehen. Sie fühlt die Muskeln unter seiner Haut, als sie ihn noch dichter an sich drückt, winkelt ein Bein an und ist absolut verzaubert von dem Stöhnen aus Bélas Kehle, als er sich schließlich hart und heiß in sie versenkt.
Oh bitte ...
Er gräbt seine Hand in das Laub neben ihrem Kopf, mit der anderen Hand umfasst er ihr Bein und hält sie fest, während er zustößt. Seine Bewegungen sind nicht zaghaft, sind Echo ihrer Sehnsucht, ihrer nächtlichen Träume, ihrer heimlichen Fantasien. Es ist, als hätten sie das hier schon tausend Mal getan. Helene umfasst seinen Unterarm neben ihr, spürt die feinen Härchen, hält ihn und sich mit aller Kraft fest. Sie schmiegt ihr Gesicht gegen sein Handgelenk, schließt die Augen, stöhnt viel zu laut, aber es ist ihr egal. Bélas Bewegungen treiben sie weiter und weiter, lassen die Kälte an ihrem Rücken verblassen und alles andere auch.
Weiter.
Weiter.
Hör nicht auf.
Bitte hör nicht auf.
„Oh bitte ...“
Weiter.
Seine Stimme, ganz nah. „Helena.“
Und über den Punkt hinaus ...
Ihr Schrei verhallt zwischen Eisen, Glas und Magnolienästen.
Welle um Welle treibt es ihren Körper gegen seinen.
Ein tobendes Kreiseln in ihrem Zentrum.
Keuchende Atemzüge.
Und die Wirklichkeit, die langsam wieder in ihren Kopf tröpfelt. Béla. Sein Gesicht direkt vor ihr, hilflos, atemlos, während sich sein Körper noch immer unter Schauern krümmt, noch immer in ihrem Innersten pulsiert. Sein Mundwinkel zuckt und er schüttelt lächelnd den Kopf.
Sie liegt in seinen Armen und hört sich selbst, sechzehn Jahre alt und voller Träume. Béla spricht von ihrer gemeinsamen Zukunft und er klingt so zuversichtlich, so sicher, dass sie nicht einen Moment an ihm zweifelt. Sie lässt die Bilder auferstehen: Tanzen. Reisen. Kinder. Miteinander alt werden. Sich im Mondschein unter der Magnolie lieben. Helene blinzelt. Sie spürt noch immer so etwas wie Glut in ihrem Innersten, ihre weichen Knie, aber nicht die Schwere in den Gedanken und Gliedern, wie sonst nach einem Höhepunkt. Hellwach richtet sie sich auf.
Mel, mit wippendem Fuß zu I’ve Got a Woman.
Mel, unter kalifornischer Sonne.
Mel, nachts im Garten Kreise ziehend, den kleinen Jakob im Arm.
Mel summend in der Küche, bei der Beerdigung ihrer Mutter, bei unzähligen Weihnachtsfeiern der Firma, immer an ihrer Seite. Mel im Nadelstreifenanzug zu ihrem dreißigsten Hochzeitstag. Wartend vor dem Gewächshaus. In diesem Moment.
Helene atmet die kalte Herbstluft ein und fährt sich mit den Händen übers Gesicht. Sie streicht sich Bluse und Rock glatt, richtet ihre Ohrringe und steht auf. Ihr rechtes Knie summt und sie kann die Feuchtigkeit zwischen den Beinen spüren. Sie fühlt sich jung und alt zugleich, muss leise lachen und kann sich nicht daran erinnern, wann sie das letzte Mal in diesem Gewächshaus gelacht hat.
Das Streichholz entzündet sich mit einem hellen Fauchen. Beinah erlöscht das Feuer, verliert sich rauchend im trockenen Laub, doch dann leckt eine Flamme an den Blättern entlang und verzweigt sich. Helene könnte es mit einer Hand auf den Boden wischen und ersticken. Stattdessen wartet sie, bis sie Wärme und dann Hitze im Gesicht spürt. Das Feuer erreicht die Magnolie und Helene erwartet, dass es sich wie ein grauenhafter Fehler anfühlt, der ihr die Luft abschnürt oder in Panik mündet, aber nichts dergleichen geschieht. Ohne sich noch einmal umzudrehen, hebt sie ihre Schuhe auf und tritt aus dem Gewächshaus. Mit langsamen Schritten geht sie den gepflasterten Weg entlang, hört das Knistern hinter sich und sieht orangene Lichtreflexe im nassen Gras.
Mel erwartet sie. Kein Gartenschlauch in der Hand, keine Panik im Gesicht. Er steht in seinem Anzug da, breitschultrig, mit gebeugtem Rücken und wohlverdienten Lachfalten.
„Mel?“ Ihre Stimme ist belegt.
„Hm?“ Als hätte sie ihn gerade beim Frühstück angesprochen.
„Gab es mal eine andere?“
Sie kann sehen, dass er sofort antworten will, dann aber zögert und das passiert so selten, dass es sich für einen Moment wie Fallen anfühlt.
„Nun. Es gab die Arbeit. Das Haus. Es war viel zu tun. Aber nein, es gab keine andere Frau in meinem Leben.“ Er lächelt sie an. „Du warst genug“ und bestimmt bildet sie sich nur ein, dass sein Lächeln nicht jeden Winkel seines Gesichts erreicht.
Selbst jetzt wagt er nicht zu fragen und so tut es Helene für ihn im Kopf.
Sie sagt: „Die Sache mit dem Koffer ... Nein, die Sache mit mir geht so: Ich war verliebt in einen Jungen und habe auf ihn gewartet. Und ich hoffe so sehr, dass er aus freien Stücken nicht mehr wiederkam.“ Für einen kurzen Moment rechnet sie damit, dass ihr bei diesen Worten Tränen in die Augen steigen, aber auch das geschieht nicht. „Weißt du, es ist schwer, mit dem Warten aufzuhören.“
Mel sieht sie lange an. So als wüsste er es ganz genau. Er hält ihr den Arm hin und steht dann mit ihr vor dem brennenden Gewächshaus, als wäre es ein Feuerwerk. Die Flammen lecken an der Decke und platzende Glasscheiben regnen herunter.