Was ist neu

Ilse Bilse

Mitglied
Beitritt
12.02.2020
Beiträge
381

Ilse Bilse

Seit jeher fügte Ilse sich ins Leben ein wie eine Bleistiftzeichnung in ein Ölgemälde. Wenn ihre Geschwister laut durchs Haus tobten, rempelten sie Ilse an und riefen: „Mensch, Ilse, aus dem Weg!“ Und wenn ihre Mutter fragte: „Wo ist denn die Ilse schon wieder?“, sagte Ilse: „Hier bin ich, Mutter.“ Und die Mutter antwortete: „Ach Ilse, wieso bist du nur immer so leicht zu übersehen?“
Aber Ilse wusste es nicht. Sie wusste nur, dass, wenn sie im Badezimmer in den kleinen Spiegel sah, sie da war. Klar und deutlich zeichneten sich ihre Umrisse in der Welt ab. Man musste nur hinschauen.
Es gab aber auch Momente, in denen Ilse sich wünschte, tatsächlich unsichtbar zu sein. Zum Beispiel wenn die anderen Kinder auf dem Pausenhof mit Kienäpfeln nach ihr warfen oder ihr auf dem Heimweg hinterherriefen: „Ilse Bilse, keiner willse, kam der Koch, nahm se doch, weil se so nach Zwiebeln roch.“

Mit neunzehn wünschte sie sich, dass dieser Koch bald käme und sie nähme. Sie begann zu glauben, dass sie nie einem Mann begegnen würde, der sie bemerkte, dass sie für den Rest ihres Lebens allein bleiben und unsichtbar zwischen all den Familien in der Stadt umherstreifen würde. Doch da kam Karl-Heinz, der kein Koch war, aber sie ansah, wie niemand sie je angesehen hatte. Am Mittwoch verkaufte sie ihm einen Hut, am Donnerstag einen zweiten, am Freitag einen dritten. Am Samstag holte er sie schließlich nach Dienstschluss vom Hutgeschäft ab und sie gingen an der Karthane spazieren.
Manchmal sagte Karl-Heinz: „Weißt du, Ilse, wenn du so wie jetzt in der Sonne stehst, bist du fast nicht zu sehen, sondern nur eine Aura aus Gold.“
Sie lächelte dann, legte ihre Hände in seine und sagte: „Ich bin so froh mit dir, Karl-Heinz.“

Als Karl-Heinz starb, blieb Ilse zurück. Kinder gab es keine. Ihre Eltern und drei der vier älteren Geschwister waren bereits verstorben. Nur ihre Schwester Clara lebte noch in einem Pflegeheim im weit entfernten Zwickau. Ilse fühlte sich so allein wie nie zuvor. Mit jedem Tag wurde sie blasser. Mit jedem Tag fiel es ihr schwerer, ihre Konturen im Spiegel zu erkennen. Bis sie schließlich ganz und gar unsichtbar geworden war und im großen Spiegel nur ihr Nachthemd seltsam schwerelos in der Luft stehen sah. So genau sie auch hinschaute, ihr Körper war nicht mehr zu sehen, aber es gab ihn noch. Sie konnte mit den Fingern über ihre Haut streichen, fühlte das Herz schlagen, wenn sie die Hand auf die Brust legte, und beim Blick in den Spiegel wanderte ein Kribbeln von Kopf bis Fuß. Sie zog das Nachthemd aus, ließ es neben sich auf den Boden fallen und war einfach weg. Sie fühlte sich leichter, wie ein mit Luft gefüllter Ballon, drehte sich im Kreis, die Arme ausgestreckt und wickelte sie sich in diesen kühlen Morgen, an dem sie unsichtbar und die Schwerkraft weniger geworden war. Ihr Haar strich über die Schultern und sie stellte sich vor, dass es Karl-Heinz‘ Hände wären. Vielleicht, dachte sie, habe ich mein ganzes Leben für diesen Augenblick geübt. Vielleicht war dies hier schon immer ihr Schicksal gewesen.
Was sollte sie jetzt tun? Würde sie jeden Tag ein bisschen leichter werden, bis sie sich auflösen würde? Leichter wäre als Luft und hoch in den Himmel stiege? Wenn ja, so war es ihr recht.

Der Morgen war noch frisch und sie legte sich wieder ins Bett, um sich aufzuwärmen. Klar und deutlich zeichnete sich das Volumen ihres Körper unter der Bettdecke ab. Nach ein paar Tagen, die sie hauptsächlich im Bett verbrachte und in denen sie darauf wartete, sich wie Nebel in der Morgensonne aufzulösen, musste sie einsehen, dass sie noch immer unsichtbar war, ihre feste Form aber nicht verloren hatte. Sie stand auf, wusch sich, putzte die Zähne, kämmte die Haare, zog sich an und vermisste Karl-Heinz.
Vom Fenster aus sah sie hinunter auf die Straße, auf der das Leben in seinem ewigen Rhythmus vorüberzog. Die Junisonne schien durch die Scheibe und wärmte den Stoff auf ihrer Haut, die Sonnenstrahlen kitzelten die unverhüllten Wangen. Ilse zog sich wieder aus, die Bluse, die Hose, sie zog alles aus, ging zum Spiegel und sah: nichts. Sie öffnete das Fenster, ließ Sonne und Wind ihren Körper streicheln, während unter ihr die Menschen ihrem Tagewerk nachgingen. Keiner sah hoch. Keiner sah die Unsichtbare nackt am Fenster stehen. Früher hatte man sie übersehen, jetzt war sie allen Blicken entzogen. Und frei.
„Die Sonne hat schon Kraft“, sagte sie.

Vorsichtig öffnete sie die Wohnungstür, aufgeregt schlug ihr Herz, und legte den Schlüssel unter die Fußmatte. Leise schlich Ilse an der alten Meisenberg vorbei, die den Hausflur im Erdgeschoss fegte, und war froh einem Gespräch entkommen zu sein. Draußen streichelte der Juniwind ihre Haut, wirbelte durch ihr Haar, hinterließ überall Gänsehaut, die sie ignorierte. Die Luft war warm genug, um sich nicht zu erkälten. Wie eine Achtjährige hüpfte sie von Platte zu Platte, ohne dass die alten Gelenke knackten und knarzten. Ilse ging zum Friedhof, sprach zu den Enten, die auf der Wiese beim Teich Mittagsschlaf hielten, ging zum Grab von Karl-Heinz und flüsterte ihm Koseworte zu, flüsterte ihm zu, wie sehr sie ihn liebte.
„Was soll nur werden, Karl-Heinz?“, fragte sie.
Sie wusste, was er sagen würde: „Was werden soll, das wird. Mach dir nicht so viele Sorgen, Ilsebilsekeinerwillse!“
„Ich versuchs!“, sagte sie. „Ich vermisse, dass du mich Ilsebilsekeinerwillse nennst. Morgen komm ich wieder, denn ich trau mich jetzt raus.“
Danach ging sie zum Supermarkt, stahl einen Apfel und aß ihn am Teich bei den Enten. Sie ging zurück, trank Saft aus einer Flasche, aß drei Kekse direkt aus der Packung. Dann ging sie nach Hause, machte sie sich eine Dosensuppe warm und aß sie zufrieden vor dem Fernseher. Sie würde einkaufen müssen, denn ein Körper braucht Nahrung, auch wenn er unsichtbar ist.

Am nächsten Tag zog sie los zum Supermarkt. Sie setzte ihren Lieblingshut auf den Kopf, die Sonnenbrille auf die Nase. Über die Hände streifte sie die dünnen Handschuhe aus Satin. Den blauen Schal zog sie bis zur Nase hoch. Auf dem Weg zum Supermarkt spürte sie die Blicke der Passanten. Nie war sie sichtbarer gewesen als jetzt. So kaufte sie ein. Wieder zu Hause traf sie im Hausflur auf die alte Meisenberg. „Meine Güte, wie sehen Sie denn aus?“, fragte sie. „Sie haben sich ja vermummt wie ein Filmstar oder haben sie gerade eine Bank überfallen? So erkennt sie ja nicht einmal der liebe Gott!“
„Ganz genau, Frau Meisenberg, ich habe mich vor den Paparazzi versteckt, aber ihrem scharfen Blick kann ich natürlich nicht entkommen.“ Sie zwängte sich mit dem Trolley an der Nachbarin vorbei.

In der Wohnung angekommen, atmete sie erleichtert auf und verstaute die Einkäufe. Der Wetterbericht im Radio versprach einen sonnig-warmen Nachmittag und Ilse freute sich darauf, später unentdeckt durch die Stadt zu streifen. Auf dem Weg zu Karl-Heinz kam sie an einer Bank vorbei mit einem Pärchen, das sich leidenschaftlich küsste. Sanft strich sie mit den Fingern über das Haar der beiden, die keine Notiz davon nahmen. Vor dem Café Heinrich hielten die Gäste ihre Gesichter in die Sonne, die Jacken über die Lehnen gehängt. Ilse setzte sich zu einem Mann, der allein am Tisch saß und ein Buch las. Unbemerkt nahm sie einen Schluck von seinem Milchkaffee und stellte die Tasse auf die andere Seite des Tisches. Als seine Hand ins Leere griff und seine Augen schließlich die Tasse überrascht am anderen Ende des Tisches fanden, kicherte sie lautlos.
Ihr Schicksal hatte sich erfüllt und zum ersten Mal im Leben fühlte sich Ilse ganz und gar mit der Welt verbunden, bewegte sich in ihr wie ein Fisch im Wasser. Fast jeden Tag besuchte sie Karl-Heinz und erzählte von ihren Abenteuern. Davon, wie sie sich ins Kino geschlichen hatte, ins Theater, selbst in der Sauna war sie gewesen. Manchmal war sie so voller Übermut, dass sie Sachen aus den Regalen im Supermarkt wischte oder eine Tasse vom Tisch draußen im Cafe Heinrich. Einmal schlich sie sich sogar in die Wohnung von Frau Meisenberg, als die gerade die Treppe fegte.

Die Wohnung war überraschend unordentlich. Illse spürte Krümel unter ihren nackten Füßen, während sie durch den kleinen Flur ins Wohnzimmer ging. „Die alte Hexe tut immer so ordentlich und jetzt schau dir das an“, sagte sie leise. Das Wohnzimmer war hell, die Luft abgestanden. Von einem Berg Schmutzwäsche auf dem Sofa ging ein muffiger Geruch aus. Mit dem Finger fuhr Ilse über das staubige Blatt einer Schwiegermutterzunge auf dem Fensterbrett. Die Efeutute daneben war braun und vertrocknet. Mit einem Kreuzworträtselheft fegte sie Krümel vom Couchtisch auf die Hörzu, die auf einem abgewetzten Sessel lag, und kippte die Krümel in den Topf der nur spärlich belaubten Birkenfeige.
Als die Nachbarin zurück in die Wohnung kam, verhielt Ilse sich still. Frau Meisenberg stellte den Besen neben die Küchentür, kochte sich Kaffee und sagte: „Man kann fegen, bis einem der Arm abfällt, das Treppenhaus sieht doch immer aus wie ein Ackerweg.“ Kurz fragte sich Ilse, ob sie mit ihr sprach. Nach einer Pause fuhr die Nachbarin jedoch fort: „Ich weiß, ich weiß. Die Gören aus dem dritten laufen immer mit ihren Matschbotten durchs Treppenhaus.“ Dann kicherte sie. „Hihi, ja, das wäre lustig. Stell dir das mal vor!“
Ilse stand im kleinen Flur, beobachtete die Nachbarin, belauschte ihr Selbstgespräch und blieb unentdeckt, obwohl das Leben in seiner ganzen, lauten Intensität ihren Körper flutete. Nachdem Ilse die deprimierende Wohnung der Meisenberg verlassen hatte, war sie froh und hatte nicht vor zurückzukommen. Es stank nicht nur nach alter Wäsche und abgestandener Luft, sondern auch nach Einsamkeit und davon wollte Ilse wollte nichts sehen, hören oder riechen. Sie wollte ein Teil der Welt sein, das Leben in ihrem unsichtbaren Körper spüren und den Sommer genießen.

Nach dem Sommer kam der Herbst und mit ihm die Kälte. Ilse verließ die Wohnung nur noch, um einkaufen zu gehen oder Karl-Heinz zu besuchen. Geschichten hatte sie keine mehr zu erzählen und so war alles, was blieb: „Ich bin so einsam ohne dich!“
Sie sehnte sich nach der Wärme des Sommers zurück, danach, unsichtbar zu sein. Immer öfter schlich sie sich in die Wohnung der alten Meisenberg, deren Ablenkungen von der Einsamkeit darin bestanden, den Flur zu fegen und mit den Nachbarn zu schimpfen. Manchmal stand Ilse mit ihr auch vor dem Fenster und beobachtete die Vögel, die sich im Vogelhaus auf der Balkonbrüstung Futter holten. Sonntags rief der Sohn aus Frankfurt an, meistens hatte er nicht viel Zeit. Wenn Ilse mit der Nachbarin fern sah, schob sie den Berg Wäsche beiseite, der immer auf dem Sofa lag, manchmal alt und muffig roch, manchmal frisch gewaschen, und setzte sich. Und wenn Inge Meisenberg vor dem Fernseher einschlief, machte Ilse ein bisschen Ordnung. Sie spülte etwas Geschirr, befreite den Couchtisch von Krümeln oder goss die Pflanzen. Und manchmal, wenn Frau Meisenberg einkaufen ging und Ilse noch in der Wohnung war, öffnete sie ein Fenster und ließ frische Luft herein. Sie nahm eines der Fotos von der Wand und versuchte die alte Frau Meisenberg in der lachenden Mutter zu erkennen, die auf dem Foto zu sehen war. Was war passiert? Wann hatte dieses Wohnzimmer aufgegeben, ein gemütliches Zuhause zu sein?

Anfang Dezember saß Ilse auf dem Sofa, neben einem Berg frischer Wäsche. Sie sah mit Inge Meisenberg eine Quizshow und versuchte die Kälte, die ihre Schultern zittern ließ, zu ignorieren. Die Nachbarin stand auf, ging ins Schlafzimmer und kam mit einer Wolldecke zurück, die sie aufs Sofa warf. „Hier!“ sagte sie. „Ich weiß, dass Sie da sind.“

 

Hallo @Katta

Ich lese ja mit bei der Challenge hier, aber leider habe ich selbst keinen passenden Text zum Thema und mir will auch nichts Gescheites in den Sinn kommen ... Da dachte ich, kommentiere ich wenigstens mal was. Du bist sozusagen die Auserkorene :-) Mal sehen, ich steige direkt ein, vielleicht ist was für Dich dabei.

Seit jeher fügte Ilse sich ins Leben [ein] wie eine Bleistiftzeichnung in ein Ölgemälde.
Das ist ein schöner, einleitender Satz. Leider nimmt er aber auch (tellig) vorweg, was danach gezeigt wird mit der Mutter und den Geschwistern. Dann auch: Wieso diese künstlerische Ader betonen mit Ölgemälde und Bleistiftzeichnung, wenn das danach im Leben der Ilse keinerlei Rolle spielt? Falls Du an dem Satz festhältst: Das eine 'ein' würde ich streichen, es geht auch ohne, finde ich, und der Satz liest sich dann geschmeidiger.

Sie wusste nur, dass, wenn sie im Badezimmer in den kleinen Spiegel sah, sie da war.
Umständlich formulierter Satz. Würde ich vereinfachen. Sie wusste nur, dass sie da war, wenn sie im Badezimmer in den Spiegel sah. (ist es relevant an der Stelle, dass der Spiegel klein ist?)

Kienäpfeln
Muss was Lokales sein / Musste ich googeln: Kenne die nur als 'Tannzapfen'.

„Ilse Bilse, keiner willse, kam der Koch, nahm se doch, weil se so nach Zwiebeln roch.“
Fies. Authentisch.

So genau sie auch hinschaute, ihr Körper war nicht mehr zu sehen, aber es gab ihn noch.
Finde ich fast etwas zu einfach von der Wortwahl her. Vielleicht sowas wie [...] aber er existierte noch? Weiss aber auch nicht, ob das wirklich besser ist :-)

Sie fühlte sich leichter, wie ein mit Luft gefüllter Ballon, drehte sich im Kreis, die Arme ausgestreckt und wickelte [sie] sich in diesen kühlen Morgen, an dem sie unsichtbar und die Schwerkraft weniger geworden war.
Ein 'sie' zu viel. Ein 'sich'-Satz: sich leichter, drehte sich, wickelte sich ... Ich bin, so glaube ich, ein erklärter 'sich'-Gegner, versuche wo immer möglich, das Wörtchen zu meiden. Aber eben, das bin ja nur ich :D

Das ganze Leben zwischen dem Kennenlernen bis zum Tod Karl-Heinz vergeht innerhalb weniger Sekunden, ich finde, da könnte noch etwas mehr Fleisch auf die Knochen. Wie ist denn der Karl-Heinz damit umgegangen, dass seine Gattin sozusagen nur für ihn wirklich sichtbar ist/war? Gab es da nicht allerhand skurrile Situationen? Könnte ich mir jedenfalls gut vorstellen. Oder ist sie vielleicht durch ihn wieder sichtbar(er) geworden? Die Stelle, wo er sagt

„Weißt du, Ilse, wenn du so wie jetzt in der Sonne stehst, bist du fast nicht zu sehen, sondern nur eine Aura aus Gold.“
deutet ja an, dass sie zumindest für ihn sonst 'sichtbar' ist. Also da hätte ich mir die ein oder andere Szene mehr gewünscht, dann erreichen mich die Stellen, wo sie ihn vermisst und an ihn denkt vielleicht auch etwas stärker. Ich sehe da also noch Potential, die ganze Sache zu vertiefen.

Klar und deutlich zeichnete sich das Volumen ihres Körper unter der Bettdecke ab.
Volumen: Weiss nicht, klingt technisch, fällt für mich aus dem Duktus. Wieso nicht einfach: Klar und deutlich zeichnete sich ihr Körper unter der Decke ab. Damit ist doch klar, wie das gemeint ist.

Vom Fenster aus sah sie hinunter auf die Straße, auf der das Leben in seinem ewigen Rhythmus vorüberzog.
Würde ich streichen, habe das Gefühl, das ist so eine Plattitüde bzw. etwas, was man oft liest. Es wird ja hier noch einmal betont
Sie öffnete das Fenster, ließ Sonne und Wind ihren Körper streicheln, während unter ihr die Menschen ihrem Tagewerk nachgingen.
und könnte deshalb getrost weg :-)

Früher hatte man sie übersehen, jetzt war sie allen Blicken entzogen. Und frei.
Bitter und schön zugleich.

Sie ging zurück, trank Saft aus einer Flasche, aß drei Kekse direkt aus der Packung.
Stelle ich mir auch sehr seltsam vor. Ihr Körper ist ja unsichtbar, wie sieht das aus, wenn da Saft durch die Luft fliesst und zerkrümelte Kekse? Ich finde, da wäre noch Potential für etwas mehr Skurrilität. Solche Stellen würden auch zusätzlich ihre Unsichtbarkeit betonen, sie stärker, ja, glaubhafter machen.

Auf dem Weg zum Supermarkt spürte sie die Blicke der Passanten. Nie war sie sichtbarer gewesen als jetzt. [So kaufte sie ein.] Wieder zu Hause traf sie im Hausflur auf die alte Meisenberg.
Den Satz halte ich für redundant. Wenn da nichts anderes kommt, ist es klar, dass sie 'so' einkaufte, oder?

Ilse stand im kleinen Flur, beobachtete die Nachbarin, belauschte ihr Selbstgespräch und blieb unentdeckt, obwohl das Leben in seiner ganzen, lauten Intensität ihren Körper flutete.
Wieso hier die 'laute' Intensität? Das kriege ich nicht recht zusammen. Ja, Frau Meisenberg führt Selbstgespräche, aber die sind doch nicht so laut und ansonsten scheint es ja relativ still zu sein. Also vielleicht verstehe ich was nicht, aber für mich ist die Stelle nicht so ganz präzise oder es fehlt was.

Es stank nicht nur nach alter Wäsche und abgestandener Luft, sondern auch nach Einsamkeit und davon wollte Ilse [wollte] nichts sehen, hören oder riechen.
Einmal 'wollte' zu viel.

Sie nahm eines der Fotos von der Wand und versuchte die alte Frau Meisenberg in der lachenden Mutter zu erkennen, die auf dem Foto zu sehen war. Was war passiert? Wann hatte dieses Wohnzimmer aufgegeben, ein gemütliches Zuhause zu sein?
Der letzte Satz personifiziert irgendwie das Wohnzimmer. Das passt für mich nicht. Klar, ich weiss, wie es gemeint ist, aber dennoch. Ich würde es einfach streichen.

Den Schluss interpretiere ich so, dass Ilse nur noch für Menschen sichtbar ist, die selbst einsam sind. Vielleicht war ja auch Karl-Heinz einsam und deshalb hat er sie gesehen, deshalb sind sie zusammengekommen und haben das Leben zusammen gelebt. Und wenn Frau Meisenberg da mit sich selbst spricht, vielleicht sind das gar keine Selbstgespräche, sondern eben andere Menschen, die unsichtbar geworden sind und die Ilse nur noch nicht sehen kann. Auf jeden Fall finde ich, Du hast das Thema der Challenge gut getroffen, ich lese es auch so, dass es in deinem Text um Einsamkeit im Alter geht, und die ist eben für viele (jüngere Menschen, Menschen die ihren Partner/die Partnerin noch haben) unsichtbar.

Viel Erfolg bei der Challenge und Beste Grüsse,
d-m

 

Moin @Katta,

gratuliere, neben dem Nano noch eine Kurzgeschichte zur Challenge einzureichen - gratuliere. Und ich mag sie , die Ilse Bilse.
Ich gehe einmal durch, einiges doppelt sich denke ich mit meinem Vorkommentator, verzeih!

Ilse Bilse
Ich liebe diesen Kinderreim oder besser gesagt die Erinnerung an lange Tage im Krankenbett, die ich mir mit Gedichten und Sprüchen aus einem Kinderreimbuch versüßte. Klasse, dass Du ihn ausgebuddelt hast.

Seit jeher fügte Ilse sich ins Leben ein wie eine Bleistiftzeichnung in ein Ölgemälde. Wenn ihre Geschwister laut durchs Haus tobten, rempelten sie Ilse an und riefen: „Mensch, Ilse, aus dem Weg!“ Und wenn ihre Mutter fragte: „Wo ist denn die Ilse schon wieder?“, sagte Ilse: „Hier bin ich, Mutter.“ Und die Mutter antwortete: „Ach Ilse, wieso bist du nur immer so leicht zu übersehen?“
Ich mag den Einleitungssatz, mag die Erzählstimme. Jedenfalls meistens :-). Ich glaube, ich kann sogar mit den vielen Possessivpronomen leben.
Gerade hier am Anfang hat mich der Fließtext mit der ganzen wörtlichen Rede irritiert, es sind ja verschiedene Sprecher. Aber eigentlich sind es ja Erinnerungen, Gedanken. Vielleicht doch eher kursiv und ohne Gänsefüßchen?
Ist mehr eine technische Frage, der Geschichte tut es für mich keinen Abbruch.

Klar und deutlich zeichneten sich ihre Umrisse in der Welt ab. Man musste nur hinschauen.
Es gab aber auch Momente, in denen Ilse sich wünschte, tatsächlich unsichtbar zu sein. Zum Beispiel wenn die anderen Kinder auf dem Pausenhof mit Kienäpfeln nach ihr warfen oder ihr auf dem Heimweg hinterherriefen: „Ilse Bilse, keiner willse, kam der Koch, nahm se doch, weil se so nach Zwiebeln roch.“
Schön gezeigt, diese zwei Seiten eines solchen Charakters.

Ilse fühlte sich so allein wie nie zuvor. Mit jedem Tag wurde sie blasser. Mit jedem Tag fiel es ihr schwerer, ihre Konturen im Spiegel zu erkennen.
Ja, man kann sich gut in sie hineinversetzen.

Sie zog das Nachthemd aus, ließ es neben sich auf den Boden fallen und war einfach weg.
Dies ist so eine Stelle, die fällt für meinen Geschmack aus der Erzählstimme. Der letzte Teil klingt für mich hier umgangssprachlich, zu vereinfacht.

wickelte sie sich in diesen kühlen Morgen
wunderschön formuliert

Sie stand auf, wusch sich, putzte die Zähne, kämmte die Haare, zog sich an und vermisste Karl-Heinz.
Ich mag die Normalität, zu der auch der Verlust von Karl-Heinz wird. Also, nein, ich mag es nicht, ich mag die Formulierung. :-)

Ilse zog sich wieder aus, die Bluse, die Hose, sie zog alles aus, ging zum Spiegel und sah: nichts.
mag ich auch

Vorsichtig öffnete sie die Wohnungstür, aufgeregt schlug ihr Herz, und legte den Schlüssel unter die Fußmatte.
Das Herz legt den Schlüssen unter die Fußmatte? Bezugsfehler, auch wenn klar ist, was du meinst. Da hattest Du bestimmt auch einen kleinen Wortkrieger auf der Schulter - "Wo hat sie denn den Schlüssel, wenn sie doch nackt ist"

flüsterte ihm Koseworte zu, flüsterte ihm zu, wie sehr sie ihn liebte.
ist eigentlich doppelt gemoppelt, der hintere Teil ist viel schöner

Danach ging sie zum Supermarkt, stahl einen Apfel und aß ihn am Teich bei den Enten
Weiter vorn geht sie zum Friedhof und füttert die Enten am Teich, damit lag der Teich für mich auf dem Friedhof. Geht aber vielleicht nur mir so.

„Sie haben sich ja vermummt wie ein Filmstar oder haben sie gerade eine Bank überfallen? So erkennt sie ja nicht einmal der liebe Gott!“
Ich glaube, die Höflichkeitsform wird großgeschrieben. Kann mich aber auch irren, ich habe bei mir versucht alle Anreden groß zu schreiben, damit man trotz Duzen den höflichen Abstand noch spürt, ob das funktioniert und was richtig ist , wird mir bestimmt jemand erklären können.

„Ganz genau, Frau Meisenberg, ich habe mich vor den Paparazzi versteckt, aber ihrem scharfen Blick kann ich natürlich nicht entkommen.“
nur falls ich recht habe ...

Auf dem Weg zu Karl-Heinz kam sie an einer Bank vorbei mit einem Pärchen, das sich leidenschaftlich küsste. Sanft strich sie mit den Fingern über das Haar der beiden, die keine Notiz davon nahmen.
Das hat mich irritiert! Warum streicht sie ihnen übers Haar, also ihr innerer Beweggrund würde mich zur Einordnung interessieren. Mein erster Gedanke war - wie übergriffig, ich will aber gar nicht negativ von ihr denken.

Unbemerkt nahm sie einen Schluck von seinem Milchkaffee und stellte die Tasse auf die andere Seite des Tisches.
Das fand ich niedlich

selbst in der Sauna war sie gewesen. Manchmal war sie so voller Übermut, dass sie Sachen aus den Regalen im Supermarkt wischte oder eine Tasse vom Tisch draußen
Auch die Idee Sauna (was man mit zunehmendem Alter ja eher lässt) mochte ich. Für den sinnlosen Schabernack würde ich gerne einen Gedanken von ihr lesen (Erinnerung, Menschen ärgern, ist ein kleines Miststück) - So wirkt es so sinnlos.

staubige Blatt einer Schwiegermutterzunge
Ha, richtig geraten - ich kannte den Begriff nicht - spitz und hart - sehr zutreffend

Dann kicherte sie. „Hihi, ja, das wäre lustig. Stell dir das mal vor!“
Da bin ich nicht hinter gekommen, worüber lacht sie? Treppe = Acker?

sondern auch nach Einsamkeit und davon wollte Ilse wollte nichts sehen, hören oder riechen.
Umbaufehler

Geschichten hatte sie keine mehr zu erzählen und so war alles, was blieb: „Ich bin so einsam ohne dich!“
Warum hat sie nichts mehr zu erzählen? Macht sie keinen Schabernack mehr? Unternimmt sie nichts mehr, dann bitte warum?

Immer öfter schlich sie sich in die Wohnung der alten Meisenberg,
Ja, darauf hatte ich gehofft ...

Manchmal stand Ilse mit ihr auch vor dem Fenster
überflüssig

Wann hatte dieses Wohnzimmer aufgegeben, ein gemütliches Zuhause zu sein?
Mir auch zu personifiziert

Die Nachbarin stand auf, ging ins Schlafzimmer und kam mit einer Wolldecke zurück, die sie aufs Sofa warf. „Hier!“ sagte sie. „Ich weiß, dass Sie da sind.“
Ich mag die Idee, die Formulierung ist mir noch nicht so ganz rund, oder einfach zu direkt.
Vielleicht eher einfach die Decke holen und sowas wie : Ihre Zähne klappern! Oder Das kann man ja nicht mit ansehen. Also ohne die direkte Aussage, dass sie es weiß. Aber am Ende ist das selbstverständlich Geschmackssache.
Lieben Dank dafür, die Ilse Bilse begleiten zu dürfen
Herzliche Grüße
greenwitch

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo @Katta,

ich habe zuletzt (mal wieder) gemerkt, dass es sinnvoll wäre, vor einem Kommentar vom Autor zu erfahren, worauf er hinaus will und was ihm wichtig ist. Denn es bringt ja nichts, beispielsweise fünfzehn Stellen zu markieren, die sich für einen selbst wie ein Klischee lesen, nur um dann als Antwort auf die Verbesserungsvorschläge zu erhalten: Das soll so, ich find's originell.

Warum schicke ich das vorweg? Weil ich merke, dass deine Story überhaupt nicht meinen Geschmack und Ton trifft, weswegen es mich natürlich umso mehr juckt, in diese Kerben hineinzukommentieren. Aber wahrscheinlich soll das meiste so und ich würde ins Nirvana kommentieren.

Also lasse ich lieber mal ein paar grundsätzlichen Gedanken als Denkanstöße und Reflexionen freien Lauf und komme dann auf ein paar sprachliche Dinge zu sprechen, um auch noch etwas Hilfreiches beizusteuern.

An deiner Story stößt mir - stellvertretend für viele andere im Rahmen der Challenge - die Infantilisierung alter Leute auf. Dieser Blickwinkel reizt mich persönlich irgendwie gar nicht. Gefühlt mehr als die Hälfte der Challenge-Texte lassen die Oma im Hühnerstall Motorrad fahren, sozusagen. Ich sage nicht, dass das keine guten Texte sind, sie lösen in mir nur nichts Spannendes aus, weil ich nicht nachvollziehen kann, wovon sie eigentlich in der Tiefe handeln.

Ich schließe aus dieser Tendenz: "die Oma" beziehungsweise alte Leute generell scheinen gemeinhin vor allem als naive, unselbstständige und hilfsbedürftige Menschen wahrgenommen zu werden, als niedlich, und der Sound der Geschichten ist ähnlich der von Kindergeschichten.

Bei dir findet eine Frauenfigur ohne Ecken und Kanten erst am Lebensende zu sich selbst. (Sie ist übrigens bis dahin fast eine personifizierte Opferrolle, denke ich gerade, von der Welt übersehen ohne eigenes Zutun.)

Mein Erleben alter Leute ist ganz anders: Je höher das Alter, desto mehr haben sich Unsicherheiten längst erledigt. Das Leben bringt einem schon bei, wer man ist und was man kann. Deine Protagonistin ist hingegen relativ kurz vorm Tod noch immer nicht reif und selbstbestimmt, erwischt nur durch wundersame Umstände gerade noch die letzte Ausfahrt zur Emanzipation.

Es wimmelt in der Challenge auch überall von Verniedlichungen und sprechenden Verben - an der Grenze zur Kindersprache. Aber ist es nicht ein Mythos, dass Alte wieder zu Kindern werden? Ist es nicht das, was wir uns zur Beruhigung einreden, damit wir es im Umgang mit ihnen leichter haben? (Das andere Extrem in den Storys sind übrigens die bösen oder kranken Alten, was ja genauso schematisch gedacht ist. Die Alten werden auch hier zu Stereotypen.)

Das ist alles gar nicht als Kritik im eigentlichen Sinne gemeint, es beschreibt nur mein Problem mit Texten wie deinem. Mir fehlt da der Ernst und der erwachsene Blick - und das unterschwellig Moralische im Sinne eines "Siehste mal! So kann es auch laufen!" nervt mich. So als müsste mal gezeigt werden, wie das Alter auch aussehen kann. Es wird wie mit Klischees aufgeräumt, die man indes zuvor selbst festgelegt hat.

Ich kann da einfach mit meinem Welterleben gar nicht anknüpfen, die" netti Omi" ist mir persönlich unbekannt: Ich habe weder meine eigenen Großeltern so erlebt, noch die alten Menschen, die ich beim Zivildienst betreut habe, noch erlebe ich meine alternden Eltern so. Gerade beim Zivildienst hatte ich das Gefühl, bei einigen alten Menschen gerade deswegen besonders beliebt zu sein, weil ich sie eben nicht verniedlicht oder irgendwie besonders behandelt habe. Mir schien, sie hatten das ganze nette und oft ja pseudo-fürsorgliche Getue der anderen Pfleger über und haben genau gecheckt, was bei ihnen und um sie herum Sache ist.

Ich finde das jedenfalls eine spannende Beobachtung, zu der mich dein Text als finaler Auslöser verleitet hat. Schon das Challenge-Thema geht ja stark in die Richtung unbedarfte Komik, Verulkung, Denken in Rollen ("die Oma") usw. Man muss die Texte nicht entsprechend ausrichtend, aber es scheint sich doch eine Tendenz zu zeigen.

Naja, anyway. Vielleicht nehme ich auch alles mal wieder zu ernst, anstatt mich einfach mal an besinnlichen oder ulkigen Vorweihnachtsgeschichten zu erfreuen.

Hier noch konkrete Anmerkungen:

Sie wusste nur, dass, wenn sie im Badezimmer in den kleinen Spiegel sah, sie da war.

Unnötig verschachtelt.

Zum Beispiel wenn die anderen Kinder auf dem Pausenhof mit Kienäpfeln nach ihr warfen oder ihr auf dem Heimweg hinterherriefen:

Komma fehlt.

„Ilse Bilse, keiner willse, kam der Koch, nahm se doch, weil se so nach Zwiebeln roch.“

Ansichtssache: ich würde "nahmse" und "weilse" schreiben wie du es ja auch bei "willse" machst. Zumindest einheitlich sollte es sein

Sie begann zu glauben, dass sie nie einem Mann begegnen würde, der sie bemerkte, dass sie für den Rest ihres Lebens allein bleiben und unsichtbar zwischen all den Familien in der Stadt umherstreifen würde.

Finde ich nicht so geschickt formuliert: Begegnen setzt bemerken für mich voraus bzw. inkludiert das

Manchmal sagte Karl-Heinz: „Weißt du, Ilse, wenn du so wie jetzt in der Sonne stehst, bist du fast nicht zu sehen, sondern nur eine Aura aus Gold.“
Sie lächelte dann, legte ihre Hände in seine und sagte: „Ich bin so froh mit dir, Karl-Heinz.“

Sagte er diese ausgefallene Sache wirklich "manchmal", also wiederholt?

Sie fühlte sich leichter, wie ein mit Luft gefüllter Ballon,

"mit Luft gefüllt" kann man streichen, finde ich. Niemand denkt an einen schlaffen Ballon, wenn man nur Ballon sagt

Vielleicht, dachte sie, habe ich mein ganzes Leben für diesen Augenblick geübt. Vielleicht war dies hier schon immer ihr Schicksal gewesen.
Was sollte sie jetzt tun? Würde sie jeden Tag ein bisschen leichter werden, bis sie sich auflösen würde? Leichter wäre als Luft und hoch in den Himmel stiege? Wenn ja, so war es ihr recht.

Diese Stelle hat mich an einen Satz denken lassen, den ein Professor mal in einem Seminar über die Literatur der Wiener Moderne gesagt hat und der mir hängen geblieben ist: "Stefan Zweig steht ja, genauso wie Hesse, unter Kitsch-Verdacht."

Seitdem denke ich mir immer: Man muss höllisch auf der Hut sein, sonst gerät man unter Kitsch-Verdacht. Wenn es sogar Zweig und Hesse treffen kann!

Hier, mal beispielsweise, erregt dein Text für mich Kitsch-Verdacht. Dahinter steht ja in etwa die Frage: Werden Gefühle eingängig und "wahrhaftig" abgebildet? Oder wird nur so getan.

Ich jedenfalls kann mir kaum bis gar nicht vorstellen, dass jemand jemals so fühlt wie deine Figur an dieser (und einiger anderer) Stelle. Ausser auf Drogen vielleicht, aber dass ist nur Hypothese, denn damit kenne ich mich nicht aus.

Vom Fenster aus sah sie hinunter auf die Straße, auf der das Leben in seinem ewigen Rhythmus vorüberzog.

Ist der Rhythmus einer modernen Stadt wirklich "ewig"? Passt für mich nicht, vor nicht allzu langer Zeit war der Rhythmus der Menschen noch anders und wer weiß, wie lange er noch so bleibt.

Meine Güte, wie sehen Sie denn aus?“, fragte sie. „Sie haben sich ja vermummt wie ein Filmstar oder haben sie gerade eine Bank überfallen? So erkennt sie ja nicht einmal der liebe Gott!“

Ihr Schicksal hatte sich erfüllt und zum ersten Mal im Leben fühlte sich Ilse ganz und gar mit der Welt verbunden, bewegte sich in ihr wie ein Fisch im Wasser.

"Mit der Welt verbunden" und "wie ein Fisch im Wasser" würde ich mal als Phrasen klassifizieren.

im Cafe Heinrich

Café - ich glaube, es braucht den Akzent, sonst ist es "Kaffee".

Freundliche Grüße

HK

 
Zuletzt bearbeitet:

Hi @Katta,

ich finde deine Geschichte gelungen. Die ist wie aus einem Guss, einfach wunderbar zu lesen, coole Idee, nichts Störendes, sehr unterhaltsam und mit einem passenden Ende, das auch ein wenig überrascht. (Ich dachte erst, in der Nachbarswohnung lebt noch eine andere oder noch ein anderer 'Unsichtbarer').

Auch sprachlich will ich hier kaum Vorschläge machen. Wenn ich auch das eine oder andere leicht anders formuliert hätte, so stimmt doch alles stilistisch gut zusammen.

Einzelne Stellen, die ich rauszitierte:

Seit jeher fügte Ilse sich ins Leben ein wie eine Bleistiftzeichnung in ein Ölgemälde.
Hervorragender erster Satz! Kurz, interessant, macht neugierig. (Ich würd das 'ein' btw stehenlassen, für mich klingt das leicht besser als ohne). Manches ist eben Geschmackssache.

Klar und deutlich zeichneten sich ihre Umrisse in der Welt ab. Man musste nur hinschauen.
Den zweiten Satz benötigst du vielleicht nicht. Heißt aber nicht, dass er stört. Ich habe den nur ohnehin dem ersten hinzugefügt.

Doch da kam Karl-Heinz, der kein Koch war, aber sie ansah, wie niemand sie je angesehen hatte.
Ich mag das sehr; wundervoller Einschub, kurz, unprätentiös, wenig Worte, klare Sache.

Sie lächelte dann, legte ihre Hände in seine und sagte: „Ich bin so froh mit dir, Karl-Heinz.“
Hier doch ein Vorschlag, dieses 'so' würde ich eventuell streichen, das zieht es zu sehr ins Klamottige, also nur nur "Ich bin froh mit dir." Vielleicht auch ohne 'Karl-Heinz'; der Ton, in dem das erzählt wird, funktioniert auch ohne diese 'Unterstreichung', meinem Gefühl nach.

Als Karl-Heinz starb, blieb Ilse allein zurück.
Das ist klar, vielleicht wäre hier das 'allein zurück' besser, sonst sagt das nix, zumal du hinterher die Situation entblätterst.

Bis sie schließlich ganz und gar unsichtbar geworden war und im großen Spiegel nur ihr Nachthemd seltsam schwerelos in der Luft stehen sah.
Gefällt mir!

Sie zog das Nachthemd aus, ließ es neben sich auf den Boden fallen und war einfach weg. Sie fühlte sich leichter, wie ein mit Luft gefüllter Ballon, drehte xxx sich im Kreis, die Arme ausgestreckt und wickelte sie sich in diesen kühlen Morgen, an dem sie unsichtbar und die Schwerkraft weniger geworden war. Ihr Haar strich über die Schultern und sie stellte sich vor, dass es Karl-Heinz‘ Hände wären. Vielleicht, dachte sie, habe ich mein ganzes Leben für diesen Augenblick geübt. Vielleicht war dies hier schon immer ihr Schicksal gewesen.
Das 'sie' muss an eine andere Stelle, oder lese ich falsch?
drehte sie sich im Kreis, die Arme ausgestreckt und wickelte sich in diesen kühlen Morgen

Der Absatz gefällt mir sehr gut. Einzig der letzte Satz ist meinem Gefühl nach unnötig. Muss nicht zwingend raus, aber ich finde das Ende des Absatzes bei 'für diesen Augenblick geübt' besser gesetzt.

Sie stand auf, wusch sich, putzte die Zähne, kämmte die Haare, zog sich an und vermisste Karl-Heinz.
Wunderbar. Ich mag das sehr. Eine Reihung mit einem unerwarteten, starken letzten Kettenglied; kunstvoll!

Sie würde einkaufen müssen, denn ein Körper braucht Nahrung, auch wenn er unsichtbar ist.
Schön. Ich stelle mir dann vor, wie das ein Sprecher vorträgt, richtig guter Klang, stimmig, einfach gut erzählt.

Manchmal stand Ilse mit ihr auch vor dem Fenster und beobachtete die Vögel, die sich im Vogelhaus auf der Balkonbrüstung Futter holten.
Auch so eine Stelle, bildlich, stimmig, stark.

Anfang Dezember saß Ilse auf dem Sofa, neben einem Berg frischer Wäsche. Sie sah mit Inge Meisenberg eine Quizshow und versuchte die Kälte, die ihre Schultern zittern ließ, zu ignorieren. Die Nachbarin stand auf, ging ins Schlafzimmer und kam mit einer Wolldecke zurück, die sie aufs Sofa warf. „Hier!“ sagte sie. „Ich weiß, dass Sie da sind.“
Gelungenes Ende mit einer Überraschung ... ich habe eine Überraschung erwartet, aber nur vage gedacht, dass da beide etwas verbindet.

@deserted-monkey

Und wenn Frau Meisenberg da mit sich selbst spricht, vielleicht sind das gar keine Selbstgespräche, sondern eben andere Menschen, die unsichtbar geworden sind und die Ilse nur noch nicht sehen kann.
Diese Idee hatte ich auch so ähnlich, das ist eine tolle Idee.


Insgesamt eine schöne, gut erzählte Geschichte, leicht märchenhafter Ton, klar eine 'Mär', manches erinnert an die eingebauten Erzählteile des 'Amelie-Films', ohne es zu kopieren; war mir eine Freude, das zu lesen!

Gruß von Flac

ps: Auf ein paar Wörter, die zuviel oder falsch geraten sind usw, die andere schon erwähnt haben, bin ich nicht mehr eingegangen, da kannst du einfach noch mal drüber schauen...

 

Letzte Empfehlungen

Neue Texte

Zurück
Anfang Bottom