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Serie Illegal: Blutwerte

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06.02.2002
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Illegal: Blutwerte

Man erwartete Lux bereits, als seine Limousine vor dem Eingangsbereich des marmornen Hospitals Nummer Fünf hielt. Eine Krankenschwester geleitete ihn zur Intensivstation und klärte ihn über den Gesundheitszustand des neueingelieferten Patienten auf.
Als der Kommissar das Zimmer des unter einer durchsichtigen Plastikplane liegenden Schwerverletzten betrat, verschwand sie, um einen Arzt zu holen.
Es sah nicht gut aus. Wegen der Kopfverletzungen trug er eine Art Haube, die an eine Reihe medizinischer Geräte angeschlossen war. Zusammen mit anderen lebenserhaltenden Apparaten nahmen diese Maschinen eine ganze Wand des unmöbilierten Raumes ein.
Der Doktor erschien, ein vielleicht achtundzwanzigjähriger stämmiger Mann mit routiniertem Lächeln. Mit Blick auf Lux` Handbewegung bemerkte er:
"Bitte lassen Sie Ihre Finger vom Isolationszelt, Herr Kommissar. Sie könnten ihn umbringen."
"Ich muss diese Person verhören, Doktor", sagte Lux mit regungslosem Gesicht, legte den Kopf leicht zur Seite und nahm die Hand von der Plane.
"Nun, Kommissar, das ist sogar möglich, da es sich in diesem Fall, wie sie wissen dürften, um keine Priorität handelt", entgegnete der Doktor, immer noch lächelnd. Als "Priorität" pflegte er jene Bürger zu bezeichen, die nicht auf natürliche Weise gezeugt wurden, sondern über für ihre zukünftige Aufgabe optimiertes Erbgut verfügten. Wie zum Beispiel der Kommissar und er, Angehörige der herrschenden Klasse.
Normalerweise beherberte das Hospital Nummer Fünf nur Prioritäten. Aus dem Stehgreif hätte der Doktor auch kein Krankenhaus zu nennen vermocht, welches die in den heruntergekommenen Außenbezirken der Metropole lebenden Nichtoptimierten behandelte.
Mit diesem Patienten war es freilich etwas Besonderes. Er wurde als Zeuge in einer Strafsache gebraucht, und so lange war es von Gesetz wegen vorgeschrieben, "sämtliche erforderlichen, lebenserhaltenen Maßnahmen unverzüglich durchzuführen".
Der diesbezügliche Paragraph 312 hatte deshalb längst seinen Einzug in die medizinischen Fakultäten gehalten, und sein Abschnitt c) erlaubte ausdrücklich "eine verantwortungsbewusste Verwendung von gesundheitsschädlichen, die Aussagefähigkeit des Zeugens positiv beeinflußenden Medikamenten durch eine entsprechend geschulte Fachkraft".
Lux ging gemächlich zum Fenster des kahlen Krankenzimmers, dem Mediziner den Rücken zudrehend, während dieser die Schwester zu sich rief und fünf Milligramm einer für Laien unaussprechlichen, im Volksmund als "Wahrheitsserum" bekannten Substanz orderte.
Die Innenstadt lag relativ regungslos vor dem Kommissar, weil die erste Schicht der genetisch priviligierten Einwohner gerade arbeitete, während die zweite schlief.
Jenseits der sie schützenden gewaltigen Kuppel gegen den immer aggressiver werdenden Sauren Regen verdeckte eine pechschwarze Wolkenfront die im Nordwesten stehende Nachmittagssonne. Trotzdem war diese intensiv genug, um die Handvoll im Nordosten startenden und landenden Flugzeuge und Cargolifter am rötlichem Himmel wie verstreute kleine Glassplitter glänzen zu lassen.
Lux mochte Tage wie diesen, wenn die Sonne nicht direkt auf die Metropole schien und deshalb die Tönung der Schutzkuppel reduziert werden konnte. Ansonsten gab es in seinem Leben nicht allzu viele Dinge, die er mochte, und diese Eigenschaft teilte er sowohl mit seinen Berufskollegen der Kriminalagentur als auch mit den Inspektoren des Demographischen Amtes.
Ermittler waren nicht vorgesehen für eine Existenz als Lebemänner.

Hinter ihm räuspere sich der Doktor.
"Wir wären dann soweit, Herr Kommissar."
Lux trat vom Fenster zurück. Kaum hörbar seufzend wandte er sich dem Krankenbett zu.
"Er trug einige Kopfverletzungen davon, wie Sie sehen können. Trotzdem dürfte sein Erinnerungsvermögen größtenteils intakt sein", informierte ihn der Arzt.
Nach einer Weile begann der Verletzte, langsam die Augen zu öffnen. Sein Puls erhöhte sich, und seine Pupillen irrten kurz umher, bis sie die nahe am Bett stehende dunkle Gestalt des Kommissars erfassten und auf ihr ruhten.
"Können Sie mich verstehen?" fragte Lux, betont langsam und akzentuiert sprechend.
Der Schwerverletzte fabrizierte mühevoll eine Bestätigung.
"Doktor, wir brauchen eine Art Mikrophon oder so etwas", sagte der Ermittler.
"Selbstverständlich. Es ist sogar bereits installiert, ich werde die Lautstärke erhöhen... einen Moment, bitte", sagte der Mediziner und beugte sich über eine der Maschinen. "So, das dürfte reichen."
"In Ordnung. Wissen Sie, warum Sie sich in einem Krankenhaus befinden?" begann Lux das Verhör.
Verwirrt und unruhig huschten die Pupillen des Angesprochenen umher. Dann schien er zu realisieren, wo er sich befand, und seine Augen weiteten sich erschrocken.
"Keine Angst, Paragraph 312 c) garantiert Ihnen eine vollständige Genesung", log Lux, als er seinen Fehler erkannte. Währenddessen beeilte sich der Mediziner, eine Dosis Beruhigungsmittel zu verabreichen, und der Puls des Patienten beruhigte sich wesentlich. Er begann, stockend und krächzend zu antworten.
"Ich... war in dieser Sendung..."
"Richtig, Sie waren Kandidat in Entscheidung am Nachmittag. Das Thema lautete 'Eifersucht: Dich Schwein bringe ich zur Strecke'", unterbrach ihn Lux, und ein abschätziges Lächeln huschte über seine Mundwinkel, welches dem ebenfalls belustigt wirkendem Doktor nicht verborgen blieb. Talkshows. Das neue Opium für´s Volk.
"Mein Gott", krächzte der Patient mühevoll, "ich habe ihn..."
"Auch richtig", unterbrach ihn Lux abermals. "Sie haben den Liebhaber Ihrer Frau mit einem Totschläger umgebracht."
Der Kanditat schwieg und schloss für einen Moment die Augen.
"Sie müssen wissen, dass es mir persönlich völlig egal ist, wenn sich Pöbel wie Sie gegenseitig totschlägt. Aber ich benötige trotzdem Ihre Aussage." Er nahm die Obduktionsakte des Opfers zur Hand.
"Erzählen Sie mal von Anfang an. Und nur keine Sorge, wir benötigen nur Ihre Zeugenaussage. Sie selbst werden nicht angeklagt werden. Was geschah vor der Show? Wie versuchte man, Ihre Aggressionen anzuheizen? Stellte man Ihnen irgendwelche stimulierenden Mittel zur Verfügung?"

Es brauchte zwanzig Minuten, bis der Verhörte seine Version des Tatherganges erzählt hatte. Zwischendurch drohte sein Kreislauf zusammen zu brechen, was dem Mediziner einiges an Arbeit abverlangte.
Kaum dass der Schwerverletzte geendet hatte, verdrehte er die Augen und fiel in einen komaähnlichen Erschöpfungsschlaf.
Lux wandte sich dem Doktor zu.
"Vielen Dank für Ihre Mühe. Ein weiteres Verhör wird nicht erforderlich sein."
Der Mediziner nickte. "Paragraph 312?" fragte er.
"Ja", antwortete der Kommissar bedächtig und verließ den Raum.
Der Arzt warf einen letzten Blick auf den regungslosen Patienten, dann wandte er sich um zu den ihn am Leben erhaltenden Maschinen. Gewissenhaft begann er damit, sie abzuschalten, eine nach der anderen.

Als nächstes fuhr Lux zum Studio, welches die Talkshow produzierte, und wurde in einen großzügig eingerichteten Warteraum geleitet, wo er in einem komfortablem Ledersessel Platz nahm.
Kurz darauf erschien der Moderator, ein dicklicher Mann mit Nickelbrille und nach hinten gegeltem, schwarzen Haar.
"Oh, Herr Kommissar", begrüßte er ihn unterwürfig,
"Welch ein Freude, Sie zu sehen. Ich hoffe sehr, Ihnen bei der Aufarbeitung dieses unangenehmen Zwischenfalls behilflich sein zu können."
"Sie sind natürlich gezeugt?" fragte Lux ohne Umschweife und fixierte ihn mit seinen stahlblauen Augen, ohne sich die Mühe zu machen, aufzustehen.
Der Moderator zuckte zusammen und bestätigte dies umständlich.
Ein Nichtoptimierter. Ein Kooperierender, immerhin, aber Lux verachtete ihn so oder so.
"Wir müssen nun einmal alle zusehen, wie wir zurecht kommen, zumal wir in unserer Position in keinen Beruf hineingeboren werden, Herr Kommissar", meinte der Talkmaster, doch als Lux noch immer keinerlei Regung zeigte, beeilte er sich, das Thema zu wechseln.
"Ein sehr gemütliches Exemplar, nicht wahr?" Er deutete auf Lux´ Sessel, "Die werden heutzutage ja leider gar nicht mehr hergestellt, und..."
"Billiger Fraß für das Proletariat", unterbrach ihn der Kommissar mit einem Tonfall, dessen Härte keinen Einwand zuließ. "Für euch da draußen in den Slums mag es eine wunderbare Möglichkeit zur Zerstreuung sein, von eurem elenden Dasein ablenken. Und es soll sogar manche von uns geben, die diese Form primitiver Unterhaltung nutzen. Doch sicherlich haben Sie schon einmal darüber nachgedacht, dass es noch eine andere Berechtigung für Ihr Dasein geben muss. Einen zweiten Aspekt, weshalb Sie Ihre kleinen Privilegien verdienen.
Kennen Sie ihn?
Während mit jeder neuen Sendung Ihresgleichen da draußen einmal mehr gezeigt bekommen, was für ein tierisches, primitives Pack sie sind und dementsprechend gedemütigt werden, beweisen Sie uns mit jeder weiteren Folge auf´s Neue Ihre Minderwertigkeit. Finden Sie nicht auch?"
Der Angesprochene blickte schweigend zu Boden.
"Was ist los mit Ihnen?" Lux lachte kurz und abfällig auf. "Sie sind doch ansonsten gesprächiger."
Er schlug die Beine übereinander.
Als der Moderator schließlich mit trockener Stimme ansetzte, konnte das geschulte Ohr des Ermittlers genau dessen ängstliche Nervösität wahrnehmen.
"Der Ablauf der Show ist immer der gleiche", begann der Verhörte. "Vor der Sendung heizen wir die Kandidaten an. Dann lassen wir sie jeweils einzeln auf die Bühne treten, so dass sie jeweils die Verachtung oder Unterstützung des Publikums zu spüren bekommen. Meist gehen sie fast sofort aufeinander los; falls nur verbal, lege ich noch ein wenig den Finger in die offene Wunde, und neunzig Prozent der Kandidaten sind dann bereit, sich zu duellieren. Dafür haben wir eigens diese kleine Arena im Studio... Brot und Spiele, wissen Sie? Wo wir schon kaum an Brot kommen... In diesem Fall wählten sie die Totschläger und gingen völlig entfesselt aufeinander los, schließlich hatten wir dem Sieger inoffiziell noch ein kleines Handgeld versprochen... Gier und Eifersucht, verstehen Sie?
Nun ja, das Sicherheitspersonal versuchte bald, sie zu trennen, doch sie befanden sich in völliger Raserei, wir brauchten Elektroschocker...
Es war ein Unfall. Überall war Blut, das Publikum johlte, und einer der Kandidaten starb noch vor Sendeschluss."
"Gratuliere", bemerkte Lux. "Das riecht nach Traumquote."
"Warum sind Sie eigentlich wirklich hier?" fragte der Moderator plötzlich, ergriff mit einem letzten Aufbäumen die Initiative und starrte Lux an.
"Wir hatten doch schon zweimal einen Toten. Ich weiß ganz genau, dass Sie sich darum einen Dreck scheren."
Trotz seiner immer noch gelangweilt wirkenden Mimik war Lux erstaunt über diese Wendung. Langsam erhob er sich, trat einen Schritt auf sein Gegenüber zu, ihn um beinahe einen ganzen Kopf überragend.
"Wenn Sie schon danach fragen", in der Monotonie seiner Stimme lauerte etwas Gefährliches, "will ich es Ihnen sagen. Natürlich ist es unser völlig egal, wenn sich das Proletariat den Kopf einschlägt. Opium für´s Volk - Sie haben doch Ihren Marx gelesen, oder?"
Der Moderator war intelligent genug, darauf nicht zu antworten. Erst kürzlich war es in den Außenbezirken zu einer "Polizeiaktion" gegen eine mutmaßliche Neo-Kommunistische Zelle gekommen. Fünfunddreißig größtenteils unbeteiligte Nichtoptimierte waren getötet und hunderte verhaftet worden. Jedermann wusste, was für ein Schicksal selbst die Unschuldigen unter Ihnen in den Transplantationsfabriken erwartete.
"Ich will Ihnen sagen, warum ich wirklich hier bin", fuhr Lux fort. "Sie wissen es doch ohnehin längst. Wie Sie sagten, es war ein Unfall. Sie wollten nicht, dass die Kandidaten derartig zu Schaden kommen, Sie wollten nur eine wirklich gute Show bieten, nachdem Sie längere Zeit keinen richtig heißen Kampf mehr gehabt haben und Ihre Quote sank. Sie drohten, abgesetzt zu werden, und fürchteten um Ihre kleine widerliche Existenz und Ihre lächerlichen Privilegien, nicht wahr? Es ging meiner Behörde tatsächlich niemals um Rechenschaft für die Todesfälle, auch wenn die Chancen gut stehen, dass Sie nun auch ihretwegen angeklagt werden.
Durch Ihren dummen Fehler, welchem die Obduktion des Opfers und die Aussage des Verletzten folgte, fanden wir heraus, wie Sie die Stimmung der Kandidaten angeheizt haben. Sie haben, obwohl Sie genau um das absolute Verbot wussten, vor der Sendung Ihren Gästen Alkohol zur Verfügung gestellt.
Sie wissen, dass darauf der Tod steht?" fragte Lux im Plauderton, und der Moderator brach mit einem schrillen, hysterischen Schuchzen zusammen.

 

die Geschichte hat mir auch recht gut gefallen!

Das freut mich. Mehr kann ich nicht erwarten, für wirklich bemerkenswert halte ich sie nämlich nicht. Im Moment fehlt mir die Muße, deine Anregungen durchzugehen (noch dazu sind es so vieeele... ächtz ;)), kommt aber noch, vielen Dank erstmal!
:)

...para

 

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