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Igor
"Wenn ein Feuerwerk in uns sich entzündet. Von Körper zu Körper die Funken drehen, dass meines Körpers Brennen dein Glühen begründet und uns glimmen lässt, bis dass wir vergehen."
Vasco Graça Moura – Fontes Rocha
Die Zeit ist gegen mich angetreten. Diese perfide Läuferin wird mich einholen und erbarmungslos in die Flammen werfen. Ein Feuer namens Igor.
Seit Wochen rechne ich mit meiner Entdeckung.
Meine Gedanken, verklettete Disteln, die sich gegenseitig abstoßen und doch klebrig ineinander verhaken. Was werde ich tun? Und was er, wenn er vor mir steht? Und Isabel?
Der Zeitvorsprung, den ich mir in den Wochen erlogen und ertrogen habe, schwindet. Meine Ausflüchte gehen mir zuneige. Das Feuer ist nah.
Ich spüre bereits die Hitze in meinem Nacken. Igors heißen Atem. Seine Worte, die er in mich eingebrannt hat und die immer noch glühen. Dabei ist das alles schon zwei Jahre her.
Und doch wird mir bang. Meine Augen könnten mich verraten, sicher auch meine Stimme. Ich bin eine schlechte Schauspielerin. Ich bin nur eine gute Erfinderin von Ausreden.
"Habt ihr immer noch den Betriebsprüfer im Haus? Oder hat der sich mittlerweile verzogen?", fragt Isabel.
"Seit gestern ist alles durchgestanden. Der Chef und alle atmen auf", antworte ich.
"Na, das sind ja gute Nachrichten, du hast ja in den letzten Wochen nur noch gearbeitet."
"Stimmt", erwidere ich einsilbig, weil ich genau weiß, was jetzt kommt.
"Dann können wir endlich einen Abend zusammen verbringen, damit du Igor kennenlernst."
Vier Buchstaben, denke ich, und schon tanzen die Skrupel mit mir Tango. Es sind immer dieselben verrutschten Tanzschritte und sie passen nicht zur Musik.
"Ja", sage ich matt, "wann hast du denn gedacht?"
"Vielleicht gleich diesen Freitag? Wir drei gehen essen. Igor kennt da ein ganz besonderes Restaurant in der Rieksallee."
Die Rieksallee sticht zu. Igor hatte mich damals auch dahin geführt. Ich seufze hörbar.
"Das ist echt Pech, grad diesen Freitag bin ich mit Elke verabredet, die, die ich im Urlaub kennengelernt habe."
"Na, das macht doch nix. Du bringst sie mit."
"Sie lebt in München. Freitagabend fahre ich mit dem Nachtzug hin, dann bin ich zum Frühstück gleich bei ihr."
"Was und dann fährst du am Sonntagabend gleich wieder zurück? Diese lange Strecke für so einen kurzen Aufenthalt?"
"Ja", lüge ich und ich fühle Isabels Zweifel. Schöpft sie Verdacht? Das wird also wieder so ein Wochenende, an dem ich mich nirgendwo in der Stadt blicken lasse. Wie lange werde ich das noch durchhalten?
Ich kann doch Isabel nicht sagen, dass ich ihren Igor gekannt habe. Dass ich auf ihn reingefallen bin wie ein dummes Schulmädchen, meine glühende Affäre, bevor wir Freundinnen wurden. Dass er alles andere ist, als ein Mann, der irgendwo länger rastet. Dass er nur mit den Augen zwinkern müsste und der Sturm würde den bei der Ernte vergessenen Apfel vor seine Füße werfen.
Vor drei Monaten brauchte ich keine fünf Minuten, um zu wissen, dass sie von Igor sprach, von meinem Igor. Und seitdem hat sich alles verbogen. Isabel war so glücklich und vorher so lange Single. Ich wollte meine Freundin nicht mit meinem Wissen quälen. Und ich wollte sie niemals belügen. Und ich wusste, dass ich nur einen dieser Wege gehen konnte. Aber befand ich mich auf dem Richtigen?
Woche um Woche kostete es mich alle Überwindung, die Kröte nicht aus meinem Mund schlüpfen zu lassen. Meine Zunge brannte von der Wut, der Scham und Isabels Berichten. Alles, was sie erzählte, kannte ich doch schon und es zerriss mich.
Warum hörte das nicht auf? War Igor doch beständiger, als ich gedacht hatte?
"Du musst dir anhören, wie romantisch er schreiben kann", säuselt Isabel in den Telefonhörer.
Ich erstarre, denn ich ahne, was sie mir gleich vorlesen wird.
"Hör zu, dies fand ich auf meinem Kopfkissen: "Wenn ein Feuer in uns sich entzündet. Von Körper zu Körper die Funken drehen. Dass meines..."
Ich sehe das gedämpfte Licht, Igor, der mich mit seinen undurchdringlichen Augen streichelt, spüre den festen Griff seiner Hände, die mich gepackt haben und stützen, bevor ich stöhnend über ihm zusammensacke. Wange an Wange liegend, sprach er diese Worte.
"Hörst du mir überhaupt noch zu? Ich hatte gefragt, ob es du es nicht auch unglaublich schön findest."
"Ja, doch ich höre dir zu. Aber mein Chef hat grad nach mir gewunken, ich muss jetzt wieder an die Arbeit."
Anfänglich dachte ich, die Zeit wird meine Verbündete sein. Dann wird alles gut und Igor verschwindet.
"Das ist Igor", Isabel strahlt, "wir haben bei dir Licht gesehen und ich dachte mir schon, dass du gar nicht nach München gefahren bist."
"Ja, stimmt", sage ich und starre Igor an, dessen dunkle Augen mir nicht verraten, was er gerade fühlt. Prüfend blickt er Isabel an. Ich halte mich an der Tür fest, als stünde ich auf Glatteis.
"Ich, äh, also Elke ist krank geworden und hat noch rechtzeitig, bevor ich in den Zug steigen konnte, abgesagt."
Solch eine sauber eingepasste Lüge zu ersinnen, hatte ich mir gar nicht zugetraut.
"Wie schön, dass du nicht gefahren bist. Jetzt kannst du endlich Igor kennenlernen und Igor dich." Isabels Strahlen hat keine Sekunde aufgehört.
"Ich habe Igor gegenüber ein großes Geheimnis daraus gemacht, was für eine wunderbare Freundin ich habe", lacht Isabel und mein Magen zieht sich zu einem harten Knoten zusammen. Ihr verliebter Blick und Igors Lächeln, ich hätte am liebsten in sein verlogenes Gesicht geschlagen. Sah denn Isabel nichts? Igor nimmt sie an die Hand und zieht sie in meine Wohnung.
"Nun komm, ich weiß, es ist ein wenig wie ein Überfall für dich, aber ich freue mich doch so, dass du endlich Igor kennenlernst." Igor schlägt die Hacken zusammen und verbeugt sich leicht:
"Gestatten, ich heiße Igor." Dann greift er nach meiner Hand und haucht einen Kuss darauf. Als er wieder aufsieht, treffen sich endlich unsere Augen und ich stolpere zurück. Igor amüsiert sich. Den Blick grinsend auf mich gerichtet und übertrieben betonend:
"Sag mir Isa, meine Bella, hattest du nicht erzählt, dass du deiner wunderbaren Freundin schon viel von mir berichtet hast?"
"Ja, das stimmt, wieso fragst du?"
"Weil sie wie vom Donner gerührt hier steht. Wo sie mich doch eigentlich kennen müsste."
Ich halte den Atem an. In seinem Blick liegt Hohn, auch Herausforderung, aber dahinter diese Glut, die mich so hörig hatte werden lassen.
Isabel lächelt dümmlich, wie es nur Verliebte können. Ihr gefällt meine Verblüffung, sie wertet sie als grandiose Anerkennung ihrer Eroberung.
Mein Herz jagt Blut durch die Bahnen und stürmt in pulsierendem Rauschen zu den Ohren. Ich fühle mich vor Igor wie eine Nackte. Ich musste doch auch für Isabel ein aufgeschlagenes Buch sein. Irritierte sie denn meine Schamesröte nicht?
"Bitte geht doch schon ins Wohnzimmer, ich hole was zu trinken", sage ich mit brüchiger Stimme als hätte ich mich gerade vor einem Geschworenengericht für schuldig befunden.
"Gute Idee", sagt Igor, "ich helfe dir."
Und dann steht er dicht hinter mir, und sein heißer Atem haucht in meinen Nacken.
"Weißt du noch Kleines? 'Wenn ein Feuerwerk in uns sich entzündet. Von Körper zu Körper die Funken drehen. Das..'." In diesem Moment gleitet mir die Rotweinflasche aus der Hand und ergießt sich über den Küchenfußboden. Ich drehe mich um. Igor sieht mich unverwandt an. Wie eiskalt braune Augen sein können.
"Komm mir nicht in die Quere!", zischt er leise. "Ich warne dich."
"Was ist denn hier passiert? Ach herrje." Isabel blickt auf die Rotweinflut.
"Deine wunderbare Freundin ist etwas ungeschickt gewesen. Oder sie wollte verhindern, dass wir bei ihr Rotwein trinken." Igor grinst.
Isabel entgeht die beißende Ironie. Der Knall, mit dem die Flasche auf dem Boden zerschellt war, verändert wie ein Schlussakkord meine Sinne. Das Rauschen in den Ohren verschwindet.
"Ich glaube, das ist heute nicht mein Tag", sage ich ermattet, "ich wäre euch dankbar, wenn ihr geht. Wir können uns ja ein anderes Mal treffen."
"Soll ich dir nicht schnell helfen, den Fussboden zu wischen?" Isabel hat ihr Gesicht immer noch auf den Boden gerichtet.
"Nein, Isa meine Bella, lass uns gehen. Deine wunderbare Freundin wird schon damit fertig." Sein Spott brennt.
"Wieso sagst du eigentlich immer wunderbare Freundin?", fragt Isabel, "das klingt irgendwie ..." Isabel versucht das passende Wort zu finden.
"Ach, zerbrich dir nicht dein Lockenköpfchen", fährt Igor dazwischen und legt eine Hand auf ihren Po. "Komm, lass uns rasch nach Hause gehen." Dann schiebt er sie aus der Wohnung.
Ein paar Tage später teilt mir Isabel mit, dass sie mit Igor Schluss gemacht habe.
"Weißt du, ich habe über ihn etwas erfahren, was ich nicht ..." Sie stockt und ich höre sie heftig Luft einatmen.
"Ja, also was ich nicht verwinden kann. Ich kanns dir auch nicht erzählen. Es ist einfach zu ...", wieder stockt sie, "naja einfach ... also ich möchte erstmal in der nächsten Zeit etwas Ruhe haben." Dann legt sie auf.