Ich war jung und brauchte das Geld
Tiefste Nacht war es, als vor zwei Wochen ein eigenartiger Mann an mein Fenster klopfte und mich trotz meiner schlaftrunkenen Erscheinung ohne Entschuldigung bat, mit ihm zu kommen.
Kurz bevor ich laut auflachen konnte, schlug er die Scheibe ein und zerrte mich hinaus.
Sowohl skeptisch als auch neugierig saß ich zwei Minuten später in einem Auto, das fast gleich lang wie unser Haus war. Mir gegenüber saß ein anderer noch eigenartigerer Herr, der sowohl arrogant, als auch mitleid erregend aussah. So teuer sein Zylinder, sein Anzug oder seine Schuhe auch gewesen sein mögen, sie konnten das Alter und die Müdigkeit dieses Menschen nicht verbergen.
Meine anfängliche Angst wurde immer stärker, aber mehr als ruhig zu bleiben und abzuwarten blieb mir nicht übrig. Ich würde das hier durchstehen, egal was dieser Sonderling mit mir vor hätte.
„Sie sind bestimmt neugierig“, sagte er mit leiser, dennoch deutlicher Stimme, „sofern sie ruhig bleiben, wird ihnen nichts passieren. Gedulden sie sich noch ein wenig…“
Neugierig? Das kann man wohl sagen. Wer wäre nicht neugierig, wenn er statt in seinem Bett zu liegen, einem völlig fremden gegenüber sitzt und ihm erklärt wird, dass er wohl ziemlich neugierig sei.
Kurz darauf sprach er mich aber erneut an: „Wir werden gleich aussteigen und in ein Gebäude gehen, wo ich ihnen einen höchst interessanten Vorschlag machen werde.“ Meinen Versuch zu antworten wischte er mit einer fast abfällig wirkenden Geste weg und als kurz darauf der Wagen hielt, wies er zur Tür. Die Tatsache, dass er hierfür eine kleine Pistole benutzte, schien ihm insofern Freude zu bereiten, dass mein Gesicht noch ängstlichere Züge annahm als ohnehin schon.
Wir stiegen in einer Gegend aus, die ich trotz der kurzen Fahrzeit nicht ansatzweise wieder erkannte oder sonst zuordnen konnte. Dies lag sowohl an der Dunkelheit, die alles in eine undurchdringliche, düstere und traurige Gegend verwandelte, als auch die Abgelegenheit, auf die ich wegen der wenigen Häuser schloss.
Mit einem müden, schiefen Lächeln auf den Wangen schob mich der Namenlose vor sich her, bis wir vor einer massiven Eichentür hielten. Er schlug dreimal mit einer Härte, wie ich sie ihm nie zugetraut hätte, dagegen und bald war nach einem kurzen Stimmengewirr, das Einrasten eines Schlosses zu hören.
Jetzt stand mir der Schweiß endgültig auf der Stirn, nervöser werdend stolperte ich in einen riesigen, halbdunklen mit einer Vielzahl von Gemälden geschmückten Raum, von dem sowohl eine faszinierende, als auch Angst einflößende Wirkung ausging.
Ich setzte mich mittlerweile zitternd auf den mir angebotenen Stuhl und wartete auf die mir schuldige Erklärung. Außer mir befanden sich noch vier andere Männer, sowie der Namenlose und sein Chauffeur im Raum.
Eine Ruhe ausstrahlend, wie man sie selten bei Straftätern sieht, fragte der Namenlose die anderen: „Sind die Vorbereitungen abgeschlossen?“
Ein zustimmendes Gemurmel machte sich breit und nachdem er die Frage etwas bestimmter wiederholt hatte, begannen die ersten zu nicken und als er ein drittes Mal fragte, schienen die Anwesenden sich ihrer Sache völlig sicher.
Daraufhin brachte er mich in einen anliegenden Raum, wo hunderte von Gerätschaften standen. Mein Blick aber fiel vor allem auf zwei mit hunderten Kabeln verbundene röhrenartige Gebilde.
„Sie warten gewiss auf eine Erklärung“, sagte er mit einer Arroganz, wie sie nur ein Mensch besitzt, der sich seiner Sache außerordentlich sicher ist, „nun wie sie sehen bin ich niemand, der wie sagt man? Nennen wir es, den allgemeinen Schönheitsidealen entspricht. Ihr süffisantes Lächeln, zeigt mir, dass sie diese etwas euphemistisch formulierte Ansicht durchaus teilen.“
Meine Mundwinkel hatten tatsächlich ein wenig gezuckt, beim Gedanken, dass ein dermaßen alter und verbrauchter Mensch sich als den allgemeinen Schönheitsidealen nicht entsprechend einschätzt. Mir war allerdings ganz und gar nicht danach zumute darüber zu lächeln oder gar über ihn zu lachen. Dass er momentan am längeren Hebel saß, zeigte mir die Waffe in seiner rechten Hand.
Mit einem scharfen Blick der scheinbar meine Gedanken zu lesen vermochte, fuhr er fort: „Das Problem des Alterns betrifft uns alle, egal welcher Herkunft, egal mit welcher Macht wir ausgestattet sind, egal wie wichtig oder unwichtig wir sind. Wie sie bereits sahen, bin ich ein durchaus mächtiger, allerdings auch ein ziemlich alter Mann. In diesem Raum befindet sich eine Maschinerie, die es mir ermöglicht, ein wenig Macht über das Alter auszuüben.“
Mir lief ein kalter Schauer über den Rücken, meine Rolle in diesem Drama wurde mir schlagartig bewusst. Ich konnte nicht einordnen, was er vorhatte, aber das er das bessere Ende für sich beanspruchen würde, war nur zu deutlich. Meinen hektischen Versuch ihn zu unterbrechen, wischte er mit derselben herrischen Geste weg, wie er es zuvor schon im Wagen getan hatte.
„Lassen sich mich ausreden, es wird sich auch für sie lohnen. Diese Maschine ermöglicht es mir mit ihnen den Körper zu tauschen. Die Persönlichkeit und das Gedächtnis werden durch die Kabel erst aus dem Gehirn „geladen“ und dann in das andere für die Daten des anderen bereits präparierte Gehirn „gespeichert“ ich benutze diese Computerähnlichen Begriffe, weil ich es ihnen so am besten verdeutlichen kann. Es werden lediglich zwei Unterordner zwischen zwei Hauptordnern ausgetauscht. Die Hauptfunktionen bleiben gleich. Es hat nichts mit diesen Gehirntäuschen zu tun, die sie in schlechten Actionfilmen serviert bekommen.“
Was mir eben noch als Schauer über den Rücken lief, breitete sich zu einem Schneesturm aus, der das begehrte Blut in meinen Adern nahezu gefrieren ließ. Statt zu schwitzen, begann ich nun zu frieren und ebenso zitternd fragte ich:
„Was springt denn für mich raus, wenn sie mich in einen, veralteten Körper stecken und sie dafür den eines Heranwachsenden bekommen?“
„Zu diesem Punkt wäre ich gleich gekommen“, antwortete er seelenruhig, „wie sie mir vielleicht ansehen, habe ich mein ganzes Leben lang gearbeitet, Geld verdient und zugegeben, das ein oder andere mal auch mehr Glück als Verstand gehabt. So hat sich im Laufe meines Lebens ein Vermögen von knapp 350 Millionen Schweizer Franken angehäuft. Wie sie aber ebenfalls erkennen können, habe ich vor lauter Geldverdienen eines vergessen:
Zu Leben.
Frage ich mich manchmal, was ich die letzten dreißig Jahre getan habe, schwirren mir nur wirre Bilder im Kopf herum. Einmal ist es ein spießiges Geschäftsessen, einmal ein mit Papier überhäufter Schreibtisch und ein andermal eine leidenschaftslose Liebschaft mit meiner Sekretärin. Nichts, was meine Memoiren zu einem Bestseller machen würde. Nichtsdestotrotz hätte ich genug Geld meine Memoiren von jemand John Grisham mit goldener Tinte schreiben zu lassen.“
Mit goldener Tinte, was ist mit diesem Mann nur los? Wieso erzählt er mir seine verdammte Lebensgeschichte? Er will meinen Körper. Warum ist er damit nicht zu Mr. Universum gegangen.
Irgendwo in diesem Gedankengewirr entschloss sich ein Teil meines, (MEINES), Gehirns das Gespräch fortzuführen, „ich will mein Leben nicht von einem alten enttäuschten Mann kaufen lassen, geschweige denn meine nächsten dreißig Jahre nicht erleben und als Greis morgen aufwachen.“
Mir fiel nichts mehr ein, diese Situation verwirrte mich zu sehr, als dass ich klare Gedanken hätte fassen können.
„Diese Entscheidung überlasse ich ihnen“, die Bedeutung dieser Worte, zerschnitt die Stille, die gerade Besitz von uns zu ergreifen drohte, schlang sich wie ein Strick um meinen Hals und nahmen mir die Luft, „wie ich schon sagte, es würde sich für sie lohnen. Lassen sie es mich kurz veranschaulichen:
Der normale Deutsche, wie sie zweifellos einer sind, arbeitet sein ganzes Leben, um sich irgendwann zur Ruhe zu setzen, um seinen Lebensabend zu genießen. Das passiert mit etwa 60 Jahren und nur wenigen finanziellen Mitteln. Sie allerdings werden knappe 50 sein und genug Geld haben, um ihr Leben auf jedem erdenklichen, egal wie kostspieligen Flecken Erde zu verbringen. In Zahlen wird es sich auf 300 Millionen belaufen. Ich persönlich werde mich mit den restlichen 50 Millionen begnügen. Allerdings in ihrem Körper. An ihrem Aussehen können sie ja jederzeit etwas verändern lassen, dafür gibt es schließlich Ärzte.
Warum mache ich ihnen das Ganze so schmackhaft?
Ich bin kein Krimineller, sie wurden aus ihrem Schlaf gerissen und hierher gebracht. Ich bin mir darüber bewusst, dass dies schon kriminell ist, aber es wäre grausam und unmenschlich sie zu zwingen, dreißig ihrer Lebensjahre zu verpassen. Daher überlasse ich ihnen diese Entscheidung.
„Warum sollte ich ihnen glauben?“, fragte ich mit brechender Stimme, ohne etwas von meiner Entschlossenheit zu verlieren, „wo ist ihr versprochenes Geld?“
„Sie sehen diese beiden Koffer? In einem sind 50 im anderen 300 Millionen.“, er musterte mich nach diesen Worten eingehend, fuhr aber unbeirrt fort, „je nach Auftreten werden sie den größeren oder gar keinen von beiden morgen ihr Eigen nennen. Warum sie mir vertrauen sollen? Ich kann ihnen nur mein Wort geben. Nicht mehr und nicht weniger. Aber in ihrer Situation muss das ausreichen! Ich bin mir der elenden Situation ihrer Familie bewusst. Es liegt bei ihnen sie von diesem Elend zu befreien.“
Ich hatte mich den ganzen Abend ruhig verhalten. Im Bewusstsein keine Chance gegen jemanden zu haben, der weder seine Waffe aus der Hand legte noch seinem Chauffeur von der Seite wich, war dies keine große Leistung. Aber als er seinen Satz beendet hatte, brach tief in mir etwas zusammen, das mir sagte, ich würde kein normales Leben führen können. Vielmehr war mir klar, ich würde ein halbes Leben führen, ein Leben ohne sein Herzstück, als wäre man während eines Filmes eingeschlafen und kurz vor Schluss wieder aufgewacht. Egal wie schlecht, oder wie langweilig der Film gewesen ist. Ich bekam die Hauptrolle, ohne den Film überhaupt zu sehen.
„Warum ich? Warum ausgerechnet ich?“
„Ich habe kein Foto dabei,“ antwortete er sachlich, „aber es ist kaum zu glauben, wie ähnlich sie mir in meiner Jugend sehen. Hinzu kommt ihre persönliche und familiäre Armut, die sie zu einem aussichtsreichen Kandidaten macht.“
Ich befand mich in einem unbeschreiblichen Wechselbad der Gefühle: Blickte ich auf und sah in die traurigen Augen dieses Menschen lag mir nichts ferner als einzuwilligen. Schweifte ich allerdings ab und betrachtete die Koffer, kam mir der Preis von dreißig Jahren lächerlich klein vor, schließlich würden andere ihr Leben dafür lassen.
Als hätte er meine Gedanken gelesen, ging der Namenlose zu den Koffern, nahm den größeren und öffnete ihn direkt vor meinen Augen, ohne ein Wort darüber zu verlieren. Er schien zu wissen, was in mir vorging.
Als ich diesen mit Geld gefüllten Koffer sah, war klar, dass nun nur noch die Bedingungen ausgehandelt werden mussten, soweit möglich.
„Ist dieser Tausch eine einmalige Sache? Ich meine, es gibt kein zurück oder einen Tausch mit einem Dritten?“ Wie ein Blitz war diese Frage aufgetaucht, löste sich aber mit seiner Antwort in Schall und Rauch auf.
„Eine Wiederholung ist unmöglich. Es ist sozusagen eine Einweg-Maschine.“, er schien die Antwort selbst zu bedauern, sie hätte meine Entscheidung erleichtert. „Wie ich bereits sagte, können sie sowohl an sich selbst Eingriffe vornehmen lassen oder an einer Reproduktion dieser Apparatur arbeiten. Ich persönlich vermute jedoch, dass sie größere Schwierigkeiten damit haben werden, ihre Identität aufzugeben.Tatsache aber ist, dass sie in ihrem Leben nie wieder die Chance auf so viel Geld haben werden.“
2 Wochen später
Nun sitze ich hier an meinem PC beobachte die Fortschritte am Bau einer zweiten Apparatur und betrachte per Internet meine Traumvilla auf Neuseeland, in der ich meinen Lebensabend verbringen werde. Mein Mittagsschlaf hat meiner Familie die Hälfte meines immensen Vermögens gebracht. Ich hoffe sie werden glücklich damit.
Nun fehlt nur noch die Bitte an meine Bediensteten, alle Spiegel aus dem Anwesen zu entfernen.