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Ich liebe sie...
Weit – ganz weit – von ganz, ganz weit her dringt dieses monotone Piep Piep an mein Ohr und unterbricht jäh die wunderbare Reise durch das Traumland, in dessen Schoß mich Morpheus geschickt hat.
Der Wecker! Jeden Morgen das gleiche!
Ich spüre, wie ihr Arm neben mir unter der warmen Bettdecke auftaucht, nach dem Wecker tastet und diesem durchdringenden Geräusch ein abruptes Ende bereitet.
Vorsichtig hebe ich ein Augenlid, blinzle zu ihr hinüber und sehe genussvoll, wie sie sich räkelt, zu mir hinüberblickt, mir vorsichtig über den Kopf streichelt, leise etwas murmelt und dann, ohne Licht zu machen, das Bett verlässt.
Wohlig strecke ich noch einmal alle Viere von mir. Wie schön, dass mich keine Pflicht zu so früher Stunde von der warmen Matratze treibt. Ich rolle mich noch etwas fester zusammen und versuche wieder einzuschlafen.
Mehr im Unterbewusstsein höre ich sie im Bad rumoren, zwischendurch ist sie in unserer kleinen Küche aktiv. Sie bereitet mir das Frühstück, bevor sie das Haus verlässt und an ihren Arbeitsplatz eilt, um das Geld für unserer beider Lebensunterhalt zu verdienen.
Auch wenn ich es ihr nur sehr selten vermittle, ist mir sehr wohl bewusst, wie gut ich es mit ihr getroffen habe.
Leider ist es so, dass ich von ihr abhängig bin. In jeder Hinsicht versorgt sie mich. Sie verdient das Geld, sie kümmert sich um den Haushalt, sie bereitet das Essen. Sie ist wirklich mein Ein und Alles.
Ach, ich habe sie wirklich ins Herz geschlossen. Ich liebe sie. Und ich lasse mich unumwunden von ihr verwöhnen. Für all das Gute, dass sie mir zukommen lässt, schenke ich ihr meine aufrichtige und ehrliche Zuneigung.
Die Sonne hat bereits einen Teil ihrer täglichen Wegstrecke zurück gelegt und sendet wohltuende Strahlen auf meinen Bauch, als ich mich entschließe, das warme Bett zu verlassen. Nach einer kurzen Morgentoilette genieße ich das Frühstück, das sie mir wie immer liebevoll zubereitet hat.
Der kurze Blick auf die Titelseite der Morgenzeitung befriedigt mich nur unzureichend. Fernsehen und Rundfunk sind ebenfalls nicht die Medien, die mir Freude bereiten, wenn sie nicht dabei ist. So beschließe ich anbetracht des guten Wetters den Tag im Garten zu verbringen.
Es ist ein schönes Leben, den Zeitlauf von meinem Lieblingsplatz auf der Terrasse zu verfolgen. Natürlich denke ich zwischendurch auch einmal an sie, die Strapazen ihres Arbeitsalltages, den Ärger, den sie manchmal mit heim bringt und von dem sie mir während unseres gemeinsamen Abendessens berichtet. Gerne würde ich ihr ja mit klugen Ratschlägen zur Seite stehen, nur verstehe ich von der verantwortungsvollen Aufgabe in ihrem Arbeitsumfeld zu wenig, um ihr mit meiner Auffassung eine wirkliche Hilfe sein zu können. Hinzu kommt, dass mein früheres Betätigungsfeld sich doch erheblich von ihrem unterscheidet, so dass mein Erfahrungsspektrum ihr in keiner Weise nützlich sein dürfte.
Ich will es ja nicht leugnen, dass es mir gut gefällt, nicht jeden Tag in die Zwänge einer geordneten Erwerbstätigkeit eingebunden zu sein. Viele meiner Geschlechtsgenossen müssen ihren Lebensunterhalt unter harten Bedingungen erarbeiten. Da geht es mir doch wesentlich besser. Sie sorgt für uns. Mir mangelt es an nichts.
Trotz aller Begeisterung für das süße Nichtstun erfasst mich irgendwann die Langeweile. Früher bin ich ja gelegentlich in der Stadt unterwegs gewesen, bin neugierig durch die Fußgängerzone gestreift, habe mir die Menschen angesehen, an der großen weiten Welt geschnuppert.
Heute beschränke ich mich darauf, durch den Gartenzaun mit Nachbarn kurze Gedanken auszutauschen, manchmal – zugegeben – auch einmal mit einer der netten Damen aus der Umgebung zu flirten. Mehr nicht! Ich würde ihr nie untreu werden! Bei allem, was sie für mich empfindet.
Nein! Sie ist wirklich ein großartiger Mensch! Ihre Fürsorge, Ihre Zuneigung! Ich hätte keine bessere finden können.
Gerne würde ich wieder einmal für das Abendessen sorgen. Doch ich glaube, in diesem Punkt noch nie ihren Geschmack getroffen zu haben. Aber ein paar Blümchen hätte sie verdient. Sie nimmt diese immer mit gemischten Gefühlen entgegen. Manchmal vermute ich, dass sie sich nicht so richtig über ein paar bunte Frühlingsboten von mir freuen kann. Insgeheim kann sie aber ihre Rührung doch nicht verbergen.
Fast mit Zärtlichkeit bemerke ich die Sonne, die sich langsam in Richtung der großen Bäume schiebt, die am Horizont die gemütliche Siedlung begrenzen, in der wir leben. Dann ist nicht mehr lange hin, bis zu heim kommt.
Der Gedanke an einen gemütlichen Abend mit ihr erfüllt mich mit Wonne. Wir werden gemeinsam zu Abend essen, ein paar notwendige Verrichtungen im Haushalt ausführen und uns dann auf dem Sofa zusammenkuscheln.
Sie wird zärtlich zu mir sein.
Ach, wäre doch nur bald Feierabend.
Wie sehr freue ich mich darauf, sie mit wedelndem Schwanz an der Haustür begrüßen zu können...