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Ich bin Zyna
Nach acht Wochen, also in der Mitte meines Lebens, wird mir klar, dass ich keine normal-sterbliche Pute bin. Das hat nichts mit dem Gerede von der Wiedergeburt zu tun, nur bin ich weniger siech als die meisten hier. Kommt vielleicht daher, dass ich stets die roten Kügelchen aus dem Futter picke. Um mich herum wird geröchelt und gelitten. Jeden Morgen werden all diejenigen, die aufgegeben haben, mit der Schubkarre abtransportiert.
Das bläuliche Licht zermürbt uns, das Hubschraubergedröhne der Ventilatoren, die unerträgliche Enge. Wir werden aggressiv, hacken bis aufs Blut, verlieren Federn und Gleichgewicht.
Es ist unerträglich heiß, die aufgewirbelte Luft bläst über unsere Köpfe hinweg, wir stehen viel zu dicht, als dass diese Höllenhitze abziehen könnte. Es stinkt grauenhaft.
Eingepfercht, treten wir von einem Fuß auf den anderen und fressen. Wir sind pappsatt und fressen doch immer weiter. Was sonst sollten wir tun? Uns schmerzt der ganze Körper. Zu gern würden wir uns bewegen, einmal die Flügel ausbreiten, kräftig schlagen, damit Luft unter unsere verklebten Federn kommt.
Acht Wochen später schaue ich aus dem Jenseits zu. Nackt hängen wir am Haken, im kalten Neonlicht. Die Halle bebt, alle Zeiger stehen auf Höchstleistung und Maximalprofit. Der Mann im Glaskasten schaut unverwandt auf die Bänder und Kettenhaken. Eine rote Lampe springt an, er verschärft das Tempo.
Weiße Gestalten reißen uns die Eingeweide heraus, sind Teil dieser vibrierenden, donnernden Anlage, schuften im rasenden Rhythmus der Maschinen. Ihre Augen sind stumpf. Roboteraugen.
Stunde um Stunde dieselben Handgriffe, die gleichen hektischen Bewegungen.
Unerbittlich rückt das Band weiter. Sie dürfen sich keinen Fehlgriff erlauben, keine Sekunde verlieren, kneifen die Augen zusammen, versuchen schneller zu atmen, mehr Sauerstoff, mehr Konzentration – sie geben das Letzte, um im Takt der Aktionäre zu bleiben. Schultern und Hände schmerzen, die Gelenke sind entzündet, die Tabletten nicht stark genug. Das Band rückt weiter. Immer weiter, wie das Leben.
Diese armen Säue schlafen schlecht, unruhig und zuckend. Das Trauma lässt sich nicht im Spind einschließen. Sie wälzen sich in Alpträumen, wachen klatschnass auf, schauen ängstlich auf den Wecker. Und am Werkseingang auf die Stechuhr. Klack.
Nach der Schicht, wenn sie ausgelaugt noch einmal Klack machen, dann wünschen sie sich jemanden, der sie bei der Hand nimmt, seinen Arm um sie legt und ihnen einen schönen Tee macht.
Aber sie drängen sich in der Metro, stehen im Stau, müssen einkaufen, Abendessen machen, sich um die Kinder kümmern, deren Nöte und Sorgen anhören, vier verschiedene Pillen schlucken.
Im besten Alter, müssen sie die Zärtlichkeiten auf Sonntag verschieben, wie jede Woche.
Ich hoffe inständig, dass die Fama von der Wiedergeburt eine Lüge ist. Wenn nicht, dann hätte ich noch elf Leben vor mir, bis ich als Mensch auf die Welt käme.
Davor ist mir jetzt schon bange.
Meinem gerupften und gefledderten Leichnam wird ein Plastikmantel übergestreift, mit einem goldenen Etikett. Die anderen, die so lange durchgehalten haben, bekommen das auch. Markengeflügel. Man ist stolz auf uns.