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Ich bin nie da, wo der Regen ist

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28.12.2009
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Ich bin nie da, wo der Regen ist

Trockene Erde rinnt durch meine Finger. Der Wind weht Staub in alle Richtungen. Hinter dem verbrannten Mais geht die Sonne unter. Bald wird die Dämmerung ihren Schleier über die Landschaft legen. Nacht bedeutet kühlere Luft. Vom Hügel aus sehe ich die zweistöckigen Backsteinhäuser mit ihren Dächern aus schwarzen Ziegeln. Alle Fenster mit Stofffetzen verhangen. Ein Flimmern liegt über dem Tal. Ich folge dem Lehmpfad in den Schatten des Waldes. Die Stürme der letzten Tage haben viele Bäume ausgerissen. Wurzelstöcke ragen aus dem Erdreich. Die Stämme kahl und voller Rillen. Eine Frau steht vor einer vertrockneten Lärche und schneidet mit einer rostigen Klinge Streifen der Rinde ab.

Der Pfad führt an einem versiegten Brunnen vorbei. Eine Gruppe Männer steht vor einer Feuerstelle. Sie tragen Umhänge aus schmutzigem Leinen. Verfilzte Haarsträhnen verdecken ihre Gesichter, doch ich spüre ihre Blicke. Ich gehe hinunter zum Fluss. Nur noch ein handbreites Rinnsal, das aus den Berghöhen kommt, die Weiße Krankheit mit sich bringt. Insekten schwirren am Ufer.
Zweimal haben wir dieses Jahr schon geopfert, sagt eine Stimme. Ich drehe mich um. Sein Gesicht ist eingefallen, die Haut grau und fahl. Eine schlecht vernähte Narbe auf der Wange. Der Mann schüttelt den Kopf. Zweimal haben wir auf Regen gewartet. Ich lege ihm meine Hand auf die Schulter. Der Regen wird kommen. Wir alle müssen daran glauben.
Davor hat ER uns immer erhört. Wir wissen nicht, was wir noch tun sollen. Er drückt mir einen kleinen Sack in die Hand. Mehr haben wir nicht mehr. Ich lasse meine Hand über den rauen Stoff gleiten und ziehe die Schnüre auseinander. Meine Fingerspitzen tasten nach dem Inhalt. Die Körner sind klein und fest, die Oberfläche ölig.
Mehr haben wir nicht, wiederholt der Mann. Er schließt die Augen, öffnet sie wieder, schaut über meine Schulter in die Unendlichkeit. Was soll aus uns werden?
Wir müssen alle daran glauben.
Er nickt. Ja, sagt er. Wir glauben alle daran. Dann geht er an mir vorbei. Ich folge ihm. Das Zelt steht inmitten des Kreises, der aus roter Kreide auf den Boden gemalt wurde. Der Mann bleibt stehen und öffnet es mit einer Hand.
In der ersten Stunde des neuen Morgens, sagt er. Das Feuer wird bereit sein.
Ich senke den Kopf, die Zelthülle schließt sich hinter mir. Es ist warm. Räuchergras brennt in Holzkehlen, verströmt einen süßen Duft. Kohlen glosen in einer flachen Erdgrube. Sie sitzt auf einem Kissen im hinteren Bereich. Ich kann von ihr nur den Umriss sehen - sie ist schmächtig, ihr Gesicht schmal und lang. Das Feuer wirft ihren Schatten an die Zeltwände. Sie trägt einen grauen Umhang. Durch die Löcher im Stoff sehe ich ihre Haut, sie glänzt seiden. Ich lege ihr den Sack in den Schoß und setze mich auf eines der Kissen.
Du musst keine Angst haben, sage ich.
Sie senkt den Blick.
Ich strecke meine Hand aus und streiche über ihre Wange. Du bist nicht von hier.
Sie schüttelt den Kopf. Ich bin aus dem schwarzen Tal.
Ich lege meine Hand auf ihre Stirn, die warm und glatt ist. Ich kenne das schwarze Tal. Ich habe ihnen letztes Jahr den Regen gebracht.
Sie sind alle gegangen, sagt sie und schließt die Augen. Ein alter Mann im schwarzen Tal hat mir erzählt, dass es früher tagelang geregnet hat.
Ich kenne die Geschichten.
Und sind sie wahr?
Wenn ER es will, werden sie wahr. Sie lächelt. Sie öffnet den Sack, gießt die Körner auf eine Steintafel, die vor ihren Füßen auf dem Boden liegt. Mit langsamen Bewegungen schiebt sie die Körner in eine kleine Mulde, verschließt die Öffnung mit dem geschliffenen Ende eines Klöppels. Die Körner werden unter ihren Händen zu grobem Mehl, das immer feiner wird. Sie nimmt eine Karaffe und gießt einen Schluck Wasser auf den Stein. Aus der Masse knetet sie einen zähen Fladen, den sie auf eine Pfanne aus grauem Tonzeug streicht und über die Kohlen schiebt.
Mein Vater fragte mich einmal, wie es sein kann, dass jeden Morgen die Sonne aufgeht. Es könnte auch für immer Nacht sein. Verstehst du, was ich sagen will?
Sie dreht den Fladen um. Es ist alles, was wir noch haben, sagt sie. Das ist alles.
Es ist eine große Ehre für dich, sage ich, und sie reißt ein Stück des Fladens ab und schiebt ihn mir langsam in den Mund.
Ich werde euch den Regen bringen. Ich werde Regen bringen.

 
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Hey Jimmy,

schön, dass du was postest. Gute Idee: Roman schreiben und dann zwischendurch eine Mad-Max-Episode raushauen :D Wie so ein kurzer Reboot im System. Flashfictions sind ja so Leckerbissen für zwischendurch. Und das hat durchaus geschmeckt. Auf der Meta-Ebene geht es mir wie Zigga. Ist natürlich nicht alles völlig unbekannt:

Sie tragen Umhänge aus schmutzigem Leinen. Verfilzte Haarsträhnen verdecken ihre Gesichter

Wir müssen alle daran glauben.

Das beschwört der Text ja förmlich und klar liest man das als dran glauben müssen
Wollte ich nur nochmal aussprechen (Captain Obvious).

Es ist eine große Ehre für dich, sage ich

Das habe ich nicht richtig verstanden. Meint er, dass es sie ehrt, dass sie ihr letztes IHM spendet? Weil es liest sich zuerst so affirmativ: "Doch, doch gib den Fladen her! Ist eine Ehre für dich, dass ich ihn verköstige." (Edit: okay, ich glaube, genau so woltest du, dass man es liest – zumindest haben die anderen das so gelesen).

Es trägt deine Handschrift und liest sich gut runter. Gerne dabei gewesen. Sorry, dass ich dazu nicht mehr zu sagen habe :D

Viele Grüße
Carlo

 

Sehr atmosphärisch, gut verdichtet und sehr dezent angedeutet, was nun geschehen könnte - was ich als grösste Stärke des Textes empfinde. Da öffnet sich auf wenigen Zeilen eine ganze Welt und der ganze Schrecken. An einigen Stellen liesse sich eventuell noch stärker verdichten, an anderen waren mir die Bilder etwas zu gängig. Ich liste mal die entsprechenden Stellen auf

Hallo Peter, danke dir sehr für deinen Kommentar. Hast Recht, sind noch einige stilistische Unsauberheiten drin. Ich finde es immer wieder bemerkenswert, wieviel Textarbeit einem bringt, wenn so viele aufmerksame Leser einen Text konstruktiv lesen, das ist echt Wahnsinn. Hab mal alle deine Punkte abgearbeitet, der Text ist jetzt in einer neuen Version oben, das ist gestrafft und kürzer, ein paar lahme Formulierungen raus. Vom Sujet her normalerweise nicht mein Ding, aber ich wollte einfach mal was ausprobieren. Ich hab 150 Seiten aus dem Romanprojekt gekürzt, eine komplette Perspektive, und jetzt schreibe ich den Rest um, es wird alles aus Sicht einer Frau erzählt, was Spass macht zu schreiben, aber eben auch anstrengend ist, und manchmal bastel ich dann an so Texten, um den Kopf was frei zu kriegen.
Jetzt noch ein Interessens-Frage: Warum Raps? Warum nicht Mais, oder so? Raps braucht gut durchfeuchteten Boden um zu keimen und ist wohl aufgrund der ... Glucosinolaten ... nicht so gut verträglich als Nahrungsmittel (nur gegoogelt)? Mais dagegen verträgt Trockenheit besser und ist ja bereits ein Grundnahrungsmittel.
Das ist ein verdammt guter Punkt! Erstmal danke für deinen Kommentar. Vielleicht liest sich die neue Version etwas flüssiger. Mais habe ich mal ersetzt. Ich hätte wahrscheinlich Morphin interviewen sollen als Landwirt, aber Raps kam mir als erstes in den Sinn, keine Ahnung warum, haha.
Die weiße Krankheit, so das ein Eigenname ist, sollte m.A.n. groß geschrieben werden: Die Weiße Krankheit
Geändert, danke dafür!
Für mich ist das ein fertiger Text, du beherrscht das Handwerk und erzählst das, was du erzählen möchtest. Auch auf den Raum die Menge, die hier erzählt wird, zu erzählen, ist schon hohe Kunst. Ich mag auch, wie die Erzählerin verschiedene Beobachtungen auffängt und sich das zu einem Ganzen beim Lesen entwickelt, ich verstehe, was passiert und passieren wird, ohne dass es direkt ausgesprochen wird vom Text.
Hey Zigga, hat mich sehr gefreut, hab deinen neuen Text auch schon gelesen, Kommentar folgt. Ja, danke, geht runter wie Öl und rettet mir den Sonntag.
Vielleicht verlange ich auch zu viel, weil ich weiß, wie viel du drauf hast oder womöglich ist das der Gattung Flash Fiction geschuldet, aber mir fehlt an der Geschichte so ein klein wenig mehr Eigenes. Regentanz, Postapokalypse, Dürre, Mad Max, Menschenopfer, das kennt man alles.
Kann ich total verstehen. Ganz ehrlich: Mir fällt da einfach nix ein. Das ist meine Ausrede! Nein, also ich finde es schwierig, weil solche Sujets auch wirklich total auseinandergenommen wurden, da gab es alles, Krankheit, Pandemien, Vernichtung, Anarchie, Kannibalismus - ich denke, es ist schwierig, da wirklich etwas Neues zu finden. Vielleicht das man mit den erzählten Figuren arbeitet, die anders einsetzt, keine Ahnung. Ich kann deinen Wunsch aber nachvollziehen, es ist schon auch eine Blaupause, wo man als Leser sagt: Juah, aber schon mal irgendwo gelesen. Also, klar, das ist wie bei einem Noir, im Grunde eine Abfolge von Zitaten, ein Versuch innnerhalb der Genre-Parameter.

Derborence ist realistisch geschrieben, aber zwischen den Zeilen erzeugt der Text eine enorme Wirkung, die Wirkung einer übermächtigen Natur, denen der Mensch ausgesetzt ist. Deshalb musste ich spontan beim Lesen deines Text daran denken. Kann ich sehr empfehlen, das Buch ist vor zwei Jahren wieder ins Deutsche übersetzt worden.
Kiroly, danke für den Tip, habe ich mir besorgt, werde ich lesen.

Dankt euch allen für eure Zeit. Wird fortgesetzt.

Gruss, Jimmy.

 

moin, Jimmy,

ich kann nicht so gut auf Skizzen - entweder die sind schwach, Text schlecht, oder die sind gut, dann bin ich enttäuscht, weil so schnell vorbei.

die hat mich so weit gekriegt, dass ich am Ende neugierig war. was danach kommt und unwillkürlich paar lose Enden weiter gedacht habe. Endzeit ist ja ein bisschen die Lindenstraße unserer Generation, aber ist okay für mich, meine ich nicht negativ, wollts nur noch mal gesagt haben, weil das schon strange ist, wie selbstverständlich vertraut etablierte Figuren, Tropen, Bilder, Settings wirken.

mysteriöse Pestilenzen, Regenmacher, schamanistisches Weltbild? ist gekooft, glaub ich alles, kommt mir auch nicht unlogischer vor als unsere Wirklichkeit.

du hast es drauf, den Text so zu verbildlichen, dass ich automatisch andocke. genau mitlese, Bilder entstehen lasse, in denen die Fantasie sich ausbreiten kann. das liegt wahrscheinlich an der ruhigen Erzählstimme und dem genauen Arbeiten, da verbinden sich die einzelnen Punkte beim Lesen von selbst.

dieses genaue Arbeiten wirft mich an anderen Stellen so ein bisschen raus, weil ich entweder Begriffe nicht kenne, oder zu detailliert gearbeitet wurde, ohne dass es eigentlich wichtig wäre. kann aber auch sein, das liegt an mir und meiner Detailversessenheit,

die Situation, wo sie irgendwas mit dem geschliffenen Ende eines Klöppels schiebt - beim Nachdenken fällt mir dazu schon was ein, kann ich mir das Ganze vorstellen, aber erst mal hats mich aus dem Flow geworfen.

an anderem Ort fiel mir das auf mit dem Kreis aus roter Kreide, ist kein echtes Problem, aber ein kleiner Stolperer, das kannste einfacher sagen, ohne dabei was zu verlieren.

insgesamt lässt sich gut beobachten, wie eine Geschichte zwar entlang des Gezeigten erzählt wird, aber an den Auslassungen entlang wächst - wenigstens in mir beim Lesen. was mich an die Eisbergtheorie des Schreibens erinnert : dass die Geschichte ja viel größer ist, als das, was wir lesen.
Dieses Größere, das virtuelle Textganze, funktioniert nur, wenn die Geschichte insgesamt stimmig ist sowohl mit dem erzählten Teil, als auch mit dem vorgestellten Nichtgezeigten.

Gruß!
Cube

 

Das habe ich nicht richtig verstanden. Meint er, dass es sie ehrt, dass sie ihr letztes IHM spendet?

Moin Carlo, und danke für deinen Komm, hat mich gefreut. Nein, dass es eine Ehre ist, quasi geopfert zu werden. So meinte ich das. Mißverständlich? Muss ich nochmal gucken.

Ja, ist ein Text, der länger gelegen hat. Hab den Roman einmal um 180 Grad umgeworfen und einen Erzählstrang komplett rausgehauen, und da brauchte ich mal kurz eine Pause. Da habe ich den auf der Platte gefunden. Ist jetzt nichts großartig Innovatives, aber ich hatte so ein paar Dystopien gesehen und gedacht, mach einfach mal zuende.


Hi Kubus, fuck ist das lange her! Still remember Leipzig!

insgesamt lässt sich gut beobachten, wie eine Geschichte zwar entlang des Gezeigten erzählt wird, aber an den Auslassungen entlang wächst - wenigstens in mir beim Lesen. was mich an die Eisbergtheorie des Schreibens erinnert : dass die Geschichte ja viel größer ist, als das, was wir lesen.#
Ist natürlich richtig. Funzt aber eben auch nur, wenn dieser kleine Part, der runtergekocht wurde, genau passt, dann entsteht da mehr draus. Ich guck nochmal über die Details, da hast du Recht, eventuell zu genau und unnötig im Fokus. Checke ich. Danke dir für deinen Kommentar und hoffe, bei dir ist alles im Lot.

Gruss, Jimmy

 
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Hallo @jimmysalaryman,

ich habe beschlossen, mich von oben nach unten durchs Flash Fiction Forum zu prokrastinieren. Ich mache das vor allem für mich selbst, weil ich das Format irgendwie noch nicht so richtig verstanden habe, es aber ganz spannend finde und hoffe, dass Flash Fiction zum Üben taugt, das wäre mir sehr lieb.
Und auch wenn dieser Kommentar vorwiegend für mich ist, schreibe ich ihn hier ins Forum, weil vielleicht hast du ja auch irgendetwas davon, auch wenn du schon recht viele Kommentare hast, undvielleicht kannst mit dem einen oder anderen Leseeindruck meinerseits etwas für dich anfangen. Das erste was mir gerade einfällt, ist, dass der Titel ein Teil der Geschichte ist. Der greift die nicht auf oder so, sondern bietet noch mal eine ganz neue Perspektive auf die Geschichte. Es gibt für mich zwei Lesarten: Das eine ist, dass der Prot nie da ist, wo der Regen ist, weil er ja natürlich immer nur dahin "beordert" wird, wo der Regen nicht ist. Das wäre keine neue Perspektive, weil es genau das ist, worum es im Text ja ganz konkret geht. Der Regenmacher kommt, aber natürlich immer nur dahin, wo der Regen nicht ist. Aber ich lese den Titel auch noch anders und zwar als Möglichkeit, dass, wo er ist, kein Regen ist und nicht sein wird. Also wenn er im Text sagt, wir müssen glauben, dann zeigt der Titel noch mal, dass er eigentlich nicht mehr wirklich glaubt. Das fand ich ganz super und das werde ich sicher mal nachmachen, denn gerade in so einem kurzen Format, ist es ja hilfreich, wenn der Titel auch etwas zur Geschichte beiträgt.
Deine Einführung ins Setting gefällt mir auch sehr. Ich persönlich mag so beschreibende Szenen einfach gerne, eine Einführung ins Setting und eine Verortung, ganz sinnlich. Wenn ich mir etwas wünschen dürfte, dann wäre es evtl. eine etwas genauere oder vielleicht auch einfach nur: andere Blickführung. Ich finde gut, dass da erst dieser sehr kleine Auschnitt ist, die Erde zwischen den Fingern. Ich sehe, wie er sich gebückt hat und die Erde aufgelesen hat, wie sie ihm durch die Finger rinnt, dann weht der Wind Staub in alle Richtungen und der Blick wird weit, das gefällt mir gut. Beim verbrannten Mais komm ich allerdings etwas ins Strudeln. Das ist so ein Detail ... Der ist schon richtig verbrannt, oder? Also so richtig kohlrabenschwarz verbrannt, weil es gebrannt hat? Und er sieht das es Mais gewesen ist, weil halt auch noch viel steht? Geht das? Weil es ist ja sehr trocken. Wenn ein Maisfeld brennt, dann brennt doch auch noch viel mehr oder? Aber der ist nicht verdorrt, weil es nicht geregnet hat, sondern verbrannt? Das ist so ein Moment, an dem ich mir komisch vorkomme, weil ich nicht weiß, ob ich irgendetwas unglaublich kompliziert mache, was eigentlich ganz einfach ist. Jedenfalls geht hinter diesem Feld die Sonne unter. Das mit der Dämmerung und der Nacht hätte ich jetzt nicht gebraucht. Dämmerung ist klar, weil die Sonne geht ja unter und ich finds gerade so schön im Hier und Jetzt beim Beschreiben der Szene, da bringt mir das Springen in der Zeit nicht so viel, ich würde gerne meinen Blick weiter schweifen lassen, was ja dann auch passiert, aber ein bisschen besser hätte ich gefunden, wenn ich auf dem Hügel gestartet hätte, ja, das hätte ich gerne gleich von Anfang an gewusst. Aber das ist natürlich Korinthenkackerei. Ist schon auch toll, so wie es ist. Jedenfalls finde ich dann super, dass er wieder ranzoomt und ins Persönliche geht, indem er die Frau beschreibt. Insgesamt kommt durch die Beschreibungen eine Endzeitstimmung auf, wobei die Szene an sich aber zeitlos bzw. nicht in irgendeine bestimmte Zeit eingebettet wirkt.

Zweimal haben wir dieses Jahr schon geopfert, sagt eine Stimme. Ich drehe mich um. Sein Gesicht ist eingefallen, die Haut grau und fahl. Eine schlecht vernähte Narbe auf der Wange. Der Mann schüttelt den Kopf. Zweimal haben wir auf Regen gewartet. Ich lege ihm meine Hand auf die Schulter. Der Regen wird kommen. Wir alle müssen daran glauben.
Ich mag, wie er ihm die Hand auf die Schulter legt, als wären sie alte Bekannte, sind sie aber nicht, weil er ihn ja "Der Mann" nennt. Und dann das "Der Regen wird kommen. Wir müssen alle daran glauben." Ich mag das ganz grundsätzlich, an dieser Stelle, in diesem Text, in anderen Texten ... die fehlende Kennzeichnung der direkten Rede, spätestens seit Saramagos Stadt der Blinden lese ich das total gerne.
Davor hat ER uns immer erhört. Wir wissen nicht, was wir noch tun sollen. Er drückt mir einen kleinen Sack in die Hand. Mehr haben wir nicht mehr. Ich lasse meine Hand über den rauen Stoff gleiten und ziehe die Schnüre auseinander. Meine Fingerspitzen tasten nach dem Inhalt. Die Körner sind klein und fest, die Oberfläche ölig.
Ich weiß nicht genau wieso, aber das Fette hat auf mich wie eine Erklärung gewirkt, das war mir irgendwie zu plakativ, wo doch eigentlich alles so sehr zwischen den Zeilen stattfindet. Dagegen find ich die Abwicklung der Bezahlung wieder superschön subtil, zumindest lese ich es als Bezahlung, sowohl an den Regenmacher als auch als Teil des Rituals möglicherweise.
Mehr haben wir nicht, wiederholt der Mann. Er schließt die Augen, öffnet sie wieder, schaut über meine Schulter in die Unendlichkeit. Was soll aus uns werden?
Wir müssen alle daran glauben.
Er nickt. Ja, sagt er. Wir glauben alle daran.
Auch schön. Wie er nickt. Ja. Wir glauben alle daran und ich glaube ihm aber kein Wort. Ich bin oder fühle mich ja noch sehr als Anfängerin und denke, dass ist wohl die hohe Kunst, jemanden etwas sagen zu lassen, und ohne es zu erklären, vermitteln zu können, dass es doch nicht so ist. Wobei mir die Unendlichkeit etwas zu dick war, weil er wohl einfach nur in die Ferne guckt, die ist aber eigentlich nicht unendlich.
In der ersten Stunde des neuen Morgens, sagt er. Das Feuer wird bereit sein.
Hier habe ich mich, einfach nur aus Interesse, gefragt, wie der Text wohl wirken würde, wenn die Leute moderner sprächen. Für den Fall, dass du noch mal so einen Text schreibst ;-)
Ich kenne das schwarze Tal. Ich habe ihnen letztes Jahr den Regen gebracht.
Sie sind alle gegangen, sagt sie und schließt die Augen.
Erst sagt er, dass er ihnen den regen gebracht hat. Aber gleich danach sagt sie, dass alle gegangen sind und ich frage mich, hat er ihnen wirklich den Regen gebracht oder war er nur da um den Regen zu bringen, der dann nie kam? Heißt: Ich bringe den Regen vielleicht einfach nur das Ritual? Und - Rückschluss zum Titel - bringt er den Regen eigentlich nie wirklich? Das ist toll, was da in den zwei Sätzen steckt. Der Text ist klar und ich bin orientiert und so und dann ist er aber ganz interpretationsoffen. Das gefällt mir total gut.
Wenn ER es will, werden sie wahr.
Keine Ahnung wieso, aber auf das "ER" komme ich irgendwie nicht klar. Hat mich oben ja auch schon gestört. Ich weiß nicht genau warum, vielleicht es eben ja auch zwischen den Zeilen steht und ich mir dann auch denken kann, es gibt Götter oder so, vielleicht weil es den Text da irgendwie so festlegt und ich den als so wunderbar offen empfinde.
Es ist eine große Ehre für dich, sage ich, und sie reißt ein Stück des Fladens ab und schiebt ihn mir langsam in den Mund.
Eine schöne Szene, wie sie ihm ein Stück Fladen in den Mund schiebt. Könnte Teil des Rituals sein, könnte auch einfach nur etwas schräg sein, eine Art Übersprungshandlung von ihr.
Ich werde euch den Regen bringen. Ich werde Regen bringen.
Das war mir dann wieder ein bisschen dick. Aber ich verstehe schon auch, dass es irgendwie Abschluss braucht. Ich frage mich, ob du bzw. der Text das so braucht, weil es eigentlich keinen Konflikt gibt bzw. keine Entwicklung. Das habe ich mich nämlich auch gefragt bei deinem Text. Eine schöne klare und gleichzeitig offene Szene, aber ich habe es nach meinem eigenen FF-Text hier dann so verstanden, dass Flash Fiction schon auch alle Elemente einer KG beinhalten soll. Sehr abgespeckt, nur angerissen, klar. Und so sehe ich mir jetzt uach deinen Text an und ich habe keine Ahnung, ich stelle nicht fest, sondern frage mich, ob ich das richtig sehe. Dabei gehts mir nicht um Richtig und Falsch, um irgendwelche vermeintlichen Regeln (auch wenn ich das gerade so geschrieben habe, "soll enthalten"), sondern eher darum, dass ich für mich etwas verstehe oder eben nicht verstehe und ich frage mich halt, ob ich das richtig sehe, dass es eigentlich keine Entwicklung gibt, außer eben eine Veränderung über die Zeit. Er kommt an, spricht mit dem Mann, kriegt die Bezahlung, geht in das Zelt, spricht mit ihr/dem Opfer, isst den Fladen, versucht sich weiter selbst davon zu überzeugen, dass er Regen bringt. Zu der Erkenntnis, dass er vielleicht doch keinen Regen bringt, dass alles umsonst ist, dass zu glauben, auch nicht hilft, kommt er zumindest nicht. Außer möglicherweise dann über den Titel, was, wie eingangs erwähnt, dann schon wieder sehr cool ist. Ist das so von dir gedacht gewesen?

Viele Grüße
Katta

 

Aber ich lese den Titel auch noch anders und zwar als Möglichkeit, dass, wo er ist, kein Regen ist und nicht sein wird

Hallo,

danke dir für deinen Kommentar. Den Titel kann man mehrfach lesen und deuten, das ist richtig. Um ehrlich zu sein, habe ich mir da nicht so viele Gedanken gemacht. Er klang auch gut, manchmal reicht mir das schon.

Beim verbrannten Mais komm ich allerdings etwas ins Strudeln. Das ist so ein Detail ... Der ist schon richtig verbrannt, oder? Also so richtig kohlrabenschwarz verbrannt, weil es gebrannt hat? Und er sieht das es Mais gewesen ist, weil halt auch noch viel steht? Geht das? Weil es ist ja sehr trocken. Wenn ein Maisfeld brennt, dann brennt doch auch noch viel mehr oder? Aber der ist nicht verdorrt, weil es nicht geregnet hat, sondern verbrannt?
Ist etwas kleinteilig. Verbrannt ist ja hier übetragen gemeint, nicht tatsächlich verbrannt. Ich könnte auch verbrannte Felder schreiben. Es ist eine umgangssprachliche Annäherung. Gemeint ist: die Ernte ist hinüber. Ich habe dabei so ähnliche Bilder im Kopf wie bei dem britischen Film "Threads", wo nach dem Nuklearkrieg alles auf Null gestellt wird und auf Feldern gearbeitet werden muss, um das Überleben zu sichern. Der fehlende Regen erhöht natürlich den Druck auf die Figuren im Text, es erzeugt eine Dringlichkeit und auch eine Legitimierung.
Ich weiß nicht genau wieso, aber das Fette hat auf mich wie eine Erklärung gewirkt, das war mir irgendwie zu plakativ, wo doch eigentlich alles so sehr zwischen den Zeilen stattfindet.
Ich glaube, das braucht es, um den Leser das Geschehen plausibler zu machen. Ich bin ein großer Fan von zurückgehaltenem Wissen, aber auf der Kürze wäre es schon etwas konstruiert, da wird man schon gewollt krytpisch. Man kann das machen, aber hier habe ich mich so entschieden. Ich finde das nicht überzeichnet, weil es auch etwas in den Vordergrund rückt, den Glauben an eine höhere Macht und die gleichzeitige Hilflosigkeit, das Ausgeliefertsein.

Das habe ich mich nämlich auch gefragt bei deinem Text. Eine schöne klare und gleichzeitig offene Szene, aber ich habe es nach meinem eigenen FF-Text hier dann so verstanden, dass Flash Fiction schon auch alle Elemente einer KG beinhalten soll.
Ich weiß nicht, wo das stehen soll. In den Literaturmagazinen, die ich so verfolge, meistens welche aus den Staaten, da werden solche engen Parameter meist vermieden. Mir wird das auch schnell zu plot-lastig. Plot kann auch wie ein Überraschungs-Ei wirken - Spiel, Spass, Spannung. Ich spreche nicht gegen Plot und Konflikt, aber man wäre kleingeistig, wenn man egal welchen Text darauf beschränkt.
Er kommt an, spricht mit dem Mann, kriegt die Bezahlung, geht in das Zelt, spricht mit ihr/dem Opfer, isst den Fladen, versucht sich weiter selbst davon zu überzeugen, dass er Regen bringt. Zu der Erkenntnis, dass er vielleicht doch keinen Regen bringt, dass alles umsonst ist, dass zu glauben, auch nicht hilft, kommt er zumindest nicht.
In den old weird USA würde man einen solchen Charaktere snakeoil-salesman nennen. Im Grunde ein Quacksalber. Ob er das selber weiß, steht nicht in dem Text. Ich würde behaupten, er weiß das sehr gut. Und sein potentielles Ritualopfer gibt auch einen Hint: sie sagt nämlich, dass obwohl er ihnen den Regen gebracht hat, alles aus dem Schwarzen Tal gegangen sind. Da steht Aussage gegen Aussage im Grunde. Ich beschäftige mich zur Zeit viel mit Braucherei, so ein übriggebliebener, deutscher Aberglaube in den Mid-West Staaten, vor allem Pennsylvania, weil ich das für ein Romanprojekt benötige. Es ist unfassbar, wie die Menschen heute noch an ihren Pow-Wow-Doctor glauben, da wird alles für bare Münze genommen. Mit dem I-Phone telefonieren und gleichzeitig an böse Hexen und Flüche glauben, kein Problem. Ich glaube, dass sie in einer postapokalyptischen Welt dieser Zug verstärken würde, man würde rudimentärer glauben, an ein einfacheres System, Talisman, Schamanen etc. Das ist natürlich spekulativ, weil es nur ein fikitionaler Text ist.
ob ich das richtig sehe, dass es eigentlich keine Entwicklung gibt, außer eben eine Veränderung über die Zeit.
Auch so eine Sache. Entwicklung. Steht ja in jedem Schreibratgeber. Aber was heißt das? Wenn ich jetzt einen epischen Roman habe, der 1000 Seiten stark ist, dann erwarte ich eine Entwicklung - die muss nicht persönlich sein, es gibt auch Menschen, die sich nicht weiterentwickeln (ich glaube, die meisten.) Aber ihre Umstände entwickeln sich. Oder auch nicht. Was dann? Dann wäre die Entwicklung Stillstand, oder? Das eine Figur anders aus einer Szene herausgeht, als sie hereingekommen ist, das wäre vielleicht eine Entwicklung. Im Grunde ein character reveal. Wir lernen jemandem auf dem Papier kennen. Wenn das gut gemacht ist, fühlen wir mit ihm mit. Oder wir lernen ihn hassen. Geht beides. Das es immer eine Karthasis geben muss, also das Ende einer Entwicklung wo etwas verdeutlicht wird, halte ich für schwierig. Es gibt für mich auch keine closure. Das ist so ein Ammenmärchen der Küchenpyschologie. Geschichten sollten viel öfters einfach auslaufen, weil genau so das Leben ist - es geht einfach weiter. Es kümmert sich im Grunde nicht um dich, deine Belange, deine Trauer. Na ja, klingt ambitioniert, aber auf der Kürze des Textes eine wahrnehmbare Entwicklung anzubieten, das kann schon auch sehr konstruiert wirken dann.

Gruss, Jimmy

 

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