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Holger und der Problembär
Als der Bär auf mich zukam, wusste ich sofort, dass es sich um einen Problembären handelt. Also um einen, der Ärger macht. Der nicht nur mal am Baum schnüffelt und sich dann trollt, sondern einem richtig den Tag versauen kann. Der Bär guckte komisch von der Seite und leckte sich ständig die Schnauze, so, als wollte er sagen, Gott, siehst du lecker aus. Das hatte mir heute noch gefehlt.
Der Sonntag war ohnehin nicht gut verlaufen. Meine Frau hatte mich verlassen, schon letzte Woche. Ihren Abschiedsbrief fand ich erst heute Morgen. Naja, was heißt schon Brief.
„Der Holger ist viel hübscher als du“, stand da, „und macht morgens immer Kaffee.“
Holger ist ein netter Kerl, wir spielen zusammen in einer Fußballmannschaft. Er ist im Sturm, schießt zwar keine Tore, aber vorne kann er nicht viel Mist bauen. Wenn er am Ball ist, brüllen immer alle: „Gib ab, Holger!“ Meist schafft er es nicht rechtzeitig, weil er nicht der Schnellste ist. Aber das der hübscher sein soll als ich, hat mich doch sehr getroffen. Holger ist der hässlichste Mensch, dem ich je begegnet bin, mit seiner Knollennase und dem Doppelkinn. Vielleicht wollte Sabine mir auch nur einen verpassen zum Abschied.
Kaum hatte ich diesen Schicksalsschlag halbwegs verdaut, fiel die Waschmaschine aus. Ich hatte kaum noch frische Sachen und eine neue Waschmaschine konnte dauern. Sabine hätte das Zeug mit der Hand säubern können, aber die war weg und trank jetzt Kaffee mit Holger. Kein guter Start in den Tag. Ich zog die alten, verschwitzten Jogging-Sachen an und fuhr in den Wald. Acht Kilometer an der frischen Luft hatte ich mir vorgenommen. Bisschen durchpusten und den Kopf freikriegen. Und nun dieser Bär. Verdammt großes Tier, mit zotteligem Fell und einem beeindruckenden Gebiss. Was in Berlin alles so an Großwild rumläuft ist erstaunlich, vor ein paar Wochen hatten sie einen Löwen gemeldet. Der Bär richtete sich zu voller Größe auf und ich fing an, mir ernsthaft Sorgen um meine körperliche Unversehrtheit zu machen, als ich ein Schnaufen hinter mir hörte. Ich drehte mich um und sah Holger in seiner viel zu engen Jogginghose auf mich zukommen. Wurde auch Zeit, dass er sich um seine Fitness kümmerte, die Leistungen auf dem Fußballplatz waren überschaubar in letzter Zeit.
"Holger“, rief ich erleichtert, „bin ich froh, dich zu sehen!“
„Echt jetzt?“, keuchte er und kam verschwitzt neben mir zum Stehen. Erst jetzt entdeckte Holger den Bären.
„Gott im Himmel!“, stieß er hervor, als der Bär sich in Bewegung setzte und auf uns zustürmte. Ich lief auch los. Holger war, wie immer, zu langsam.
Es tat mir leid für ihn und erst recht für die Mannschaft. Die Sportkameraden werden mir Vorwürfe machen. Ohne Stürmer ist ein Team nicht viel wert, auch wenn der keine Tore schießt. Wenigstens bindet der einen gegnerischen Verteidiger.
Dann dachte ich an Sabine, meine Frau. Wenn die jetzt zurückkäme, wo es so unglücklich mit Holger verlaufen war, wie sollte ich da reagieren?
Wenn sie das mit der Wäsche erledigt, kann ich mir einen Neustart vorstellen. Ich bin nicht nachtragend.