"We skipped the light Fandango"
Daran erinnert mich deine Geschichte. Und falls dir das nichts sagt, es ist der Anfang eines Songs. A whiter shade of pale von Procol Harum. Urururalt. Aber gut. Und die meisten damals (ich auch) haben nie nix wirklich ganz verstanden - und den Song trotzdem geliebt.
So geht mir das auch mit deiner Geschichte. Dass es unbekannte Leerstellen gibt, sie mir trotzdem wegen ihrer Bilder gefällt. Denn nicht der inhalt ist es, was mich an den Song erinnert, sondern die Machart, da ist einerseits ein roter Faden, aber gleichzeitig wird er durch fragmentarische, traumartige Sequenzen ein bisschen verschoben und verbogen. Ich finde das schön, solange ich mit den Bildern etwas anfangen kann und diese zu dem Grundtenor der Geschichte passen.
Den Grundtenor der Geschichte empfinde ich so: Da will jemand, ein Protagonist schreiben, nichts als schreiben, sagst du, bleibt dann aber gar nicht bei dieser seiner eigentlichen Tätigkeit, sondern ersetzt sie durch die Suche nach Anerkennung von außen, hat vielleicht diese von vornherein im Sinn und findet gar kein Vergnügen am Prozess an sich, muss sich sogar dazu zwingen und reinlegen.
Er verlässt das Tun und begibt sich auf die Suche nach Würdigung durch äußere Aufmerksamkeit. Sehr skurril sein Versuch durch die Handschellen Aufmerksamkeit zu erregen, doch keiner geht so recht drauf ein, sondern hat nur sich selbst im Blick. Ich musste echt grinsen, als der Protagonist sich extra verrenkt, damit sein alter Freund, der Karikaturist, ihn endlich wahrnimmt. Aber nee, es wird nichts.
Als der Reisende Hilfe von einer stummen Sängerin bekommen könnte, scheuen beide zurück, weil sie Angst vor dem Kitsch und dem Klischee haben. Wieder ist es so, sie machen einfach nicht drauflos, sondern fragen sich, was könnten die anderen denken und sagen über sie, statt zu leben, urteilen sie sich selbst ab, bevor noch ein andereer es tun kann, weil sie methodische Maßstäbe im Kopf haben, wie etwas zu sein hätte - jedenfalls keinesfalls darf Kitsch.
Das Motiv, nicht verstanden, nicht wahrgenommen zu werden, sich selbst mit den Maßstäben, die man von außen als Werturteile übernommen hat, zu knebeln, das durchzieht deine Geschichte wie ein Band. Die Sängerin, die sich das Singen extra erschwert. Der Autor, der sich in der Ausübung seines Tuns extra behindert.
Das sind schon alles sehr traum- und wahnhafte Bilder, die an Surrealismus erinnern. Aber auch schon wieder an weitere Songtexte. Sound of Silence zum Beispiel? Aber was sag ich, es sind ja uralte Motive. Wahrscheinlich hat sie schon ein Steinzeitmaler an irgendeine Höhlenwand gepinselt.
Du schließt den Weg deines Protagonisten dann mit der Begegnung mit dem alten Schuster ab. Der ist wirklich blind, aber ihm unterläuft kein Fehlschlag. Vielleicht weil ihm äußerliche Anerkennung scheißegal ist?
Das ist natürlich ein sehr selbstreferentieller Text. Und das hat seine Tücken. Lust und Last des Schreibens, die Angst vor dem Versagen, der permanente Selbstzweifel bei gleichzeitigen Totalansprüchen an sich selbst - das ist ein beliebtes Thema bei Schreibersleut, und deswegen auch ein unendlich und furchtbar beackertes Thema. Und wahrscheinlich will/muss/wird jeder mal sowas schreiben.
Ja was sind die Tücken? Figurencharakterisieurungen finden nicht statt, man könnte böswillig sagen, der bloßen Idee des Themas geopfert. Das Thema an sich hat wenig Tragweite, es ist nicht überraschend. Es kommt dann schon immer sehr darauf an, was einer mit der Idee beginnt und wie er sie ausführt.
Ich persönlich finde solche Texte in aller Regel saulangweilig, obwohl viele gerade dieses Thema scheints für hochliterarisch halten.
Ich denke mir immer, wenn einer nix zu schreiben hat, soll ers halt lassen und lieber spazieren gehen, als die Menschheit mit diesem Methodikgesummse zu beeindrucken, irgendwann klopft schon wieder eine Geschichte an. Oder auch nicht.
Und trotzdem mag ich deinen Text. Er ist kurz und bietet (so verstehe ich den blinden Schuster wenigstens) auch einen Ausblick aus dem Jammertal des Selbstbespechtens, und wer mich so wie du an "A white shade of pale" erinnert, der hat einfach schon mal einen Stein bei mir im Brett.
Und jetzt noch ein paar Details:
Elegant gelöst, der neue Beginn. Ich hatte mich zwar schon immer darüber gewundert, dass der erste Satz auf solches Missfallen stieß, aber gut, so wie du jetzt kann man es natürlich auch machen. Dadurch hast du deinem Protagonisten den schwarzen Peter zugeschoben. Und dem Leser ist vielleicht klarer als vorher, worum es geht.
Nachträgliches Edit: Nachdem ich den Komm von Kanji gelesen habe, habe ich den alten Beginn noch einmal ganz genau gelesen. Und ich muss Kanji recht geben. Der alte Beginn hat Zauber, ich finde/fand ihn auch nicht unverständlich, aber da stehe ich wohl etwas alleine. Der neue ist verständlicher, aber auch herkömmlicher. Aber mach dir keinen Kopf, vielleicht ist das hier ja auch mal wieder ein Beispiel dafür, wie schwierig es ist, den Kommentaren und Kritiken gegenüber offen zu sein, aber auch herauszukriegen, wie und dass man selbst etwas haben will. Ich glaube, das ist einfach eine Sache des Probierens und Auslotens und der Geduld mit sich selbst.
Und jetzt gehts weiter wie gehabt.
Rainer beugte sich über seinen Schreibtisch, saugte den Kugelschreiber an seinem hinteren Ende an, biss mit den Backenzähnen auf ihn und schrieb den ersten Gedanken nieder, der ihm in die Quere kam: „Der Zwang ist die Zangengeburt des Willens".
Ganz ehrlich? Ich finde den Zangengeburtsatz köstlich. Ja. Ich mag den. Der ist so spinnert geschrieben, ich finde den auch nicht unklar, auch wenn ich mit meiner Meinung da alleine stehe. Zum Glück hast du ihn drin behalten.
Und zum Glück ist das zweimalige "um" Geschichtenwerker sei dank, draußen, aber ich hab noch was: "auf ihn" finde ich rhythmisch nicht so gelungen. Warum ersetzt du es nicht durch "darauf"? Schließlich beißt er ja auch nicht auf den gesamten Kugelschreiber ("auf ihn" bezöge sich auf den K. insgesamt, nicht nur auf das angesaugte Ende K) und so ist der grammatikalische Bezug nicht so klug gelöst, aber auch der Klang ist da nicht so dolle.
Dabei erregte er weniger Verwunderung KOMMA als er erwartet hatte.
Und die Verwunderung, die er erntete, verwunderte ihn mehr als die Verwunderten.
Bin ich gestolpert. Warum? Inwiefern? Nicht, dass du da was streichen oder ändern sollst. Ich bin nur gestopert und hab mich gefragt, ob er schon von vorneherein Zweifel an dem Handschellentrick hatte. Oder ob du noch was anderes meintest.
Enweder er könne sich für die Rolle des Karikaturisten nicht mehr genügend begeistern - oder seine Motive trügen Schuld daran.
Hehe, ich kenn die.
Der Zeichner stach ein älteres Pärchen, das denselben Jogging-Anzug trug, mit den Blicken auf und bat um des Freundes Ohr.
den - würde ich kürzen.
Er habe da einen Verdacht, den er - wenn überhaupt - nur flüsternd äußern wolle. Rainer näherte sich. Ob es in irgendeiner Weise zu bestreiten sei, dass DIE DA bereits Karikaturen seien? Er könnte schwören, dass er in letzter Zeit nur noch von Karikaturen um Karikaturen gebeten würde. Er wolle sich da jetzt noch keinen Strick draus drehen, sei jedoch kurz davor.
Der Satz "Er könnte schwören ..." wiederholt eigentlich nur das Vorhergehende und verwässert es dadurch. Ich weiß nicht, probier doch mal, ihn wegzulassen und einen anderen Anschlusssatz zu dem Stricksatz auszudenken. Der ist ja wieder ganz pfiffig.
Rainer war kurz ganz woanders gewesen.
Hmm, ich weiß schon, den Satz willst du haben, weil der so nett doppelsinnig mit den Posen weitergeht. Trotzdem - ich war drüber gestolpert, fand den Satz ungelenk und auch irritierend räumlich.
Doch das tat der Zeichner selbst dann nicht, als Rainer sich umständlich mit der Schulter die Nase kratzte.
Vielleicht hätten sich die beiden helfen können. In dem Moment, in dem SIE IHN sah und sich der Tragik, die sich gleichmäßig in seinem Gesicht verteilt hatte, bewusst wurde, wäre das wohl möglich gewesen. Schließlich wollten sie beide befreit werden. Doch der Gefesselte von der Geknebelten? Das wäre beiden zu kitschig gewesen.
die beiden - fand ich holprig, ich hatte einen Bremsmoment, weil ich nicht gleich wusste, dass Rainer und die Sängerin gemeint sind. Du bist halt mit dem Satz vorher (dass Rainer diese Band nie wieder sehen sollte) aus der Perspektive gesprungen. Sie wirkte bis dahin sehr personal. Wenn man das mitmacht, also mehr von außen auf das Geschehen und aus dem Blick eines "Draufguckers" auf das Geschehen schaut, wird schneller klar, wer "die beiden" sind, wenn man das aber noch nicht verdaut hat, hat man (wie ich) vielleicht einen kleinen Ausreißer.
Was ich aber gar nicht gut finde, weil echt ungelenk formuliert, das ist die "Tragik, die sich in seinem Gesicht verteilt hatte". Puhh, das klingt wie Sonnencreme. Also klar, ich versteh natürlich, was du meinst, ich find nur, es klingt halt scheiße
Zahllose Momente waren Händchen haltend ins Land gezogen, als Rainer sowohl seine Handschellen, als auch den Zwang, irgendetwas schreiben zu müssen, abgelegt hatte.
Das Bild passt überhaupt nicht. Das Händchen haltend drückt ja nicht nur die verbundenen Zeitmomente aus, sondern Innigkeit und Verliebtheit. Und dieser Handschellennarr auf der Suche nach der Anerkennung verspürt mit Sicherheit weder Innigkeit noch Zuneigung.
Wie zur Feier spazierte er durch die alten Gassen. Wie ein Hofnarr hüpfte er um die Ecken. So gelangte er zu einem Platz, auf dem er noch nie gewesen war.
Auch das passt inhaltlich nicht zusammen. Das Aufgeben seiner Reise und seiner Schreibversuche wird davor nicht als ein bestimmter Moment beschreiben, sondern als Zeitraum.
Das Getanze und Gehüpfe aber unterstellt einen exakten Punkt der Erkenntnis.
Der Schuhmacher trieb kleine Nägel in die Sohle, ohne sich ein einziges Mal auf die Finger zu schlagen. Rainer sank auf die nächste Bank und wartete auf seinen ersten Fehlschlag, seinen überfälligen Schmerzensschrei. Doch alles KOMMA was er hörte KOMMA war ein metallisches Gelingen nach dem Anderen.
Hier gibts einen Leerschlag zuviel. ist dir öfters passiert. Auch schon vorher.
anderen - klein.
Der letzte Satz ist echt schön.
Bleibt mir eigentlich nur noch, dir ein herzliches Willkommen zu wünschen, denn wir kennen uns ja noch nicht. Und dir zu sagen, dass meine Hinweise natürlich Vorschläge sind. Spiegeln mein Lesegefühl wieder. Kannst nehmen, wenns dir logisch ist, oder auch fortschmeißen.
Außer den Kommas natürlich u.ä.
Machs gut - und die nächste Geschichte wird aber keine übers Schreiben. Versprochen? Erst die übernächste wieder.
Viele Grüße von Novak