Hexenküche
Der Schweiß stand Malo auf der Stirn, rann aus seinen Haaren den Nacken hinab und kroch zwischen den Schulterblättern seinen Rücken herunter. Seine Kleidung klebte ihm am Körper und er wünschte sich nichts sehnlicher als ein schattiges, kühles Plätzchen. Seinen Brustpanzer hatte er schon vor einigen Stunden abgelegt. Er klapperte am Sattel. Malo verfluchte wiederholt den Herzog von Herobik, in dessen Diensten er als Erster Ritter seit vielen Jahren stand.
Ein erster Ritter war ständig unterwegs, entweder als Überbringer guter und schlechter Nachrichten, als Geldbote oder als Bewacher einer wichtigen Persönlichkeit und als langer Arm des Herzogs bei der Ausfechtung von Streitigkeiten.
Malo fragte sich jedes Mal, wie er es so lange im Dienst seines Fürsten hatte aushalten können. In jedem Herzogtum gab es in der Regel einen ersten Ritter, der spezielle Aufträge auszuführen hatte. Meist war es der älteste und erfahrenste Ritter, dem dieser Titel zustand. Wer lange genug bei seinen gefährlichen Aufträgen überlebte, hatte gute Chancen, diesen Karrieresprung zu machen.
Es war später Nachmittag und Malo überquerte die Steppe von Saluunya. Sie erstreckte sich vor ihm flach und von vereinzelten Büschen durchbrochen. Am Horizont tauchten die grünen Hügel von Hchastoon auf. Bevor er also die Steppe verließ, musste er wieder seien Brustharnisch anlegen.
Denn in den Hügeln lebten wilde Barbaren, die auch vor wehrhaften Rittern nicht zurückschreckten und diese gerne zum Abend verspeisten. Aber aus sicherer Quelle wusste Malo, dass es dort am Rande ein Rasthaus geben musste, in dem er eine relativ sichere Nacht verbringen konnte.
Er gab seinem Pferd einige kräftige Hackenstöße und es verfiel in einen schnelleren Galopp. So erreichte er unbeschadet die Hügel. Sein Auftrag verlangte es, dass er über die Hügel von Hchastoon musste, um seinen Auftrag zu erfüllen, den Schwarzen Ritter von Regelaan im Kampf zu besiegen. Vor vielen Jahren hatte dessen Fürst Malos Fürst tief beleidigt und nun schien es diesem an der Zeit, Vergeltung zu üben. Malo Relannon sollte den Schwarzen Ritter töten und somit Vergeltung für seinen Fürsten üben.
*
Er erreichte unbeschadet die Hügel. Dichter Baumbestand kennzeichnete sie. Um die Hügel zu überqueren bedurfte es eines sicheren Weges. Diesen Weg musste er finden. Die dichten Wälder konnte er nicht durchdringen, nicht auf einem Pferd und zu Fuß schon gar nicht. Außerdem verspürte er nagenden Hunger und die beginnende Abendkälte kroch über seinen verschwitzten Leib.
Er hatte sich schon mit einem kargen Abendmahl, bestehend aus schalem Wasser aus seiner Feldflasche und einem Streifen Dörrfleisch, abgefunden, als er den schmalen Weg entdeckte. Mehr als ein Reiter konnte sich dort nicht bewegen.
Malos Eingeweide begannen zu kribbeln, als er an die Barbaren dachte, die vielleicht rechts und links im Unterholz lauerten. Trotzdem trieb er sein Pferd an, denn er musste da durch, so oder so.
Tief über den Hals seines Reittieres gebückt trieb er es an. Die Dunkelheit griff über das Hügelland und bald konnte Malo nur noch dunkele Schatten vor seinem Gesicht erkennen.
Der Hunger kniff immer mehr im Magen, teilweise zog sich der Magen schmerzhaft zusammen. Erstaunt stellte er fest, dass ihm kalter Schweiß auf der Stirn stand. Seine Hände zitterten und Speichel tropfte ihm aus dem Mund.
Die Gedanken rasten.
Da flackerte ein Licht vor ihm.
Er glaubte an eine Fata Morgana. Trotzdem trieb er sein Pferd an. Was für eine Wahl hatte er zudem. Wenn der nagende Hunger nicht so stark gewesen wäre...
Auf der Lichtung fiel er beinahe aus dem Sattel. Auf Knien hockte er neben seinem Pferd auf dem feuchten Waldboden.
Unfassbar. Vor ihm stand ein Gebäude, erhellt von brennenden Fackeln. Von drinnen her vernahm er die Geräusche lauter Gesprächen und Gelächter.
"Hunger!" sagte er nur krächzend, erhob sich mühsam und stolperte auf das Gasthaus zu.
In irgendeinem hinteren Winkel seines Gehirns fragte er sich, warum dieser verdammte Hunger nur so schmerzlich war. Er hatte auf seinen Reisen schon oft mit wenig Nahrung und Wasser auskommen müssen. Aber solch einen Schmerz dabei hatte er noch nie empfunden.
Er stieß die Tür zum Gasthaus auf.
*
Was ihm trotz des leeren Magens sofort auffiel, war die ausgelassene Fröhlichkeit im Wirtsraum.
Überall an den Holzwänden hingen Öllampen und Fackeln und brachten Licht und Wärme. Am hinteren Ende des Raumes erstreckte sich eine lange aus rohen Baumstämmen gezimmerte Theke. Hinter ihr stand ein feister Mann und schenkte Schnaps und Bier aus.
Davor standen Dutzende Tische und Bänke und alle waren besetzt mit essenden, trinkenden und johlenden Menschen.
An einem der Tische rechts vom Tresen war noch ein Platz und Malo ließ sich auf die Bank fallen. Die Männer und Frauen daran beachteten ihn nicht, sondern schaufelten sich ihr Essen in die Münder. Malo schien es, als ob sie dabei keine Pause machen würden.
Noch bevor er richtig saß, war schon der Wirt hinter ihm und stellte ihm einen Humpen Bier und ein Holzbrett mit Käse und Fleisch darauf vor die Nase.
„Dan.. äh ...Danke“.
Sofort griff Malo zu und begann zu essen. Es schmeckte vorzüglich. Je mehr er aß, desto schneller wurde er beim kauen und schlucken. Neben ihm grunzte jemand merklich und ihm gegenüber rülpste ein junger Mann.
„Gut, wa!?“
Der junge Mann starrte Malo mit glänzenden Augen an und er nickte nur. Aus seinen Mundwinkeln troff Fett.
Kaum hatte Malo sein Brett leergegessen tauchte auch schon wieder der Wirt auf und brachte neue Portionen. Malo dankte nur nickend und aß sofort weiter. Seltsamerweise verschwand aber sein Hungergefühl nicht. Er blickte sich im Gastraum um und erblickte einen Tisch weiter eine Frau, die sich den Finger in den Hals steckte um sich dann neben dem Tisch zu erbrechen.
„Wa..?“
Malo schüttelte den Kopf, nahm einen Schluck Bier und stopfte sich ein Stück Brot in den Mund. Er as, trank, ass, trank, ass, trank. Er verlor jegliches Zeitgefühl. Mit jedem Bissen und jedem Schluck kam es ihm so vor, als versinke die Welt um ihn herum in einen dicken Bausch Watte. Nichts war mehr real. Nichts mehr greifbar.
Beim ersten Mal merkte er noch, wie er sich erbrach. Dann bemerkte er warme Flüssigkeit, die ihm an den Beinen herabrann.
Der Hunger blieb. Er nagte. Er bohrte. Seine Eingeweide schrieen.
Er musste noch ein Bier haben, doch der Wirt kam nicht nach. Malo erhob sich langsam von seinem Platz, stolperte und fiel über die Bank, auf der er gesessen hatte. Er landete mit dem Gesicht auf den Brettern der Wirtsstube. In irgendeiner weichen Masse.
Stöhnend erhob er sich und hinter Nebelschleiern erblickte er den Tresen. Mit schlurfenden Schritten bewegte er sich darauf zu, stieß zwei Frauen heftig beiseite, die ihm dabei im Wege standen.
„Wirt! Argghhh... Ein Bier... Durst...!“
Er stolperte und fiel auf die Theke und stieß sich dabei heftig den Kopf. Sterne tanzten vor seinen Augen und er schmeckte Blut auf den Lippen.
Dabei klarte sein Blick ein wenig auf.
Zwei kleine, schwarze Augen stierten ihn aus einem hässlichen, feisten Gesicht, gezeichnet mit langen wulstigen Narben, an.
„Klar, ein Bier, Mann!“ sagte der Wirt mit hoher, fisteliger Stimme, die so gar nicht zu seinem massigen Körper passen mochte.
Verwundert schüttelte Malo den Kopf.
Was tat er hier?!
Und was stank hier so?
Er schaute sich wortlos um und betrachtete den Gastraum, der praktisch hinter einer weißen Dunstwolke von Rauch verschwand. Überall hockten, lagen oder standen Menschen, die sich wie die Schweine benahmen. Der Boden des Raumes war voll von Exkrementen und Erbrochenem.
Es stank widerlich!
„Was – ist – hier – LOS?“
Das letzte Wort brüllte Malo im Drehen heraus und er fasste den Wirt am speckigen Kragen.
Dessen kleine Augen traten aus den Augenhöhlen hervor, als Malo ihm die Kehle abschnürte.
„Wurgh!“
Plötzlich war wieder dieses Stechen, dieses ätzende Brennen in seinem Magen da. Dieser verdammte Hunger!
Malo’s Blick verschleierte sich erneut.
„Was...?“
Lange Sätze hatte er seit Stunden nicht mehr hervorgebracht.
Er ließ den Wirt los. Es schwindelte ihm. Der Hunger loderte höllisch mittigs seines Körpers.
*
Für Ewigkeiten hätte Malo gefressen, wenn sein Blick nicht durch die offene Tür hinter dem Tresen gefallen wäre.
Dort war die Küche.
Der Hunger in seinem Magen war für einen Augenblick verschwunden.
Was er in der Küche sah, besser, wen er in der Küche erblickte, ließ ihn erschauern, aber auch ernüchtern.
„Rugali!“
Malo zischelte das Wort mit all dem Abscheu, zu welchem er fähig war. Der Hunge kam also nicht von ungefähr!
In der Küche hinter der offenen Herdstelle sah er eine Hexe der Rugali, eines jener Wesen, die Kraft ihrer Magie gewaltigen Einfluss auf Häuptlinge der Barbaren oder auch Könige der zivilisierten Länder nahmen. Die Rugali waren ein wilder Barbarenstamm, aber ihre Hexen verstanden es ausgezeichnet ihre Dienste selbst Edelleuten schmackhaft zu machen. Die Rugali waren ein derbes Primitivvolk, weit entfernt von den Schönheitsidealen der Zivilisation. Und ihre Hexen waren so ziemlich das übelste, was es an menschlichen Wesen gab.
Die schwarzen Augen der Rugali blickten ihn durchdringend an.
Sie hatte gemerkt, dass Malo nur noch schwach ihrem Einfluss unterlag.
Ein hässliches Grinsen zuckte über ihr Gesicht und ein zahnloser Mund offenbarte sich dem Ritter.
Malo vernahm das sirrende Geräusch im letzten Moment, so sehr war er gebannt von dem Anblick der Hexe. Aus den Augenwinkel heraus sah er, wie der Wirt ein langes Messer in die Luft schwang, um auf ihn einzustechen.
Er warf sich zur Seite und die Klinge des Messer bohrte sich in das Holz des Tresens.
Trotz Malos augenblicklicher Schwäche war der Wirt dem Ritter nicht gewachsen. Malo packte den feisten Mann in den Haaren und schlug den Kopf mit voller Wucht auf den Tresen.
Besinnungslos rutschte der Wirt hinter seinen Tresen.
Ein Blick in die Küche zeigte Malo eine erschrockene Hexe. Sie hatte fest mit seinem Tod gerechnet.
Malo fasste den Griff des Messers, zog ihn mit einem Ruck aus dem Holz, warf es hoch, fing es mit der Klinge wieder auf und schleuderte es in Richtung Rugali.
Die Hexe reagierte schnell, doch nicht so schnell, dass sie der Klinge gänzlich ausweichen konnte. Das Messer blieb in ihrer rechten Schulter stecken.
Spitz schrie sie auf, keifte und fluchte.
Malo wusste, dass sie nun ihre mächtigen Dämonen anrufen würde, oder gar den Bärengott, dem er, Malo vor einigen Jahren von den Rugali geopfert werden sollte. Nur mit Glück war er damals dem Tod entkommen.
Er sprang über den Tresen und fiel bei der Landung fast der Länge nach hin. Dabei stieß er sich seinen rechten Knöchel. Er stöhnte vor Schmerz auf, doch sein eiserner Wille zum Überleben gab ihm keine Chance der Zeitverschwendung.
Ein Tritt öffnete die Küchentür vollends. Der Griff zum Schwert dauerte nur eine Sekunde.
Die Rugali wankte vor ihm und brabbelte etwas in ihrer hässlichen Sprache.
Schatten tauchten die hellerleuchtete Küche in Dunkelheit.
Angst schnürte Malo die Kehle zu.
Die Hexe kreischte auf und streckte ihm ihre Krallenhände entgegen.
„Kerobingo, der Bärengott wird dich holen, Herobiker! Smagli, tugali, esgali, nogali, kuma, kuma!”
In seinem Magen explodierte etwas. Der Schmerz trieb ihm das Wasser in die Augen.
Er schrie.
Die Küche lag in schwarzer Agonie.
Malo wusste, dass er gleich in der Dimension des Bärengottes sein würde.
In der Dunkelheit gewahrte er das Leuchten von zwei kleinen Augen, ein Funkeln nur!
Da hob er mit letzter Kraft sein Schwert und schlug zu...
*
Das Erwachen brachte neue Qual.
Hunger und Durst. Seine Zunge hing wie ein Stück Pelz in der Mundhöhle.
Malo öffnete die Augen. Sie waren verklebt und so konnte er nicht richtig sehen. Mühsam bewegte er seine rechte Hand. Sie hielt das Schwert. Mit der linken wischte er sich über sein Gesicht.
Die Schwärze war verschwunden.
In der Feuerstelle prasselten die Flammen.
Stille.
Malo schaute sich um. Die Küche war leer, bis auf den Körper der Hexe. Der war auch nicht mehr vollständig.
Der Kopf lag einige Schritte vom Rumpf entfernt. Blicklos starrte der Schädel zur Decke.
Malo lauschte in sich hinein. Das Hungergefühl war da, aber es war ein normales Hungergefühl. Das spürte er. Der Zauber war verschwunden.
Schwankend erhob er sich und bewegte sich zum Gastraum.
Hier stank es immer hoch penetrant.
Die Anwesenden lagen kreuz und quer zwischen und auf den Tischen. Einige schienen verletzt. Der Wirt hockte stöhnend unter der Theke und hielt sich ein schmutziges Tuch vor die Stirn.
Malo drehte sich um und schlurfte zum Kopf der Hexe. Er packte ihn an den zerzausten Haaren.
„Fahr du zur Hölle, widerliches Biest.“
Mit leichtem Schwung warf er den Schädel in die Feuerstelle. Funken sprangen auf und das Feuer fraß seine neue Nahrung.
„Jetzt muss ich aber endlich etwas essen!“
Aber hier in diesem Wirtshaus würde er nichts mehr zu sich nehmen!
Er durchquerte den Gastraum und verließ ihn fluchtartig durch die Tür.
Ein neuer Tag brach an, die ersten Sonnenstrahlen fraßen sich durch die Baumwipfel.
Sein Pferd stand immer noch da, wo er es am Abend vorher stehen gelassen hatte.
Malo durchwühlte die Satteltaschen und fand noch einen Streifen Dörrfleisch. In der Feldflasche gluckerten noch einige Schlucke warmen Wassers.
Der Ritter biss herzhaft in das Dörrfleisch und ließ es sich, so weit dies bei Dörrfleisch möglich ist, auf der Zunge zergehen. Das warme Wasser genoss er wie einen frischen Wein.
Nach dem Mahl nahm er das Pferd und suchte sich in der Nähe des Hauses ein Gesträuch. Dort breitete er seine Satteldecke aus und verfiel in einen tiefen, traumlosen Schlaf.
Sein Pferd wachte bei ihm.
In einigen Stunden würde er seinen Ritt fortsetzen.
ENDE