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Herr Ferklzaan fliegt in Urlaub
Wie in jedem Jahr stand der ersehnte Sommerurlaub an. So auch im Hause Ferklzaan. Dieses Mal sollte es ans Meer gehen. Herr Ferklzaan freute sich schon lange auf Sonne, Wasser und ein schönes Hotel. Und nun war es soweit: Er stand im Zug, der ihn zum Flughafen bringen sollte. Stand? Nun ja, leider hatte Herr Ferklzaan es versäumt, eine Sitzplatzreservierung vorzunehmen und die erste Klasse, in der es genügend freie Sitzplätze gab, konnte er sich nicht leisten. So stand er nun also eingepfercht zwischen vielen, vielen anderen freundlichen Mitreisenden im Großraumwagen (der entgegen seines Namens gar nicht so groß zu sein schien) und schwitzte mit ihnen vor sich hin. Es war Mitte Juli und sehr heiß draußen ... und im Zug war es noch heißer, denn die Klimaanlage war nicht eingeschaltet oder funktionierte nicht. Der Koffer, der wegen Platzmangels unter seiner Handgepäcktasche zwischen seinen Füßen stand, trug noch zur erzwungenen Bewegungslosigkeit bei. Die meisten Sitzplätze waren durch zwei Schulklassen belegt, die kurz vor den Sommerferien noch einen kleinen Ausflug machten und sich aus Freude über dieses Ereignis pausenlos über die Sitze hinweg mit leeren Gummibärchentüten und anderen Gegenständen bewarfen ... natürlich begleitet durch lautes Herumkreischen. Es gibt einfach Tätigkeiten, bei denen ist lautes Herumkreischen ein Muss! Und das Bewerfen mit Gummibärchentüten gehört eindeutig dazu.
„Tja, Kinder!“, dachte Herr Ferklzaan mit mühsamem Grinsen. Schöne, unbeschwerte Jugend. Aber bis zum Flughafen waren es schließlich nur noch zwei Stunden und - er warf einen Blick auf die Armbanduhr eines sehr nahen Nachbarn - 46 Minuten. Das würde er schon irgendwie überleben. Irgendwie!
„Entschuldigung“, sagte eine Stimme dicht an Herrn Ferklzaans Ohr, „Dürfte ich mal eben durch? Es ist wirklich dringend ...“. Eine Frau, die im Umfang Herrn Ferklzaan um nichts nachstand, wollte offensichtlich zur Toilette, welche sich ganz auf der anderen Seite des Waggons befand. Herr Ferklzaan versuchte auf eine Art und Weise zur Seite zu rücken, die andere Mitreisende nicht gefährdete. Da geschah eines der großen Wunder des Alltags: Manchmal scheinen Zugwaggons eine Art Eigenleben zu entwickeln und sich um einige Zentimeter in die eine oder andere Richtung ausdehnen zu können. Nur durch dieses Wunder gelingt es auch den Schaffnern immer wieder, in den übervollen Waggons die Fahrkarten zu kontrollieren. Jedenfalls kam die Frau irgendwie an Herrn Ferklzaan vorbei. Er büßte nur einen Knopf seines Hawaii-Hemds dabei ein, aber das machte nichts, denn er hasste dieses Hemd sowieso. Nur gab es meist in seiner Größe nichts Anderes als diese bunten Dinger.
„Nochn Zentimeter näher und die Alte wäre jetzt Mutter gewesen“, sagte kichernd eines der Schulklassenmädels zu ihrer besten Freundin, die gerade eine Gummibärchentüte zusammenknüllte. Das hatte Herr Ferklzaan gehört und er warf dem unreifen Gör einen wirklich bösen Blick zu, unter dem sie förmlich erschauern musste. Die beste Freundin aber fand diesen uralten Spruch derartig witzig, dass sie ihn umgehend an die Mitschüler auf den Sitzen hinter sich weitererzählte. Von dort aus verbreitete sich das Erlebnis dann wie ein kleines Lauffeuer, so dass Herr Ferklzaan bei seiner Ankunft am Flughafen einen gewissen Bekanntheitsgrad im Waggon genoss und ihm viele Leute beim Aussteigen freundlich zulächelten.
Auf dem Flughafen musste sich Herr Ferklzaan entgegen seinen sonstigen Gepflogenheiten erst einmal körperlich ertüchtigen. Mit seinem Koffer im Schlepptau und seinem Handgepäck über der Schulter suchte er nach „Gate C“, von wo aus sein Flug starten sollte. Dazu waren nicht nur einige Längenmeter, sondern auch ziemlich viele Höhenmeter in beide Richtungen zu überwinden. Es ging mal treppauf, mal treppab, und da halfen einem Rollen unter dem Koffer auch nicht wirklich weiter. Auf den ellenlangen Fluren konnte man wenigstens auf so eine Art Fließband steigen, was einem das Vorwärtskommen sehr erleichterte. Bis er am „Gate G“ ankam, war Herr Ferklzaan nur zwei Mal gestolpert, weil er am Ende der Laufbänder beim „Absteigen“ ein wenig ungeschickt gewesen war. Aber nun hatte er es geschafft und stellte er sich in der Schlange vor dem Gate an. Zwanzig Minuten später legte er einer freundlich lächelnden Dame seinen Flugschein vor. „Das tut mir leid“, sagte die Dame und zeigte ihm ihre perfekten Zähne. „Sie sind hier am Gate G, aber sie müssen leider zum Gate C ... das ist zwei Stockwerke höher auf der anderen Seite der Halle.“ Ihr Gesicht nahm einen Ausdruck tiefen Bedauerns an und Herr Ferklzaan blickte verwirrt auf seinen Flugschein. ,Während der Suche nach einem Gate den richtigen Buchstaben zu vergessen ... typisch!‘ dachte er bei sich. Aber der Ärger währte nur kurz, dann gewann sein sonniges Gemüt wieder die Oberhand. Schließlich hatte er noch genügend Zeit. Trotz aller Widrigkeiten machte sich Herr Ferklzaan gut gelaunt auf den Weg zum Gate .... Moment ... ach ja: Gate C. Vielleicht würde er auf dem Weg dorthin noch ein kleines Croissant essen.
„Sie haben zwei Kilo Übergewicht“, sagte die nächste freundlich lächelnde Dame am Gate C. ,Zwei Kilo - schön wär‘s!“, dachte Herr Ferklzaan bei sich. Aber natürlich meinte die Dame seinen Koffer. „Da müssen sie 60 Euro Übergepäck bezahlen“, fuhr sie immer noch lächelnd fort. „Sie können aber natürlich auch etwas aus dem Koffer entnehmen, bevor sie einchecken.“ ,Eine tolle Idee!‘, dachte Herr Ferklzaan, ,Ich fange jetzt hier mit einer geschätzt 40 Meter langen Menschenschlange im Nacken an, meinen Koffer umzupacken.‘ „Ist schon gut“, sagte er dann laut zu den teuer überkronten Zähnen vor sich, „ich bezahl das.“ Herr Ferklzaans Gepäck machte sich auf den Weg in die Eingeweide des Flughafens und er selbst bekam von der Lächlerin einen Zettel in die Hand gedrückt. „Damit gehen sie jetzt bitte da vorne zur Info und entrichten die Gebühr. Danach können sie sich dort hinten in den Abflugbereich begeben. Einen guten Flug und einen schönen Urlaub wünsche ich Ihnen.“
Seufzend ergab sich Herr Ferklzaan in sein Schicksal. Zwischen „da vorne“ und „dort hinten“ klafften gefühlte drei Kilometer Raum. Warum war dieser Flughafen auch so riesig? Außerdem musste er sich mittlerweile auch tatsächlich ein bisschen beeilen, um seinen Flug nicht zu verpassen.
Als Herr Ferklzaan endlich (leicht außer Atem) einem freundlich lächelnden jungen Mann seinen Boardingpass übergeben und ins Flugzeug einsteigen konnte, hatte er bereits eine freundlich lächelnde Infoangestellte und den freundlich lächelnden Sicherheitsdienst hinter sich gebracht. Er hatte noch nie an einem Tag so extrem viele freundlich lächelnde Menschen gesehen und irgendwie gefiel ihm das.
Sitze in Flugzeugen sind nicht uneingeschränkt für King-Size-Menschen geeignet. Herr Ferklzaan fühlte sich in seiner Sitzgelegenheit leicht beengt. Noch schlimmer wurde es, als er den Versuch startete, sich anzuschnallen. ,Das kann doch wohl nicht ...‘, er zupfte und zerrte an seinem Gurt, aber der wollte und wollte einfach nicht länger werden. Mist, hier würde jetzt auch die schnellste Diät der Welt nichts mehr helfen. „Ääh, Frollein ...“, hilfesuchend blickte er eine in der Nähe stehende Flugbegleiterin an und gab ihr ein Zeichen, sich zu ihm hinunterzubeugen. „Der Gurt ist ... also ... irgendwie ... ich bekomm ihn nicht zu“, raunte er ihr ins Ohr. Mit einem gezwitscherten „Kleinen Moment“ richtete sie sich wieder auf. „Frau Flötenkönig!! ... Hallo, Frau Flötenkönig!! ... Hiehier!!“ Winkend machte die Flugbegleiterin ihre Kollegin am anderen Ende des Flugzeugs auf sich aufmerksam. „Bringen Sie mir doch bitte einmal einen Verlängerungsgurt für den jungen Mann hier.“ Dass sie „junger Mann“ gesagt hatte, schmeichelte Herrn Ferklzaan ein wenig. Aber das war auch schon das einzig Positive an der ganzen Situation. Mit hochrotem Kopf nahm er seinen Verlängerungsgurt entgegen und schnallte sich an. Nach dem Zug hatte er nun also auch im Flugzeug einen gewissen Bekanntheitsgrad erworben (wenn auch gänzlich unfreiwillig) und der sollte sich im Verlauf der nächsten Stunde noch steigern.
Nachdem das Flugzeug seine Reiseflughöhe erreicht hatte, machten sich Frau Flötenkönig und eine andere Flugbegeleiterin daran, Snacks und Getränke auszuteilen. Auch für Herrn Ferklzaan wurde es Zeit, sein kleines Tischchen herunterzuklappen ... wenn das denn möglich gewesen wäre. Er schielte auf seinen Sitznachbarn. Der hatte zwischen der Tischplatte und seinem Bauch sogar noch Platz. Herr Ferklzaan nicht. Ganz und gar nicht. Es war sogar eher so, dass der kleine Tisch in gefährlich aussehender Schieflage unterhalb von Herrn Ferklzaans Brust zu liegen kam. Der Sitznachbar blickte Herrn Ferklzaan an: „Sie können Ihre Sachen gerne bei mir mit ablegen.“ Soweit käme es noch! „Nein, nein“, sagte Herr Ferklzaan, „vielen Dank, aber es geht schon.“ Er zog den Bauch ein und drückte fest auf die Tischplatte. Na also! Zwar noch nicht ganz waagerecht, aber es würde schon klappen.
Die ersten fünfzig Tomatensäfte und Sandwiches waren verteilt und Herr Ferklzaan kam an die Reihe. „Was möchten sie trinken?“, fragte Frau Flötenkönig und reihte sich mühelos in die Gruppe der freundlichen Lächler ein. „Orangensaft“, sagte Herr Ferklzaan etwas atemlos und bekam das Gewünschte in einem kleinen Plastikbecher gereicht, den er vorsichtig auf seinem etwas zittrigen Tisch platzierte. „Ihr Sandwich mit Truthahn oder Käse?“, flötete Frau Flötenkönig. „Trthn“, kam die Antwort ein wenig gepresst. „Wie bitte?“ Frau Flötenkönig hatte nicht richtig verstanden. „Truthahn“, sagte Herr Ferklzaan nun etwas verständlicher. „Truthahn ist leider aus“, schaffte Frau Flötenkönig gerade noch zu sagen, bevor Herr Ferklzaans Körper sein Recht verlangte. Seine Lunge weigerte sich, sich weiterhin mit der wegen des eingezogenen Bauches ziemlich sauerstoffarmen Situation abzufinden und gab Befehl zu einem tiefen Atemzug. Herr Ferklzaans Tischchen schnellte nach vorne, der Becher mit dem Orangensaft beschrieb eine wunderschöne Kurve und landete auf dem Kopf der vor Herrn Ferklzaan sitzenden Frau.
Alles lachte. Die Frau vor Herrn Ferklzaan mal ausgenommen. Doch nach einigen Schrecksekunden und trotz des klebrigen Orangensafts in ihren Haaren fing auch sie an, albern zu kichern. Dann lachte auch Frau Flötenkönig, die es bis zu diesem Zeitpunkt noch geschafft hatte, einen dezenten Hustenanfall vorzutäuschen und schließlich lachte auch Herr Ferklzaan. So wurde es doch noch ein recht fröhlicher Flug.
In den folgenden Tagen genoss Herr Ferklzaan seinen Urlaub an der spanischen Küste. Das Hotel war eine Klasse für sich und ziemlich vornehm. An der Tür des Speisesaales stand ein Schild, dass Männer nur in langen Hosen zum Abendessen zu erscheinen hätten. Eine Maßnahme, die er gar nicht schlecht fand. Das wahrte ein gewisses Niveau.
Eines Tages, während Herr Ferklzaan genüsslich sein Abendessen verspeiste, hörte er eine Frau am Nachbartisch sagen: „Das Hotel sollte den Männern neben den kurzen Hosen auch die Achselshirts verbieten. Wenn sich so ein behaarter Kerl über das Buffet lehnt, ist das auch nicht eben appetitlich“.
Na holla? Aß die Dame sonst vielleicht in einem anderen Hotel zu Abend? Also dort wo Herr Ferklzaan war, gab es auch ziemlich viele Frauen, die sich nicht unter den Achseln rasierten und sich im Spaghettiträger-Top über das Buffet hermachten. Eine Frau zu sein, fand Herr Ferklzaan, machte einen in Punkto Bekleidung und Behaarung am Abendbuffet nicht automatisch sakrosankt. Seiner Meinung nach sollte man auf die Liste der beim Abendessen verbotenen Bekleidungsstücke vielleicht auch die von einigen Damen bevorzugten winzigkleinen Röckchen und Höschen aufnehmen, die derartig knapp waren, dass ein zweiter Lippenstift empfehlenswert gewesen wäre.
Grundsätzlich fand Herr Ferklzaan, dass Frau oder Mann darauf achten sollten, beim Essen (und nicht nur dort) Kleidungsstücke in der tatsächlichen Bekleidungsgröße zu tragen. Eine 52er Frauenfigur in einem bauchfreien 46er Top im Zusammenspiel mit dem einschneidenden Anblick einer neonfarbenen Radlerhose fand er genau so wenig appetitlich wie einen 130 kg schweren Mann, dem das T-Shirt gerade bis zum Bauchnabel reicht (vorne den Restbauch freibaumelnd über der hüfttief sitzenden Hose, hinten ein gut sichtbares Bauarbeiterdekoltee).
Aber auch schlanke Menschen waren in Herrn Ferklzaans Augen vor bösen Bekleidungssünden nicht sicher: Gelbe Hornhautfüße mit ungepflegten Fußnägeln in Flipflops, T-Shirts auf denen man die Speisefolge vom Vortag ablesen konnte, weiße Sommerhosen mit wüst gemusterten Slips darunter, die berühmte Kniestrumpf-Sandalen-Fraktion (besonders umwerfend in Kombination mit 3/4 – oder 7/8-Hosen), braune Bömmelchenslipper zu blauen Traningshosen mit der Steigerung, ein knallbuntes Hemd dazu zu kombinieren, in die Hose zu stecken und Hose dann bis kurz unter die Achseln hochzuziehen ... undsoweiterundsofort.
Außerdem hätte Herr Ferklzaan es noch wichtig gefunden, eine Empfehlung an alle auszusprechen, die den ganzen Tag am Strand lagen oder in der Sonne waren: Eine Dusche vor dem Abendessen tut der allgemeinen Appetitlichkeit gut und sorgt zudem für olfaktorische Freuden!
Aber wenn man das alles auf die Bekleidungsverbotsschilder der Hotels schreiben wollte, kämen die Leute vor lauter Lesen nicht zum Essen. Darum war Herr Ferklzaan der Ansicht, man solle es doch einfach bei langen Hosen für die Männer belassen.
Herr Ferklzaan lächelte vergnügt vor sich hin. Er holte sich noch eine kleine Zitronencreme zum Abschluss und schaute von seinem Tisch aus den Leuten zu. Die Zitronencreme schmeckte herrlich. Durch die Fenster konnte man das Meer sehen und die Sonne schien herein. Das würde noch ein wunderschöner Urlaub werden.