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Heile Welt
Perfekt. Mit diesem Gefühl erwachte Hal am Morgen. Und das nicht ohne Grund, er war rundum zufrieden. Der Geruch von Kaffee strömte ihm in die Nase. Melissa war so ein Schatz; er wusste, dass sie viel zu tun hatte. Dennoch stand sie früh auf, um ihm Frühstück zu machen.
Elanvoll schwang er aus dem Bett und betrachtete sich im Schlafzimmerspiegel. Auf seinem Gesicht zeichnet sich ein zufriedenes Lächeln ab. Das Leben konnte so schön sein.
Als er die Küche betrat, war der Tisch bereits gedeckt und der kleine William saß pappsatt in seinem Hochstuhl. Er dämmerte zufrieden vor sich hin.
„Da hatte wohl jemand einen anstrengenden Morgen“, sagte Hal und strich seinem Sohn sanft über den Kopf, bevor er sich setzte. Seine Hand tastete nach der Brusttasche seines Hemdes; dort hatte er sein Handy verstaut. Melissa schenkte ihm einen verärgerten Blick. Hal registrierte ihn, Hal hielt inne. Er wollte auf die Anzeige seines Handys sehen, so wie er es auch schon getan hatte, bevor er die Küche betreten hatte. Einen Augenblick lang fühlte er Hitze in sich aufkeimen. Er wollte auf das Display schauen, jetzt sofort. Stattdessen zwang er sich zu einem entschuldigenden Lächeln und hob beschwichtigend die Hände. Er wollte sich den guten Morgen nicht durch Kleinigkeiten, wie einen Verstoß gegen die Handy-Benutzungsregeln am Tisch, verderben lassen.
Melissas Gesicht hellte sich auf der Stelle wieder auf, dann fiel ihr Blick auf ihren Sohn. „Er hat einen Appetit für zwei“, sagte Melissa zufrieden und schenke ihrem Mann einen Kaffee ein. „Das muss er von seinem Vater haben.“
Hal genoss das Frühstück. Es gab einfach diese Tage, an denen alles passte. Er hatte gute Laune, er freute sich auf die Arbeit und den Abend darauf. Mit einem dicken Kuss verabschiedete er seine Frau und stieg in den Wagen, nachdem er freundlich den Nachbarn gegrüßt hatte, den er nicht leiden konnte.
Er kramte sein Handy aus der Tasche, steuerte sich zielsicher durch das Menu an die richtige Stelle und lächelte. „Perfekt“, sagte er sich wieder und fuhr los.
Nichts im Büro vermochte es, ihm die gute Laune zu nehmen und wenn etwas nahe dran war, dann genügte ein Blick auf die Anzeige seines Handys und es ging ihm wieder gut.
Also war er noch immer bestens gestimmt, als er nach einem langen und harten Arbeitstag zurück ins Haus kam. Melissa hatte ihn bereits erwartet und zog William die Jacke an.
„Da bist du ja endlich“, sagte sie. „Du hast das Essen verpasst und ich dachte schon ich müsste los, ohne dir wenigstens hallo zu sagen.“
Jeden Dienstag und Donnerstag trafen sich Melissa und der Kleine mit anderen Müttern und deren Kindern zu verschiedensten Aktivitäten. „Tut mir leid, war viel zu tun. Ich habe mich extra beeilt um euch noch zu erwischen“, sagte Hal und küsste seine Frau. Bald würde er allein sein, dachte er. Nun ja, nicht ganz.
„Das Essen steht im Ofen, brauchst es dir nur warm zu machen. Ich muss dann los, bis später.“
Die Tür schloss sich und der Wagen fuhr die Straße hinunter. Hal beobachtete den Wagen seiner Frau. Seine Aufregung wuchs ins Unermessliche. Er wollte losrennen, tun worauf er sich schon den ganzen Tag freute. Doch ein Teil seiner Selbst zwang ihn noch stehen zu bleiben, sich noch einen weiteren Augenblick in der herrlichen Vorfreude zu suhlen.
Dann ging er los, ganz langsam. Er öffnete die Kellertür mit dem Schlüssel, den er immer bei sich trug. Die Treppenstufen quietschten und knarrten. Er liebte das Geräusch und schritt gewollt langsam. Er wollte keine Sekunde verschwenden und jeder Schritt, jedes Knarren war eine kurze Ekstase. Er stellte sich vor, wie bedrohlich und Angst einflößend es wohl klingen mochte; wie er langsam näher kam, unaufhaltsam und unvermeidlich.
Unten angekommen öffnete er den Werkzeugschrank, er glitt mit den Fingern über Kneifzangen, Peitschen und Skalpelle.
Da war er, der Augenblick, auf den er gewartet hatte, seine Aufregung befand sich auf dem Höhepunkt. Es schauderte ihn, als er den Knopf unter der Werkzeugbank drückte, der das Schloss zum Hinterzimmer des Kellers öffnete. Im Halbdunkeln sah er bereits die Silhouette.
Sie wimmerte nicht. Sie war erschöpft, müde und hungrig. Das musste sie sein. Oder tot? Nein, das konnte sie nicht; er hatte sie an ein EKG angeschlossen. Auf die Idee war er besonders stolz. Es hatte ihn viel Internet-Recherche abverlangt, aber schließlich hatte er es geschafft, dass EKG-Gerät mit einem PC zu verbinden, der seinerseits Signale an sein Handy weitergab. So konnte er, wann er wollte den Herzschlag seines „Untermieters“ begutachten, was ihn sehr beruhigte. Ihr sollte schließlich nichts passieren.
„Hallo, meine Schöne“, sagte er und nahm eine Spritze von dem kleinen Wägelchen. Sie enthielt Adrenalin. Er mochte es nicht, wenn sie schlief oder bewusstlos war, während seiner Besuche.
Er betrachtete die junge Frau, sie hing an Ketten an der Decke, ihre Füße berührten nur knapp den Boden. Er begutachtete ihre Handgelenke. Sie waren aufgescheuert und Hal beschloss sie nachher (hinterher) zu behandeln. Er wollte schließlich nicht, dass sie unnötig litt. Dann rammte er ihr die Nadel in die Brust.
Sie zuckte und presste einen gequälten Schrei in das Klebeband an ihrem Mund. Hal schloss die Augen und genoss den Moment. Endlich, dachte er und begann.
Melissa stieg aus dem Wagen und nahm ihren Sohn vorsichtig auf den Arm. Wobei die Vorsicht nicht nötig war. Er hatte stundenlang mit den anderen Kindern im Park gespielt und selbst ein Erdbeben würde ihn nicht wecken, dachte sie, als sie die Tür aufschloss.
Sie brachte den Jungen ins Bett und machte sich auf die Suche nach ihrem Mann. Den fand sie schließlich vor dem Fernseher, zufrieden schlummernd. Sie schaute ihn einige Sekunden an, schaltete dann den Fernseher aus, nahm die leere Bierflasche vom Couchtisch und schaute noch einmal ihren Mann an, bevor sie in die Küche zurückging. Sie lächelte glücklich.
Der Wecker klingelte, Hal wachte auf. Es roch nach Kaffee, seine Frau war längst wach. Er fühlte sich schwer an, wie verkatert, müde, ausgebrannt. Und er hatte einen Bärenhunger.
„Guten Morgen, Schatz“, sagte Melissa, als er die Küche betrat. Er murmelte ein „Morgen“ und lächelte seine Frau anschließend entschuldigend an. Sie sollte sich nicht angegriffen fühlen, nur weil er noch nicht ganz wach war.
Also fragte er höflich, wie ihr Tag gestern gewesen sei und während sie begeistert erzählte, ging er im Kopf den gestrigen Tag durch, fragte sich, ob er nichts vergessen hatte. Die Tür abgeschlossen? Ja. Beruhigungsspritze? Ja. Wunden versorgt? Auch das. So ging er innerlich seine Checkliste durch, während er immer wieder nickte und hier und da ein erfreutes Lächeln oder ein „Toll“ einwarf, während seine Frau erzählte. Danach war er etwas beruhigter und fuhr mit merklich gebesserter Laune zur Arbeit. Während der Fahrt schaute er mehrfach auf sein Handy. Die Anzeige war in Ordnung. Sie schlummerte friedlich, er berührte zärtlich das Display und begann sich langsam auf den Donnerstag zu freuen.
Es war ein Schock für Hal, als er seinen stündlichen Blick aufs Handy wagte und statt des beruhigendem Herzschlags, eine Nulllinie sah. Er hätte noch eine Stunde im Büro sitzen müssen. Doch wie konnte er? Er musste zu ihr. So blass wie er war, fiel es ihm nicht schwer, seinem Chef einen Notfall in der Familie vorzugaukeln und brauste davon. Seine Gedanken rasten. Sie war tot, sagte ihm ein Teil seines Verstandes, doch er wollte es nicht wahr haben. Wobei die Alternative nicht besser sein würde. Konnte sie sich wirklich befreit haben? Er war doch vorsichtig gewesen, ist seine Checkliste durchgegangen. Hatte an alles gedacht, oder nicht?
Sonja lief. Jeder Schritt auf den Waldboden schmerzte, doch trieb sie nackte Panik voran. Sie drehte sich um. Sie hatte eben noch Schritte hinter sich gehört, da war sie vollkommen sicher. Und Rufe. Sie erinnerte sich vage die Treppe hoch gestolpert zu sein und auf einer Straße gestanden zu haben. Sie erinnerte sich an den Schmerz, den das Licht ihren Augen zugefügt hatte; es schmerzte selbst jetzt noch. Ein kleiner Teil ihres Verstandes fluchte und beschwerte sich, warum sie nicht in eines der anderen Häuser gerannt war. Warum war sie in schnurstracks in den angrenzenden Wald gelaufen? Weil sie es nicht fertig gebracht hatte auf eine der Türen zuzugehen. Diese Türen, sie sahen hier alle gleich aus und der Gedanke daran, was geschehen war, als sie das letzte Mal auf eine solche Tür zuging, hatte in ihr den Impuls zu rennen ausgelöst. Sie erstarrte, da waren wieder Schritte.
Wenn sie entkommen sein sollte, hatte Hal gedacht, dann würde er sie wieder einfangen. Doch in den Keller dürfte sie nicht mehr zurück. Das hatte sie sich verdorben und ihre Strafe würde ihr nicht gefallen.
Todesangst lenkte Sonjas Körper zwischen den Bäumen hindurch. Hinter ihre knackten Äste unter schweren Stiefeln. Jedes Mal wenn sie es hörte, hätte sie am liebsten laut aufgeschrieen. Sie wollte um Hilfe schreien, doch ihr Körper weigerte sich nur einen Ton preiszugeben. Zu oft hatte sie sich diesen Moment herbei gesehnt, hatte gebettelt und gebetet, dass man ihr half, ihr wenigstens eine Chance gab. Jetzt brauchte sie all ihre Kraft um zu laufen.
Sie konnte nicht weit kommen, das wusste Hal. Sie war schwach, voller Beruhigungsmittel und hatte seit mehr als zwei Wochen nichts richtiges mehr gegessen. Es gab keinen Grund in Panik zu verfallen.
Schmerz! Sonja wusste nicht in was sie getreten war, doch flammte ein übler stechender Schmerz ihr Bein empor. Nun schrie sie doch und stürzte auf den Waldboden. Sie spürte nicht mehr, wie etwas hart auf ihrem Hinterkopf schlug. Es wurde nur dunkel.
Und er hatte sie so gemocht, hatte Hal gedacht. Sie war anders als die anderen. Sie war nett gewesen. Er erinnerte sich gern an den Tag, als sie sich kennen gelernt hatten. Sie hatte seinen Sohn gemocht und von ihrer kleinen Schwester erzählt. Er hatte sofort gewusst, dass er sie mitnehmen musste.
Sonja schlug die Augen auf. Sie hatte keine Kraft mehr. Weder um sich zu wehren, noch um traurig zu sein oder nur um über irgendetwas nachzudenken. Sie sah aus dem Erdloch heraus, in dem sie lag und beobachtete die Schaufel, die Fuhre um Fuhre Erde in das Loch warf, während sich Leere in ihr ausbreitete und die Welt ein letztes Mal dunkel wurde.
Es hatte Hal wütend gemacht, dass nun alles vorbei sein sollte, dass sie sich nicht so betragen hatte, wie er es sich gewünscht hatte.
Doch nun war die ganze Wut einem Schock geglichen. Bei allen Szenarien, die er sich auf der Fahrt zurück ausgemalt hatte, dieses gehörte nicht dazu. Er stand in seinem Keller, den Schlüssel fest in der Hand und starrte auf das Regal, das genau dort stand, wo eigentlich die Tür zum Hinterzimmer hätte sein sollen. Er tastete nach dem Knopf unter der Werkbank und zuckte zusammen als er ihn drückte; doch nichts geschah.
Er zitterte am ganzen Leib und dachte für einen Augenblick sich übergeben zu müssen. Auf wackligen Beinen taumelte er zurück in die Küche, er wollte nicht, dass ihn seine Frau hier unten so sah und setzte sich auf einen Stuhl.
Seine Gedanken rasten, sein Verstand schaffte es aber nicht, ihm zu erklären was geschehen war. Entweder konnte er nicht oder er wollte nicht.
Die Tür zur Terrasse öffnete sich. Melissa kam hindurch und stellte etwas ab, bevor sie zur Spüle ging. Sie legte einen Schlüssel, der an einer Kette hing, auf die Ablage und wusch sich die Hände. „Du bist heute aber früh zurück, Schatz“, sagte sie fröhlich.
Hal starrte sie an, es kam kein Ton über seine Lippen.
Sie seufzte fröhlich, als sie sich zu ihm umdrehte. „Ich habe vorhin mit Barbara telefoniert, sie hat uns für heut Abend zum Essen eingeladen. Wir waren schon eine Weile nicht mehr bei den Beiden. Wird bestimmt nett.“ Sie ging auf Hal zu. „Manchmal kann ich gar nicht glauben wie gut wir es haben“, sagte sie und küsste ihm die Stirn. „Perfekt, eigentlich. Das sollten wir uns nicht kaputt machen.“