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Heckenschütze

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26.02.2003
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Heckenschütze

Eingegraben am Flussufer bin ich unsichtbar. Hier ist die vorderste Front. Der Feind ist auf der anderen Seite. Es gibt kaum eine Möglichkeit, noch näher an den Krieg heranzukommen. Meine einzige Verbindung zur Außenwelt ist der abgeschnittene Schaft eines Stiefels. Durch ihn atme ich. Durch ihn blicke ich. Durch ihn schieße ich.
Die Soldaten auf den Schlachtfeldern schießen, um zu verwunden.
Ein verwundeter Feind ist besser als ein toter, den Toten lässt man liegen, um den Verwundeten müssen sich zwei Mann kümmern.
Ich bin kein normaler Soldat. Meine Schüsse sollen niemanden verwunden. Meine Schüsse sollen töten. Um meine Opfer soll sich niemand kümmern. Meine Opfer sollen Angst verbreiten.
Ich bin da um die Unvorsichtigen zu töten.
Ich sehe sie, wenn sie sich bewegen.
Da ist ein Soldat, am anderen Ufer. Er sitzt außerhalb des Grabens und raucht.
Wie unvorsichtig. Seine Kameraden werden nicht den selben Fehler machen.


Ich nehme ihn ins Visier.
Kopf oder Herz?
Es gibt noch andere Alternativen. Ihn in die Niere zu treffen ist äußerst wirksam, er würde nicht sofort tot sein. Die moralischen Auswirkungen eines Todes in den Armen eines Kameraden sind nicht zu unterschätzen.
Ich schieße ihm in den Hals. Er stürzt rücklings in den Graben, aus meinem Blickfeld.
Ich warte ab, vielleicht ist noch einer leichtsinnig genug, seinen Kopf herauszustrecken.
Nichts, heute wird es keiner mehr wagen.

Die Erschöpfung zehrt an meinem Körper. Seit zwei Tagen habe ich nicht geschlafen, nicht gegessen, mich nicht bewegt. Ich erlaube meinem Körper zu ruhen. Später, im Schutz der Dunkelheit werde ich die Stellung verlassen, um zur Basis zurückzukehren und eine neue Position zu erhalten.

Geräusche wecken mich in der Dämmerung. Der Feind marschiert. Sie kommen über den Fluss. Die ersten haben das Ufer bereits erreicht. Es ist zu spät um mich zurückzuziehen. Ich liege still. Bewegung wäre mein Tod. Ihre Bewegungen sind ihr Tod. Ich sehe sie.
Sie suchen nach mir. Langsam arbeiten sie sich an mich heran.
Ich schieße. Eine Bewegung, ein Schuss. Mechanisch. Monoton. Ich darf sie nicht herankommen lassen. Bewegung, Schuss.
Es ist Dunkel. Ich schieße nicht mehr auf Menschen, nicht auf Soldaten, nicht auf Feinde. Ich schieße auf Bewegungen. Bewegung, Schuss.
Ich weiß nicht wie lange ich durchhalten werde. Bewegung, Schuss.
Irgendwann werden sie meine Position herausfinden. Bewegung, Schuss.

Da, es ist vorbei. Ich habe mich bewegt.

 

hi!

Porcupine hat mich ja offensichtlich verstanden. Der neue Absatz erfüllt seinen Zweck vollkommen. Gut so.
Aber ich will gern klarstellen, was ich gemeint habe:

Meine Schüsse sollen jedoch niemanden verwunden.

Bei einem Satz wie diesem würde ich erwarten, daß es um das niemand im Besonderen geht. Hier lag für mich der Widerspruch, denn es hieß ja nicht, daß bei anderen alle sterben würden.
wenn man sagt:

Meine Schüsse jedoch sollen...
dann betont man doch allein die Schüsse

und bei

Aber meine Schüsse sollen...
betont man auch den Gegensatz.
Im Ursprungssatz ist eben einfach nur eine Bedeutungsverschiebung, die mich stutzig machte. Es kommt bei einer Gegenüberstellung immer darauf an, was man gegenüberstellt. Man kann nicht Revolver mit Birnen vergleichen, Äpfel aber schon.

 

Ich nicke mal dienstfertig.
Nicht, daß ich deinen Ausführungen folgen könnte... ;)

r

 

Hallo Porcupine,
du hast beweist Talent, Respekt! Mir gefällt eine starke Verdichtung von Geschichten sehr gut, auch in diesem Fall.
Allerdings verhindern einige für mich unlogische Unstimmigkeiten eine Empfehlung der Geschichte.
Außerdem ist mE nicht das Erzielen von Spannung Intention der Geschichte, insofern solltest du dir vielleicht überlegen, ob das die richtige Rubrik ist; bin mir unschlüssig.
Stören tut mich z.B. das in der Geschichte entstehende "Feindbild". Einerseit sist da die grobe Fahrlässigkeit des getöteten Soldaten, andererseits, dass der Feind "marschiert".
Das erinnert mich an Formaldient. Würde er nicht bei einer gefechtsmäßigen Flussüberquerung auf Geräuschbildung, Auflockerung und Geländenutzung achten?
Wo sind die eigenen Truppen?
Warum bleibt der Geländevorteil des Flusses so sträflich unausgenutzt?
Warum zieht sich der Schütze nicht zurück? Dass er die Postition mit einem auf Einzelfeuer ausgerichteten Gewehr nicht halten kann, ist doch klar. Ein Absetzen oder Stillhalten ist zwar gefährlich, aber die einzige Möglichkeit zu überleben.

...para


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Meine einzige Verbindung zur Außenwelt ist der abgeschnittene Schaft eines Stiefels. Durch ihn atme ich. Durch ihn blicke ich. Durch ihn schieße ich.
Also: dein Heckenschütze ist "eingegraben". Warum hat er die Rückseite seines Erdbunkers (?) nicht frei gelassen?
Wir haben das beim Stellungsbau ähnlich gemacht.
Funktioniert das denn überhaupt, mit dem Stiefelschaft? Hört sich originell an, aber:
-Das Sichtfeld ist extrem beschränkt
-Kann das Leder wirklich den Belastungen des es umgebenden Erdreichs standhalten?
- Deckt sich das Anlegen einer solchen, gut ausgebauten Stellung mit der Doktrin der Beweglichkeit auf dem Schlachtfeld, die auch besonders für Scharfschützen gültig ist?

um den Verwundeten müssen sich zwei Mann kümmern.

Hier stört mich die genaue, bestimmte Angabe "zwei Mann".
Sag doch einfach allgemeiner, dass Verwundete ihre Kameraden beschäftigen. Eine genaue Zahlenangabe ist eh fehl am Platze.

Um meine Opfer soll sich niemand kümmern.
"Kümmern": falsch, schließlich wird sich auch um Tote gekümmert.
Anderes Verb verwenden, "versorgen", "helfen" etc. (s.o.)

Da ist ein Soldat, am anderen Ufer. Er sitzt außerhalb des Grabens und raucht.
Wie unvorsichtig.
Viel zu übertrieben kommt mir das vor.

Erinnere mich an eine Geschichte von meinem Großvater:
Lagen an der einen Seite einer Rollbahn, der Russe an der anderen. Bedrohung durch sowjetische Scharfschützen verhinderte, dass sie auch nur den Kopf über den Grabenrand heben konnten.
Kriegten Besuch von einem hochrangigen Offizier, den er verdächtigte, mit den Russen zu kooperieren.
Dieser stand in voller Größe auf, meinte: "Wovor habt ihr Angst?" und nichts passierte - dabei sind ja gerade Offiziere Primärziele!
Der nächste Soldat, der daraufhin nur den Kopf hob, wurde wieder erschossen.

Ich warte ab, vielleicht ist noch einer leichtsinnig genug, seinen Kopf herauszustrecken.
Nichts, heute wird es keiner mehr wagen.
Es fehlt der zeitliche Abstand.
Ein zweiter Schuss könnte seine Position verraten, warum bleibt er?

Bewegung wäre mein Tod.
Es ist nachts, und der Feind hat Sturmboote o.Ä. zu tragen und zu Wasser zu lassen.
Also warum?

Da, es ist vorbei. Ich habe mich bewegt.

Schwaches Ende. Selbst wenn er mit Schalldämpfer schießt (darauf sollte hingewiesen werden!), wie z.B. oftmals die tschetschenischen Rebellen - eine Bewegung im Erdbunker wird durch den Stiefelschaft nicht zu erkennen sein.
Allerdings weiß ich nicht, inwieweit das Mündungsfeuer bei Scharfschützengewehren gedämpft ist. Sicherlich nicht zu hundert Prozent, oder? Also: Licht in der Dunkelheit?

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo Para

freut mich, dass die die Geschichte gefallen hat. Ich werde versuchen die meisten deiner fragen zu beantworten.

Also: dein Heckenschütze ist "eingegraben". Warum hat er die Rückseite seines Erdbunkers (?) nicht frei gelassen? Wir haben das beim Stellungsbau ähnlich gemacht. Funktioniert das denn überhaupt, mit dem Stiefelschaft? Hört sich originell an, aber: -Das Sichtfeld ist extrem beschränkt -Kann das Leder wirklich den Belastungen des es umgebenden Erdreichs standhalten? - Deckt sich das Anlegen einer solchen, gut ausgebauten Stellung mit der Doktrin der Beweglichkeit auf dem Schlachtfeld, die auch besonders für Scharfschützen gültig ist?

eingegraben war vielleicht das falsche wort, eher mit lockerer erde und laub bedeckt.
Also, es mag sich um ein gerücht handeln, aber mir wurde bei meiner zeit beim heer das so beschrieben, dass die scharfschützen sich so tarnten und auch das mit dem abgeschnittenen stiefel, ich selber hatte leider nie eine solche ausbildung, als muss ich mich an erzählngen halten.
natürlich ist er beweglich, aber am ende ist er ja eingeschlafen und es ist zu spät sich zurückzuziehen.


Viel zu übertrieben kommt mir das vor. Erinnere mich an eine Geschichte von meinem Großvater: Lagen an der einen Seite einer Rollbahn, der Russe an der anderen. Bedrohung durch sowjetische Scharfschützen verhinderte, dass sie auch nur den Kopf über den Grabenrand heben konnten. Kriegten Besuch von einem hochrangigen Offizier, den er verdächtigte, mit den Russen zu kooperieren. Dieser stand in voller Größe auf, meinte: "Wovor habt ihr Angst?" und nichts passierte - dabei sind ja gerade Offiziere Primärziele! Der nächste Soldat, der daraufhin nur den Kopf hob, wurde wieder erschossen.

hhmm, da magst du recht haben, aber während ich händeringend nach einer erklärung suche, kommt mir der gedanke, der rauchende soldat war vieleicht gezwungen dort oben zu sitzen, ein gefangener, ein kamerad, der von der gegenseite als zielscheibe benutzt wurde ...ich glaub ich schreib ne geschichte was auf der anderen seite passiert ist...hab ich nicht gesagt, du bist ein ideenliferant :D

übrigens beneide ich dich um die erzählungen deines großvaters. meiner war auch in russland. aber er ist leider gestorben als ich noch klein war, er hätte bestimmt auch viel zu erzählen gehabt.


so, bevor ich jetzt auf jede kleinigkeit antworte, möchte ich noch sagen:
mir fällt auf, dass du bei "krieg" eine bestimmte art von krieg im kopf hast, nach der du beurteilst. ich will jetzt nicht behaupten, dass mit den umständen alles erklärt werden kann, (speziell das mit dem mündungsfeuer betrachte ich selbst als einen schwachpunkt) sondern, ich gebe in der geschichte nicht genug hinweise auf die strategien, truppenstärken usw, um solche fragen überhaupt aufzuwerfen. Auch finde ich das für diese Geschichte nicht wirklich wichtig. da sie ja keine historische relevanz hat, sondern einfach nur den Geisteszustand meines prot verdeutlichen soll. (in der ersten version hat er sich übrigens selbst umgebracht als die situation ausweglos wurde)

Porcupine

 

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