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Heckenschütze
Eingegraben am Flussufer bin ich unsichtbar. Hier ist die vorderste Front. Der Feind ist auf der anderen Seite. Es gibt kaum eine Möglichkeit, noch näher an den Krieg heranzukommen. Meine einzige Verbindung zur Außenwelt ist der abgeschnittene Schaft eines Stiefels. Durch ihn atme ich. Durch ihn blicke ich. Durch ihn schieße ich.
Die Soldaten auf den Schlachtfeldern schießen, um zu verwunden.
Ein verwundeter Feind ist besser als ein toter, den Toten lässt man liegen, um den Verwundeten müssen sich zwei Mann kümmern.
Ich bin kein normaler Soldat. Meine Schüsse sollen niemanden verwunden. Meine Schüsse sollen töten. Um meine Opfer soll sich niemand kümmern. Meine Opfer sollen Angst verbreiten.
Ich bin da um die Unvorsichtigen zu töten.
Ich sehe sie, wenn sie sich bewegen.
Da ist ein Soldat, am anderen Ufer. Er sitzt außerhalb des Grabens und raucht.
Wie unvorsichtig. Seine Kameraden werden nicht den selben Fehler machen.
Ich nehme ihn ins Visier.
Kopf oder Herz?
Es gibt noch andere Alternativen. Ihn in die Niere zu treffen ist äußerst wirksam, er würde nicht sofort tot sein. Die moralischen Auswirkungen eines Todes in den Armen eines Kameraden sind nicht zu unterschätzen.
Ich schieße ihm in den Hals. Er stürzt rücklings in den Graben, aus meinem Blickfeld.
Ich warte ab, vielleicht ist noch einer leichtsinnig genug, seinen Kopf herauszustrecken.
Nichts, heute wird es keiner mehr wagen.
Die Erschöpfung zehrt an meinem Körper. Seit zwei Tagen habe ich nicht geschlafen, nicht gegessen, mich nicht bewegt. Ich erlaube meinem Körper zu ruhen. Später, im Schutz der Dunkelheit werde ich die Stellung verlassen, um zur Basis zurückzukehren und eine neue Position zu erhalten.
Geräusche wecken mich in der Dämmerung. Der Feind marschiert. Sie kommen über den Fluss. Die ersten haben das Ufer bereits erreicht. Es ist zu spät um mich zurückzuziehen. Ich liege still. Bewegung wäre mein Tod. Ihre Bewegungen sind ihr Tod. Ich sehe sie.
Sie suchen nach mir. Langsam arbeiten sie sich an mich heran.
Ich schieße. Eine Bewegung, ein Schuss. Mechanisch. Monoton. Ich darf sie nicht herankommen lassen. Bewegung, Schuss.
Es ist Dunkel. Ich schieße nicht mehr auf Menschen, nicht auf Soldaten, nicht auf Feinde. Ich schieße auf Bewegungen. Bewegung, Schuss.
Ich weiß nicht wie lange ich durchhalten werde. Bewegung, Schuss.
Irgendwann werden sie meine Position herausfinden. Bewegung, Schuss.
Da, es ist vorbei. Ich habe mich bewegt.