Was ist neu

Heckenschütze

Seniors
Beitritt
26.02.2003
Beiträge
938
Zuletzt bearbeitet:

Heckenschütze

Eingegraben am Flussufer bin ich unsichtbar. Hier ist die vorderste Front. Der Feind ist auf der anderen Seite. Es gibt kaum eine Möglichkeit, noch näher an den Krieg heranzukommen. Meine einzige Verbindung zur Außenwelt ist der abgeschnittene Schaft eines Stiefels. Durch ihn atme ich. Durch ihn blicke ich. Durch ihn schieße ich.
Die Soldaten auf den Schlachtfeldern schießen, um zu verwunden.
Ein verwundeter Feind ist besser als ein toter, den Toten lässt man liegen, um den Verwundeten müssen sich zwei Mann kümmern.
Ich bin kein normaler Soldat. Meine Schüsse sollen niemanden verwunden. Meine Schüsse sollen töten. Um meine Opfer soll sich niemand kümmern. Meine Opfer sollen Angst verbreiten.
Ich bin da um die Unvorsichtigen zu töten.
Ich sehe sie, wenn sie sich bewegen.
Da ist ein Soldat, am anderen Ufer. Er sitzt außerhalb des Grabens und raucht.
Wie unvorsichtig. Seine Kameraden werden nicht den selben Fehler machen.


Ich nehme ihn ins Visier.
Kopf oder Herz?
Es gibt noch andere Alternativen. Ihn in die Niere zu treffen ist äußerst wirksam, er würde nicht sofort tot sein. Die moralischen Auswirkungen eines Todes in den Armen eines Kameraden sind nicht zu unterschätzen.
Ich schieße ihm in den Hals. Er stürzt rücklings in den Graben, aus meinem Blickfeld.
Ich warte ab, vielleicht ist noch einer leichtsinnig genug, seinen Kopf herauszustrecken.
Nichts, heute wird es keiner mehr wagen.

Die Erschöpfung zehrt an meinem Körper. Seit zwei Tagen habe ich nicht geschlafen, nicht gegessen, mich nicht bewegt. Ich erlaube meinem Körper zu ruhen. Später, im Schutz der Dunkelheit werde ich die Stellung verlassen, um zur Basis zurückzukehren und eine neue Position zu erhalten.

Geräusche wecken mich in der Dämmerung. Der Feind marschiert. Sie kommen über den Fluss. Die ersten haben das Ufer bereits erreicht. Es ist zu spät um mich zurückzuziehen. Ich liege still. Bewegung wäre mein Tod. Ihre Bewegungen sind ihr Tod. Ich sehe sie.
Sie suchen nach mir. Langsam arbeiten sie sich an mich heran.
Ich schieße. Eine Bewegung, ein Schuss. Mechanisch. Monoton. Ich darf sie nicht herankommen lassen. Bewegung, Schuss.
Es ist Dunkel. Ich schieße nicht mehr auf Menschen, nicht auf Soldaten, nicht auf Feinde. Ich schieße auf Bewegungen. Bewegung, Schuss.
Ich weiß nicht wie lange ich durchhalten werde. Bewegung, Schuss.
Irgendwann werden sie meine Position herausfinden. Bewegung, Schuss.

Da, es ist vorbei. Ich habe mich bewegt.

 

Ich empfinde den Text als sehr dicht und gelungen. Vor allem passt auch die Emotionslosigkeit sehr gut.
Ich finde allerdings, dass die letzten drei Sätze aus dem Rahmen fallen. Ich würde einfach schreiben:
Es ist vorbei.
Ich habe mich bewegt.

Auf keinen Fall den letzten Satz, dass ist viel zu sehr Erklärung.

Joh

 

Hallo Joh

danke für deine Kritik.

Ich werde den schluss jetzt mal so stehen lassen und abwarten ob es noch andere Meinungen dazu gibt.

Mit zuviel Erklärung hast du sicher recht, obwohl es auch zuwenig ist. Eigentlich wollte ich damit zum ausdruck bringen, dass er am Ende keinen Unterschied mehr macht. Er bewegt sich, also schiesst er auf sich selbst.
Das ist mir aber im Endeffekt nicht befriedigend gelungen.

 

Nein, dies kann so ja auch nicht funktionieren. Er kann sich selber als "bewegtes" Ziel ja auch nicht erkennen. Er kann immer nur von den anderen als Ziel wahrgenommen werden.
Ich weiß, was Du meinst, aber es funktioniert nicht. Selbst wenn er sozusagen von sich ein Stück Ärmel oder ähnliches sehen kann, würde er mit einem Gewehr nur schwerlich "unbewußt" auf sich schießen können bzw. sich nur schwerlich töten können. Daran scheitert m.E. Deine Grundidee.

 

Naja, eigentlich meinte ich ja auch nicht, er würde unabsichtlich auf sich schießen, sondern eher als Konsequenz darauf, das er sich bewegt hat. Bewegung bedeutet eben seinen Tod, den er dann selber herbeiführt anstelle das dem Feind zu überlassen.

 

Cool, porcupine:)

Ich dachte zuerst beim letzten Schuss auf den Gegner habe er sich bewegt und seine Position definitiv verraten. Aber nach deiner ersten Erklärung verstand ich; er bewegt sich und um nicht die Pein des Gegners ertragen zu müssen, schiesst er auf sich. Ein bisschen Unklar finde ich die Stelle schon auch. Und wie Joh sagt, ohne den letzten Satz ist die Story ebensogut, zwar ein bisschen 'anders', aber die Geschichte ist ja sonst wirklich gut.

Ich bin auch ein Fan von dieser kühlen, gefühlslosen Erzählweise, ist dir Absolut gelungen.

Vielleicht ist dies eine Alternative zum Schluss?:"Da, es ist vorbei. Es ist dunkel, sie sehen nur die Bewegung. Mich."
Geht natürlich nur, wenn du ihn nicht mehr Selbstmord machen lässt...

MfgVan

 

Hallo Van

Vielen dank für deine Kritik. freut mich, dass dir die Geschichte gefallen hat.

was hältst du von dieser Alternative für den Schluss:

Da, es ist vorbei. Ich habe mich bewegt. Eine feindliche Kugel bestraft mich für meine Unvorsichtigkeit.

Porcupine

 

Ja, tönt auch gut, dann bleibst du auch mehr beim Alten.:)

Das Wichtigste(mE) ist, dass du ihn nicht mehr Selbstmord machen lässt. Der Ort ist am Anfang so gut beschrieben (Stiefel), dadurch kann ich mir nur schwer vorstellen, dass er in der knappen Zeit nach dem Fehler das Gewehr in seinem Versteck umdreht, und was würde es ihm bringen...:rolleyes:

Van

 

Hi..

Mir gefallen beide Varianten, die ohne Selbstmord etwas besser. Allerdings möchte ich darauf hinweisen, daß er sich nicht bewegen muß, um wahrgenommen zu werden: Mündungsfeuer sieht man nachts sehr weit.

spricht
genumi

 

Hallo genumi

Ich tendiere langsam auch zur Version ohne Selbstmord ;)

Und, ich war eigentlich der Meinung, dass Heckenschützen sogenannte Mündungsdämpfer benutzen um das Müdungsfeuer zu eliminieren.

Porcupine

 

Hallo Porcupine!

Wow! Ganz schön packend, deine Geschichte! Die Gedanken dieses, auf das Töten programmierten Soldaten, sowie die dazu passende Atmosphäre hast du gut eingefangen. Kompliment!

Der Satz:

Ich schieße auf Bewegungen.
verdeutlicht perfekt die Abgestumpftheit deines "Helden" gegenüber seinen eigenen Empfindungen. Er redet sich ein, keine menschlichen Körper im Visier zu haben, sondern Ziele, denen man in Schießständen begegnet.

Sollte dein Prot. die Absicht gehabt haben, Selbstmord zu begehen, habe ich das schlichtweg überlesen. Für mich war klar (weiß nicht warum), dass er bei der Aktion ein Opfer der eigenen Unvorsichtigkeit wurde.


Ciao
Antonia

 

Hallo Antonia

vielen Dank für deine Kritik

Nun, der Selbstmord des Prot sollte eigentlich nur den Tod durch die Hände des Feindes vorwegnehmen. Obwohl ich dieses Ende noch einmal überarbeiten muss.

Porcupine

 

Hallo Porcupine!

Eigentlich haben meine Vorredner schon alles gesagt.

Mir persönlich gefällt die Version ohne Selbstmord besser. Und den Satz "Eine feindliche Kugel bestraft mich für meine Unvorsichtigkeit." würde ich weglassen, denn eigentlich ist das schon wieder zuviel Erklärung, derer es hier nicht mehr bedarf.

Insgesamt sehr dicht, sehr eindringlich.
Und bis auf den letzten Satz sehr stilsicher.

LG
Aragorn

 

also gut, auf drängen der Mehrheit wird der letzte Satz, ersatzlos gestrichen :D

 

Tolle Geschichte. Die Idee war einfach gut und die Umsetzung auch. Mir ist es beim Lesen direkt kalt den Rücken runter gelaufen (und das bei diesen Temperaturen). Gratuliere!

Mfg, Dreamcatcher

 

Hallo Porcupine!

Die Kürzung hat dem Text gut getan! Er hat m. E. dadurch an Tiefe gewonnen. Sehr gelungen! Mehr habe ich momentan nicht anzumerken.


Ciao
Antonia

 

Hi porcupine!

hier ist also die Kritik, die Du Dir dermaßen hart erarbeitet hast! Du hast es verdient und wirklich verdient und überhaupt... aber ob Du mich nachher noch magst, mußt Du entscheiden. Wenn Du es je getan hast... ??

Meine Schüsse sollen jedoch niemanden verwunden.

Mit dem "jedoch" hab ich ein logisches Problem.

Der Absatz davor ist einfach eine Beschreibung. Und Du willst dagegen angehen, für den Prot. Aber es klingt so "unlogisch"...
Meiner Meinung nach liegt es aber bloß an der Satzstellung

Meine Schüsse jedoch sollen...

Aber meine Schüsse sollen...

sonst ist die Betonung zu sehr auf "niemanden" anstatt auf verwunden... Du verstehst mich? Wenn nicht, dann bilde Dir beim Lesen ein, ich hätte es langsam geschrieben :D

Ich sehe sie, wenn Sie sich bewegen.
das große S halte ich für ein Gerücht.

Wie unvorsichtig, seine Kameraden werden nicht den selben Fehler machen.
ich würde nach den ersten 2 Worten einen Punkt machen. So als schön gelesene Kunstpause...

Später, im Schutz der Dunkelheit werde ich die Stellung verlassen, um zur Basis zurückzukehren und eine neue Position zu erhalten.
wirkt der Satz nur auf mich zu formell, im Vergleich zum Rest...

Sonst sehr schöne Geschichte! Ich will ja gar nicht meckern, nicht falsch verstehen.

Ich mag die Geschichte wirklich! Sie erinnert mich an die Borovski-Trilogie. Aber die war mir - im Gegensatz zu Deinem Text - zu langweilig.
Bei Dir stimmte das Volumen der Erklärungen. Man kann sich in ihn hineinversetzen und erlebt das Fehlen seiner Emotionen. Da ist nichts außer dem Wunsch nach Perfektion. Wohl durchdachte Tötungsmaschine.

Lieben Gruß,

Frauke

PS: ich kenne die alte Version nicht, aber so gefällt mir der Schluß!

 

Interessant, was hier für Schlußvarianten diskutiert werden.
Die aktuelle gefällt mir sehr gut. Sie überläßt es der Phantasie des Lesers, was nun geschieht.

Zur Geschichte selbst: Der Stil ist sehr packend. Der Inhalt aber ist eigentlich nur der Ausschnitt einer Geschichte: Wir erfahren nicht, warum der Erzähler auf Soldaten schießt, und es ist der Interpretation überlassen, ob er den Guten oder Bösen zuzuordnen ist. Er weckt unterschwellig verbotene Sympathie, weil seine Beweggründe wahrscheinlich starke Gefühle sind. Idealismus oder Rache.

Deswegen projiziere ich wahrscheinlich auch Emotionen in die formell emotionslose Sprache. Für mich kommt hier eine tiefe Verbitterung bzw. Wut zum Vorschein. Es reicht dem Erzähler nicht, zu töten oder die Effizienz der gegnerischen Soldaten zu schwächen (z.B. durch Verwundung), es muß unbedingt demoralisierend sein.

Die Geschichte gefällt mir gut, ich bringe es aber nicht fertig, sie als mehr als eine Fingerübung in Sachen "Heckenschützenperspektive" zu betrachten. Wäre das eingebunden in eine längere Erzählung, könnte es mich begeistern.

r

 

Geschrieben von arc en ciel
> Meine Schüsse sollen jedoch niemanden verwunden.

Mit dem "jedoch" hab ich ein logisches Problem.

Der Absatz davor ist einfach eine Beschreibung. Und Du willst dagegen angehen, für den Prot. Aber es klingt so "unlogisch"...
Meiner Meinung nach liegt es aber bloß an der Satzstellung

Ich sehe hier überhaupt kein logisches Problem, es wurde ja zuvor beschrieben, welche Vorteile das Verwunden hat. Das "jedoch" bildet den Gegensatz: Der Schütze will eben NICHT verwunden.

Was die Satzstellung damit zu tun hat, mußt du uns mal erklären.

r

 

na, also, auf Kritiken antworte ich ja immer noch selber ;)

erstmal, danke für eure Kritiken, relysium und arc

@arc

also, ich hab dich gemocht, und mag dich jetzt noch immer ;)

Zum Thema "jedoch" : nur das Wort allein zu ändern wäre meiner meinung nach nicht wirklich zielführend gewesen, ich habe den ganzen absatz ein bisschen umgeschrieben. ich glaube auf diese weise tritt klarer hervor, was der mann sagen will.

dann hab noch dank für die rechtschreibkorrekturen und ich bring die auch gern wieder mal ein besteck vorbei :D

@relysium:

nun, die Geschichte ist ein Ausschnitt, da hats du recht. ein Auschnitt aus irgeneinem x-beliebigem, sinnlosen krieg, wie es viel zu viele gibt. Der prot braucht keinen anderen grund auf diese männer zu schießen, als den, dass es feindliche soldaten sind. man befiehlt ihm und er gehorcht. Natürlich, vielleicht macht es ihm auch spaß, wie ein jäger spaß daran hat ein wild zu töten, aber im grunde ist es der befehl und seine Ausbildung die ihn dazu treibt das zu tun.

man könnte diese geschichte noch weiterführen, mehr vom krieg erzählen, warum er geführt wird, wie stark die seiten sind...ect. Ich habe mich darauf beschränkt das Schicksal einens Einzigen zu beleuchten, der das ende des krieges nicht erleben wird.

vielen dank nochmal, für eure konstruktiven Kritiken :)

 

Letzte Empfehlungen

Neue Texte

Zurück
Anfang Bottom