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Hallo Reeperbahn!

Monster-WG
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10.09.2014
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Hallo Reeperbahn!

Bin wieder mal da, total hippelig.
Ist wohl eine Macke, die mich auf diesem Pflaster überkommt. Dieses Aufgedrehte, Flattrige – wie zu Knabenzeiten, wenn man was Verbotenes tat. Oder in den Jahren vor der Scheidung. Aber jetzt? Vertraut mit dem Leben und allem, was dazugehört – und immer noch so eine Art schlechtes Gewissen, als ob’s der Herrgott nicht sehen dürfte? Ziemlich verrückt.
Rosi, Jennie, Gerti, Babette winken schon. Das tun die seit dreißig Jahren. Ich bin mittlerweile grau geworden, sie haben sich für andere Farben entschieden. Macht mir nichts, dass sie jedem winken.
Bei Gerti liefert der Chinese gerade Nasi mit Spiegelei – wer arbeitet, muss auch essen.
Ich muss erst was trinken.

Stunden später hab’ ich keine Lust auf die alten Freundinnen. Ehen erkalten, Eintopf erkaltet.
Lieber was Dunkles, Schokolade.

Heaven, was für ein Weib! Kommt direkt von Jamaika. Touristin, sozusagen im Gegenzug zu den vielen blonden Frauen besten Alters, die Jamaika wunderschön finden und am liebsten bei ihrem Rastalehrer am Strand wohnen, einfach und mit persönlichem Bezug.
Meine Jamaikanerin ist sehr freundlich zu mir – mütterlich, wie eine Bäckersfrau, beugt sie sich über mich und ich ersticke fast in ihren Brüsten.
Ich geh’ dann noch ein bisschen weiter, um auch die kleineren Gassen zu besuchen,
mit hundert Kneipen, stimmungsvoll und heiter, bunt wie ein Geburtstagskuchen.
Ich woge und ich dränge in der triebgetrieb’nen Menge.
Diese Nacht muss es bringen – jetzt oder nie. Da sind wir uns alle einig; denn morgen sind wir wieder zurück an den Orten unserer Qual: auf dem Eisenschiff, in der Fabrik, im dröhnenden Maschinensaal.
Dann schmerzt der Kopf – und das verprasste Geld. Da ist keiner, der uns tröstet und zu uns hält, der seine Hand auf die Schulter legt und sagt: Schiet drupp, kann doch passieren, dass man sich ungeliebt und unverstanden fühlt, dass man das eigene Grübelgesicht satt hat und sich mal was gönnen will.
Kann doch passieren, dass man nach all der Alltagskacke mal so richtig auf den Putz hauen will, wie es die Chefs tun; dass man eine Bestellung auf Großmannsweise über die Theke schmettert, bei jeder Runde mehr ausgeschmückt mit Brocken, die man bei der Seefahrt aufgeschnappt hat. Da weht die große Welt herein und lässt die eigene Person wachsen und immer origineller und interessanter erscheinen, bis der Schankkellner dieses Sprachgehäcksel nicht mehr versteht und in bestem Englisch zurückfragt, was denn nun wirklich gewünscht werde.
Das kann ich nicht wechseln, werde schadenfroh angeschaut und verliere augenblicklich Überschwang, Gönnertum und Sektlaune. Ernüchtert bin ich wieder einer in der Menge.

Für einen zweiten Besuch bei einer der Schönen aus Altona oder Afrika reicht es weder finanziell noch konditionell, wiewohl es nur zum Schmusen und Trösten gedacht wäre. Es ist schon spät – oder früh, doch hier auf der Wallstreet des Lebens sind die Nächte dehnbar.
Zwar ist die Luft raus – alles ging wieder mal viel zu schnell – doch die Antenne ist noch ausgefahren. Nach Spielerart will ich der Nacht noch etwas abgewinnen, irgendwas, um noch nicht zurückzumüssen zu all dem, was ich wenigstens für dieses Wochenende hinter mir lassen wollte.
Zu dieser Stunde ist „Ludowig“ die beste Adresse.

Wie ein gutes amerikanisches Frühstückslokal öffnet das Etablissement 4.00 Uhr, allerdings wird nur flüssiges Frühstück serviert. Die klassenlose Gesellschaft drängt und knubbelt sich am Tresen, wähnt sich noch am Leben. Die anderen am Rande, an den Tischen, könnten ebenso auf dem Mond sitzen, auf dem Mars, oder als tiefgefrorene Kügelchen durchs Weltall schweben – es wäre ihnen egal. Sie sind gekentert und ersaufen.

Ich kratze noch etwas Klimpergeld für ein großes Bier zusammen; diejenigen aber, die weniger oder gar nichts mehr haben, erspüren wie ein Trüffelhund den scheinbar Wohlhabenden und werfen sich ihm zu Füßen. Geschminkt wie ein Clown umfasst mich eine Vettel, fährt mit vibrierender Zungenspitze über ihre roten Gummientenlippen und verspricht mir den Himmel auf Erden, wenn ich ihr doch nur einen ausgeben würde, und ein Stiefbruder des Herrn Jesus Christus versucht, mich in die psychologische Mangel zu nehmen, indem er an Edelmut und Christenpflicht appelliert.

Das Gedränge nimmt zu und es wogt ein Meer von Leuten, die kein Rettungsboot aufnehmen möchte oder könnte. Ein quadratischer Kerl schwingt sich auf die Theke und will „Oh Shenandoah“ anstimmen, kracht stattdessen auf die Dielen, weil Schankkellner und Schwerkraft das so wollen.

Irgendwann schimmert zartes Hellgrau durch die Fensterscheiben – ein mysteriöses Licht wie die Ankündigung des Weltuntergangs, bedrohlich und einschüchternd. Die Gäste fühlen sich unbehaglich. Auch dieser letzte, sicher geglaubte Winkel wird sie verraten, preisgeben der immer heller werdenden Wirklichkeit. Ein Blick in den Spiegel wird sie vernichten.
Sie haben dem Leben nichts mehr zu sagen, und dem Tod wahrscheinlich auch nicht.
Einer aber begehrt auf. „Was ist das nur für ein Leben!“, sagt der Mann neben mir. Ein magerer Mensch um die Fünfzig; Tonsur und fettige Klamotten. Seine Brillengläser sind stark wie Teleskope, riesige Augen blicken mich an.
Er streckt die Hand aus und sagt „Ich bin Josef aus Tirol.“ Nein, er sei kein Schmarotzer, habe immer hart gearbeitet, bevor das mit den Augen passierte. Sein Beruf war Heizer.
Unter der Flagge Panamas sei er gefahren, als das mit der Kesselexplosion passierte und ihn fast das Augenlicht kostete. Die Reederei habe vergessen, für ihre Mannschaft die Krankenversicherungsbeiträge zu überweisen, also musste er den Notarzt von seinem Geld bezahlen, die Medizin, andere Ärzte – bis es eben nicht mehr ging. Und jetzt steht er hier, nimmt seine dicke Brille von der Nase, poliert sie noch einmal, hält sie hoch und sagt: „Für fünf Mark gehört sie dir. Ich will noch nicht nach Hause gehen müssen. Bitte!“
Ich bin betrunken, schaue ihn verständnislos an.
Wenn er mir seine Schuhe angeboten hätte, seine Jacke, sein Hemd – aber das eigene Augenlicht?! Will er die Welt nicht mehr sehen wie ein kriegsmüder Soldat, der sein Gewehr ablegt, das Bajonett, die Schulterklappen – in Erwartung des Erschießungskommandos? Wirft er sich nach einem letzten Schnaps vor den Zug?
Mir steigen Tränen in die Augen und die Welt wird unscharf und verschwommen. Ich weiß nicht mehr, ob ich ihn wirklich umarmt habe in plötzlich aufflammender Brüderlichkeit, oder eher aus Mitleid, oder ob ich das nur wollte.

 

Lieber Jose,

eine Geschichte aus dem Reich der Fischköppe, wie schön! Jaja, die Reeperbahn ... da trifft man echte Originale und viele Menschen, denen das Leben übel mitgespielt hat. Menschen, die aufgegeben haben oder aber versuchen, sich an irgendwem für die Schläge des Lebens zu rächen. Meist wird da nach unten getreten ... nicht immer schön, aber immer sehr intensiv.

Dein Text galoppelt da munter durch - ein Tourist, ein Konsument der Glitzerglitzerwelt. Die Gestalten gleiten vorüber, für das Menschliche und Mitmenschliche bleibt da wenig Zeit. So ist sie eben, die große Freiheit.

Ich als Leserin hätte mir gewünscht, an einem Punkt oder an einer Figur etwas länger zu verweilen, etwas mehr zu erfahren ... aber so ist es nicht auf St. Pauli. Hier muss jeder selber sehen. Und so lässt mich dein Text ein wenig ratlos, aber doch mit einem sehr realen Bild vor Augen zurück.

Viele Grüße

Willi

 

Hallo josefelipe,

ich habe diesen Text gestern schon einmal gelesen und dachte, puh, erstmal sacken lassen. Auch jetzt, nach dem zweiten Mal, muss ich sagen: Ich weiß nicht so recht. Du zeichnest ein trostloses Bild einer in sich abgeschlossenen kleinen Welt, die vom Leben enttäuschten Menschen eine trügerische Zuflucht bietet - natürlich nur gegen Bares. Sich selbst und ihr Leben verleugnend, gehen sie darin auf, ein Teil der Menge zu sein, fokussieren ihr Leben auf diese eine Nacht, als gäbe es kein Morgen. Dabei sind die anderen keine Brüder, sondern Geier; jeder ist sich selbst der nächste. Deine poetische Art zu Schreiben unterstreicht hier die Trostlosigkeit, wird nur gelegentlich unterbrochen von humoristischen Querschlägern, wie der mit dem Quadratschädel, der auf die Dielen kracht (weil Schankkellner und Schwerkraft es so wollen - genial :D ). Der halbblinde Josef steht exemplarisch für jede gescheiterte Existenz, die ihr letztes Hemd hergeben würde für eine weitere Stunde der Betäubung in dieser grellbunten Welt der Zerstreuung.

Alles in Allem ist es eine Geschichte, die (zumindest mir) keinerlei Wohlfühlfaktor bietet, keinen positiven Fixpunkt, an dem ich mich festhalten kann. Das heißt, es gibt zwei Möglichkeiten: Entweder ist dieser Effekt gewollt oder ich habe die Geschichte nicht verstanden.

Zum Schluss noch etwas, das mir beim zweiten Durchgang aufgefallen ist: Ich habe in Deinem Text auf relativ engem Raum ein paar Reime entdeckt:

Ich geh’ dann noch ein bisschen weiter,
um auch die kleineren Gassen zu besuchen,
mit hundert Kneipen, stimmungsvoll und heiter,
bunt wie ein Geburtstagskuchen.
Ich woge und ich dränge
in der triebgetrieb’nen Menge.
denn morgen sind wir wieder zurück
an den Orten unserer Qual:
auf dem Eisenschiff, in der Fabrik,
im dröhnenden Maschinensaal.
Das kann doch kein Zufall sein!

Liebe Grüße!

Kassiopeia

 
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Hallo Josefilipe,

ich habe deine Story sehr gerne gelesen!

Sie enthält für meine Begriffe eine gehörioge Portion von Täuschung. Und das ist eine große Kunst! Den größten Effekt in deiner Story trägt der Titel. Der wirkt wie eine gute Verpackung! Er ist das einzige "lesenswerte" bzw. sehenswerte an der Geschichte. Ich kriege oft solche Gespräche mit: "Ich war in Hamburg dieses Wochenende"! - "Und warst du auf der Reeperbahn?" Hättest Du jetzt über den Strich im Hamburger Stadtteil St.Georg geschrieben, wäre die Wirkung von deiner Story ganz anders. Niemand kennt den Strich und die Laufhäuser in St.Georg, obwohl es dort in jeder Hinsicht für alle Geschmäcke "richtig" zu Sache geht, es nciht so touristisch oder plakativ ist. In St.Georg findet jeder was für sich! Wirklich jeder! Du schreibst aber nicht über St.Georg, sondern über die Reeperbahn! Mit diesem Titel wertest Du nicht nur die Story, sondern vor allem deinen Protagonisten/Erzähler auf. Die ganze Welt kennt die Reeperbahn, das Polizeirevier etc. Auf der Reeperbahn gibt es im Gegensatz zu St.Georg keine Kinderprostitution, keine drogensuchtige Prostituierten. Auf den Straßen der Reeperbahn geht es etwas "sauberer" zu. Unter diesem Umstand ist man als Leser bereit, eine gewisse Sympathie für den Erzähler/Protagonisten aufzubringen. Hätte er eine andere Wahl getroffen, z.B. St. Georg, wäre die Geschichte aus der Sicht eines Ottonormal-Lesers nicht mehr so "lesenswert". Aus meiner SIcht aber viel spannender!

Jetzt zu deinem Erzähler: Ich sehe vor mir eine sprachgewandte (!!!) Persönlichkeit eines undefinierbaren Alters, Geschlechtes, Berufes! Ein Inkognito! Mich irritierte fortwährend, dass dein Erzähler oder Erzählerin überdurchschnittlich für die nächtliche Uhrzeit und seinen gesellschaftlichen Status "gut" darauf ist. Letztendlich kenne ich die Leute, die da auf der Reeperbahn ihre "Runden" drehen, von einer ganz anderen Seite. Hier haben wir aber mit so einer Art Nietzsche zu tun, einem Philosophen, der auf der Reeperbahn nach Kuschelneinheiten sucht! Warum nicht eigentlich?

Aus meiner Sicht ist diese Verschmelzung eines Reeperbahn-Nietzsche-Besuchers mit der Erzählerinstanz "nicht" ganz nachvollziehbar! Ich habe diesen Trick nicht durchschaut, was Du damit gewinnen wolltest... Dein Erzähler begeisterte mich mit seinen Eigenschaften als Beobachter und Erzähler, meine Vorstellungskraft weigerte sich aber, mir diese Person vor Augen zu führen! Inkognito halt!

Ich mag, wie Du schreibst, die Details, bestimmte Momentaufnahmen, Gedankengänge! ABER... Das Beste an der ganzen Story ist und bleibt nur der Titel. Wie "Roten Laternen" mit ihren Mädchen ihre Freier anlocken, lockte mich wirkungsvoll dein Titel an: hinter dem Titel verbarg aber leider nur ziemliche Ereignislosigkeit und Ödnis. Die Ödnis der Reeperbahn! Das gefällt mir sehr!

Viele Grüße,
Herr Schuster

PS Ach ja, im Titel fehlt ein Komma!

 

Hallo josefelipe,

ich habe einige Jahre meines Lebens in St. Georg und einigen Teilen (Nebenstraßen) der Reeperbahn verbracht. Insofern kann ich sagen: Gute Milieustudie. Angerührt hat mich aber nur eine Stelle:

wiewohl es nur zum Schmusen und Trösten gedacht wäre
das wirst du in diesen Orten nicht finden. Man liest/hört ab und zu, dass Küsse nicht gewährt werden. Für Emotionen ist in diesem Geschäft kein Raum und manche Absteiger, die menschliche Nähe suchen, müssen feststellen, dass selbst ihre Banknachbarn merklich distanziert sind. Die Reeperbahn ist einer der einsamsten Orte der Welt, die ich kennengelernt habe - aber ich kenne nicht viel.

Du kratzt ein wenig an der Obefläche und es scheint kurz etwas tieferes durch, aber das ist schnell vorbei. Ich weiß nicht, ob diese Geschchte noch ausgebaut werden kann, da ich auch nicht erkenne, welche Intentionen du verfolgst.

Liebe Grüße

Jobär

 
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Hola Bas,

Habe die Geschichte gerne gelesen und mich damit auseinandergesetzt, ...
Das höre bzw. lese ich immer am liebsten.
... werde auch nochmal drüberlesen, für den Fall, etwas verpasst zu haben.
Dass Du etwas verpasst hast, glaube ich nicht. Ich habe alles so geschildert, wie es war: Die Szene mit Josef spielte sich tatsächlich so ab – und auch sonst gibt es keinen doppelten Boden.
Wenn Du mir allerdings schreibst, dass ich Potential verschenkt habe, dann haben wir beide etwas verpasst:
... dass du dabei eine Menge Potenzial verschenkst.
In diesem
Meer von Leuten, die kein Rettungsboot aufnehmen möchte oder könnte
gibt es mit Sicherheit unzählige erzählenswerte Geschichten, ...
Ja, die gibt es ganz bestimmt; meine Kapazität reichte leider nur für eine;).

... tauche ich ein in die Gedankenwelt eines Kerls, der mich trotz seiner feinen Beobachtungsgabe einfach nicht für sich einnehmen kann.
Sollte der Autor versuchen, seinen Prot so sympathisch darzustellen wie nur irgend möglich? Ich weiß es wirklich nicht. Ich lass ihn so über Huren denken, wie ich und vermutlich der Rest der Welt über Huren denkt: Es ist ein Beruf.
In einer früheren Geschichte („Puffbesuch“) hatten wir schon einmal eine Debatte über dieses Thema – und das führte auch zu nichts).
Das liegt zum einen sicher an seinem mehr als fragwürdigen Umgang mit der Frauenwelt ...
Ich muss einschränkend dazusagen, dass die Geschichte zu DM-Zeiten spielt – da waren Menschenhandel und diese ganze Scheiße noch kein Thema. Damals wie heute kann eine Hure viel Geld verdienen, wenn sie – wie in jedem anderen Beruf – gut ist; wenn sie aber für einen Zuhälter oder zur Finanzierung ihrer Sucht anschafft, dann sieht’s trostlos aus. Vielleicht schreibe ich zum Ausgleich mal etwas über LIDL-Frauen (Ich will dem Wallraff nur nicht die Schau stehlen.)
... , weil er zu wenig aus seiner Beobachterrolle ausbricht.
Sein Problem ist, allein zu sein. Ich hab mal was geschrieben („Oktopus“) über den unsichtbaren Kokon, der sich über zwei oder mehr Leute stülpt, obwohl sie sich an einer heißen Adresse befinden. Unser Prot hingegen muss die Beobachterrolle annehmen – was bleibt ihm anders übrig?
... hier fehlen mir einfach die Emotionen.
Ich kann Deinen Standpunkt verstehen, doch für mich ist der Kiez emotionslose und empathiefreie Zone.

Am Ende, als der Josef auftaucht, überkommt mich nochmal die Hoffnung, dass gleich etwas passiert - aber dann ist es auch schon wieder vorbei.
Tja, eine herbe Enttäuschung:shy:. Ich weiß mir keinen Rat – mehr habe ich nicht zu verkaufen. Obschon ich dachte, Josefs Misere würde reichen für eine kleine Geschichte.
Trösten wir uns mit der Tatsache, dass sie wahr ist.

Lieber Bas, Deine Kommentare sind mir wichtig, denn wie sonst sollte ich andere Ansichten kennenlernen? Hab Dank dafür und viele Grüße!

José

 

Hola Willi,

danke für Deine Meinung zum Reeperbahn-Ausflug. Durch Deine Geschichte „Im Wind“ hast Du Dich ja als Fachfrau für dieses Spezialgebiet geoutet.
Haste nett gesagt, dass der Text nicht so Dein Fall ist. Ist auch ein undankbares Sujet, und ich habe mich dort zu Fahrenszeiten nie wohlgefühlt – aber Landgang ohne die scharfe Ecke wäre nur eine halbe Sache gewesen.

Ich als Leserin hätte mir gewünscht, an einem Punkt oder an einer Figur etwas länger zu verweilen, etwas mehr zu erfahren
An einem Punkt zu verweilen geht nicht, die Unrast treibt einen weiter, man könnte ja was verpassen. Jedoch ist der Leser von Anfang bis Ende mit der Figur unterwegs – ob es amüsiert, ist eine andere Frage.

Alles Gute und einen schönen Start in den Frühling!
José

 

"Aaaaauf der Reeeeeperbahn nachts um halb eins"!!:Pfeif:

Yo, José!

Ein stimmiges Ambiente der Verlierer, verkrachten Typen, gescheiterten Romantiker und hoffnunglosen Loser hast du uns da präsentiert.
Ich muss sagen, dass die Reeperbahn und der Kiez mittlerweile wesentlich besser und niveauvoller sind als ihr Rotlicht-Puff-Bordell-Ruf - hab ich mir jedenfalls von meinen Hamburger und Schleswig-Holsteiner Freunden sagen lassen.
Dennoch passen deine Kneipen-und Alkohol-Eskapaden sehr deutlich in das Bild, das man landläufig vom Milieu hat.

Rosi, Jennie, Gerti, Babette
Süß! Einfach süß - das du deinen Bordsteinschwalben (wenn's welche sein sollen!) so rustikale Namen gegeben hast. Ich fürchte, es ist den ethnischen Zwängen, demografischen Entwicklungen oder auch einfach nur der organisierten Kriminalität geschuldet, dass die Damen heutzutage wohl eher Pseudonyme wie "Natalja", "Oksana", "May-Ling" oder "Adriana" tragen. Ein netter Anachronismus, den du da gewählt hast.

Bahmie mit Spiegelei
"Bahmie"- was'n das für'n Scheiß?! Ich kenne vom Chinesen allenfalls "Bami Goreng" - und das isst man doch nicht mit Spiegelei!! WÜRG! Sei ein lieber Hombre und mach meinetwegen Rindfleisch süß-sauer oder Krupuk daraus!:D

kann doch mal passieren, dass man sich ungeliebt und unverstanden fühlt, dass man das eigene Grübelgesicht satt hat und sich mal was gönnen will.
Kann doch mal passieren, dass man nach all der Alltagskacke mal so richtig auf den Putz hauen will, wie es sonst nur die Chefs tun;
Hey, Michelangelo - du "malst" zuviel!!;) Das erste und dritte "mal" würde ich wegen der stilistisch gewollten Wiederholung drin lassen - die beiden anderen würd ich rauskloppen!

[...]und die Welt wird unscharf und verschwommen.
Na, dann käme ihm doch die Teleskop-Brille vom "Anton aus Tirol" ganz gelegen, oder?!:lol::rotfl:

Ein melancholisch-nostalgisches Bild gescheiterter Existenzen und billiger, fusel-induzierter Traumfassaden hast du da gezeichnet, José!

Hat mir gut gefallen und ich hab's gern gelesen.

Grüße vom EISENMANN vom "Eisenschiff";)

 

Lieber josefelipe,

ich hab mich mal wieder von dir an die Hand nehmen lassen und bin dir in eine Welt, die ich nur, aber wirklich nur vom Hörensagen kenne. Und da glaube ich, dass du ein zuverlässiger Reiseführer bist, ein Insider, der hinter den glitzernden Lichtern auch das Schäbige, Verlorene, Unerfüllte erfahren hat. Daher die Melancholie, die ich durchaus nachvollziehen kann. Es ist eben eine Grunderfahrung, die was mit der Endlichkeit des Lebens zu tun hat, egal in welchem Milieu.

Es gefällt mir auch, dass du deine Anteilnahme für die Gestrandeten in poetischen Bildern zeigst, nicht moralisierend, sondern mitfühlend.

In einem muss ich Eisenmann zustimmen. Ich hätte auch gedacht, dass die heutigen Mädchen internationaler daherkommen, insgesamt das Geschäft auf der Reeperbahn härter, unpersönlicher und kommerzialisierter abläuft.

Ich gehe dann noch ein bisschen weiter, um auch die kleinen Gassen zu besuchen

Wahrscheinlich sind es diese Ecken, die nostalgischen Glanz über das Elend legen. Und hier finden sich auch echte Szenen der Brüderlicheit, nicht ausgedacht, sondern erlebt.

Warum kommt mir immer Toulouse-Lautrec in Sinn? Das muss ein Verwandter von dir sein.

Siehst du, so bringst du mir Weltläufigkeit bei. Danke.

Auf in den Frühling ( der mich melancholisch macht)
wieselmaus

 

Lieber josefelipe,

ob das mit wirklicher Wirklichkeit zu tun hat, was und wie du beschreibst? Kann ich nicht beurteilen, bin aber skeptisch.
Was allerdings fast keine Rolle spielt, denn dein Erzählen gleitet so leicht und beschwingt, gedankenvoll und -verloren dahin, dass ich einfach gerne mitkomme durch dieses wundersam gedachte St. Pauli. Und diese und jene Bedenken sehr leicht beiseite schiebe. Dazu ein paar Kleinigkeiten wie

triebgetrieb’nen Menge
die zusätlich freuen :-).

Feine Sache, wenn mir auch ein bisschen was fehlt. Vielleicht ein besonderes Wiedererkennen, mehr vom Tiroler oder irgendwas, das mich hinter eine der Oberflächen schauen lässt. Allerdings habe ich auch an deiner Skizze, so wie sie ist, ein großes Vergnügen.

Viele Grüße,

Eva

 

Hola Kassiopeia,

vielen Dank für Deine Gedanken zum Text. Da hast Du in der Tat gründlich gelesen:

Ich habe in Deinem Text auf relativ engem Raum ein paar Reime entdeckt
Das kann doch kein Zufall sein!
Das ist wirklich kein Zufall, weil der erste Teil dieser älteren Story (aus DM-Zeiten) in Gedichtform geschrieben war – aber damit können wir bei den WKs nichts anfangen. Da ich’s trotzdem ganz neckisch fand, hab ich einiges so gelassen.

Ansonsten hast Du die Geschichte treffend erklärt und ich kann nur sagen, dass ich es nicht besser hätte machen können:).

Alles in Allem ist es eine Geschichte, die (zumindest mir) keinerlei Wohlfühlfaktor bietet, keinen positiven Fixpunkt, an dem ich mich festhalten kann.
Ja, leider ist es so. Wer sich in dieses Milieu begibt, hat nichts zu lachen. Ich hatte den Hoppla-Titel gewollt über diese traurigen Gefilde gestellt, denn der klingt so schön optimistisch – und dann so etwas!

Das heißt, es gibt zwei Möglichkeiten: Entweder ist dieser Effekt gewollt oder ich habe die Geschichte nicht verstanden.
Auch auf die Gefahr hin, ich wäre schwer von Begriff, kann ich keinen Widerspruch entdecken. Für mich passt es so, weil ich mir das so gedacht hatte.

Kassiopeia, danke nochmals und baldige erste Frühlingstage!

José

 

Hi josefelipe,

Das ist wirklich kein Zufall, weil der erste Teil dieser älteren Story (aus DM-Zeiten) in Gedichtform geschrieben war

Ich habe ja größten Respekt vor Menschen, die Gedichte schreiben können. Ich versuche das gelegentlich, aber bei mir klingt es eher nach "Reim-Dich-oder-ich-fress-Dich". Deine Verse gefallen mir richtig gut, weil sie natürlich klingen und nicht so, als hättest Du sie mit Gewalt in die Reime gepresst.

Auch auf die Gefahr hin, ich wäre schwer von Begriff, kann ich keinen Widerspruch entdecken. Für mich passt es so, weil ich mir das so gedacht hatte.

Das glaub ich eher nicht, dass Du schwer von Begriff bist. Der Titel hat mich wohl irre geführt, denn er kommt irgendwie gutgelaunt rüber. Ich habe mich gefragt, ob ich alles richtig interpretiert habe, weil ich nie auf St. Pauli gewesen bin, oder in einem vergleichbaren Viertel. Bin halt ein Landkind ;)

LG Kassiopeia

 

Hola jobär,

ich danke Dir für Deinen Post. Du triffst mit dem ersten Pfeil ins Zentrum:

Die Reeperbahn ist einer der einsamsten Orte der Welt, die ich kennengelernt habe
Ja – traurig, aber wahr. Zum Kontrast hab ich das fröhliche ‚Hallo Reeperbahn’ drüber geschrieben. Diese Gegend ist nur für Touristen und Besoffene lustig.

Du kratzt ein wenig an der Oberfläche und es scheint kurz etwas tieferes durch, aber das ist schnell vorbei.
Auch hier liegst Du richtig. Im Nachhinein hab ich mich selbst geärgert, nicht ein richtiges Drama, sondern nur ein Foto gemacht zu haben. Soll mir eine Lehre sein.

Ich weiß nicht, ob diese Geschchte noch ausgebaut werden kann, da ich auch nicht erkenne, welche Intentionen du verfolgst.
Es ist eine alte Geschichte; Auslöser war der echte Anton aus Tirol. Da ließe sich sicherlich mehr draus machen, aber nach meiner Seefahrerzeit in den Sechzigern hat’s mich nie mehr dorthin gezogen.
Intentionen? Die sind leider nicht mehr zu erkennen. Das ursprüngliche Thema war der arbeitende Mensch, der dann und wann die Schnauze voll hat und mal so richtig die Sau rauslassen will – und danach so gefrustet ist wie vorher. Ich habe wohl zu viel gestrichen, um in den Rahmen einer KG zu passen. Mein Fehler.

Lieber jobär, da hab ich wieder was gelernt – die finale Klugheit lässt noch auf sich warten.
Schöne Grüße!
José

 

Hola Herr Schuster,

erst einmal bitte ich um Nachsicht, weil ich in der Reihenfolge der Kommentare durcheinander gekommen bin. Werde es sofort wiedergutmachen.

Vielen Dank für Deine ausführliche Betrachtung meines Textes. Du bist ja ein echter Insider – da komme ich natürlich nicht ganz mit. Die Probleme mit und in St. Georg sind mir bekannt, jedoch nur aus zweiter Hand. ‚Meine’ Reeperbahn ist beinahe fünfzig Jahre alt, so aus der Zeit nach Hans Albers, aber bevor statt mit Fausthieben die Machtfrage mit Messer und Revolver geklärt wurde.

Jetzt zu deinem Erzähler:
Persönlichkeit eines undefinierbaren Alters, Geschlechtes, Berufes! Ein Inkognito!
Findest Du? Ein Mann – auf jeden Fall, Beruf uninteressant, denn wozu brauchen wir das? Alter?
Josefelipe: schrieb:
Rosi, Jennie, Gerti, Babette winken schon. Das tun die seit dreißig Jahren. Ich bin mittlerweile grau geworden, ...
Na ja, so ungefähr kann man sich das ausrechnen;).

Mich irritierte fortwährend, dass dein Erzähler oder Erzählerin ...
Warum Erzählerin? Warum so kompliziert? Der Fall ist doch klar:
Josefelipe: schrieb:
Ernüchtert bin ich wieder einer in der Menge.
... überdurchschnittlich für die nächtliche Uhrzeit ... und seinen gesellschaftlichen Status "gut" darauf ist.
Was ist ‚gut drauf’? Een beten angetüdert oder schon halb duhn? Die Uhrzeit sagt nicht viel, eher das Trink-Tempo – und auch was er trinkt, selbstverständlich. Und: Hat er vorher oder zwischendurch bei ‚Futtern wie bei Muttern’ sich was zwischen die Kiemen geschoben oder süffelt er auf nüchternen Magen (müsste besser heißen: auf leeren Magen:)).
Was es mit dem gesellschaftlichen Status auf sich hat, erschließt sich mir leider nicht. Ein Zahnarzt kann unter Umständen mehr saufen als ein Schauermann.

Aus meiner Sicht ist diese Verschmelzung eines Reeperbahn-Nietzsche-Besuchers mit der Erzählerinstanz "nicht" ganz nachvollziehbar! Ich habe diesen Trick nicht durchschaut, was Du damit gewinnen wolltest...
Danke, dass Du mir die Finesse zutraust, auch mit Tricks zu arbeiten. Ich weiß gar nicht, ob ich das könnte. Hier jedenfalls bin ‚ich’ über den Kiez spaziert, war mal hier und auch mal da; habe erzählt, was ich gesehen habe – kann jedoch nicht garantieren, ob und wie meine Optik alles erfasst hat, weiß auch nicht, wie viel ich bis zum Aufschreiben schon wieder vergessen habe. Aber eines steht fest:
Josefelipe: schrieb:
Ich bin betrunken, schaue ihn verständnislos an.
Also ist der Ich-Erzähler gar nicht so gut drauf, wie es Dir schien:shy:.

... meine Vorstellungskraft weigerte sich aber, mir diese Person vor Augen zu führen! Inkognito halt!
Das finde ich nicht so schlimm, schließlich ist das Normalzustand auf St. Pauli.

... hinter dem Titel verbarg aber leider nur ziemliche Ereignislosigkeit und Ödnis. Die Ödnis der Reeperbahn! Das gefällt mir sehr!
Einen lebhaften und interessanten Kommentar hast Du mir geschickt. Hab Dank, unsere Wege kreuzen sich sicherlich bald wieder!

José
PS.:

Ach ja, im Titel fehlt ein Komma!
Ich glaube, das ist so ein Fall 'kann / muss nicht'. Komma ja, wenn beim Nomen ein Adjektiv steht:teach:.

 
Zuletzt bearbeitet:

Hola Eisenmann,

gut informiert bist Du:

Ich muss sagen, dass die Reeperbahn und der Kiez mittlerweile wesentlich besser und niveauvoller sind als ihr Rotlicht-Puff-Bordell-Ruf ...
Das sehe ich auch so. Das war wohl ein Fehler, die Geschichte nicht deutlicher zeitlich zu verorten; allein das Brillen-Kaufangebot von fünf Mark war offensichtlich nicht genug.

Rosi, Jennie, Gerti, Babette
Süß! Einfach süß
Ja, so hießen sie damals. Lang, lang ist’s her.

"Bahmie"- was'n das für'n Scheiß?! Ich kenne vom Chinesen allenfalls "Bami Goreng" - und das isst man doch nicht mit Spiegelei!! WÜRG! Sei ein lieber Hombre und mach meinetwegen Rindfleisch süß-sauer oder Krupuk daraus!
Soy un hombre amablemente: Jetzt liefert der Chinese Nasi Goreng. War eine doppelte Gedankenlosigkeit von mir: Das erste Chinalokal lag zwanzig Meter von der Davidwache entfernt, ein paar Stufen runter, konkurrenzlos billig – und wenn das Geld knapp war durch die Unkosten, die nächtens eben so anfallen, dann bekam man dort noch ein Nasi oder Bami, und beides mit Spiegelei – das schwöre ich! Bahmie ist (war) die holländische Schreibweise, ist wohl ein Überrest aus meiner Amsterdamer Zeit. Ich schreib auch Kroepoek:shy:.

Hey, Michelangelo - du "malst" zuviel!! Das erste und dritte "mal" würde ich wegen der stilistisch gewollten Wiederholung drin lassen - die beiden anderen würd ich rauskloppen!
Brutaler Kerl! Aber das sehe ich ein – hab’s geändert.

[...]und die Welt wird unscharf und verschwommen.
Na, dann käme ihm doch die Teleskop-Brille vom "Anton aus Tirol" ganz gelegen, oder?!
Weiß nicht so recht. Da wären immerhin noch reichlich Promille, die eine klare Sicht verhindern.
EISENMANN vom "Eisenschiff"
Das überleg Dir besser zweimal. Ich sah ja durchs Kombüsen-Bulleye die armen Kerle Rost klopfen, schleifen, kratzen – dann Mennige drauf, zweimal Farbe. Und wenn das Schiff hinten fertig war, fing’s vorne wieder an. Nee, lass ma.

Lieber Eisenmann, ich danke Dir für Deinen Kommentar, freut mich, weil Du immer gut drauf bist.
Beste Grüße!
José

 

[...] Rost klopfen, schleifen, kratzen – dann Mennige drauf, zweimal Farbe.

Verdammt, hast du mich etwa beim Duschen beobachtet?!:D

 

Hola José,

deine Geschichte, ein typischer José, hätte ich beinahe geschrieben. Pralles Leben, richtig aus dem Leben gegriffen, das ich in dieser Form zwar nicht so kenne, aber mich dennoch direkt hineindenken kann. Sehr gut!

Dann so etwas:

Heaven, was für ein Weib! Kommt direkt von Jamaika. Touristin, sozusagen im Gegenzug zu den vielen blonden Frauen besten Alters, die Jamaika wunderschön finden und am liebsten bei ihrem Rastalehrer am Strand wohnen, einfach und mit persönlichem Bezug.
Meine Jamaikanerin ist sehr freundlich zu mir – fast mütterlich, wie eine Bäckersfrau, beugt sie sich über mich und ich ersticke fast in ihren Brüsten.

Nie bin ich "richtig" auf See gewesen, schon gar nicht monatelang. ABER: Wäre ich es gewesen, ich hätte mir genau das auf Landgang gewünscht!

Für einen zweiten Besuch bei einer der Schönen aus Altona oder Afrika reicht es weder finanziell noch konditionell, wiewohl es nur zum Schmusen und Trösten gedacht wäre.

Und gleich geht's wieder auf den kalten Kutter. Da fühle ich mit, genauso würde es mir ergehen, wahrscheinlich!


Bis dahin ist es für mich Mileustudie. Sehr gut gemacht. Kann mich reinfühlen und habe es gern gelesen.

Aber dann kommt das:

Einer aber begehrt auf. „Was ist das nur für ein Leben!“, sagt der Mann neben mir. Ein magerer Mensch um die Fünfzig; Tonsur und fettige Klamotten. Seine Brillengläser sind stark wie Teleskope, riesige Augen blicken mich an.
Er streckt die Hand aus und sagt „Ich bin Josef aus Tirol.“ Nein, er sei kein Schmarotzer, habe immer hart gearbeitet, bevor das mit den Augen passierte. Sein Beruf war Heizer.
Unter der Flagge Panamas sei er gefahren, als das mit der Kesselexplosion passierte und ihn fast das Augenlicht kostete. Die Reederei habe vergessen, für ihre Mannschaft die Krankenversicherungsbeiträge zu überweisen, also musste er den Notarzt von seinem Geld bezahlen, die Medizin, andere Ärzte – bis es eben nicht mehr ging. Und jetzt steht er hier, nimmt seine dicke Brille von der Nase, poliert sie noch einmal, hält sie hoch und sagt: „Für fünf Mark gehört sie dir. Ich will noch nicht nach Hause gehen müssen. Bitte!“
Ich bin betrunken, schaue ihn verständnislos an.
Wenn er mir seine Schuhe angeboten hätte, seine Jacke, sein Hemd – aber das eigene Augenlicht?! Will er die Welt nicht mehr sehen wie ein kriegsmüder Soldat, der sein Gewehr ablegt, das Bajonett, die Schulterklappen – in Erwartung des Erschießungskommandos? Wirft er sich nach einem letzten Schnaps vor den Zug?
Mir steigen Tränen in die Augen und die Welt wird unscharf und verschwommen. Ich weiß nicht mehr, ob ich ihn wirklich umarmt habe in plötzlich aufflammender Brüderlichkeit, oder eher aus Mitleid, oder ob ich das nur wollte.

José, da hats mich geschmissen! Aber sowas von !!! Ganz toll gemacht. Egal, man kann sicherlich diese Textpassage sezieren, gucken, ob hier ein Wort falsch, ein Satz zuviel bla bla bla, was auch immer ...

Es ist mir unter die Haut gegangen. Vom Einfall her toll, von der Umsetzung (für mich) genial. Fast schon sehe ich den Mann vor mir und ahne, dass er mich nicht sehen kann, der Arme!

Wirklich ein großer Moment! Vielen Dank! Das ist ganz großes Kino!

Freegrazer

 

José,

ich mach es immer so: Lese mir die Geschichte, schreibe meinen Kommentar. Erst danach lese ich die anderen Kritiken und die Antworten dazu.

Habe ich gerade gemacht. Und was muß ich lesen: Die Geschichte mit Josef war wahr!

Jetzt gruselt es mich wirklich!

Gruß, Freegrazer (dem solche Erlebnisse im Leben bisher gottseidank erspart blieben)

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo josefelipe,

ich habe nun deine Geschichte zum zweiten Mal gelesen und finde "mein St. Pauli" in dieser Geschichte nicht wieder. Ich habe mich laufend während des Lesens gefragt, in welcher Zeit das spielen soll.

Der Aufhänger, also der Titel verheißt zuviel des Lokalkolorits, das du dann leider nicht lieferst.
Ich vermute mal, dass du nie dort gewesen bist oder wenn, dann nur arg kurz.

Trotzdem hat mir diese Geschichte ein bisschen gefallen und zwar, losgelöst von dem Ort, in dem du es angesiedelt hast. Es ist eine melancholische Geschichte eines Getriebenen, der aber bereits in seiner Erzählung sich darüber im Klaren zu sein scheint, wie vordergründig, wie unnütz das ist, was er tut.
Dass er trotz dieser Erkenntnisse nicht anders kann, als sich so zu benehmen, macht ihn wiederum sympathisch.
Wenn ich diese Geschichte loslöse von dem etwas zwanghaft gewolltem Lokalkolorit, dann komme ich also mit ihr gut klar.

Sollte es, ich habe die vorangegangenen Kritiken und deine Antworten darauf nicht gelesen, dir aber unbedingt darum gegangen sein, die Reeperbahn darzustellen, dann würde ich dir an dieser Stelle einiges um die Ohren pfeifen, weil du nicht mal ansatzweise richtig liegst.
Das erspar ich dir aber hier, weil ich erst deine Antwort abwarten möchte, um mich nicht umsonst ins Zeug zu legen für mein St. Pauli. :D

Trotzdem hier ein bisschen Textkram, der mir auffiel:

Meine Jamaikanerin ist sehr freundlich zu mir – fast mütterlich, wie eine Bäckersfrau, beugt sie sich über mich und ich ersticke fast in ihren Brüsten.
Zweimal "fast".

Das kann ich nicht wechseln, werde schadenfroh
Das kann ich nicht wechseln? Was meinst du inhaltlich mit dieser Aussage. Was kann der Protagonist nicht wechseln? Mir kommt es so vor als fehlte dort etwas.

Schönen aus Altona oder Afrika reicht es

Das gefällt mir aus zweierlei Gründen nicht. Zum einen ging es ja im vorangegangenen Text um eine Jamaikanerin und für mich ist der Hinweis des Protagonisten, dass sein Geld nicht für ein zweites Mal reicht, so zu verstehen, dass er am liebsten nochmals zur Jamaikanerin möchte. Das ist aber nicht Afrika. Mir fehlt also entweder ein Zwischenschritt, dass ich erfahre, dass der Protagonist auch gerne Huren aus Afrika aufgesucht hätte oder du formulierst es etwas anders. So muss ich ja denken, der Prota glaubt, Jamaika liegt in Afrika. :D

Der zweite Punkte ist Altona. St.Pauli ist nicht Altona!

https://de.wikipedia.org/wiki/Bezirk_Hamburg-Mitte


Altona grenzt an St. Pauli und die dort befindliche Reeperbahn. Aber wenn dein Protagonist nun eine Hure in Altona hätte aufsuchen wollen, wofür sein Geld nicht reicht, dann ginge es garantiert nicht mehr um den Straßenstrich oder um einen Bordellbesuch, sondern um mehr oder weniger Einzeletablissements in irgendeiner Wohnung. Ich finde, auch in solchen an sich Nebensächlichkeiten muss man als Autor korrekt bleiben. Mich stört jedenfalls diese Ungenauigkeit.

Wenn er mir seine Schuhe angeboten hätte, seine Jacke, sein Hemd – aber das eigene Augenlicht?! Will er die Welt nicht mehr sehen wie ein kriegsmüder Soldat, der sein Gewehr ablegt, das Bajonett, die Schulterklappen – in Erwartung des Erschießungskommandos? Wirft er sich nach einem letzten Schnaps vor den Zug?
Hier erörterst du dem Leser etwas, was der Leser sich selbst schon gedacht hat. Ich halte daher diese Passage für überflüssig.


Lieben Gruß

lakita

 

Hallo josefelipe,
weil ich die Reeperbahn nur in touristischen Klischees kenne, kann ich die Authentizität Deiner Geschichte kaum beurteilen. Was mir aber gefallen hat, war die Fahrt durch das Nachtleben, auf der sich zwar keine Eindrücke vertiefen, vielmehr sprachlich treffend charakterisierte Bilder aufblitzen, um dann gleich wieder zu verschwinden, aber dennoch eine Atmosphäre spürbar wrid der suchenden, verzweifelten und gefallenen Nachtschwärmer. Für meinen Eindruck ergibt sich also weniger eine Geschichte als eine atmosphärische Studie. Da ist eine ganz lose Handlung und am Ende wirkt dann tatsächlich der etwas tiefer gehende Blick auf den sehbehinderten Tiroler berührend, weil er sich von der allgemeinen Milieuschilderung abhebt.
Wie lakita hat mich die Passage dann mit Jacke, Hose und Hemd gestört. Vielleicht deshalb, weil ich es als zu stark kontrastiert empfand im Vergleich zur Vogelperspektive vorher und dann die genaue Darstellung der Überlegungen? Ich weiß es nicht aber jedenfalls empfand ich es als Bruch zum Erzählton.
Im Bezug auf die genaue Recherche eines Settings muss ich ebenso lakita zustimmen. Man könnte den Text aber ohne weiteres allgemein titulieren und auf ein x-beliebiges Vergnügungsviertel beziehen. Aber, wie gesagt, mich als Süddeutschen hat das nicht gestört. Da ist St. Pauli allerdings auch ne Ecke weg und man kennt das nur vom Hörensagen.
Herzliche Grüße
rieger

 

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