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- 23.02.2005
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Halbes Register
Ihre Finger spreizten sich zum letzten kraftvollen Akkord, der sich stürmend durch das ganze Kirchenschiff bis zum Hauptaltar hin drängte. Dem abebbenden Ton lauschte sie heute jedoch nicht hinterher, sie versuchte vielmehr, mit ihrem Atem ihre klammen Hände anzuwärmen.
Elena war mit sich zufrieden. Die Gesangsstücke für den Sonntagsgottesdienst liefen ihr gut von Händen und Füßen, die meisten musste sie nur kurz auffrischen.
Sie war alleine im Münster; um diese Jahreszeit flanierten keine Touristen durch das gotische Bauwerk. Menschen, die diesen Ort zum beten aufsuchten, ließen offensichtlich nach.
Sie freute sich auf die Verabredung mit Marit im Ristorante.
„Lass‘ dich drücken!“ Die Umarmung war herzlich und vertraut.
Ich komme nicht darauf, wann wir uns das letzte Mal gesehen haben, Elena. Boah, wie kalt deine Wangen sind!“
„Einiges vor Corona jedenfalls“, erwiderte sie, „ich war im Münster, da gibt es keinen Pizzaofen wie hier.“
„Sag‘ nur, du spielst immer noch die Orgel?“
„Ja.“
„Ich sag‘s dir, ich bin so froh, dass ich dem Verein den Rücken gekehrt habe. Endgültig war das für mich klar, nachdem unser Bischof erst scheinheilig alle Missbrauchstäter verurteilte und dann rauskam, dass er selbst einer von denen war. Davon abgesehen, was ich an Kirchensteuern spare.“
„Es ist nur wegen der Orgel, Marit, glaub‘ mir. Ich bin so unglaublich glücklich, wenn ich sie spiele. Ich finde das ja auch zum Kotzen, was da alles mit den Missbrauchsgeschichten immer und immer wieder aufgedeckt wird und wie sich alle der Verantwortung entziehen.“
Sie blickte ernst in Marits Augen.
„Puhhh … aus dem Dilemma kann ich dich nicht befreien. Lass‘ uns mal kurz was bestellen, ich hab‘ Kohldampf.“
Kurz darauf stießen sie mit Rotwein auf ihre alte Freundschaft an.
„Wie geht‘s deiner Familie?“ fragte Marit.
„Alles beim alten. Papa geht noch zum Fischen, Mama kann wie gehabt die Fünf im Haushalt nicht grade sein lassen: Wenn ich sie besuchen gehe, sieht es immer aus wie frisch geputzt und gewienert.“
„Also alles gesund? Wie schön. Sag‘ einen lieben Gruß, wenn du sie siehst. Was mich aber noch mehr interessiert: Neues an der Männerfront?“
„Ach Marit … seit Florian immer noch tote Hose.“
„Das ist doch jetzt auch schon … zwei Jahre her?“
„Fast drei. Ich frag‘ mich manchmal, ob meine Entscheidung richtig war, so schlecht war es doch nicht mit ihm.“
„Komm, hör auf! Ich muss dich nicht ernsthaft an unsere ewigen Telefongespräche erinnern, bei denen du mir die Ohren voll geheult hast? Über den denk‘ bitte nicht mehr nach.“
„Corona hat ...“
„Corona kann man nicht alles in die Schuhe schieben, meine Liebe. Auf der Empore jedenfalls lernt man keine Männer kennen.“
„Da hast du allerdings Recht. Und bei dir?“
„Nach wie vor viel Stress im Job. Mit Straßer, dem Personalchef, hatte ich letzte Woche ein Meeting. Der will mich jetzt in den Außendienst stecken. Ich hab‘ da keinen Bock drauf und das habe ich ihm auch gesagt. Ich bin am Überlegen, ob ich wieder hierher zurück kommen soll, mir gefällt es in der Großstadt auch nicht mehr wirklich gut. Es hält mich nichts, außer der Arbeit. Und die wird eben auch nur schlechter.“
Marit tupfte mit ihrem Zeigefinger am weichen Wachs der Kerze, die zwischen ihnen stand.
„Und mit den Männern?“
„Männer? Schwierig. Ich hab‘ da einen Ingenieur durch Tinder getroffen, ich sag‘s dir, Vollkatastrophe. Der hat nur von seinem Hund erzählt. Dann hab‘ es es noch mit Marlon probiert, der ist Koch in dem Sternerestaurant am Marktplatz. Auf dem Foto hatte er sicher 10 kg weniger. Gut, das wäre noch okay gewesen, aber der hatte nie Zeit, wenn ich sie hatte. Ich probier‘s jetzt mal bei einer seriösen Online-Agentur. Mal sehen, was da passiert.“
„Siehste, dir geht es ja auch nicht besser, Empore hin oder her. Ob wir mit unseren Mitte 30 noch einen Deckel finden?“
Elena dachte auch am nächsten Morgen noch über den Abend mit Marit nach.
In einer Stunde musste sie los zum Gottesdienst. Sie ließ einen Kaffee durch, als das Handy brummte. Stadtpfarrer Storz, der die Messe halten sollte, schrieb ihr, dass er sich gerade positiv auf Corona getestet hätte. Er würde versuchen, kurzfristig Ersatz zu organisieren, sie solle mal davon ausgehen, dass die Messe stattfinden würde.
Elena war über den Optimismus von Pfarrer Storz amüsiert. Wo wollte der innerhalb einer Stunde einen anderen Pfarrer herbekommen?
Wie gewöhnlich war sie zwanzig Minuten vor Beginn des Gottesdienstes an der Orgel, um sich noch mit ein paar Akkorden einzuspielen.
Sie sah schemenhaft von der Seite eine Person auf sich zukommen und brach ihr Spiel ab.
„Guten Morgen. Ich bin Pfarrer Matthias Elben und muss heute recht spontan die Messe halten. Ich wollte einfach mal kurz Hallo sagen.“
Seine Stimme kroch in sie hinein. Er sprach in etwas tieferer Lage, dunkel und trotzdem warm. Sie mochte es, wenn Menschen angenehme Stimmen hatten.
„Guten Morgen. Jetzt bin ich aber doch erstaunt, dass er so schnell einen Ersatz auftreiben konnte. Damit habe ich ehrlich gesagt nicht gerechnet. Ich bin übrigens Elena.“
„Nur Elena?“
„Ja.“
„Dann bin ich Matthias“.
Sie musste den Kopf in den Nacken legen, um von ihrer Orgelbank aus in sein Gesicht zu sehen.
„Du bekommst vom Mesmer die Liedernummern sicher gleich zugesteckt, dann kannst du ja mal drüber sehen.“
„Okay, ich muss sowieso wieder nach vorne, die Minis begrüßen. Da ich die ganze Woche vertrete, sollten wir uns nach der Messe noch einmal kurz zur Absprache sehen, wenn es für dich passt.“
„Ich wollte danach sowieso noch ein wenig üben, komm‘ einfach hoch.“
Nach dem Eingangslied hatte Elena zum ersten Mal Zeit, Matthias genauer anzusehen. Dafür drehte sie sich sogar auf ihrer Bank um und begnügte sich nicht mit einem Blick durch den Spiegel. Seit dem kurzen Gespräch mit ihm war etwas in ihr, was sie schon lange nicht mehr gefühlt hatte. Sie war neugierig auf diesen Mann und wollte mehr wissen. Er war sicher einen Kopf größer als sie. Seine dunklen Haare waren an den Seiten und im Nacken sehr kurz geschnitten, die oberen standen um einiges länger frech in alle Richtungen. Elena fragte sich, ob er wohl Wachs oder Gel verwenden würde, um diese gewollte Unordnung auf seinem Kopf in Szene zu setzen.
Seine Gesichtszüge waren aus der Ferne gut auszumachen. Die Augen standen im Verhältnis der markanten, breiten Wangenknochen etwas enger beisammen, was ihm zu seinem männlichen Auftreten eine weichere Kontur gab. Der Mund war auffallend breit, jedoch bemerkte sie auch die vollen Lippen.
Er war frisch rasiert, aber ein Dreitagebart würde ihm sicher unverschämt gut stehen, dessen war sie sich sicher. Unbewusst zog Elena erst die Unter-, dann die Oberlippe in ihren Mund, um sie von der Zunge nass zu lecken. Sie ließ ihren Gedanken freien Lauf und fing an, tagzuträumen, während sie seine Stimme hörte. Festen Schrittes geht sie durch das ganze Kirchenschiff auf ihn zu und bleibt seitlich neben ihm stehen, da das Pult vor ihm den Weg versperrt.
Er wendet sich zu ihr hin, um sie an sich zu ziehen. Die Gottesdienstbesucher sind ihr egal. Sie hebt die Arme und wuschelt mit den Fingern durch seine Haare, die sich weich und trocken anfühlen. Den Kopf muss sie ganz in den Nacken legen. Er beugt sich zu ihr hinunter. Sie hört aus der Ferne ein Raunen, das sie komplett ignoriert. Leicht knabbert sie mit ihren Lippen an seinen. Er raunt ihr mit rauer Stimme “Du bist mir aber eine“ zu. Sie will ihn weiter küssen, aber ihre Phantasien kamen ins Stocken. Es hatte sich etwas verändert.
Es wurde ruhig im Münster. Elena wünschte sich, dass er einfach weiter sprechen sollte, damit sie an ihrem Traum spinnen konnte.
Plötzlich blickte er direkt zu ihr. Trotz der Distanz von einigen Metern spürte sie eine große Energie, die von ihm ausging. Was ging da vor? Hatte er ihre Gedanken gespürt? Unentwegt war sein Blick in ihrem. Ihr kroch die Hitze überall heraus. Hatte er eine telepathische Ader?
Aber dann fiel ihr auf einen Schlag ein, dass sie an der Reihe war und das nächste Lied anspielen sollte.
Wie töricht, zu denken, er würde wegen ihr nach oben blicken. Der intensive Blick war ein Hinweis, an die Orgel zu gehen. Sie drehte sich zu ihren Tasten und Registern um. Sie zitterte, als sie das Intro zum nächsten Lied spielte.
Den Rest des Gottesdienstes war für sie schwer, konzentriert ihrer Aufgabe gerecht zu werden.
Nur während der Predigt gönnte sie sich noch einige Minuten, um Matthias‘ Worte zu genießen. Sie interessierte sich nicht dafür, was er erzählte, sondern schwelgte in seiner Stimmfarbe, die für sie so sexy wie selten eine war.
Nachdem alle Kirchenbesucher aus dem Münster waren, begann sie Missa Dominici zu üben. Das anspruchsvolle Stück suchte sie absichtlich aus, damit Matthias ihr Spielniveau besser einschätzen konnte. Er kam recht bald zu ihr.
Sie spielte den Absatz zu Ende und drehte sich dann mit einem Lächeln zu ihm.
„Noch ein Matthias.“ Er grinste.
„Wie meinst du das?“
„Rehfeldt, der Komponist des Stückes. Das ist doch auch ein Matthias.“
„Stimmt. Du scheinst dich mit Orgelkomponisten auszukennen?“
„Natürlich. Das gehört doch in meinem Beruf dazu.“
Elena lachte. „Da habe ich aber schon andere Kollegen erlebt.“
„Mach‘ bitte nicht den Fehler, mich mit anderen Pfarrern zu vergleichen. Das ist im Moment alles andere als angebracht.“
„Tatsächlich hatte ich grade erst gestern mit meiner Freundin Marit darüber gesprochen, wieso ich die Kirche noch unterstütze.“ Elena war selbst überrascht, wie offen sie Matthias das ins Gesicht sagen konnte.
„Und, wieso tust du das? Magst du mir das verraten?“
Elena drehte sich auf der Bank zur Orgel, hob den rechten Arm und zog ihre Finger zärtlich an den kleinsten Pfeifen entlang.
„Deswegen.“
„Wie lange spielst du schon?“
„Seit ich 8 bin.“
„Hoi, da habe ich es ja mit einer richtig guten Organistin zu tun. Cool. Ich spiele auch sehr gerne Orgel, aber habe erst mit Anfang zwanzig begonnen.“
„Dann kannst du ja verstehen, wieso ich noch hier bin.“
„Ohne das Orgelspielen wärst du kein Gottesdienstbesucher mehr – oder vielleicht sogar aus der Kirche ausgetreten?“
Elena blickte ihm in die Augen.
„Zweiteres. Sicher.“
Matthias straffte die Schultern und zog das Handy aus der Jackentasche. Plötzlich wirkte er geschäftig.
„Lass‘ uns mal kurz die einzelnen Termine durchgehen. Hast du schon weitere Lieder oder muss ich die dir noch zusammenstellen?“
„Nein, für die laufende Woche habe ich noch keine neuen.“
„Dann schicke ich dir die per Chat. Kannst du mir bitte deine Nummer selbst eintippen, das geht doch schneller.“
Er streckte ihr sein Handy entgegen. Sie nahm es an sich und berührte dabei seine Hand. Sie spürte flüchtig seine warmen Finger und zeitgleich stürzten die Phantasien von den Minuten zuvor intensiv in ihr Bewusstsein zurück: seine Präsenz, sein Wollen, sie zu spüren und seine raunende Stimme - so dass sie sich kurze Zeit nicht im Griff hatte. Sie hob den Kopf und suchte seine Augen, während sie sich schemenhaft vorne neben dem Pult sah.
„Hast du deine Nummer grade nicht im Kopf?“
„Ähm … doch. Ja. Moment. Ich war grade … sorry.“
Sie tippte die Nummer ein und gab das Handy zurück.
„Ich muss los, ich habe noch eine Taufe heute Mittag.“
„Dann noch einen schönen Sonntag.“
„Dir auch. Wir lesen uns.“
Elena hatte die nächsten zwei Wochen Urlaub, ohne Pläne dafür zu haben. Wie sollte man sich auch im Winter während der Coronazeit etwas vornehmen wollen? So hatte sie sich eine Prelude von Mendelssohn herausgesucht, die sie sehr herausfordern würde.
Ausnahmsweise nahm sie einen Elektroheizer mit, den sie in Richtung Fußpedale blasen ließ. So kam auch Restwärme an den Händen an, dass sie es länger in dem kalten Münster aushielt.
Auch packte sie ein Vesper ein, obwohl sie normalerweise im Winter an Probetagen wie heute sehr gerne für eine Stunde zum Aufwärmen und Mittagessen in ihr Wohnzimmer zurückkehrte.
Sie musste sich eingestehen, dass sie soviel Zeit wie möglich auf der Empore verbringen wollte, alleinig wegen der klitzekleinen Chance, Matthias im Münster zu begegnen.
Als zweites musste sich eingestehen, dass er ihr ein wenig den Kopf verdreht hatte. Auch nüchterne Argumente, die sie nachts schlaflos in Gedanken herumdrehte, hatten keine Kraft. Sie versuchte sich vergeblich einzureden, dass er nichts von ihr will, dass er Kraft seines Berufs nicht kann und wenn sie bei ihm doch etwas ausgelöst hätte, wäre es nur stressig mit ihm und würde in irgendeinem Schmerz enden. Sie fühlte sich zu ihm hingezogen und da sie so wenig von ihm wusste, konnte sie es nur an dem nicht Greifbaren festmachen, dass es Verbindungen zwischen Menschen gibt, die nicht erklärbar sind.
So übte sie stoisch, ohne richtige Freude am Orgelspiel, drei Tage lang an der Prelude. Ihr Herz war nicht bei der Orgel, sondern bei Matthias, der sich langsam immer mehr in ihre Gedanken einnistete. Was war das denn, was diesen Mann so anziehend machte? War es vielleicht doch das Verbotene, was das Prickeln entstehen ließ? Besonders jedoch ist es diese tiefe, dunkle und trotzdem sanfte Stimme, die sie so gerne hörte.
Noch einmal wollte sie diesen einen schweren Lauf üben, der gleichzeitig auch noch vier Registerwechsel hatte. Es war schier alleine nicht zu schaffen. Sie hatte bei Konzerten immer Registerzieher dabei, aber beim Üben war sie auf sich alleine angewiesen.
Noch bevor sie den ersten Ton ansetzte, hörte sie die Treppe knarren. Sie wartete mit Herzklopfen auf den Menschen, der gleich oben ankommen würde.
„Hallo Elena, wie schön, dass du noch hier bist.“ Matthias strahlte.
„Hallo Matthias.“ Ihr Mund wurde trocken und der Heizlüfter unnötig.
„Ich hatte mit dem Mesmer ein längeres Gespräch in der Sakristei und habe dir mit einem Ohr zugehört. Was für ein grandioses Stück! Von wem ist das?“
„Mendelssohn. Eigentlich für Piano. Wurde aber umgeschrieben. Die Registerwechsel sind Stolperer.“
„Ich könnte dir die Register ziehen, wenn du willst, ich habe heute Abend nichts mehr vor und kann mir die Zeit nehmen.“ Sie freute sich unverhohlen über das Angebot und nahm ohne Nachzudenken seine rechte schlanke Hand in ihre beiden Hände und drückte sie kurz, aber innig. Sie genoss diesen Moment.
„Danke. Zwar wollte ich bald heimgehen, aber wenn du das machen willst, könnte ich das noch zwei-dreimal in Konzentration durchgehen, das wäre klasse.“
„Zeig‘ mir bitte die Stellen auf dem Notenblatt, damit ich nachher hinterherkomme.“
„Wenn du mir die auf der linken Seite, auch die im Fußraum, abnimmst, wäre ich schon froh. Die rechten schaff‘ ich dann schon.“
Er setzte sich neben sie auf die Bank. Die unmittelbare Nähe von ihm machte sie leicht nervös. Sie spürte ihr Herz bis tief in den Bauch schlagen. Kurz rieb sie einmal die Hände aneinander, konzentrierte sich auf das Orgelspielen und begann das Münster mit voluminösen Tönen zu füllen. Kurz bevor er die Register ziehen und andere zurückdrücken musste, hob sie leicht den Kopf, um dann im nötigen Moment kurz zu nicken. Er machte seine Arbeit souverän und hörte dabei begeistert ihrem Spiel zu. Nachdem der letzte Ton nicht mehr hörbar war, legte er seinen rechten Arm um Elenas Schultern und drückte sie.
„Danke, Elena, das war wunderschön.“
„Der eine Lauf da“, dabei zeigte sie mit ihrer rechten Hand auf die Noten, „der braucht noch etwas Fleiß.“
Als sie den Arm hob, nahm er sie etwas fester, damit seine Hand nicht abrutschen konnte. Sie wendete den Kopf zu seinem Gesicht. Unbedingt wollte sie in seine Augen sehen und hatte doch Angst davor, was das mit ihr machen könnte.
Er blickte sie genauso offen an wie sie ihn. Dunkelbraune Augen, so tief und warm wie seine Stimme. Der Zauber hielt aber nur Sekunden.
„Dann geh‘ doch nochmal an den Lauf.“ Er zog seinen Arm wieder zurück.
„Ich krieg‘ das noch hin.“
„Aber sicher, mit meiner mentalen Unterstützung sowieso.“
Sie gingen das Stück noch zweimal durch.
„So, jetzt ist aber genug. Sag‘ mal, hast du schon was zu Abend gegessen? Ich habe mir heute frische Sachen zum Kochen eingekauft. Wenn du Lust hast, lade ich dich ein.“
„Ja, warum eigentlich nicht? Du kannst mir sicher noch einiges über dein Orgelspielen erzählen.“
„Und du mir beim Schnippeln helfen.“
Einige Minuten später kamen sie in Elenas kleiner, aber gemütlicher Wohnung an. Sie sah Matthias zum ersten Mal in einem Sweatshirt, ohne Talar oder dicker Winterjacke. Nicht nur seine Stimme war sexy, sie fand auch seinen Körper äußerst ansprechend. Die breiten Schultern waren eindeutig zu sehen, seinen kleinen, eher runden Po konnte man unter der Jeans erahnen.
„Was magst du trinken?“
„Für‘s erste vielleicht einen Tee zum richtig Warmwerden?“
„Gute Idee!“
Sie füllte den Wasserkocher auf und zog einiges an Gemüse aus dem Kühlschrank.
„Würdest du mir bitte die Karotten schälen und in Scheiben schneiden?“
„Gerne.“
„Bretter liegen oberhalb vom Obstkorb im Regal und Messer sind in der ersten Schublade rechts, das Schälmesser auch.“
„Elena, darf ich dich etwas fragen?“
„Kommt drauf an, was.“
„Bist du in einer Beziehung?“
„Nein. Ich bin seit ungefähr drei Jahren solo. Dich brauche ich ja nicht fragen.“
Elena grinste ihn an, flüchtete mit ihrem Blick aber gleich wieder zu den Kartoffeln, die sie in Würfel schnitt.
„War bei dir schon immer klar, dass du Pfarrer werden möchtest?“
„Nicht als kleiner Junge. Aber so mit 18, 19 ist die Idee immer mehr in mir gereift. Meine Eltern haben mir den Glauben auch sehr ehrlich und mit Freude vorgelebt, das hat sicher mit dazu beigetragen.“
„Dass du nicht heiraten kannst, war nie ein Thema für dich?“
„Doch, natürlich. Das muss man sich schon genau überlegen. Aber die Kraft des Glaubens hat gesiegt und so habe ich mich zum Priesterleben entschieden.“
„Was machst du beruflich?“
„Ich arbeite in einem Verlag im Marketing. Ein Bürojob. Ich bin ganz gerne da, wir sind eine nette Truppe und die Arbeit ist kurzweilig.“
Sie fing an, eine Zwiebel zu schälen. Die Schärfe trieb ihr Tränen in die Augen.
„Boah, sind die heftig. Da muss ich ja sogar heulen.“
Matthias zog ein Blatt von der Küchentuchrolle, die neben ihm stand, faltete es zweimal zusammen und drehte sich zu Elena.
Sie spürte seinen Atem auf ihrer Haut, als er sich zu ihr herunterbeugte.
„Halt mal still und mach die Augen zu, ich nehm dir die Tränen weg.“
Er ging mit der Kante vom Tuch ganz vorsichtig von unten an ihre geschlossenen Augen und tupfte die Tränen ab. Die Lider zuckten unruhig.
Er betrachtete genau ihre Gesichtszüge. Die gerade Nase, ihre schön geschwungene Oberlippe, die vielen kleinen Leberflecken. Die Wimpern waren so dunkel wie ihre Augenbrauen. Die kastanienbraunen langen Haare waren als einfachen Dutt zusammengezwirbelt und am Hinterkopf platziert. Wie schön, sie um sich zu haben. Er fühlte etwas, was nicht sein durfte. Diese Frau zog ihn an.
„Ist gut, kann ich wieder aufmachen?“
„Ja, kannst du.“
Als sie Sekunden später in seine Augen sah, kam ein ungewohnter Blick bei ihr an. Etwas war anders. Sie musste tief Luft holen und das Herz pochte ihr bis zum Hals. Er suchte ihre Augen, nicht sie seine.
„Wenn du ein ganz normaler Mann wärst, wäre jetzt der Moment da, dich zu küssen.“
Er fasste sie an beiden Schultern, während er unentwegt in ihre Augen sah.
„Da ich mich im Moment wie ein normaler Mann fühle, mach ich‘s.“
Er zog sie an sich und Elena wusste nicht so recht, wo sie mit ihren Zwiebelhänden hin sollte.
Matthias nahm ihr Gesicht in seine Hände, strich mit den Daumen an ihren Wangen entlang und gab ihr leichte, kleine Küsse auf den Mund. Er neckte mit seinen Lippen ihre Oberlippe, leckte leicht mit der Zunge darüber und küsste wieder, aber fordernder. Sie öffneten gleichzeitig ihre Münder und ließen die Zungen miteinander spielen.
Mit festem Griff umarmte sie ihn. Ganz eng wollte sie ihn spüren. Er roch gut nach sich selbst.
Sie wollten dem Kuss kein Ende geben. In Intervallen wurden es leichte Berührungen auf die Lippen, um sich ein wenig zu beruhigen. Die nächste Woge spürten sie in sich aufkommen, die sich in einem weiteren ungestümen Erforschen der Münder zeigte. Sie leckten und küssten sich gleichzeitig, das Geben und Nehmen wurde raumgreifender.
Als sie dann doch von sich lassen konnten, hob er sie hoch, trug sie zum Waschbecken und stellte sich eng hinter sie. Er ließ das Wasser laufen, hielt ihre Hände unter den Strahl, stoppte das Wasser und seifte mit Hingabe Finger für Finger ein. Sie spürte an ihrem Po seine Erregung deutlich.
Er wusch die Hände von der Seife frei und trocknete sie ab. Sie genoss die Bewegungen seines Körpers, die sie an ihrem Rücken spürte.
Sie drehte sich zu ihm um.
„Danke fürs Händewaschen. Denken wir jetzt über diese Situation nach oder machen wir einfach weiter?
„Was willst du von mir?“
„Nur eine Antwort. Es geht um diesen Moment.“
„Komm, gehen wir aufs Sofa.“
Er setzte sich neben sie und nahm ihre Hand in seine.
„Ich kann nicht abschätzen, was das jetzt für dich bedeutet, dass ich hier bin und dich geküsst habe.
Ich weiß jedoch für mich, dass ich ein wunderbares Gefühl in mir habe, wenn ich dich spüre, dich sehe oder höre. Du bist mir nach dem Sonntag nicht mehr aus dem Kopf, so sehr ich das auch rational versucht habe zu verdrängen. Ich war auch schon am Montag und Dienstag hier im Münster in der Hoffnung, dich zu sehen. Zugehört habe ich dir, aber ich habe mich noch nicht getraut, zu dir zu gehen.“
„Mir ging es genauso mit dir. Ich musste dauernd an dich denken. Ich spüre da etwas, was ich nicht erklären kann.“
„Elena, ich muss dir sagen, dass ich meinen Beruf liebe und Priester bleiben möchte. Ich habe aber viel Hoffnung in die Zukunft, dass sich da einiges in der Kirche ändern muss und auch wird, weil es so nicht weitergehen kann. Das ist meine Hoffnung und mit anderen Priestern arbeiten wir daran, dass sich da Dinge grundlegend ändern werden.“
„Ich kann dir dazu jetzt gar nichts sagen, was uns betrifft - das ist alles noch so frisch und nah und tief und für mich unglaublich. Ich möchte dir gerne glauben, wenn du für eine offenere Kirche kämpfst, ich bin da ehrlich gesagt recht kritisch.“
„Fakt ist, dass wir im Moment keine normale Beziehung führen können. Ich bin aber bereit, vieles zu riskieren, um Zeit mit dir zu verbringen, wenn du mich willst. Ich werde nie Ansprüche stellen, in meiner Position darf ich das nicht. Ich werde dir auch nie Vorwürfe machen, noch dir irgendwie im Wege stehen, wenn dir das mit mir zu viel wird.“
Sie wuschelte mit ihren Fingern durch sein Haar, wie sie es am Sonntag geträumt hatte.
„Wir müssen uns doch erst einmal etwas kennenlernen, bevor wir ins Detail gehen. Wer weiß, vielleicht nerven wir uns nach ein paar Stunden.“
„Ja, wir kennen uns nicht und doch sind wir uns nah. Ich wollte einfach meine Grenzen abstecken.“
„Ich möchte mehr von dir wissen, dich spüren, mit dir albern und ernst sein können. Stand jetzt ist mir alles egal, auch wenn wir uns heimlich sehen müssen, du bist es mir wert. Hier bei mir haben wir ja eine kleine Oase.“
Sie legte sich auf das Sofa und zog ihn über sich.
„Deine Küsse machen mich heiß und feucht. Mir zieht es den ganzen Schoß zusammen.“
Er setzte sich rittlings auf sie und schob seine Hände unter ihren Pulli. Zärtlich strich er mit seinen Fingern an ihren Hüften entlang bis hin zu ihren kleinen, festen Brüsten. Sie trug keinen BH, was ihn noch mehr erregte.
„Darf ich dir den Pulli ausziehen?“
„Ich fände es schön, wenn wir uns beide ganz ausziehen. Ich mag dich lieber mit nackter Haut spüren.“
„Wie sieht es mit Verhütung aus? Ich vermute, du nimmst keine Pille. Man glaubt es kaum, aber ich trage leider keine Gummis mit mir rum.“
„Echt nicht? Ich habe was im Bad rumliegen. Keine Sorge.“
Sie näherten sich gegenseitig sehr einfühlsam und erkundeten neugierig den Körper des anderen. Die Wildheit der ersten Küssen wurde durch ein behutsames Kennenlernen abgelöst. Seine Zunge erkundete ihre Muschi und tupfte mit der Spitze ihre Perle feucht.
„Hhhmmm, gut machst du das. Man könnte meinen, du hättest schon viel Erfahrung mit Frauen.“
Sie reckte ihren Schoß seinem Mund entgegen. Er stoppte kurz.
„Mach weiter, bitte. Und sag nichts dazu.“
Er leckte sie langsam und genüßlich. Ihr Saft machte ihm Lust auf mehr. Als ihr Stöhnen intensiver wurde, drang er langsam in sie ein. Ihre Augen versanken ineinander und sie sahen sich unentwegt an, als er langsam in einen Rhythmus kam, dem sie sich sofort anschloss. Nur sie beide im Universum, vereint, selig. Sie schrien beide ihre Anspannung aus sich heraus, als sie kurz nacheinander kamen. Warm umhüllt wie bei einer Fönwetterlage im Frühling fühlten sie sich. Unspektakulär, aber mit klarem Blick ins Weite. Sie hatten alle Zeit der Welt.
Daraufhin lag sie in seinem Arm, eine kuschelige Decke hielt die Wärme.
„Ich kann heute nicht bei dir übernachten. Aber ich werde das künftig auch möglich machen.
Im Übrigen suche ich schon lange nach jemandem, der mir Orgelunterricht gibt. Ich denke, ich habe die Organistin meiner Wahl gefunden.“
„Das wird schwer erschwinglich für dich.“
„Was verlangst du in der Unterrichtsstunde?“
„Einen Kuss pro Minute.“
„Ganz schön teuer. Aber auch das krieg ich hin.“
Er zog ein Kleidungsstück nach dem anderen an und küsste sie dabei jedes mal aufs Neue zum Abschied.
„Jetzt habe ich sicher schon zehn Minuten Unterricht erküsst.“
„Acht.“
„Wie? Bist du so streng?“
„2 x Socken, 2 x Schuhe, Unterhose, Hose, Shirt, Sweatshirt.“
Als Matthias die Tür hinter sich zuzog, überkam sie ein unbekanntes Gefühl. Sie war glücklich, zufrieden, verliebt und alles war einfach rund. Sie fühlte sich beseelt. Die Alltagsproblematik schob sie aus ihrem Bewusstsein, damit wollte sie sich nicht auseinandersetzen.
Sie ging mit einem Grinsen bis über beide Ohren ins Bett und war morgens früh zu gange.
Beim Kaffeetrinken nahm sie wieder mit der Umwelt Kontakt auf.
Marit hatte mehrfach im Chat geschrieben. Einerseits machte sie sich Sorgen um Elena, andererseits wollte sie etwas loswerden.
Elena: Alles okay bei mir. Ich habe auf der Empore jemanden kennengelernt.
Marit: Guter Witz am Morgen
Ich habe mich tatsächlich bei der seriösen Online-Agentur angemeldet. Da kam ich mit Max zusammen, ein sehr attraktiver Mann, Zucker. Gestern gedatet. Ein Traum, so wie ich es mir gewünscht habe. Einziger Haken: er möchte zwar eine lange Beziehung, aber nur als Nr. 2. Er ist und wird verheiratet bleiben. Nee, so ein Scheiß. Will ich sowas?
Elena: Das spürst du, wenn er es dir wert ist. Ob du damit klarkommst – das zeigt die Zeit. Wer weiß, was da alles passieren kann. Genieß‘ doch einfach das, was du bekommen kannst.