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Gummizelle

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07.10.2015
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Gummizelle

Der Mann sitzt aufrecht und hat die Hände auf den Knien. Unter dem Bett liegen Blatt und Stift. Er rührt sie nicht an. An der Tür kratzt Metall, zwei mal: Schrapp. Schrapp. Auf und zu.

Schrapp, schrapp. Fünf Minuten, dann wieder. Immer ganz genau. Schrapp. Schrapp. Man kann eine ganze Menge fertig bringen in dieser Zeit. Sie schauen nie zwischendurch. Nie. Der Mann sitzt auf dem Bett, genau wie er sollte. Aufrecht. Hände auf den Knien. Komm, denkt sich der Mann, kuck doch mal durch. Mach doch. Dann siehst du mich genau nach Vorschrift sitzen und ärgerst dich. Aber da ist gar kein Triumph dabei, als er das denkt.

Auf dem Steinboden unterm Bett liegt das Papier mit den Versen. Das lässt der Mann liegen. Sonst nimmt er das oft in die Hand. Schrapp, schrapp. Kurz warten. Griff unters Bett, das Papier geholt, den Stift. Wörter geformt. Nachgedacht. Schnell noch ein Wort. Und schließlich, ganz automatisch geht das, runter gebeugt, das Papier unters Bett geschoben, vorsichtig ohne Geräusch den Stift dazu. Rücken gerade und Hände auf die Knie. Und: Schrapp. Und wieder von vorn. Das hat er drin. Ganz automatisch. Da ist gar keine Angst mehr dabei. Die Zeitspanne hast du drin nach den ersten Wochen. Und zwischendurch kucken die nie.

Aber jetzt ist erst mal nichts mehr mit Wörtern. Gestern war der Mann zum Verhör. Das ist an sich gut, zum Verhör müssen, man geht draußen über den Hof in den anderen Block, und gestern war frischer Geruch nach Asphalt und feuchter Luft, weil es die ersten warmen Tage sind und weil es geregnet hat.

Am Tisch saß eine Frau. Zum ersten Mal eine Frau, jung war die und freundlich. Die schrie gar nicht, ganz leise hat sie geredet, hat sich zu dem Mann vorgebeugt, hat so ein Kribbeln gehabt in der Stimme. Sie zeigte mit der offenen Hand auf die Tasse an der Tischkante, auf seiner Seite, und lächelte. Earl Grey, ausgerechnet, als könnte sie das wissen. Er verbrannte sich die Lippen, als er daran nippte, und er schmeckte gleich, dass da sogar Honig im Tee drin war.
Wie es ihm geht, hat die Frau gefragt, und er hat natürlich nichts weiter gesagt, nur soso, ja schon, und so was, war auf der Hut. Sie sagte: Herr Albrecht. Ich habe nichts unternommen, hat er gesagt. Sie hat auf nichts bestanden, die junge Frau. Überlegen Sie sich’s, hat sie nur gesagt, dabei hat sie ganz am Ende, als er ging, seine Hand berührt. Sie hat ihm die Hand nicht geschüttelt, das doch nicht, aber sie ist daran gestoßen mit den Fingern. Vielleicht kann ich was für sie tun. Wenn es rechtzeitig ist.

Danach, auf dem Weg zurück in die Zelle, war es viel schwerer, über den Hof und den Asphaltdunst zurückzugehen, da hätte es nicht so schnell vorbei sein dürfen, da hätte er noch Zeit gebraucht, um den Gedanken auszumalen und für später aufbewahren zu können, wie er im Frühling nach dem Regen durch die Stadt geht, und er trifft jemanden, er stellt sich vor: diese Frau, und sie sagt: Herr Albrecht. Und für einen Augenblick war es fast so. Wenn er vor sich auf den Boden schaute, über den er ging, dann war da - und der Asphalt konnte ja so bleiben, der war ja so, wie er überall sein könnte - war da fast um ihn herum die Stadt, und die Schritte neben ihm, die gehörten fast schon nicht den Wärtern, sondern der jungen Frau. Aber dann kam die Treppe, die Tür, der glatte Steinboden und sie waren wieder drin.

Und dann war die Kati auf dem Gang. An jeder Seite ein Wärter. Ein halbes Jahr lang kein Mensch, und dann führen sie die Kati über den Gang.

Wie er dann geheult hat, auf seinem Bett. Ganz aufrecht und die Hände auf dem Knien. Und immer schrapp, schrapp, die Metallscheibe vor der Linse. Der kuckt jetzt, wie ich da sitze und heule, hat der Mann gedacht, scheißegal, hat er sich gedacht, der weiß nichts, der glaubt, es wär wegen dem Verhör. Aber der Earl Grey und die freundliche Frau, daran war plötzlich gar nichts mehr gut zum Erinnern. Das verfiel. Sie hatten jetzt die Kati. Die hatten die Kati. Nicht dran denken. Hilft ja nichts. Sie haben die Kati, ging dem Mann immer im Kopf rum. Und wie die Frau ihn berührt hat, das war ihm schnuppe. Und auch sein Blatt, mit den draufgeschmierten Versen.
Das war also gestern. Er heult jetzt nicht mehr. Vielleicht sehe ich sie wieder, hat er sich am Morgen gedacht, da war er noch nicht richtig wach, nie ist man wach, weil sie einen hier nicht schlafen lassen, schrapp, schrapp, auch in der Nacht, und wehe du liegst nicht richtig. Und dann, im halben Traum noch und als er im Liegen den blauen Himmel sah und als das Sonnenlicht so schön auf die weiße Wand schien: Dass er sie vielleicht hier drin sogar wieder sehen kann, die Kati, und das ist richtig warm geworden um die Brust wie eine Umarmung, wie früher, als wäre sie wirklich gerade im Moment bei ihm, die Kati, da ist er richtig froh gewesen und das hat sogar angedauert, auch als er sich am Becken gewaschen hat, wie er ja musste. Und als er längst schon aufrecht wieder dasaß und die Hände auf den Knien lagen, hat es immer noch angedauert. Als ob es ihre Knie wären, auf denen seine Hände lagen.

Dann war es erst nur weg. Es waren dann einfach wieder seine Knie und sonst nichts und keine Wärme. Weg war das, wie ein Gedicht, das man aufsagen will, und es geht nicht mehr, und es gibt keine Antwort darauf, wann man es vergessen hat.

Stattdessen kam was anderes. Kam von innen heraus das: Die Kati verraten. Das war erst eine stille Überlegung: Wie wäre das? So fing das an. Mach ich ja nicht. Und dann kamen die Gründe, kamen so versuchsweise angeschlichen: Die ist doch eh geschnappt. Ändert doch nichts. Wie das wäre: Der Kati alles anhängen. Das hat doch die junge Frau am Verhörtisch gemeint: Wenn es rechtzeitig ist. Die wissen ja alles. Der Earl Grey mit dem Honig. Die wissen doch über alles Bescheid. Die Kati steht doch bis zu den Knien im Dreck, sowieso, wenn sie die haben. Die Kati verraten! Immer so. Unsinnig. Aufdringlich.

Verse schreiben!, denkt er. Das hilft. Aber er beugt sich nicht runter unters Bett. Gleich, denkt er, gleich mach ich das. Schrapp. Schrapp. Jetzt! Gibt sich aber keinen Ruck. Beim nächsten Mal. Er kann nicht. Er bringt den Körper nicht runter. Scheinheilige Verse, denkt er. Lügenverse. Da geht vor seinen Augen nur immer die Kati durch den Gang. Was es dafür geben könnte: Wenigstens Bücher. Irgendwas gibt es dafür. Sich bewegen dürfen. Durchschlafen. Dann bohrt sich das rein: Dass er dafür rauskommt. Dass sie ihn freilassen. Unsinn. Aber kann doch sein. Warum sollte er nicht rauskommen können dafür. Er hat ja nichts unternommen. Aussagen! Und das weiß er ja, dass das Quatsch ist, aber so kommt das ständig, er kriegt das nicht weg. Verse schreiben, lenkt ab, hilft. Aber er beugt sich nicht nach unten. Er hält sich aufrecht.

Das Gift muss raus, denkt er. Die Dunkelzelle, da muss er hin. Rund ist die Zelle, da kann er im Kreis gehen und mit der Hand rundum über die dicken Gummimatten streichen, die den Raum abdichten, eins, zwei, bis dreizehn, und draufschlagen, wenn man einmal rum ist. Hinter einer Matte ist die Tür, man vergisst, hinter welcher. Die Dunkelzelle soll ihm das austreiben. Zeit zum Nachdenken. Zeit zum Verrücktwerden.

Der Mann weiß, was er tun muss. Er beugt sich doch unters Bett, fasst nach dem Blatt, hält es ganz hoch, mit beiden Händen über den Kopf, und reißt es mitten durch, langsam.
Nochmal. Und nochmal. Und nochmal. Er hält die Schnipsel in der flachen Hand vor sich hin. Er schnauft durch die Nase. Da quillt eine gallige Genugtuung auf, dass er sich das zerstört hat, dass das endgültig ist und unersetzlich. Und dann: Schrapp. Der kuckt aber lange. Na endlich: Schrapp, wieder zu. Schlüssel, Tür auf.

Der Wärter schreit unnötig laut. Nummer 104! Woher hast du das! Was war das! Verboten! Nummer 104! Her damit! Beweismittel! Verstoßen! Nummer, Nummer, Nummer! So schreit der. Durch die Luke kucken ist sein Job und schreien ist auch sein Job, und das ist gut, das lässt eine Wut aufsteigen, einen guten, so einen richtig guten Zorn, den man sich unten aus der Leib schlagen kann, gleich im Dunkeln, immer gegen die Gummiwand. Der Mann steht jetzt da, sagt nichts, den Kopf geduckt, vorgebeugt wie zum Stoß, mit gespannten Armen. Er fühlt am ganzen Körper, dass er Kraft hat, die braucht er gleich unten. Und der Wärter muss sich jetzt bücken, da kommt der nicht drumrum, weil er ein paar von den Papierschnipseln, die er zu schnell an sich gerissen hat, auf den Boden gewischt hat. Die darf der nicht liegen lassen. Da muss er auf die Knie. Und das gibt Kraft.
Dann knallt die Tür zu.
Jetzt gibt es gleich Alarm. Der kann den Mann ja nicht selbst wegbringen, der Wärter da, der kann ja nicht weg von seiner Linse. Zu hören ist nichts, das ist stiller Alarm. Da leuchtet jetzt eine Lampe auf, und dann kommt ein anderer angerannt, nein, zwei sind es immer, die bringen ihn weg. Und ab geht’s nach unten, und dann immer drauf mit der Faust auf die Gummiwand. Rundrum und drauf. Eins, zwei, bis dreizehn und drauf. Und wann kommen die denn? Da steht der Mann, vor der zugeknallten Tür, in seinem zu großen Trainingsanzug, in den zu großen Filzschuhen. Er hat die Fäuste geballt, aber was er quetscht, ist nur Luft. So steht er: Trainingsanzug, Filzschuhe, klebrige Haare. Die Hosenbeine stauchen sich über den Pantoffeln. Da steht der Mann und lässt die Hände baumeln. Und wo ist jetzt die Wut? Das pocht immer noch, immer noch pocht der Leib, aber das kommt nicht mehr aus dem Bauch, wo die Wut sitzt, das kommt ganz flach aus der Brust, das ist jetzt nicht mehr weit, sondern eng.

Und dann kriegt er einen Schreck, der Mann, weil es ja längst Zeit ist.
Da huscht er aufs Bett und setzt sich, ganz schnell setzt er sich, ganz gerade. Bloß rechtzeitig. Kuckt zur Tür, und wieder weg, nach vorne, gerade auf die weiße Wand. Rechtzeitig. Er hat es geschafft.
Aber die Klappe vor der Linse geht gar nicht auf. Die muss doch jetzt aufgehen. Die müssen doch hier sein, die zwei andern, die ihn holen, es gibt doch Alarm. Die müssen ihn doch nach unten schaffen. Keine Schritte draußen. Der kuckt ja gar nicht, da draußen. Was hat denn das zu bedeuten? Der Mann zieht den Kopf ein zwischen den Schultern. Was machen die nur. Der kuckt ja gar nicht mehr.

 

Hey ho,

vielleicht geht es sogar doch auch mit Hinweis auf eine Tat. Vielleicht haben sie geholfen, jemanden über die Grenze zu bringen oder so. Das dürfte sich schon irgendwie einflechten lassen, so etwa: "Der/die Dings ist ja im Westen dem/der passiert ja nichts mehr, wenn die sie die Kati jetzt drankriegen."
Eine andere Möglichkeit eventuell: Ein ganz kurzer Verweisschnipsel darauf, wie sie ihn festgenommen haben, da könnte so was auch gehen.

Ich werd das mal heimlich so oder so oder auch so und so ausprobieren. Auf der anderen Seite ist das auch nicht ganz unabsichtlich passiert, dass ich solche Dinge weggelassen habe. Denn auch einer, der was ausgefressen hat, will ja Mensch bleiben. Und wenn das in der gegenwärtigen Version entsprechend gelesen wird, ist das auch nicht verkehrt.

Besten Gruß
erdbeerschorsch

 

@erdbeerschorsch, ho

mitunter genügte für eine Inhaftierung schon die Bekanntschaft zu einem Flüchtigen. :Pfeif: Falls du es noch harmloser brauchst ;)

Die Art und Weise der Festnahme könnte ja auch noch mal einen neuen interessanten Punkt ausmachen, neben der psychischen Auswirkungen auf den Inhaftierten. Vielleicht bin ichdünn noch ein Stück mehr mitfühlend mim Tropf.

Schon richtig, mim Weglassen, nur dann kommt es mehr eindimensional rüber, und die Gefahr es misszudeuten ist gegeben. Eben doch ein Psycho.

Isch weiß et ja net so genau :D

Ich hab ein Auge auf deine Geschichte, Kanji

 

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