Lieber Isegrims,
im Grunde meines Herzens bin ich wahrscheinlich eine hoffnungslose Romantikerin. Jetzt werden sich vermutlich alle mit Grausen von mir abwenden, aber das ist mir sowas von ... Ja, ist mir wirklich egal, Denn wenn man so viel Leben wie ich schon abgeschritten hat, hat man es verlernt auf seine Selbstdarstellung zu gucken. Sondern man schaut einfach, was einen anspricht.
Und klar, literarischer Mainstream ist das hier nicht. Nee wirklich nicht. Es ist eine süße, tröstliche Geschichte. Ich finde immer wieder mal, dass du eigenartige, seltsame Wege in deinem Schreiben gehst, und dabei bist (oder auch schon hast) deine ganz eigene Sprache zu finden. Gut gefällt mir, dass du da jedes Risiko eingehst, auch das, ganz eng am Kitsch entlangzuschrammen. Aber das scheint dir wurscht zu sein. Und das finde ich sowieso schon mal gut.
Ich finde aber auch sowieso, dass die Geschichte oder die Sprachbilder nicht kitschig sind, das liegt an ihrer Unverbrauchtheit und Frische, an den Nebelfingern und Milchhändchen, die klingen, wie wenn jemand in einer anderen Sprache aufgewachsen wäre. In Kirgisisch vielleicht, ich weiß es nicht. In einer Sprache jedenfalls, die sich vieler Naturvergleiche bedient.
Dein kleiner Text will nicht mehr sein, als das, was er ist. Aber keinesfalls auch weniger. Aber das klingt auch schon gleich immer so ein bisschen negativ, wenn man das so sagt. Ich probiere es einfach so: Es ist, was es ist, ein kleines tröstliches Märchen. Ich brauch das manchmal, es tröstet durch die Sprachverliebtheit, die Details, das Liebevolle der Sicht, den Blick auf die Dinge. Insofern, meinen Geschmack hast du getroffen. Und man weiß ja, mein Geschmack ist groß und respektlos.
Ein bisschen Detailarbeit mache ich aber trotzdem, nicht alles empfinde ich als gelungen - pick dir raus, was du brauchen kannst.
Dämonen tobten in ihr, tanzten in ihren Gedanken und klopften gegen die Gehirnwände. Alle Tränen waren aufgebraucht, als sie durch den Park irrte, den Teppichrasen, die Vögel, die Kinderwagenfamilien kaum wahrnahm, die an ihren Blicken vorbeijagten.
Den Beginn finde ich klasse, den Realtivsatz finde ich allerdings unpräzise. Nicht Kinderwagen, Rasen etc jagen vorbei, sondern es sind ihre Blicke, die daran vorbeijagen. Kann man ja aber umformulieren.
Teppichrasen - Die Frau wird ja von irgendeiner Sorge bedrängt, nimmt nichts wahr, ihre Blicke jagen an allem vorbei. Würde sie da wahrnehmen, dass der Rasen so schön dick und grün und dicht gewebt ist wie ein Teppich? Ich würde in dem Fall ihrer Sicht, ihrer Psyche auch sprachlich folgen und einfach nur Rasen oder Gras schreiben. Einfach ein gebräuchlicheres, sachlicheres Wort. Ihre sinnlicheren und deutlicheren Wahnehmungen setzen ja erst ein, wenn sie auf der Bank sitzt.
Sie setzte sich auf eine Bank und sah den Blättern zu, die im Wind tanzten, zog den Mantel enger an sich, um den Wärmerest in ihr zu erhalten, roch Fäulnis, Weihnachtsbaumnadeln, Zimtsterne, fröstelte und beobachtete die Bäume, die ihre Nebelfinger zum Himmel schickten.
Und danach ist sie schon ruhiger? Das ging mir fast ein wenig schnell. Ich würde dieser Miniaturhandlung etwas mehr Zeit gönnen. Auch dann, wie Weihnachten sich in ihr bemerkbar macht.
Was mir hier von der Idee her sehr gut gefällt, das ist der Kontrast von Fäulnis und Zimtsternen. Ich glaube, ich habe sowas schon mal bei dir gesehen, dass du mit solchen sinnlichen Kontrasten arbeitest. Weiß aber nicht mehr, wo das war. Ich hab nur ein Problem damit, sie kann, dort, wo sie ist, ja eigentlich keine Zimtsterne riechen. Vielleicht stehe ich mir mit meinem Hang zur Genauigkeit gerade selbst im Wege, aber ich fände es gelungener, du würdest mit Weihnachtsbaumnadeln und Zimtsternen nicht gleich so mit der Weihnachtstür ins Geschichtenhaus fallen. Irgendwie fände ich das zurückhaltender besser. Oder mit ein klein wenig mehr Zeit halt. Entweder, dass sie etwas an den Geruch von Zimtsternen erinnert oder es ist nur ein Zimtgeruch überhaupt, der ja zwar auch nicht im Wald sein kann, aber dann ist es halt nicht gleich das Plätzchen. Oder statt der Weihnachtsbaumnadeln erst mal Tannennadeln. Dass du auf Weihnachten kommen willst, ist mir schon klar, ich würde es nur bissel dosierter und eine Spur langsamer machen. Den Wahrnehmungen Ullas ein bisschen Übergang schenken.
den Wärmerest - das fand ich nicht ganz glücklich ausgedrückt, wirkt unpassend zu deiner sonst so liebevollen Sprache.
Sie schloss die Augen, wiegte sich im Takt eines Stille-Nacht-Traums und wollte warten bis sie von der Dunkelheit ergriffen wurde.
bis sie von der Dunkelheit ergriffen wurde - sehr schön. Im doppelten Sinne.
Der Stille-Nacht-Traum - ich find den einerseits gut, auch weil das so einen doppelten Sinn hat, aber kommt mir auch noch was zu schnell. Aber das ändert sich vielleicht, wenn die Wahnehmungen vorher ein bisschen mehr Zeit bekommen.
Sommersprossen verteilten sich auf ihrem Gesicht und bewegten sich im Takt ihres Lächelns wie ein Weizenmeer.
Sommersprossen wie ein Weizenmeer. Das ist glaub einer der wenigen oder gar der einzige Vergleich, den ich unpassend finde. Die Farbe stimmt zwar, auch den Takt des Lächelns finde ich schön, aber viele, sogar sehr eng zusammenhängende Sommersprossen sehen nun mal nicht so aus wie ein Weizenmeer oder Weizenfeld.
„Hm“, sagte das Mädchen, streckte das Milchhändchen aus, zeigte auf ein rosa Säckchen, öffnete es und sagte: „Ich heiße Gretchen und möchte dir etwas zeigen. Schau mal, Ulla!“
Die Milchhändchen finde ich großartig.
Ulkig fand ich, daSS du das kleine Mädchen den Namen der Frau kennen und sagen lässt, die Frau darauf aber gar nicht reagiert.
Sie hielt ihr einen schwarzen Stein hin, der wie eine Zwiebel aussah, aus der im Frühjahr Blumen wachsen.
schön
Mehr von den Wunderschätzen kamen zum Vorschein, während die Hände flatterten, die Worte sprudelten, sich in Ullas Bauch herumtrieben, sie wärmten und sich wie ein Augustgewitter anfühlten, das die Hitze vertrieb.
Den Vergleich mit dem Augustgewitter finde ich zwar einerseits schön. Aber er reißt mich raus, weil das hier doch alles in der Kälte stattfindet und die Ulla doch eigentlich nach Wärme sucht. Kurz davor schreibst du ja noch, dass die Worte des kleinen Mädchens wärmen. Da passt das Vertreiben von Hitze doch nicht dazu.
Sie lernte die Nadel kennen, mit der Gretchen die Knöpfe an den Kleidern ihrer Lieblingspuppen annähte, die Strähne blonden Flachshaars, die eine Fee verloren hatte, das Fläschchen mit Wasser aus einem Zauberteich, das jeden Kopfschmerz besiegte, die Samtfeder eines Vogels, der in Regenbogenfarben schimmerte und manches, über das man nicht reden darf.
So schön.
„Da stecke ich alles rein, was ich vergessen will. Tränen, Wut und Angst und wenn ich an einem Meer, einem See oder einem Fluss vorbeikomme, werfe ich es rein.“
Ja, das ist praktisch. Manche zahlen ein Vermögen bei einem Psychotherapeuten, um sich so ein innerliches Säckchen zuzulegen.
Die Buchstaben glichen Engelshaaren, so fein und zart schwangen sie ihr entgegen. Sie öffnete es, steckte den Gretchenkuss rein, stand auf und schüttelte sich.
Auch so liebevoll. Aber "hinein" nicht rein.
Am Firmament blühte eine rosa Weihnachtssonne, während sie vorwärtsschritt.
Hier finde ich die rosa Weihnachtssonne schön. Sie wirkt hier halt so schön eingebettet.
Im Titel gefiel mir die rosa Weihnachtssonne nicht so.
Irgendwie denke ich mir eher, dass die Weihnachtssonne ja nicht von Anfang an rosa war, sondern kaum zu sehen oder hinter den Wolken verborgen und dann wird/wurde sie ja durch das Gretchen erst rosa. Irgendwie würd mir hier so ein Werden-Titel gefallen. Ist ja bald Weihnachten, da darf man sich was wünschen.
Hab ich gerne gelesen. Viele Grüße von Novak