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Gottes Fliegenklatsche

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12.02.2004
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Gottes Fliegenklatsche

Eine sternenklare Winternacht. Der Schnee knirschte unter Roberts Füßen. Sein Atem dampfte im Licht der Lampen. Von fern sahen die Siedlungen aus wie Versammlungen von Glühwürmchen in Momentaufnahmen zwischen Bergen, groß und still. Auf dem Dorfplatz blieb er stehen. Sollte er den nächsten Nachtbus nehmen, oder vorher noch einen trinken? An einem großen Gebäude schräg gegenüber verkündete ein Schriftzug: BAR. Dorthin lenkte er seine Schritte, spürte bei jeder Bewegung seine Oberschenkel und Knie. Und seine Blase drückte. Die Tür war aus altem Holz und hatte schmiedeeiserne Beschläge. Dunst aus Frittierfett und altem Rauch schlug ihm entgegen. Seine Schuhe hinterließen Wassertropfen auf den Fliesen. Hinter der Bar stand eine Frau Anfang Fünfzig, deren Schönheit sich langsam verabschiedete, wie bei einer Schnittblume, die schon ein wenig den Kopf hängen ließ. Er kannte sie flüchtig. Sie hieß Gabriele. Sie sog an einer Zigarette, schaute ihn die ganze Zeit an, während er näher kam.

„Grüß dich!“

Robert öffnete den Reißverschluss seines Anoraks. Dabei streifte die Innenseite seines Arms das Handy in der Tasche, immer noch eingeschaltet und auf Empfang, seine Verbindung zu Menschen, die längst in ihren Betten lagen.

„Kann ich einen Glühwein haben?“

An der Bar saß ein Mann mit grauem Bart, ein Bier vor sich. Sicher nicht das erste. Dieser Typ war seltsam. Es hieß, dass er so eine Art Hellseher sei. Er warf manchmal einen Blick auf den kleinen Fernseher, in dem ein Fußballspiel lief. Unten zogen an einem Laufband Quoten vorbei.

„Und? Gewinnt Real heuer die Champions League?“
„An deiner Stelle würde ich fragen, ob du die Frau, an die du vorhin gedacht hast, jemals wiedersehen wirst.“
„Wie bitte?“
„Das ist das, was ich an deiner Stelle fragen würde.“

Er schaute Robert von der Seite her an. Er hatte Tränensäcke. Und Haarbüschel in den Ohren. Auf seiner Schirmkappe stand Unser Lagerhaus.
Robert sagte: „Ich weiß nicht, was du für ein Problem hast.“
Gabriele stellte einen gläsernen Krug mit Glühwein vor ihn hin: „Keinen Ärger in meinem Haus!“
Die gebräunte Haut über ihren Brüsten warf Fältchen.

„Ich bin der Schorsch. Offenbar hast du ja schon von mir gehört“, sagte der Mann, „Nicht böse sein! Ich erfülle nur meine Aufgabe. Als Vermittler zwischen dir und der höheren Ordnung.“
Schorsch roch nach Rinde und Bier.
„Zwischen mir und Gott, oder wie?“
„Kann sein.“

Robert nahm einen Schluck von dem Glühwein: ein Geschmack nach Nelken, Wein und Zimt und eine Hitze, die sich die Speiseröhre hinunter bis in den Bauch ausbreitete! Dieser Typ war also ein Prophet. In ihm regte sich Ehrgeiz, das zu widerlegen. Mit Logik.
Gabriele griff nach der Fernbedienung und drückte den Aus-Knopf: „Schaut doch eh niemand mehr zu, oder?“

„Hör zu, Alter!“
Schorsch musterte ihn mit roten Tränensack-Augen.
„Diese Vorstellung von Gott aus dem Religionsunterricht, die ist Blödsinn. Die widerspricht den Gesetzen der Logik. Wie du vorhin gesagt hast: Ich werde meine Freundin niemals wiedersehen …“
Gegen seinen Willen durchlief ihn ein Schauer.
„… Das bedeutet doch, dass die Zukunft feststeht. Das heißt aber auch, dass wir Menschen nicht und nicht einmal Gott selbst freie Entscheidungen treffen können. Wenn aber Gott allmächtig ist, muss er Dinge tun können, die dieser vorgegebenen Zukunft widersprechen. In diesem Fall hätte er in seiner Prophezeiung gelogen. Dein Gott ist also entweder nicht allmächtig oder nicht allwissend oder er lügt.“

Gabriele sagte: „Ich möchte mal wissen, was der alte Schorsch darauf antworten kann.“
Schorsch nahm einen Schluck Bier, um sich zu stärken. Er deutete mit dem Kinn auf den Hund: „Schau dorthin!“
Der Golden Retriever, den jetzt alle drei beobachteten, trottete vor die Bar. Er setzte sich hin, blickte in die Runde und bellte einmal: Wuff!

Und siehe: Sein Fell verfärbte sich von semmelgelb zu strahlendem Weiß!

„Ja, und?“, fragte Gabriele.
Robert glotzte mit offenem Mund Schorsch an. Schorsch sagte: „Sie sieht es nicht.“
Der Hund, offenbar mit sich selbst zufrieden, trottete wieder zu den Spielautomaten mit ihren bunten Lichtern.

„Was sehe ich nicht? Naja, egal … Ich kenne alle Gottesbeweise. Zehn Semester Philosophie und Kunstgeschichte! Nicht, dass es mir bisher im Leben viel geholfen hätte ... Es läuft auf Gott als die Transzendenz hinaus, die jenseits des von Menschen Erfassbaren liegt. Auch jenseits der Logik.“
Schorsch grinste. Er gab Robert einen Stoß mit dem Ellenbogen: „Na, wer von uns beiden hat nun Recht?“

* * *​

Erst mal in Ruhe aufs Klo! Länger konnte er wirklich nicht mehr warten: „Ich muss austreten. Und wenn ich zurückkomme, gebe ich euch die Antwort, die ihr verdient.“

Auf dem Weg die Treppe hinunter ging automatisch das Licht an. Anstelle guter Argumente kam die Angst, kroch ihm die Hosenbeine hinauf und packte ihn an den Eiern. Am Pissoir entleerte er sich mit viel Druck. Himmel, tat das gut! Das WC war geräumig, blaue Fliesen überall. Vor dem Fenster, das sich zu einem Lichtschacht öffnete, lagen tote Fliegen. Woher kamen die zu dieser Jahreszeit? Während er den Reißverschluss hochzog, hatte er einen absurden Gedanken: Gott hat sie getötet! Höchstpersönlich umgebracht, als hätte er sie mit der Fliegenklatsche totgehauen.

Vor dem Spiegel blieb für den Bruchteil einer Sekunde die Zeit stehen, als wäre die ganze Welt zu einem Eisblock schockgefroren. Mit großen Augen betrachtete er sich selbst: müde, Schatten unter den Augen. Die Hände lösten sich zuerst aus der Erstarrung. Er drehte den Hahn voll auf, spritzte sich Wasser übers Gesicht: Werd wieder klar im Kopf!

Er trocknete sich mit einem Papierhandtuch Gesicht und Hände ab. Klatschnass war es, als es in den Plastikbeutel plumpste. Er hielt es immerhin für möglich, dass diese Prophezeiung eintraf, späte Stunde hin oder her. Und was dann?

Seine Hand griff nervös nach dem Handy, drückte ein paar Tasten.
Er hörte viermal das Tüüüüt des Freizeichens, bis sie sich mit belegter Stimme meldete: „Hallo?“
Er sagte, dass er es war, dass er Angst hatte und dass er sie liebte, dass er sie vermisste und nicht wusste, was er tun sollte … (usw.)
„Robert, es ist halb drei Uhr morgens. Muss das jetzt wirklich sein?“
Sie hatte ja Recht. Er murmelte eine Entschuldigung und fügte vorsichtshalber noch einmal hinzu, dass er sie liebte.

Jetzt war ihm etwas wohler. Er ging die Treppe hinauf, kam um die Ecke, nahm Anlauf, klatschte beide Hände heftig auf den Barhocker, als wollte er einen Bocksprung machen, schwang tatsächlich links und rechts die Beine hoch, behielt sie in der Luft und ließ sich mit dem Hintern auf die Sitzfläche fallen. Fast wäre er umgekippt, wenn Schorsch ihn nicht am Kragen gepackt hätte. Ein Rucken des Erstaunens ging durch Gabrieles aufgemalte Augenbrauen. Schorsch stieß einen Luftschwall der Erleichterung aus. Er murmelte: „Ein bisschen verrückt kann man schon sein.“

Robert rief: „Scheiß drauf! Ich behaupte jetzt einfach mal, dass deine Prophezeiung falsch ist.“

Er trank den restlichen Glühwein in einem Zug leer.
Schorsch erklärte mit vollem Ernst: „Du siehst sie nicht wieder, weil du in wenigen Stunden tot bist. Aber das ist kein Grund, traurig zu sein. Weißt du: Gerade habe ich zu Gabriele gesagt, dass wir alle wie Puppen sind, in denen Gottes Hand steckt. Er zieht sie raus, die Hülle landet im Müll, und die Hand tut schon etwas anderes.“
„Vorhin hieß es noch, ich soll meine Freundin verlieren und jetzt sagst du, ich werde bald tot sein? Spinnst du? Das ist jetzt wirklich nicht mehr lustig! Und ich möchte schon meinen, dass ich selber bestimme, was ich tue.“
„Wie erklärst du dir dann diesen idiotischen Bocksprung?“

Robert schnappte nach Luft.
„Ich hatte eben Lust dazu! Wenn ich nur so eine willenlose Figur bin, wie ihr behauptet, hätte das immerhin den Vorteil, dass ich keine Verantwortung trage.“
Gabriele sagte: „Dein Karma holt dich trotzdem ein. Die Folgen deiner Taten werden dich ereilen.“
(Es klang wie ein endgültiger Urteilsspruch.)

Wie ein in die Enge getriebenes Tier prüfte sein Verstand alle Möglichkeiten, sich zu retten. Ging das denn, ein so hoffnungsvolles Leben zu verschwenden? All diese Pläne unerfüllt zu lassen? Sollten alle Anstrengungen der letzten dreißig Jahre vergeblich gewesen sein? Mal eben eine Saison lang in so einem Schiort arbeiten, um etwas Geld zu sparen. Na, von wegen!
Verstieß das nicht gegen jedes sinnvolle Konzept einer höheren Ordnung, wenn eine höhere Macht ihn willkürlich vernichten konnte, wie die Fliegen unten vor dem Fenster?

Er konnte einfach hier sitzen bleiben. Warten, was passierte. Bis Mittag nicht schlafen, nur wegen so einer lächerlichen Prophezeiung. Doch nicht wirklich, oder?
Er zahlte und ging hinaus an die frische Luft, wankte etwas auf dem Weg zur Bushaltestelle. Über ihm glitzerte der Sternenhimmel. Er schaute hoch und schrie: „Hier bin ich! Siehst du mich?“

Eine Gruppe junger Holländer schaute zu ihm herüber und lachte. Der Nachtbus zockelte mit beruhigendem Brummen heran. Robert rannte hin wie zu einem Fluchtfahrzeug. Er setzte sich ganz nach hinten und lehnte sich zurück. Du bist müde und überdreht. Schlaf dich erst mal aus!

(Eine Viertelstunde später brachte Glatteis auf einer Brücke den Bus ins Schleudern. Er prallte gegen die Leitplanke, durchschlug sie, stürzte zwanzig Meter in die Tiefe und explodierte im Bachbett. Die Feuerwehr konnte Stunden später nur mehr die verkohlten Leichen des Fahrers und der sechs Passagiere bergen.)

* * *​
Die ersten Angehörigen und Freunde trafen am selben Vormittag ein. Schorsch beobachtete sie, wie sie nach dem Sprengelarzt und der Feuerwehr, dem Gemeindeamt und Gott-weiß-was-noch suchten, alle mit diesem Gesichtsausdruck, als hätten sie für immer etwas Wertvolles verloren. Als wäre ihr Vertrauen in die Ordnung der Dinge erschüttert. Schorsch dachte selbst darüber nach, ob nun das Robert-hafte für immer aus der Welt verschwunden war.

 

Hallo Berg

Das bedeutet doch, dass die Zukunft feststeht. Das heißt aber auch, dass wir Menschen nicht und nicht einmal Gott selbst freie Entscheidungen treffen können.

Das ist ein toller Gedanke - Willensfreiheit vs. Fatalismus. Ich habe neulich einen Essay von David Foster Wallace zu diesem Thema gelesen inklusive Einführungstexte und Erläuterungen.

Richard Taylor hat einst den Fatalismus aus Axiomen und logischen Schlussfolgerungen "bewiesen" - er ist also ähnlich vorgegangen wie dein Robert. Und DFW hat diesen Ansatz in seinem Essay widerlegt, was als herausragende Arbeit angesehen wird.

Da ich mich also auch mit diesem Thema beschäftigt habe (wenngleich nicht so sehr mit dem theologischen Aspekt), hab ich deinen Text sehr interessiert gelesen.

Wenn aber Gott allmächtig ist, muss er Dinge tun können, die dieser vorgegebenen Zukunft widersprechen.

Dein Robert geht mir hier ein wenig zu schnell vor. Ein "allmächtiger" Gott schliesst meinem Verständnis nach eine "vorgegebene Zukunft" aus - aber es stellt sich natürlich die Frage, wie diese Begriffe genau definiert sind, also die Semantik spielt gerade in diesem Bereich der Philosophie - auch, wenn es um Gottesbeweise geht oder solche Beweise, die Gott widerlegen - eine wichtige Rolle.

Dein Gott ist also entweder nicht allmächtig oder nicht allwissend oder er lügt.

Dieses "er lügt" würde ich weglassen. Ein beliebter "Beweis", um Gottes Allmacht zu widerlegen, ist ja das Beispiel mit dem Stein: Kann Gott einen Stein erschaffen, der so schwer ist, dass er ihn selbst nicht heben kann? Wie auch immer man die Frage beantwortet, es läuft darauf hinaus, dass Gott nicht allmächtig sein kann.

Robert verkörpert jemanden, der solche Argumente bringt, der mit Sprache kommt, mit Logik - und dabei knallhart in eben diese Schranken gewiesen wird, die diese Ansätze schon mitbringen. Es gibt da viele herrliche Paradoxien, die mit diesen Beschränkungen spielen, und für mich schwingen die in dieser Geschichte mit, weil Robert denkt, damit die Welt "erklären" zu können. Ich lese dann auch das Ende so, dass Roberts Versuche hier zum Scheitern verurteilt sind.

Eine schöne Gegenposition hast du dann mit Gabriele:

Es läuft auf Gott als die Transzendenz hinaus, die jenseits des von Menschen Erfassbaren liegt. Auch jenseits der Logik.

Das finde ich gut auf den Punkt gebracht. Das ist auch eine Erkenntnis, die der eingangs erwähnte Essay vertritt: Er widerlegt nicht den Fatalismus selbst, aber einen, der sich basierend auf logischen Gesetzen "zwingend" ergeben muss. Diese ganzen metaphysischen Fragen - gibt es Gott, was ist der Sinn des Lebens, ist die Zukunft determiniert - lassen sich nicht so einfach beweisen oder widerlegen, wie es Robert versucht.

Und siehe: Sein Fell verfärbte sich von semmelgelb zu strahlendem Weiß!

Ich hab das erst so verstanden, dass der Hund vielleicht in ein anderes Licht geht und dadurch sein Fell anders wirkt (deshalb sieht es auch Gabriele nicht). Vielleicht deshalb:

Der Hund, offenbar mit sich selbst zufrieden, trottete wieder zu den Spielautomaten mit ihren bunten Lichtern.

Ich finde es schön, dass du diese zwar interessanten, aber auch ziemlich komplizierten Fragestellungen in einen lockeren Text verpackt hast:

Erst mal in Ruhe aufs Klo! Länger konnte er wirklich nicht mehr warten: „Ich muss austreten. Und wenn ich zurückkomme, gebe ich euch die Antwort, die ihr verdient.“

oder das hier:

„Vorhin hieß es noch, ich soll meine Freundin verlieren und jetzt sagst du, ich werde bald tot sein? Spinnst du? Das ist jetzt wirklich nicht mehr lustig! Und ich möchte schon meinen, dass ich selber bestimme, was ich tue.“
„Wie erklärst du dir dann diesen idiotischen Bocksprung?“

Das finde ich übrigens auch einen schönen Vergleich:

Verstieß das nicht gegen jedes sinnvolle Konzept einer höheren Ordnung, wenn eine höhere Macht ihn willkürlich vernichten konnte, wie die Fliegen unten vor dem Fenster?

Da sind wir wieder beim semantischen Problem des "sinnvollen" Konzepts - ja, was ist denn sinnvoll? Wenn wir Fliegen am Fenster klatschen, betrachten wir das ... hm, nicht unbedingt als "sinnvoll", aber sagen wir mal als notwendig. Die Fliege würde das vermutlich anders sehen. Und analog dazu haben wir den Robert, der zwar diesen Vergleich anstellt, aber sich nach wie vor als denjenigen betrachtet, der über Sinn und Unsinn entscheidet - nur ist das natürlich immer derjenige mit der "Fliegenklatsche" in der Hand. Also hier begeht er einen Fehler, ähnlich wie bei seiner "logischen" Gotteswiderlegung vorhin.

Ich hab die Geschichte sehr gern gelesen, weil ich das interessante Themen finde, über die ich auch schon mehrfach gelesen oder mich anderweitig beschäftigt habe. Von daher trifft das auf jeden Fall mein Interesse. Als Kritikpunkt möchte ich anbringen, dass vieles zwar angeschnitten wird, aber so richtig in die Tiefe gehst du nicht. Aber das widerspräche vermutlich dem Konzept, das Ganze noch kurzweilig und unterhaltend zu verpacken - das ist dir auf jeden Fall gelungen. Und schliesslich sind wir hier nicht in einem Philosophie-Seminar; ich sehe solche Geschichten sowieso eher unter dem Aspekt, den Leser zu "kitzeln" und zu eigenen Gedanken anzuregen, und das ist dir hier auf jeden Fall gelungen.

Viele Grüsse,
Schwups

 

Schön, dass ein Kommentar auch zum Lachen bringen konnte,

lieber Fritz,

aber jetzt werd ich wahrscheinlich lästig, ohne zur Last fallen zu wollen, denn
das Bild mit den Glühwürmchen könnte ja doch stimmen, wenn wir einer trivialisierten speziellen Relativitätstheorie folgten (nicht das Haar in der Suppe!), dann nämlich, wenn der Fußgänger Robert schwankenden Schrittes durch die Nacht ginge, sei es, dass er vordem zur See gefahren wäre (eine Art Freddy Quinn zB, der ja in Wirklichkeit Österreicher ist, was einen nicht dran hindern kann, arges Fernweh zu verbreiten) oder dass er schon vor seiner Einkehr eingekehrt sei, und zwar nicht bei sich selbst. Es bedarf also nicht einmal dessen, dass der Boden ihm unter den Füßen schwanke, dass wäre dann allzu viel Kolportage.

Das zwote wäre dann die Prophetie des Schorsch, die mir auf einmal wie moderne Metaphysik vorkommt mit der Börse als Tempel Gott Mammons.
Leuchtet nicht sofort ein, aber CDS kürzt in der Sprache der Börsenhaie für Credit Default Swaps, die in dt. Übersetzung schlicht zum Monster Kreditausfallversicherungen werden.

Das ist eine Weiterentwicklung der allseits beliebten Leerverkäufe, die der Durchschnittsbürger sich nicht einmal zu träumen wagt. Das sind „Werte“ (Aktien/Anleihen/Versicherungen), die man entweder nur leihweise oder gar überhaupt nicht besitzt (sozusagen Wert ohne Eigentum). Beispiel:

Ein Händler verkauft Visagenbuchaktien (ein klangvolles Wort, weshalb ich auch die Aktien auserkoren habe), sagen wir – um nicht mit Kommastellen arbeiten zu müssen - zum Stückpreis von zehn Euro.
In der folgenden Woche fällt zufällig der Kurs auf 1 € und der Händler (bzw. seine eDV) kauft dieselben Aktien zurück. Von den neun Euro Gewinn zieht er die Leihgebühr (immerhin hat er sie sich geliehen, statt einfach nur mit Buchgeld zu hantieren) von einem € ab, was den Zuckerzwerg und den „Vermieter“ nicht in den Abgrund reißen wird.

Die Rendite (sie ist höher, als ein Ackermann sie sich träumen ließe) wird er mit seinem Risiko begründen: es hätte ja auch schief gehn können ...

Für harmlose Wohnungsmieter börsennotierter Unternehmen oder den kleinen Staatssouverän kann das ausgehen wie für den kleinen Busfahrer, der vielleicht sogar als freier Mitarbeiter/Subunternehmer bei einem größeren Busunternehmer Werkverträge erfüllen musste.

Selbstverständlich hätte der Kurs der Aktie auch steigen können, was aber eine ganz andere Geschichte ergäbe hin zur nächsten Spekulationsblase … Da wünscht man sich doch eine gewisse Nötigung, heiße sie nun Regulierung oder Determinismus mit der eDV als der Eilige Geist.

So wäre auch die Variation angerissen ...

Gruß & schöne Tage diese Tage vom

Friedel

 

Hallo Schwups & Friedel,

@Schwups:

Schwups schrieb:
Das ist ein toller Gedanke - Willensfreiheit vs. Fatalismus. Ich habe neulich einen Essay von David Foster Wallace zu diesem Thema gelesen inklusive Einführungstexte und Erläuterungen.

Richard Taylor hat einst den Fatalismus aus Axiomen und logischen Schlussfolgerungen "bewiesen" - er ist also ähnlich vorgegangen wie dein Robert. Und DFW hat diesen Ansatz in seinem Essay widerlegt, was als herausragende Arbeit angesehen wird.

Ich bewundere Leute, die sich die Zeit nehmen, solchen Fragen konsequent auf den Grund zu gehen und genauer hinzuschauen! Immerhin bin ich heute morgen dazugekommen, den Wikipedia-Artikel über diese Fragestellung zu lesen: http://en.wikipedia.org/wiki/Fatalism

Zur Widerlegung fällt mir auch Hofstadters MUI-System ein, das er am Anfang von "Gödel Escher Bach" verwendet, um zu zeigen, dass man manche Systeme von außen betrachten muss, um ihre Funktionsweise zu begreifen.

Schwups schrieb:
Dein Gott ist also entweder nicht allmächtig oder nicht allwissend oder er lügt.
Dieses "er lügt" würde ich weglassen. Ein beliebter "Beweis", um Gottes Allmacht zu widerlegen, ist ja das Beispiel mit dem Stein: Kann Gott einen Stein erschaffen, der so schwer ist, dass er ihn selbst nicht heben kann? Wie auch immer man die Frage beantwortet, es läuft darauf hinaus, dass Gott nicht allmächtig sein kann.
Dieses "er lügt" gehört nicht direkt zu diesem logischen Widerspruch, sondern zu dem Gedanken, dass es keinen guten Grund gibt, anzunehmen, dass ein höheres Wesen uns auf alle Fälle wohlgesonnen sei.

Schwups schrieb:
Robert verkörpert jemanden, der solche Argumente bringt, der mit Sprache kommt, mit Logik - und dabei knallhart in eben diese Schranken gewiesen wird, die diese Ansätze schon mitbringen. Es gibt da viele herrliche Paradoxien, die mit diesen Beschränkungen spielen, und für mich schwingen die in dieser Geschichte mit, weil Robert denkt, damit die Welt "erklären" zu können. Ich lese dann auch das Ende so, dass Roberts Versuche hier zum Scheitern verurteilt sind.
Unsere Physiklehrerin in der Mittelschule hat das mal als Beispiel gebracht.
Robert verwechselt sein Modell von der Welt, das auf Logik basiert, mit der Realität. Deshalb hat es mir als Autor Spaß gemacht, ihn platt zu machen. ;)

Schwups schrieb:
Ich hab das erst so verstanden, dass der Hund vielleicht in ein anderes Licht geht und dadurch sein Fell anders wirkt (deshalb sieht es auch Gabriele nicht).
Seltsam, dass ihr gerade für diese Stelle nach allen möglichen Erklärungen sucht. Das Ereignis in der Geschichte ist simpel: Fell verändert Farbe.

Schwups schrieb:
Als Kritikpunkt möchte ich anbringen, dass vieles zwar angeschnitten wird, aber so richtig in die Tiefe gehst du nicht. Aber das widerspräche vermutlich dem Konzept, das Ganze noch kurzweilig und unterhaltend zu verpacken [...]
Das wäre noch um ein ganzes Stück anspruchsvoller.

Vielen Dank für deinen Kommentar!

@Friedrichard

Friedrichard schrieb:
aber jetzt werd ich wahrscheinlich lästig, ohne zur Last fallen zu wollen, denn
das Bild mit den Glühwürmchen könnte ja doch stimmen, wenn wir einer trivialisierten speziellen Relativitätstheorie folgten (nicht das Haar in der Suppe!), dann nämlich, wenn der Fußgänger Robert schwankenden Schrittes durch die Nacht ginge, (usw.)
Gar nicht! Schlimmstenfalls bräuchte ich ja nicht darauf zu antworten.
Wenn Robert sich mit Lichtgeschwindigkeit über den Dorfplatz bewegen würde, wäre das tatsächlich eine Möglichkeit. Da ich keine Angaben über seine Geschwindigkeit gemacht habe, muss ich diesen Gedanken natürlich in Betracht ziehen. ;)

Friedrichard schrieb:
Das zwote wäre dann die Prophetie des Schorsch, die mir auf einmal wie moderne Metaphysik vorkommt mit der Börse als Tempel Gott Mammons.
Leuchtet nicht sofort ein, aber CDS kürzt in der Sprache der Börsenhaie für Credit Default Swaps, die in dt. Übersetzung schlicht zum Monster Kreditausfallversicherungen werden.
Wo in der Geschichte kommt denn eine Spekulation à la baisse vor? Um Robert für einen zukünftigen Zeitpunkt zu verkaufen oder zu vermieten, müsste er ihn besitzen oder wenigstens ein Nutzungsrecht an ihm haben.
Deine Gedanken gehen seltsame Wege. :p

Liebe Grüße vom

Berg

 

Deine Gedanken gehen seltsame Wege,
ja, das tun sie,

lieber Fritz,

aber wo kämen wir hin, wenn selbst scheinbar unbegehbare Wege nicht begangen würden? Welche Wege beschreiten denn Propheten als die Stimme ihres Herrn, trage er nun einen realen Namen oder wäre halt jenes unbekannte, höhere Wesen, das wir nicht erst seit Dr. Murkes gesammelten Werken verehren (vgl. DWB Bd.16 und Duden Bd. 7, übrigens ursprünglich vor der Christianisierung ein sächlicher Begriff)? Die Erkenntnis Gottes spiegelt sich in seinen Werken und wenn Gott auch noch geschäftstüchtig ist, bedarf es nicht eines Wortes über

Spekulation à la baisse
und hausse nebst allem, was dazwischen liegt, schließlich wirkt es ja dem Pantheisten in Allem, wie alles dem Theopanisten Gott ist.

Von Schorsch wird gesagt, dass er so eine Art Hellseher sei, am Finanzmarkt hieße er „Analyst“, und als Schorsch für Robert spricht, ihn quasi entmündigen will - was sich durchaus als Ratgeber präsentieren kann,

„Das ist das, was ich an deiner Stelle fragen würde.“
klassifiziert er Robert ab von AAA auf D, nix anderes machen Ratingagenturen, deren überhöhtes Orakel mathematisch verbrämt wird.
vom Fernseher heißt es
nten zogen an einem Laufband Quoten vorbei.
Quoten = Kurse (die sich ja noch aus Angebot und Nachfrage bilden) / Wetten darauf, dass dieses oder jenes geschehen werde (psychologische Effekte wie Erwartungshaltung)

Auf Roberts Mütze steht

Unser Lagerhaus
Robert kommt also aus einer andern Welt. Er ist Relikt. Finanzmärkte brauchen kein Lagerhaus, selbst ein Onkel Dagobert in Entenhausen kann kaum in Buchgeld baden. Man muss nur angelegentlich die Buchungsjournale und Bücher auf andere Festplatten kopieren, um Aufbewahrungsfristen nachkommen zu können.
Und Gott ist – nach einem Titel in der aktuellen ZEIT – ein Computer, der ja mit nahezu Lichtgeschwindigkeit reagiert, wenn wir noch nicht einen einzigen Reflex von uns geben konnten, geschweige denn erfasst haben, was gerade der Kurs ist.
In der Chip 1/2013 wird verraten wer die aktuellen Herren der Netzwerke sind (Konzerne, CIA und ein bisschen auch der BND). In einem andern Artikel der gleichen Ausgabe kommen dann die Schnüffler (Gott sieht alles und will es auch wissen) verblüffend einfach in die gute Stube des kleinen Mannes, ob er nun Robert oder Fritz heiße.
Wie Robert ist der Fernseher mit der Laufleiste ein Relikt der Vergangenheit: in dem Augenblick, da die Werte am Auge vorbeiziehen, mögen sie schon nicht mehr aktuell sein.

Gruß

Friedel

 

Lieber Berg!

Die Sprache verkleidet den Gedanken. Und zwar so, dass man nach der äußeren Form des Kleides nicht auf die Form des bekleideten Gedankens schließen kann; weil die äußere Form des Kleides nach ganz anderen Zwecken gebildet ist als danach, die Form des Körpers erkennen zu lassen.

Nein, das ist nicht von mir (hätte eh keiner geglaubt), sondern von Ludwig Wittgenstein.
Und deine Gedanken, lieber Berg, ich will es mal milde ausdrücken, waren höchst frecher Natur!

Ich kann es mir richtig vorstellen, wie du mit diabolischem Grinsen und satirischem Scharfblick in der Schmuddelkiste der Philosophie nach abstrakten Begriffen – Transzendenz, höhere Ordnung, Karma, Gottesbeweis, Allmächtigkeit, Allwissenheit, um nur einige zu nennen – suchtest, deren vielfältige (um nicht zu sagen einfältige) Inhalte keinerlei Prüfung standhalten.

Immerhin, dir ist hier ein kleines Meisterwerk gelungen, das zeigt, dass Gespräche mit solch abstrakten Begriffen dort am besten aufgehoben sind, wo du sie hinverbracht hast: In eine fiktive Welt.

Und so lässt es mich auch schmunzeln, dass das einzig Reale (Greifbare) in deiner Geschichte die Fußballmannschaft Real Madrid ist … und dass sich dafür, sobald die „philosophische“ Diskussion in Gang kommt, recht schnell niemand mehr interessiert.

Mit äußerstem Vergnügen gelesen!

Lieben Gruß

Asterix

PS
Für etwaige Unterstellungen bitte ich vorgreifend um Entschuldigung. :lol:
Nein, im Ernst ... ganz wirklich!

 

Liebe Kommentatoren,

@Friedrichard: Eine Klassifizierung von AAA auf D bringt Roberts Situation schön auf den Punkt.

@Asterix:

Du schreibst:

Immerhin, dir ist hier ein kleines Meisterwerk gelungen, das zeigt, dass Gespräche mit solch abstrakten Begriffen dort am besten aufgehoben sind, wo du sie hinverbracht hast: In eine fiktive Welt.
Als echter Idealist wundere ich mich immer wieder, wenn Ihr Gedanken, die mir in dieser Form tatsächlich kommen, wie Ironie behandelt. ;)

Freundliche Grüße vom,

Berg

 

Lieber Berg,

das habe ich gerne gelesen, wenn ich auch ansonsten von schneekalten Umgebungen die Nase voll habe zur Zeit :-).
Man kann in deiner Geschichte so schön durch die Kälte mitstapfen, sich in der Kneipe daneben setzen (wenn ich auch die Beschreibung der Wirtin als Verblühende ein wenig fies finde - liegt sicher daran, dass ich Anfang 50 bin ...). Philosophie am Tresen, nett. Und die Frage, ob es ein Schicksal oder einen Gott oder beides gibt, wird durch deine Erzählung schön aufgewirbelt.

Aber ich finde Robert hat Recht, 'Scheiss drauf', wenn das Leben sich schicksalhaft verabschieden will, denn was würde die Angst davor ihm nützen? Und wie immer es in Wirklichkeit sein mag, besser, man stellt sich sowas wie Willensfreiheit vor für sein Leben.

Tolle Story,

beste Grüße,

Eva

 

Liebe Eva,

das hier ist ein sehr hübscher Gedanke:

Aber ich finde Robert hat Recht, 'Scheiss drauf', wenn das Leben sich schicksalhaft verabschieden will, denn was würde die Angst davor ihm nützen?
Du hast Recht: Angst wäre völlig nutzlos. Wie meistens.

Mir fällt manchmal auf, dass Frauen ab einem gewissen Alter von den Medien (und auch sonst) schlecht behandelt werden. Nach den Gesetzen der Biologie verflüchtigen sich körperliche Reize. Dafür kommen Erfahrungen und Ideen und vielleicht mehr Freiheit dazu. ;)

Ich mag deine Art zu kommentieren, die sehr kurz und prägnant deinen Eindruck zusammenfasst. In diesem Fall natürlich besonders, weil du die Geschichte magst.

Beste Grüße zurück,

Berg

 

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