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Giraffenmusik

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18.04.2002
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Giraffenmusik

Lieben sie Kulturabende? Also - ich hasse sie. Doch meine Frau schleppt mich mindestens einmal im Jahr zu einem Vortrag, wegen der Bildung. Ich sehe dort nur schwarz gekleidete Männer, Frauen mit zu engen Kostümen, zuviel Chanel Emotion No. 3. Gedämpfte Stimmen aus gespitzten Mündern.
Der heutige Vortrag: ‚Laute und Gitarre, Etymologie und Historie’. Nun, das kann ja heiter werden...
Es wird freundlich geklatscht, natürlich gehüstelt, dann beginnt ein dünner, weißhaariger Dr. Sowieso seinen Vortrag:
"Die Laute war im 14ten und 16ten Jahrhundert eines der beliebtesten deutschen Hausmusikinstrumente. Vom Klavier abgelöst, erlebte sie im 18ten bis 19ten Jahrhundert durch Komponisten wie zum Beispiel Carulli, Carcassi, Diabelli erneut eine Renaissance. Der bauchigen Laute erwuchs, im 17ten Jahrhundert von Italien kommend, durch die Gitarre neue Konkurrenz. Die in der braven höfischen sowie häuslichen Musik sehr beliebte Gitarre ist heute die tragende Säule der revolutionären Jugendmusik, aber auch leider klingender Bestandteil reiner Konsumgenres.
Für die Namensgebung der heutigen Gitarre mussten Begriffe aus Tierreich, Mythologie und Handwerk bemüht werden.
Alles begann ganz harmlos: Aus dem arabischen ‚al ud’, das Holz, entstand der Name ‚Laute’. Mit diesem kurzhalsigen Instrument verglich man die neu aufgekommene, langhalsige ‚italienische Laute’. Diese sah einem fremdartigen Tier ähnlich, der Giraffe, weil sie ebenso einen langen Hals besitzt. Der Name ‚Giraffe’ war in gelangweilten höfischen Kreisen schon geläufig, da diese sich brennend für die spektakulären Entdeckungen der Afrikahändler interessierten. Reisende hatten von einem Tier berichtet, dessen Größe Anlass gab, es nach den Söhnen der Gäa, also Giganten, gigantisch zu nennen. Weil dieses Geschöpf obendrein trotz der Savannenhitze nicht zu trinken schien, hielt man seinen Körper für ein Wassergefäß, eine Karaffe. Aus ‚gigantischer Karaffe’ entsprang im Zuge eines nachlässigen Sprachgebrauchs der Begriff ‚Giraffe’. Diese Bezeichnung hat demnach nichts mit Gier-Affe zu tun.
Die Beobachtung eines nicht durstigen Steppentiers ist nicht so absurd, wie es zunächst scheinen mag: Die Giraffe kann aufgrund ihrer Größe nur mit weit gespreizten Beinen Wasser erreichen, deshalb nimmt sie diese wehrlose Position nur selten in Anwesenheit von gefährlichen Fremden ein. Sie wird deshalb fast nie beim Trinken beobachtet.
Doch wie wurde aus dem zärtlich den Hals seines Instruments haltenden ‚Giraffenspieler’ der wohlbekannte Gitarrenvirtuose?
Nun, das Schicksal der Wortumgestaltung traf die tönende, hölzerne ‚Giraffe’ fast ähnlich hart, wie es das Wort ‚archiatrós’ erleiden musste, aus dem unser heutiger Begriff ‚Arzt’ hervorging. Der Zahn der Zeit und Sprechbequemlichkeit arbeiteten aus der Wortskulptur ‚Giraffe’ die Gitarre als neues Wortkunstwerk heraus.
Dass sich die beiden letzen Silben des Instrumentennamens von dem misstönenden Schnarren ableiten, das mancher Musiker erzeugt haben mag, ist historisch nicht belegbar. Spekulationen sollen natürlich nicht Gegenstand dieser Betrachtung sein.
Angesichts der aufgezeigten, logisch abgestimmten Fakten, kann man die These, ‚Gitarre’ komme vom griechischen Wort ‚kithara’, als widerlegt ansehen."
Die Zuhörer applaudieren gesittet, Höflichkeiten werden ausgetauscht. „Ach wie treffend dargestellt“, „ja, wirklich schlüssig vorgetragen.“
Ich kann es nicht fassen - der alte Herr Doktor hat Humor, und keiner hat es gemerkt!
Wohl wegen der Bildung?

 

Hallo vio,

manche Aspekte des Kulturbetriebs kann man wohl nur mit Humor ertragen. Besonders angetan haben es mir die meist nervtötenden Videoinstallationen…
Oft kommt es mir so vor, als sei der Zweck gewisser `Werke´ der Versuch, den Betrachter zu verunsichern- er getraut sich dann nicht zu rufen. „Der Kaiser hat keine Kleider an!“

Vielen Dank für Deinen lobenden Beitrag. Wenn die Geschichte nicht ganz zu Humor, aber auch nicht zu knallharter Satire passt- dann stelle ich sie halt in `Sonstige´.

LG;

Tschüß… Woltochinon

 

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