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Gewinner-Ich
„Ulurd“, sagte der Doggster. „Ensa meya kedda-le-men!“
„Wenn du was willst, musst du es selbst bezahlen; ich kann dir nicht mehr bieten als die Freude meiner Gegenwart“, murrte Remus und zerdrückte ein Fleischbällchen mit der flachen Seite der Gabel.
„Me ki ki denooben!“
Remus ließ die Gabel klirrend in die Schüssel fallen und schob sie dem Doggster mit dem Handrücken über den Tisch.
„Dabu.“
Vor ein paar Jahren, als Remus noch dick im Geschäft gewesen war, und er jungen Frauen mit Edding „Das Boot war hier“ auf den Bauch schreiben musste (das zweite „o“ um den Bauchnabel gekringelt), hatten ihn die Laute des Doggsters inspiriert. Aber nun, da seine Karriere in eine etwas längere Periode der Stagnation übergegangen war, erinnerten sie ihn einzig daran, dass sie ihn an etwas erinnerten. Kein gutes Gefühl.
Der Doggster war ein bulliger Mann, dessen Gesicht, Arme und Beine von einem nussbraunen Flaum bedeckt waren. Irgendwann, als Body-Modelling gerade im Kommen war, hatte er sich zwischen Kehlkopf und Stimmbänder einen Synthesizer einsetzen lassen, der alles, was er sagte, in eine melodische und vokalreiche Sprache transponierte.
Vielleicht hatte er das getan, weil er seiner eigenen Stimme überdrüssig geworden war. Vielleicht weil er wie viele andere einzigartig sein wollte. Oder vielleicht, und das glaubte Remus seit einiger Zeit, war der Doggster schlicht schlau genug gewesen, zu erkennen, dass man, wenn man schon nichts zu sagen hat, dies nicht noch jedermann mitteilen musste.
„Mik mik medobede.“
Manchmal dachte Remus, dass er nur lange genug mit dem Doggster reden musste, bis diesem bei irgendeinem Thema eine illuminierende Lautfolge entfleuchte, die in Remus genau die Saite zum Klingen brächte, die ihn wieder ganz nach oben führen würde, die in ihm schlummerte, dort verschüttet war, dort von Gotteshand platziert oder vom Schicksal. Aber wenn er zu lange mit dem Doggster sprach, hörte er nicht mehr die Laute, sondern übersetzte sie gleich, was völlig uninspirierend war.
„Mik mik medobede!“, wiederholte der Doggster und schob die Schüssel von sich.
Remus klopfte den Rhythmus auf den Tisch. Mik mik – Nein. Das gab ihm nichts.
„Schnell, sag mal: Tut mir leid, ich spreche kein Spanisch und auf Schalentiere reagiere ich allergisch.“
„Scudo, vohq vohq vis denooben.“
Wieder klopfte Remus den Rhythmus.
„Nee, gibt mir nichts. Jetzt das mit den Schaltentieren.“
Der Doggster ließ die Schultern sinken und verschränkte die Arme vor der Brust wie ein trotziges Kind, das sich weigert, der Oma einen Kuss zu geben.
„Mir zuliebe“.
Der Doggster seufzte, strich sich mit der Zunge über den dichtpelzigen Fleck unter seiner Unterlippe und sagte: „Wego dex“, dann machte er eine längere Pause, „kleinerpenis“.
Remus prustete. Wer immer den Synthesizer damals programmiert hatte, für dieses Easter-Egg würde Remus ihm auf ewig dankbar sein.
Remus hatte die Hände hinterm Kopf verschränkt, die Beine unter dem Tisch ausgestreckt und zwei Espressi kommen lassen. Der Doggster trank seinen gerade mit angewinkeltem kleinen Finger, was der Stimmung des Boots weiteren Auftrieb verschaffte.
Und jetzt bemerkte er zudem, dass zwei Mädchen in der hinteren Ecke des Restaurants immer wieder zu ihm rüber sahen. Das Boot war so was von wieder da.
Remus kippte den Espresso runter, stand auf und ging auf die beiden Mädchen zu; je näher er ihnen kam, desto mehr dachte er: Die hab ich doch schon irgendwo mal gesehen.
Beide waren blond, die linke etwas üppiger als die andere. Die rechte hatte je ein Muttermal unter beiden Augen, symmetrisch. Beide trugen Sternen-Ohrringe. Als er vor ihnen stand, und ihm eins der Mädchen den Stuhl mit dem Fuß heraus schob (endlos lange Beine), dabei ihre Haare nach hinten warf und ihm ihren Hals präsentierte, wusste er endlich, an wen die beiden ihn erinnerten: Sie waren Karo Springer nachgebildet. Dem IT-Girl. Seiner verrückten Ex-Freundin.
„Aw!“, sagte die linke. „Wo hast du denn das machen lassen? Sieht ja“
„Faboulus aus“, sagte die rechte. „Ist ja twinkie, dass das wieder angesagt ist, mein Freund“
„würde das nie machen lassen, der meint dieser Remus sei voll die“
„Schwuchtel, Mann! Twinkie!“
„So geil, dass die beiden wieder zusammen sind“, sagten sie nun im Chor, hoben jeder eine Hand und klatschten ab, ohne hinzusehen.
„Können wir ein Foto machen?“, fragte die eine und holte ein Tabloid aus ihrem Glittertäschchen. „Will meinem Freund zeigen, dass der echt gut aussieht. Kann sich minimal auch mal braune Kontas reinmachen.“
„Wie sie den noch mal nehmen konnte, nach allem, was er ihr angetan hat“, sagte die andere und seufzte affektiert, dass ihre Sternenohrringe wippten und sich wie ein Kreisel drehten. „Rawr!“, machte sie dann.
„Moment. Ihr denkt, das Boot wäre gar nicht das Boot?“, fragte Remus und zeigte dabei auf sich.
Schon hatte er an beiden Wangen ein Karo-Double kleben, glotzte in ein Tabloid und wurde fotografiert.
Sie setzten sich wieder, kicherten, schauten auf das Foto und machten „Rawr!“
Remus hatte die Augen zu Schlitzen zusammengezogen, und tatsächlich: Was in der Zeitung stand, die er neulich in der Daiquiri-Bar gelesen hatte, stimmte: Mädchen reichte es nicht mehr, sich wie Karo anzuziehen, offensichtlich wollten sie nun wirklich wie Karo aussehen.
„Ist das ein aufklebbares Muttermal?“
„Aw!“, sagte die eine.
„Das ist voll untwinkie, so was zu fragen“, sagte die andere, legte ihrem Halb-Zwilling eine Hand um die Schulter und sagte: „Rawr.“ Zum Boot gewandt fügte sie hinzu: „Das ist dinosaurisch für Ich liebe dich.“
„Und ihr denkt, ich hätte mich untern Laser legen lasen, um wie das Boot auszusehen?“
Sie sahen ihn an, als hätte er sie nicht mehr alle.
„Wie der neue Freund von Karo halt.“ Und als sie den Namen „Karo“ sagten, machten sie „Twinkie!“ und klatschten wieder ein,
„Das Boot ist nicht Karos Freund, Mann!“, sagte Remus. „Das wüsste das Boot ja wohl!“
Ihm wurde von enzianblau-lackierten Nägeln das Tabloid entgegengestreckt, und auf dem Bildschirm konnte er sehen, wie eine Limousine vorfuhr, ein Bentley, dann stieg das Boot aus, in einem Zweireiher und mit einer glatten, völlig albernen Frisur, ging einmal um den Wagen, öffnete die Tür zum Fond und ließ die verrückte Karo heraus, Beine zuerst. In einer Ecke des Tabloids brannte das Logo von UCIT, dem schlimmsten Klatschsender des Landes.
„Das ist ein Fake, so was hab ich doch nie getragen“, sagte Remus. „Ich meine, das Boot würde nie so etwas tragen!“
„Weißt du“, sagte die mit den Muttermalen leiser. „Du solltest dir vielleicht mal die Augen machen lassen. Du kommst echt schon wie dreißig.“
Dann nickte die andere, legte eine Hand auf seinen Oberarm und machte leise „Rawr.“
Remus warf dem Doggster das Telefon vor die Schnute.
„Ruf UCIT an, mach das klar, sag denen, das Boot steht nicht auf so eine gefakte Scheiße.“
Der Doggster hob fragend die Brauen.
„Wähl!“, schrie Remus, und verscheuchte eine Kellnerin. „Könnt froh sein, dass das Boot hier isst! Wertet den Laden total auf!“, brüllte er ihr nach. Unruhig tigerte er auf und ab.
„Mehkodi dung dung bedung do“, hörte er den Doggster ins Telefon flöten.
Remus sah ihn an, riss ihm das Telefon aus der Hand und drohte mit der flachen Hand einen Satz novaheißer Ohren an. „Hier ist das Boot, Mann! Ich will den Geschäftsführer sprechen. Nein! Ich warte nicht. Augenblicklich, Mann!“
Achtzehn Minuten später klopfte Remus einen Rhythmus auf den Tisch, fuhr sich immer wieder über Hals und den schmerzenden Kiefer. Wenn er sich aufregte und viel brüllte, tat ihm rasch der Kiefer weh.
Die Quellen seien gesichert, hatte man ihm gesagt. Erst gestern Mittag aufgenommen. Karo und dieser Mann seien zusammen. Man wisse nicht mehr, sie lehne jeden Kommentar dazu ab. Aber für jeden, der sehen könne, sei augenscheinlich, dass es sich bei ihrem geheimnisvollen Liebhaber um keinen anderen als Remus Cristobal Salvador handeln musste, der vor einigen Jahren kurzfristigen Erfolg mit der Hit-Single „Zur Hölle mit Jacqueline“ gehabt hatte und sich in den Jahren danach in einer heftigen und wohl dokumentierten On-Off-Beziehung mit der Verlagserbin befunden hätte.
Rechtsabteilung, sagten sie dann einige Minuten später noch, als das Boot die Grundlage für seinen nun schmerzenden Kiefer legte.
„Find raus, wo sie jetzt wohnt“, murrte Remus schließlich. „Und dann finde raus, welche Buslinie von hier dahin fährt!“
Während der Busfahrt fiel ihm erst auf, wie ähnlich sich alle Mädchen sahen. Und alle sahen sie aus wie die verrückte Karo. Ein dickes Mädchen mit fetten Waden hatte ihre Augen, ein dürres Kind aus dem Ostblock lächelte wie sie; die Mutti, die an der zweiten Station schon aussteigen musste, hatte ihre Hüften; und eine Frau, die auf einer vorbeiziehenden Leinwand Werbung für Unterwäsche machte, ihren Bauchnabel, und ihr Dekolleté. Und ihren Hals. Und ihr Kinn. Verdammt! Das war sie!
„Warum hast du mir nicht gesagt, dass die verrückte Karo jetzt Werbung für Unterwäsche macht?“
Der Doggster streckte den Kopf in die Höhe, stand auf, drehte sich um, setzte sich mit seinen Knien auf den Sitz, legte das Kinn auf die Kopfstütze und sah der wegeilenden, halbnackten Frau hinterher.
„Dabu“, sagte er.
„Nicht dafür“, sagte Remus.
Die verrückte Karo hatte eine Stadtvilla bezogen, mit einem übermannshohen Zaun davor, und einem Wachmann, der so groß wie der Doggster breit war - und dann noch ein Stück.
Missmutig musterte er Remus und Anhang, ein unterarmlanger Schlagstock baumelte an seinem Gürtel, als hätte er einen schwarzen Titanen gefangen, kastriert und dessen bestes Stück als Trophäe behalten. „Man hat mir nicht gesagt, dass Sie außer Haus sind.“
„Das Boot sagt niemanden, wann es ausläuft, Mann!“, rief Remus, hob einen Finger und fuchtelte furchtlos in der Luft herum.
Der Doggster stieß ihn von hinten an.
„Guter Mann, jetzt lassen Sie mich zur verrückten ... zu Frau Springer! Fräulein Springer!“ Nach ein paar Sekunden Überlegung und nachdem er das Namensschild des Wachmanns entdeckt hatte, fügte er hinzu: „Wenn es Ihnen keine Umstände macht, Herr Baumann!“
Der Wachmann sprach in ein schwarzes Funkgerät, das ihm unterm Kinn hing.
Remus verschränkte die Hände über der Brust, sah nach hinten und machte ein „Ist das zu fassen?“- Gesicht.
Das Funkgerät quietschte, der Wachmann öffnete schließlich das Tor.
Der Weg war mit weißem Kies bestreut und der Doggster machte sich einen Spaß daraus, die Schuhe so tief in den Kies zu hacken, dass Steine spritzen.
„Ich kauf dir keine neuen Schuhe, wenn du die kaputt machst.“
„Warte noch!“, sagte Remus und probierte vor der Tür stehend einige Posen aus. Er stellte einen Fuß auf eine höhere Stufe, drehte das Kinn in verschiedene Richtungen und stemmte eine Faust in die Seite. Dann fiel er in sich zusammen, als hätte man die Luft aus einer Gummipuppe gelassen, wuschelte sich mit zwei Händen durch die Haare, brachte sein Hemd durcheinander und versuchte so auszusehen, als sei es ihm völlig egal, wie er aussah.
„Klingel schon!“
Der Doggster drückte auf die Klingel, und zog sich dann schnell einige Meter zurück, blieb hinter Remus stehen und arbeitete beide Schuhe tief in das Kiesbett hinein.
Und die Tür öffnete: Er selbst. Remus, der Tabloid-Remus, im Zweireiher, und mit albernen, glatten Haaren. An seiner linken Hand trug er einen goldenen Ring, und er lächelte, während er sie hereinbat. „Boot“, sagte er, „kommen Sie rein. Chewi, grüß dich“. Remus, der echte Remus, sah Kieskrümel durch den perfekt gesaugten Vorflur fliegen.
Der falsche Remus ging vor, Remus und der Doggster folgten. Es war ein helles Haus; wo man nur konnte, hatte man Glas verwendet und die Farben des Sommers; es wirkte, als könne es von einem kräftigen Regen vollständig weggespült werden. Wie etwas Leichtes und Unbeständiges, nicht einmal ein Sommerhaus, sondern nur etwas für den Juni und ein paar Wochen im Juli vielleicht noch.
Sie gingen durch den Vorflur, den Flur und ein paar Räume, für die Remus keinen rechten Namen wusste, bis sie dann endlich im Salon auf sie trafen. Die verrückte Karo saß in Seelenruhe auf einem Sofa und blätterte mit einem Finger, den sie mit der Zunge kurz befeuchtete, durch die neue Ausgabe der Frau im Spiegel heute.
„Oh hey, schön, dass du mal vorbeischaust. Wie geht es dir denn?“
„Oh hey, Karo, schön, du bist völlig verrückt geworden!“, antwortete Remus.
Karo stand auf. Sie trug ein sandfarbenes Kleid, das deutlich über dem Knie endete. Ihre verdammten Beine. Gegen die konnte man einfach nichts sagen. „Was genau meinst du denn? Ich hab mich an unsere Abmachung gehalten. Keine Interviews. Keine geleakten Videos. Gar nichts. Obwohl das deiner so genannten Karriere sicher ganz gut getan hätte.“
Ohne hinzuschauen, zeigte Remus mit einer Hand auf den falschen Remus. „Das da. Ist nicht cool“, sagte er.
„Ich kann mich nicht daran erinnern, irgendetwas unterschrieben zu haben, dass mir einen neuen Freund verbietet.“
„Das ist kein neuer Freund, das ist der alte Freund, das bin ich! Nur … als Banker.“
„Danke“, sagte der falsche Remus.
„Was ist das überhaupt? Der hat ja sogar meine Stimme.“
„Ich kann da keine Ähnlichkeiten sehen“, sagte Karo, tänzelte auf den falschen Remus zu, der fasste ihr an die Taille und zog sie leicht gegen sich. „Du bist ein … sagen wir glückloses One-Hit-Wonder, ein Ex-Popsänger, der nicht bereit war, irgendetwas in diese Beziehung zu investieren. Und er ist ein Gott von einem Mann!“
Remus bekam einen trockenen Mund.
„Oh, Schatz“, sagte nun der falsche Remus. „Ich glaub, es ist schon wieder fünf Uhr, du weißt, was das heißt.“
„Hmmm“, machte Karo langgezogen, tänzelte zu ihrer Couch und streckte sich lang aus.
Schon saß der falsche Remus zu ihren Füßen, hatten sie auf seinen Schoß genommen und massierte darauf los. Handballen auf Fußballen, dann kam ein Bimsstein hinzu, und er saß da minutenlang und tat nichts anderes, als ihr die Füße zu massieren und zu raspeln und zu behandeln.
„Das ist doch“, sagte Remus. „Der kann dir nicht bieten, was ich dir bieten kann. Das ist einfach unfair. Du machst dir doch was vor.“
Karo drehte sich zu ihm um: „Ich kann dir versichern, er ist dir in allen Belangen mindestens gleichwertig.“ Sie hob einen kleinen Finger und krümmte ihn. „Und in manchen mehr als überlegen.“ Sie streckte nun Zeige- und Mittelfinger aus.
„Ich“, begann Remus. „Ich möchte dir sagen, dass ich dich trotz unserer Differenzen immer respektiert habe und dass ich jetzt-“
„Mmmmmh“, machte Karo. Der falsche Remus war an den Waden.
Der echte Remus lauter: „dass ich auch wenn ich nicht bereit war, so zu sein, wie du mich haben wolltest, es immer bedauert habe, dass ich nicht in der Lage war-“
„Oh ja“, der falsche Remus nun an den Innenseiten der Oberschenkel.
„Und vielleicht war bis zum heutigen Zeitpunkt ja immer noch Gelegenheit dazu, dass wir, wenn dieser ganze Medienquatsch vorbei ist.“
Die verrückte Karo schloss die Augen leicht, ihre falschen Nasenflügel bebten.
Der falsche Remus hauchte ihr leise ein „Rawr!“ ins Ohr.
„Komm schon, Doggie“, sagte Remus. „Wir gehen!“
Hinter sich hörte er die verrückte Karo zufrieden schnurren: „Twinkietastisch!“
Die nächsten Wochen vergrub Remus sich. Der Doggster begleitete ihn nur noch ein einziges Mal nach draußen. Ein Anwalt der gewerkschaftlichen Rechtsbeihilfe legte ihm dar, dass man die eigene Persönlichkeit und das Aussehen schwerlich markenrechtlich schützen könne.
„Sonst würden sich doch Zwillinge ständig gegenseitig verklagen!“, sagte er und lächelte. „Nein, wie soll das gehen? Wollen Sie jeden verklagen, der sich an Fasching als Elvis verkleidet? Jeden, der sich die Frisur eines Filmstars machen lässt?“
Danach war Remus noch niedergeschlagener. Er verbrachte die meiste Zeit damit, im Internet nach Karo Springer zu suchen. Es gab Feats, Tweets, Features, Blogs, Leaks, Foreneinträge, Gerüchte, Fakten und Wikipedia-Artikel.
Man konnte Karo vor Hawaii surfen sehen, man sah sie beim Wintersport in Aspen, sie war karitativ tätig, hörte sich Reden an, setzte sich für die Welthungerhilfe ein und feierte mit britischen Skandal-Poppern deren Geburtstag. Und an ihrer Seite, wie ein Schatten: der falsche Remus.
Man las von einem Sex-Marathon. Eine Stewardess aus der Privatmaschine, rawrgirl23, habe geplaudert: Wie ein Baguette!
Und wenn er nicht von dem Rechner saß, machte sich der Künstler, der einmal als das Boot bekannt war, Selbstvorwürfe. Wäre es denn so schlimm gewesen, ein bisschen mehr zu sein, wie Karo ihn wollte? Hätte es ihn umgebracht, nicht mehr mit dem Doggster rumzuhängen, nur noch nüchtern zu komponieren und erst auszugehen, wenn er eine Strophe fertig hatte? Und sich mehr für Karo zu interessieren, für ihre Bedürfnisse, ihre Füße?
Remus hatte seit Wochen nicht mehr an eine einzige Note gedacht. Der Doggster kam, sah ihm eine Weile dabei zu, wie er dem falschen Remus dabei zusah, sein Leben zu leben, seufzte dann und ging.
Remus fand Live-Streams: Typen saßen in ihren Gartenstühlen, hatten Richtmikrofone und Kamera-Drohnen auf die Stadtvilla gerichtet. Mit einem Mausklick war er ihr näher als früher, als sie noch zusammen waren. Sobald das Licht im Badezimmer anging, war Remus dabei.
Das Boot war so was von auf dem Laufenden.
Und wenn der Doggster ihn an der Schulter rüttelte, mit ihm sprach, sich Sätze überlegte, die besonders gut klingen sollten und ihn fragte, ob er Schalentiere mochte, schüttelte Remus nur den Kopf, und sagte: „Lass mich. Ich weiß, was ich tue.“
Zwei Tage nachdem die Ankündigung draußen war, der Freund von Karo Springer plane ein neues Album, sah er auf einer Pressekonferenz den falschen Remus in die Kameras grinsen und an seiner Seite, schräg hinter ihm, sah er den nickenden Doggster. Diesen Judashund!
Remus fand es ungerecht, dass es ausgerechnet an ihm hängenblieb, als erster Mensch mit dem Problem konfrontiert zu werden, mit sich selbst in Konkurrenz zu stehen. Wenn man durch sich selbst ersetzt wurde, was konnte man da schon tun?
Und als er diesen Gedanken hatte, fing Remus wieder an zu lächeln und er sagte: „Das Boot ist wieder da!“ Dann merkte er, dass er alleine vor seinem Rechner saß und rief seinen Manager an. Und dem sagte er dann: „Das Boot ist wieder da! Wie viel Geld krieg ich eigentlich, wenn ich die Rechte an „Zur Hölle mit Jacqueline“ verkaufe?“
*
Als der Doggster am nächsten Tag in Remus’ Wohnung kam, um ihm zu erzählen, was er auf seiner Spionagemission alles in Erfahrung hatte bringen können – von einem Baguette konnte nun wirklich keine Rede sein -, fand er die Wohnung verlassen vor. Schnell sah er im Bad nach, schon auf das Schlimmste gefasst. Doch das war leer. Achselzuckend, wie es seine Art war, verließ er die Wohnung.
Schaute am nächsten Tag vorbei und am übernächsten, am Tag danach und am Tag darauf, und hätte noch nachgeschaut, bis zum Sankt Nimmerleinstag, hätte nicht die Voice-Mail geklingelt und ihm gesagt: „Besuch uns doch mal. Das Boot!“ Und dann die Adresse der Stadtvilla genannt.
Mit hängenden Schultern schlurfte der Doggster den Kiesweg zur Villa entlang, das Tor war offen, der Wächter nirgendwo zu sehen. Diesmal vergrub er seine Schuhe nicht im Kies, sondern ging anständig. Er klingelte und Remus machte ihm auf. Der Doggster erkannte gleich, dass es der echte sein musste.
„Du bist der echte“, sagte er, „deine Hose ist nicht so ausgebeult.“
Remus legte den Kopf schräg, um dem Klang dieser Worte zu lauschen, grinste schief, schüttelte den Kopf und schlug dem Doggster auf die Schulter.
„Komm schon, wir haben einen vollen Kühlschrank“, sagte er, „wir haben jetzt immer einen vollen Kühlschrank.“
Der Doggster war kein Mann großer Worte. Aber wie er durch die Villa schritt, wurde ihm schnell klar, dass sein Freund nun tot sein würde. Er würde aufgehen in dieser besseren Version von sich selbst. In dieser handlichen, zahmen. Würde bis zum Ende aller Tage der verrückten Karo vormachen müssen, ein Banker zu sein, und nicht das Original.
Der Doggster sagte: „Ist sie im Urlaub, dass du mich auf ein Abschiedsbier einlädst?“
Weil er wusste, dass er so wenig zu dem neuen Boot passen würde, wie Karo zum alten gepasst hatte.
„Mach dir mal keine Gedanken“, sagte Remus und blieb vor der Couch stehen.
Hinter ihm konnte der Doggster das sandfarbene Kleid ausmachen und endlos lange Beine.
„Hast du dich mal gefragt, wenn jemand davon überzeugt werden kann, so zu sein wie ich“, sagte Remus. „Wie viele wollen dann erst so sein wie die verrückte Karo?“
Mit diesem Satz trat Remus zur Seite, und gab den Blick auf zwei Karos frei, die auf der Couch saßen, ihre perfekten Beine untergeschlagen, mit zwei symmetrischen Muttermalen unter jedem Auge und sich drehenden Sternenohrringen, und die sich abklatschten, ohne hinzusehen.
In dem Moment betrat eine dritte Karo den Raum, und eine vierte, eine fünfte und eine sechste. Eine siebte Karo betrat den Raum, öffnete ihre Augen, und musste schlucken. Sie hatte auch einen Remus an ihrer Seite. Dann kam noch eine Karo und noch eine und noch eine und viel mehr. Dann fing eine Karo an zu schreien.
Die restlichen stimmten Sekunden später mit ein.
„Boot“, rief der Doggster, „du bist ein Genie.“
Und Remus legte den Kopf schräg, lauschte dem Klang der fremdartigen Töne nach, begann zu lächeln und nickte.