Autor, Verzweiflung
Ich bin davon überzeugt, dass es viel Eigenart, ja das Sonderbare bei den Schreibenden gibt. Das trennt sie von anderen Menschen. Schreibende sehen mehr als andere, ihr Leben ist intensiver. Sie sind stark von widerstrebenden Tendenzen erfüllt. Das treibt sie auch schneller an den Rand der Verzweiflung. Wer weiß, vielleicht unternehmen die Schreibenden aber nicht unbedingt mehr in der Realität als andere Menschen. Thomas Mann sagte - ein Schriftsteller erlebt wenig und schreib viel darüber.
Der Schriftsteller setzt den Hebel völlig anders an als der Tagesschreiber. Der Schriftsteller -
als Interpret, als Dolmetscher,
als Übersetzer, als "Fährmann",
als Charon für die Dinge über den Tag hinaus. Das Fährgeld, das er erhält, ist meistens karg, ja kläglich. Wer schreibt, der gibt schon von vornherein mehr als andere. Er richtet seinen Parabol-Spiegel, diese riesige Aufforderungs-Antenne, an andere. Er ist auf Kommunikation aus. Sind es die Ambivalenz und die Widersprüchlichkeit der einzelnen Schreibenden, woran sich die Verleger und die Mäzene reiben?
Im Buch "PSYCHOLOGIE DER LITERATUR" (Herausgeber: RALPH LANG) schreibt NORBERT GROEBEN über DIE PSYCHE DES SCHRIFTSTELLERS:
In seiner Psyche existiert ein Nebeneinander von Eigenarten und Merkmalen, die sich normalerweise gegenseitig auszuschließen scheinen. Diese sogenannte "polare Integration" offenbart sich zum Beispiel darin, daß Schriftsteller zwar im allgemeinen überdurchschnittliche "Ich-Stärke" zeigen, jedoch gleichzeitig auch besonders viel Ängste, Depressionen und Gefühlsschwankungen durchmachen. Darüber hinaus vereinigen Autoren eine starke Selbstbezogenheit mit einem intensiven Einfühlungsvermögen und ausgeprägter Fürsorglichkeit, also Eigenschaften, die sich normalerweise ebenfalls unversöhnlich gegenüberstehen. Das gleiche gilt für die Fähigkeit, unerschütterliches Selbstbewußtsein und Vertrauen für die eigenen Schöpfungen zu empfinden, dabei jedoch gleichzeitig massive Selbstzweifel und Selbstkritik zuzulassen.
Der "göttliche Funke" springt am besten in Stimmungen über, die sich paradoxerweise durch eine Verbindung von lockerer Entspanntheit mit gebündeltem Konzentrationsvermögen auszeichnen. Anders als der literarisch Unbegabte vermögen Schriftsteller auch, Phänomne kritisch "auseinanderzunehmen", zur gleichen Zeit jedoch auch die losen Enden konstruktiv zusammenzubringen. - Bei aller Offenheit für das Vage, Verzwickte und Unkonventionelle sind sie schließlich doch mit der Gabe beseelt, Dinge zu Ende zu denken und im Geist geordnete Verhältnisse herzustellen. (Zitat-ENDE)
Gefährdungen
John Cheever, gest. 18.6.82 sah es kritisch. »Einer, der von der Poesie lebt, hat das Gleichgewicht verloren, und eine übergroße Gänseleber, sie mag noch so gut schmecken, setzt doch immer eine kranke Gans voraus.- Cheever: Indem Maße, wie der Schriftsteller seine Phanntasie steigert, steigert er auch seine Fähigkeit, Angst zu empfinden, und wird unvermeidlich zum Opfer erdrückenderr Phobien, die nur durch tödlche Dosen von Heroin oder Alkohol im Zaum zu halten sind.
Thomas Mann war als Vater an Mittagstafel in der Müncher Villa, wie Sohn Golo berichtet, von beängstigender Distanz. Ohne das SCHWIERIGE ist kreative Leistung wohl kaum zu denken.
Alles Bedeutende ist unbequem, sagt Goethe, und ein anderer hat gesagt, es war Robert Walser: das Genie ist den Leuten ungemütlich.