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Gemischte Gefühle

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21.12.2015
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Gemischte Gefühle

Als die Orgel verstummte, war es für einen Augenblick feierlich still in der kleinen ländlichen Barockkirche. Mildes Sonnenlicht fiel durch die bunten Fenster und zauberte farbige Flecken auf die Hochzeitgesellschaft. Von der Kanzel lächelte eine Puttenschar herab. Der Studentenpfarrer erhob sich, strich sorgfältig das weiße Chorhemd glatt und trat auf das Brautpaar zu. Seine Ansprache war persönlich, kurz und nüchtern. Schließlich wusste er aus den Vorgesprächen, dass in Zeiten aufkeimender Unruhen an den Universitäten jetzt keine salbungsvolle Rhetorik erwünscht war. Er freue sich, sagte er, dass junge Menschen sich für den anspruchsvollen Lebensbund göttlichen Beistand holten. Dabei zwinkerte er ein wenig, und Birgit sah darin ein Zeichen, dass auch der Priester vom revolutionären Zeitgeist erfasst war. Sie kannte ihn aus manchen Diskussionen an der Uni. Für einen katholischen Theologen hatte er erstaunlich viele Freunde in nichtkirchlichen Kreisen. Und er war kein Kind von Traurigkeit. Da kursierten einige Geschichten.
Alles ging glatt. Die Ringe tauchten rechtzeitig aus einer Jackentasche auf, fielen nicht zu Boden und rutschten geschmeidig auf die Finger. Das Ja kam laut, wenn auch bei Wendelin nach einem kurzen Räuspern. Niemand schluchzte und niemand erhob Einspruch. Mit dem Brautkleid hatte Birgit sich ausgesöhnt. Es war bodenlang und schlicht weiß. Dazu gehörte ein Kopftuch aus spanischer Spitze. Birgits Mutter hatte es nach heftigen Diskussionen als Leihgabe von einer Freundin organisiert.
„Mensch Mama, ich will doch gar nicht in Weiß heiraten. Es kommt mir so unehrlich vor, so heuchlerisch. Und es ist rausgeschmissenes Geld. Nachher hängt das Ding über Jahrzehnte im Schrank.“
„Blödsinn, Mädchen, wenn es danach ginge, müssten die meisten Bräute in Knallrot erscheinen. Und schwanger bist du ja auch nicht. Egal, schließlich seid ihr verlobt. Ich seh ja ein, dass du dafür nicht viel ausgeben willst. Sollst du auch gar nicht. Etwas Geliehenes brauchen wir auf jeden Fall.“ Sie sah auf ihre Strichliste. „Der Brautstrauß ist Wendelins Sache. Hat er denn jetzt eine Unterkunft bei einem Freund?“
Birgit verdrehte die Augen. Sie wohnte schon seit einiger Zeit mit Wendelin zusammen. Ihre Mutter wusste das. Die standesamtliche Trauung würden sie mit den Freunden feiern. Ganz unkompliziert, mit einer Bratwurst auf dem Münsterplatz.
„Und wir brauchen Musik in der Kirche. Ich könnte auch was singen, da hab ich schon eine Idee. Weißt du, wenigstens die eine Hochzeit haben wir uns gewünscht. Tu uns den Gefallen. Papa sieht's genau so. Also lass mich einfach machen.“
Zuletzt resignierte Birgit und sagte zu allem Ja und Amen, auch zur Gästeliste. Alles Verwandte oder gute Freunde der Eltern. Sie kannte das Organisationstalent ihrer Mutter. Während des Krieges und in der Nachkriegszeit hatte es das Überleben garantiert.

„Wir bitten dich, erhöre uns“, antwortete die Hochzeitsgesellschaft auf die fünf Fürbitten, die vom Brautpaar ausgewählt worden waren, darunter eine, wo es um die Not in Biafra ging. Birgit schrieb gerade an ihrer Examensarbeit über die afrikanische Einheitsbewegung. Schließlich sangen sie gemeinsam „Großer Gott, wir loben dich“, und die Gäste strebten eilig nach dem Ausgang, um vor der Kirche ein Spalier zu bilden.

Ja, die Finanzierung der Hochzeit. Die musste natürlich die Familie der Braut übernehmen. Es sei, so Birgits Vater, eine Frage der Ehre. Schließlich gäbe es doch die Ausbildungversicherung für sie und ihre Schwester. Kein großer Betrag, zweitausend Mark, bei Hochzeit oder Studienabschluss auszuzahlen. Birgit und Wendelin hatten fest mit dem Geld gerechnet. Ihre winzige Wohnung brauchte dringend ein Doppelbett statt der zwei hintereinander stehenden Einzelbetten unter der Dachschräge. Wendelin musste früh morgens mit dem Zug zum Gymnasium fahren, zu seiner ersten Stelle als Referendar, dreißig Kilometer entfernt. Erst am späten Nachmittag konnte er sich wieder aufraffen, Arbeitsblätter und Tafelbilder zu entwerfen oder zu korrigieren, oft bis nach Mitternacht.
„Ich hab halt die falsche Fächerkombination. Sport und Religion wären einfacher.“
„Meinst du? Vielleicht nimmst du es zu genau? Und Religion …, ich weiß nicht.“
Aber daran lag es nicht. Birgit spürte, dass hinter der Akribie die Angst lag, im falschen Beruf festzustecken. Jetzt war er Lehrer am Gymnasium mit den Fächern Geschichte, Gemeinschaftskunde und katholische Religion. Eine Enttäuschung vor allem für seine Mutter. Den eigenen Wünschen war er keinen Schritt nähergekommen. Förster hatte er werden wollen oder, wenn schon Akademiker, wenigstens Forstrat.
„Ich bin halt ein Naturbursche“, pflegte er in sein abendliches Bier zu murmeln, die graugrünen Augen melancholisch verschattet. Armer Wendel, ein liebenswerter bayrischer Bauernbub bist du, aber kein Naturbursche, dachte Birgit dann, sagte es aber nicht, sondern küsste ihn auf den Nacken und massierte seine angespannten Schultern.
Wendelin und das Geld. Manchmal schrie er während eines Albtraums Unverständliches, wirre Geschichten von verkauftem Ackerland, damit das Internat bezahlt werden konnte. Denn er sollte ja Pfarrer werden und deshalb als einziges von sieben Kindern eine höhere Bildung bekommen.
Es hatte eine Weile gedauert, bis er bereit war, mit Birgit über die Folgen seiner Sonderstellung in der Familie zu reden. Wie das Kichern der Schwestern schlagartig verstummte, wie der ältere Bruder, mit dem er das Bett teilte, ihn heimlich knuffte und ständig stichelte, weil der vornehme Graf Wendel von der schweren Arbeit auf dem Hof befreit war, wenn er in den Sommerferien aus dem Internat kam.
„Der Bua muss sich ausruhen, der hat bald Prüfungen. Geh, Wendelin, magst net in der Kirch vorbeischaugn und dem Pfarrer 'Grüaß Gott' sog'n? Und bring ihm den Korb, du woaßt scho!“

Nach dem letzten Orgelton ergriff Birgit den Brautstrauß und tastete nach Wendelins Hand. Im offenstehenden Portal wartete ihre dreijährige Nichte, am Arm ein Körbchen mit Rosenblättern. Von draußen dröhnte Gelächter herein.
„Wir müssen noch unterschreiben, in der Sakristei,“ sagte Wendelin und drückte Birgits Hand mit dem Ring heftig, „Gott sei Dank hat er sich kurzgefasst. Ich freu mich so aufs Essen. Heute Morgen hab ich keinen Bissen runtergekriegt. Hoffentlich kommt jetzt der gemütliche Teil.“ Birgit konnte Wendelins Erleichterung spüren.
Plötzlich erhob sich im leeren Kirchenraum eine einsame Bratschenstimme. Ein Mann stand auf der Empore vor der Orgel. Sie erkannte das Musikstück sofort. Es war das 'Ave Maria' von Gounod , Birgits Mutter hatte es schon oft bei Trauungen gesungen. Der da spielte, war ein Könner. Es war Georg, der Bruder ihrer Freundin Sybille, erfolgreicher Dozent an der Musikhochschule und ihre große Liebe seit Kindertagen. Statt eines Schwertes schwang er einen Geigenbogen. Im Gegenlicht, das aus kleinen Rundfenstern neben der Orgel hereinfiel, bewegte er sich wie in einem Florettkampf. Die Töne perlten rein und herb herab, das Vibrato schmeckte süß und bitter wie schwarze Schokolade. Birgits Knie fingen an zu zittern, sie musste sich setzen. Bloß keinen Anfall jetzt, bloß nicht das lästige Herzrasen.
„Geh du schon mal, ich komme gleich nach …“ Und Wendelins besorgten Blick abfangend, setzte sie hinzu: „Es ist nichts …, ich erklär es dir später. Ich brauche nur eine Minute für mich.“
Sie presste den Brautstrauß auf den Schoß, achtete nicht darauf, dass sie dabei einige Blüten zerquetschte. Sollte sie lachen oder weinen? Sie wusste es nicht.

Birgit hatte sich endlich bei ihrem Vater durchgesetzt. Nach dem ersten Semester zuhause durfte sie ein Jahr in Berlin studieren. Berlin war weiter weg als Zürich, aber viel billiger. Sie kannte die Frontstadt von der Abitursreise her und von einem zweimonatigen freiwilligen Sozialdienst an einem Dahlemer Krankenhaus. Dort fand sie fürs Erste Unterkunft, im Schwesternhaus. Die Suche nach einem bezahlbaren Zimmer gestaltete sich schwieriger als vermutet. Schließlich fand sie am Schwarzen Brett der TU ein Angebot: Zimmer für kleine Nichtraucherin, Mitbenutzung des Bads, keine Kochgelegenheit, keine Besuche. Der Zettel hing schon eine Weile, verziert mit Fragezeichen und ironischen Kommentaren. Der Trend ging zu Wohngemeinschaften oder Studentenwohnheimen. Ohne Beziehungen war da nichts zu holen. Birgit hatte keine Beziehungen, also machte sie einen Besichtigungstermin mit der Frau aus, die sich am Telefon gemeldet hatte. Alles stellte sich als viel harmloser heraus, als Birgits Fantasie ausgemalt hatte. Das Schlauchzimmer befand sich in einem alten Kasernenkomplex, zwischen Charlottenburg und Spandau gelegen, zwar weit weg von der Freien Universität, aber doch durch die U-Bahn leicht zu erreichen. Wenn Birgit die Arme links und rechts ausstreckte, konnte sie fast die Wände berühren. Immerhin gab es neben Bett und Schrank einen kleinen Schreibtisch, ein Bücherregal und sogar einen alten Volksempfänger.
„Der ist noch tadellos“, sagte die Frau mit der Trümmerfrauenfrisur und strich liebevoll über das braunrot gesprenkelte Bakelitgehäuse, „man muss nicht alles wegwerfen, vieles war auch prima.“
Da Birgit vorsichtig zustimmend nickte, kam der Mietvertrag für monatlich fünfundsechzig Mark zustande. Bei den dreihundert, die Birgit von zuhause bekam, gerade noch machbar.
Und dann stürzte sie sich ins Abenteuer Großstadt, stand Fähnchen schwingend am Straßenrand, als die Queen Berlin besuchte, sah von dem winzigen Fensterquadrat des Kasernenzimmers die sowjetischen MIGs im Tiefflug über das Olympiastadion rasen, erlebte die ersten Streiks an der FU. Die meiste Zeit verbrachte sie in der Uni-Bibliothek mit der Lektüre von Sigmund Freud, Thomas und Heinrich Mann, sowie Fritz Sterns 'Griff nach der Weltmacht'.
Manchmal leistete sie sich am Bahnhof Zoo eine Curry-Wurst, kaufte im KaDeWe einen rosa Lippenstift, bekam die eine oder andere Einladung für ein Burschenschaftsfest, als Couleurdame. Sie lehnte immer ab. Mit schlagenden Verbindungen hatte sie nichts am Hut. Zu den Meetings ihrer Fakultät im Otto-Suhr-Institut dagegen ging sie gern, wagte auch ab und zu einen Redebeitrag. Sie wurde wohlwollend belächelt, galt als die niedliche Kleine mit der singenden schwäbischen Aussprache. Quer über die Stirn ihres Madonnengesichts stand unsichtbar geschrieben: Noli me tangere. Nicht berühren. Denn zuhause wartete der Eine, der einzige, dem sie gehören wollte. Einsam fühlte sie sich nicht.
Gegen Ende des zweiten Semesters bekam Birgit Post von ihrer Freundin. Georg kommt mit seinem Anfängerkurs nach Berlin, schrieb sie, er hat mir versprochen, dass er sich mit dir treffen will. Mensch Birgit, das musst du endlich nutzen!
Als Treffunkt hatten sie das Café Kranzler ausgemacht. Das kannte jeder Tourist. In letzter Minute kürzte sie noch ein Sommerkleidchen, bis knapp über die Knie. Ihre Vermieterin rümpfte zwar die Nase, ließ sie aber doch an die Nähmaschine ran. Vielleicht sah sie in Birgit einen Ersatz für ihre Tochter, die sie in den letzten Kriegstagen verloren hatte. Sie sprach nicht gern von dieser Zeit. Die Russen waren für sie der Inbegriff des Bösen.
Birgit trug den Lippenstift nur ganz dezent auf, lieber zu wenig als zu viel. Sie hatte keinen Plan für das Treffen, nur die riesengroße Erwartung, dass sie ihrer Liebe endlich in die Arme fallen durfte. Das hatte sie sich vorgenommen.
Georg kam pünktlich um zwei Uhr mittags. Schon von weitem erkannte Birgit eine junge Frau an seiner Seite. Georg hatte einen Arm um ihre Schultern gelegt, er schien auf sie einzureden, sie schüttelte ein paarmal den Kopf.
„Das ist Yvonne“, sagte er, nahm die Hand herab und streckte sie Birgit entgegen. „Yvonne gehört zu meinem Kurs, sie kommt aus Paris und spricht noch nicht viel deutsch, da hab ich versprochen, ihr Berlin zu zeigen. Du hast doch nichts dagegen?“
Yvonne, in einem Rock, der einen Viertelmeter über den Knien endete, stand mit durchgedrücktem Rückgrat daneben, presste die Lippen zusammen und schoss schwarze Blicke aus den kajalumrandeten Augen ab. Georg zog die Hand wieder zurück und strich sich die halblangen Haare aus der Stirn.
„Und … wie geht es dir? Du siehst gut aus. Die Großstadt bekommt dir. Und natürlich viele Grüße von daheim, besonders von Billie. Die hat endlich mit dem Sportstudium angefangen, aber das wirst du ja wissen.“
Birgit hatte sich wieder gefangen. Bloß sich nichts anmerken lassen. Okay, das Wiedersehen mit Georg war ruiniert. Als Dozent musste er sich wohl um seine Schäfchen kümmern. Die Enttäuschung kroch langsam vom Kopf in den Magen. Und wieder zurück.
„Ja, Berlin hat auch einiges zu bieten. Was wollt ihr denn alles sehen? Oder wollt ihr erst mal einen Kaffee trinken im Kranzler?“
„Kaffee wäre schon gut, aber so arg viel Zeit haben wir nicht, leider. Unser Programm ist ziemlich üppig. Immerhin kann ich jetzt Billie erzählen, dass es dir gut geht.“
Yvonne schwieg weiterhin, schaute auf ihre Armbanduhr und setzte eine Sonnenbrille auf.
„Ach lass nur. Das schreib ich ihr schon selber. Dann also, viel Vergnügen. Ich muss auch nochmal in die Uni. Hier hast du meine Telefonnummer, falls es etwas Wichtiges gibt. Ich darf sie in Notfällen benutzen.“
Zu mehr reichte die Kraft nicht. Birgit ließ die beiden stehen. In der S-Bahn, die sie ausnahmsweise nahm, suchte sie sich ein leeres Abteil und verkroch sich in das schäbige Polster. Georgs Blick. Wie er zu Yvonne und wieder zu ihr zurückflog. Diese Mischung von Nonchalance, Ironie, und Schuldbewusstsein. Und, verdammt noch mal, war da nicht nicht auch eine Prise Mitleid?
Birgit kapierte. Georg kannte ihre Gefühle, hundertprozentig. Billie, seine Eltern, alle hatten davon gewusst. Wie gemein! Warum musste er diese versteckte Tour wählen, um ihr zu zeigen, dass er kein Interesse an ihr hatte, dass sie nur die nette Freundin seiner Schwester war. Zu jung? Nein, das Mädchen, das er heute mitgeschleppt hatte, war keinen Deut älter als sie. Wie erbärmlich!
Erst in ihrem Kasernenzimmer kamen die Tränen, die Wut, schließlich die bohrende Erkenntnis, dass sie ihrer eigenen Feigheit erlegen war. Denn, nicht wahr, sie hätte ja auch den Mund aufmachen können, schon viel früher und unmissverständlich. Und sie musste einiges überdenken. Jungfräulichkeit, ha, wie naiv war sie eigentlich?
Als sie am Semesterende ihre Sachen packte, war sie zwar unberührt, jedoch weitgehend desillusioniert. Jetzt trug sie einen modischen Kurzhaarschnitt mit einem Fransenpony.

Kurz nachdem als Höhepunkt des Hochzeitmahls die Weincreme verspeist war, zog Birgit ihre Mutter in eine Fensternische des Gasthauses. Das Nebenzimmer hatte sich mit Rauchschwaden gefüllt, einige Gäste waren schon beim Kaffee oder Obstbrand angelangt. Wendelin saß, gut versorgt, mit seinen Geschwistern zusammen. Anscheinend schwelgten sie in Erinnerungen, immer wieder brandete lautes Geschrei und Lachen auf.
Birgits Mutter schaute zufrieden aus.
„War das deine Idee? Oder die von Georg?“
„Wieso, hat's dir nicht gefallen?“
„Mama! Darum geht es nicht. Warum hat er überhaupt erst gespielt, als die Kirche schon leer war?“
„Das hat er so gewollt. Und er wollte auch nicht zum Essen bleiben. Ich hab ihn eingeladen.“
„Aha! Hat er denn noch etwas gesagt?“
„Er sei dir noch etwas schuldig, du wüsstest schon. Und er wünscht dir viel Glück mit Wendelin.“
„Er ist nicht gerade ein Held, der große Künstler. Drei Jahre sind eine lange Zeit. Da hätte er mir schon mal über den Weg laufen können und Klartext reden.“
„Ach Birgit, ich glaube, mit Wendel bist du besser dran. Ist nur so ein Gefühl. Georgs Mutter hat mir Geschichten erzählt ...“
„Mama, die will ich gar nicht wissen. Ich kümmere mich jetzt um Wendelin und seine Leute. Ich kenne sie ja noch gar nicht richtig.“
„Ach Mädchen, du bist so vernünftig, ganz anders als deine Schwester.“
„Vielleicht …, nein, gar nicht. Ich habe nur mehr Glück gehabt als sie, glaube ich.“
Eine Viertelstunde später saß sie im Mercedes Ferdinands, des bayrischen Freundes und Sponsors der Familie. Eine Hochzeit ohne Brautentführung sei keine richtige Hochzeit, hatte er gesagt, da müsse sie durch. Er könne auch noch gut fahren, habe kaum etwas getrunken, nur einen oder zwei Schnäpse. Und während Birgit sich bei der rasanten Fahrt durch schmale und holprige Sträßchen krampfhaft festhielt und gegen die Übelkeit ankämpfte, sandte sie ein tief empfundenes Stoßgebet zum Himmel.
„Lieber Gott“, betete sie, „mach, dass dieser Tag ein gutes Ende nimmt. Und lass mich glauben, dass meine Ehe unter einem guten Stern steht. Ich werde mir Mühe geben, das verspreche ich. Hoch und heilig.“
Ferdinand drückte aufs Gaspedal.

 

Liebe wieselmaus,

ach, wie wunderbar, pünktlich zum Feiertag eine neue Geschichte von dir!

Ich habe mir schon ungefähr denken können, wann deine Geschichte spielt und mit Biafra hast du freundlicherweise einen dezenten Hinweis gesetzt, der mir die zeitliche Einordnung erleichtert. Ich lese gerne etwas über diese Zeit und in diesem Jahr, zum fünfzigsten Jahrestag der Achtundsechziger-Bewegung gibt es da viel Spannendes zu lesen.

sagte die Frau mit der Trümmerfrauenfrisur und strich liebevoll über das braunrot gesprenkelte Bakelitgehäuse, „man muss nicht alles wegwerfen, vieles war auch prima.“

Die Stelle hier hat mir ausgesprochen gut gefallen! Als ich ein Grundschulkind war, hat die Nachbarin, eine ältere Dame auch gerne erwähnt, dass ja unterm Adolf nicht alles schlecht gewesen sei. Vielleicht bilde ich mir das nur ein, aber so ein bisschen höre ich das hier auch heraus? Wenn es von dir so gemeint war, finde ich das richtig stark, gerade, weil es so subtil daherkommt. Und ja, es ist schon erbärmlich.

So, bei dir geht es aber vor allem um das Gefühlschaos der jungen Birgit:

Statt eines Schwertes schwang er einen Geigenbogen. Im Gegenlicht, das aus kleinen Rundfenstern neben der Orgel hereinfiel, bewegte er sich wie in einem Florettkampf. Die Töne perlten rein und herb herab, das Vibrato schmeckte süß und bitter wie schwarze Schokolade. Birgits Knie fingen an zu zittern, sie musste sich setzen.

Diese Stelle gefällt mir sehr sehr gut und ich ahne, was sie an dem Künstler Georg bewegt, auch wenn er für sie unerreichbar ist. :herz:

Denn zuhause wartete der Eine, der einzige, dem sie gehören wollte. […] Sie hatte keinen Plan für das Treffen, nur die riesengroße Erwartung, dass sie ihrer Liebe endlich in die Arme fallen durfte.

Einmal Wendelin, einmal Georg. Mein lieber Schwan! Für beide Männer solch starke Worte. Ich muss das noch ein bisschen auf mich wirken lassen …

einem beliebten Ort für Trauungen

Ich weiß ja, dass du das nicht hören möchtest, aber weißt du … ich würde dir das auch glauben, wenn das nicht da stünde. :sealed:

„Mensch Mama, ich will doch gar nicht in weiß heiraten.

Weiß würde ich hier großschreiben.

müssten die meisten Bräute in knallrot erscheinen

Du weißt schon …

Birgit imd Wendelin

:Pfeif:

Zimmer für kleine Nichtraucherin

Kleine? Ernsthaft?

Franzenpony

Fransen mit S?

Liebe wieselmaus, ich habe deine Geschichte sehr gerne gelesen. Für mich ist es eine deiner besten.
Sie mag altmodisch anmuten, für mich aber im positivsten Sinne.
Dieses mulmige Gefühl bei der Eheschließung, das haben viele. Auch ohne das Gefühlschaos mit einer weiteren Figur (hier: Georg). Und selbst wenn sich viele viele Jahre später herausstellen wird, dass es eine sehr harmonische, tragfähige Ehe geworden ist … das mulmige Gefühl, das war in diesem Moment da und es ist schön, sich daran zurückzuerinnern.

Liebe Grüße
Anne

 

Birgit spürte, dass hinter der Akribie die Angst lag, im falschen Beruf festzustecken. Jetzt war er Lehrer am Gymnasium mit den Fächern Geschichte, Gemeinschaftskunde und katholische Religion. Eine Enttäuschung vor allem für seine Mutter. Den eigenen Wünschen war er keinen Schritt nähergekommen. Förster hatte er werden wollen oder, wenn schon Akademiker, wenigstens Forstrat.
„Ich bin halt ein Naturbursche“, pflegte er in sein abendliches Bier zu murmeln, die graugrünen Augen melancholisch verschattet. Armer Wendel, ein liebenswerter bayrischer Bauernbub bist du, aber kein Naturbursche, ...

Ja, das ist ein Joch, sich immer und immer wieder für eines unter andern entscheiden zu müssen, nur eben die Ältern nicht. Und dann bei der Wahl für die Ehe die zwote Wahl treffen müssen, weil die Bedingungen eben nicht märchenhaft sind, da das Wünschen noch geholfen hat. Aber gegen Ende,

liebe wieselmaus,

mit der Brautentführung - ich weiß nicht so recht, ob da nicht ein Feuer gelegt wird. Wendelin klingt ja eher wie von Loriot erfunden - was der Name natürlich nicht ist. In ihm ist der (kleine) Wandale enthalten ...

Schön, dass Du mal wieder vorbeischaust, sagt ein nunmehr echter jung-68er (damals in kfm. Lehre und marxistischer Grundschulung, ohne je Rotgardisr gewesen zu sein), der nun ein alt 67-er ist (denn die Jugendrevolte begann Februar 1967 mit dem Vietnamkongress zu Berlin, zumindest daselbst).

Ein treffliches individuelles Zeitgemälde stellstu uns vor, dass vom angedeuteten Biafra(-kind, aufgeblähte hungernde Kinder in Biafra, nur für die Babyboomer und nachfolgenden Generationen) bis zum aufgeklärten kath. Pfarrer reicht, die Übergangszeit als Endmarke der Nachkriegszeit - und doch gibt es ihn noch, den Mief aus tausend Jahren unter den Talaren. Da braucht kein kleiner Alexander (Dobrindt) und der Heimatminister keine Gegenrevolution ausrufen. Der Gaulandser sitzt doch schon im Reichstag.

Beim ersten Lesen und dank Anne ist mir nur eine kleine korrekturbedürftige Lässlichkeit aufgefallen, hier nämlich

... an einem Dahlemer Krankenhaus. Dort fand sie fürs Erste Unterkunft, im Schwesterhaus.
Das Schwesterhaus ist i. d. R. so was wie ein Mutterhaus einer Schwesternschaft/Nonnen. Dem Wohnheim von Krankenpflegepersonal gebührt das Fugen-n, also "Schwesternhaus" (selbst wenn Brüder drin wohnen ...)

Gern gelesen vom

Friedel,
der noch schöne Pfingsten wünsct!

 
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Liebe wieselmaus,

wieder einmal vermittelst du viel Zeitkolorit, vieles, das ich nach nunmehr annähernd fünfzig Jahren schon vergessen geglaubt hatte. Wir haben ja, wie du weißt, einige Berührungspunkte, was unsere Biographie angeht, und so war mir vieles sehr vertraut, was du da detailreich über die Zeit der Achtundsechziger zusammengetragen hast. Durch locker verteilte Einsprengsel zeigst du die Denkweise dieses konservativen Nachkriegsdeutschlands kurz vor seiner Infragestellung durch eine aufmüpfige Jugend.

Zu deiner Geschichte von der Birgit, dem Wendelin und dem Georg:
Eingebettet in eine Hochzeitszeremonie entwickelst du dein kleines Drama. Da taucht in der kleinen heilen Welt von Wendelin und Birgit am Ende des Gottesdienstes Georg auf:

Es war Georg, ... ihre große Liebe seit Kindertagen. Statt eines Schwertes schwang er einen Geigenbogen. Im Gegenlicht, das aus kleinen Rundfenstern neben der Orgel hereinfiel, bewegte er sich wie in einem Florettkampf. Die Töne perlten rein und herb herab, das Vibrato schmeckte süß und bitter wie schwarze Schokolade. Birgits Knie fingen an zu zittern, sie musste sich setzen. Bloß keinen Anfall jetzt, bloß nicht das lästige Herzrasen.
Ich finde, das ist eine der schönsten Stellen in deinem Text. Allerdings habe ich hier gedacht, dass Georg (mit dem Geigenbogen als Schwert) auftaucht, um Birgit daran zu erinnern, dass sie ihn verschmäht hat. Und auch dieses Stelle führt mich in diese Richtung:

Denn zuhause wartete der Eine, der einzige, dem sie gehören wollte. Einsam fühlte sie sich nicht.
Nur dann stellt sich die Beziehung Birgit-Georg doch anders dar:

... eine junge Frau an seiner Seite. Georg hatte einen Arm um ihre Schultern gelegt, er schien auf sie einzureden, sie schüttelte ein paarmal den Kopf.
„Das ist Yvonne“, sagte er, nahm die Hand herab und streckte sie Birgit entgegen. „Yvonne gehört zu meinem Kurs, sie kommt aus Paris und spricht noch nicht viel deutsch, da hab ich versprochen, ihr Berlin zu zeigen. Du hast doch nichts dagegen?“
Birgit ist enttäuscht und fragt sich:

Warum musste er diese versteckte Tour wählen, um ihr zu zeigen, dass er kein Interesse an ihr hatte, dass sie nur die nette Freundin seiner Schwester war.(?)
Und ich frage mich: Was war da wirklich los? Hat Birgit sich alles nur eingebildet? Warum glaubt sie, dass da zu Hause der ‚Eine’ auf sie wartet? Und wie passt dazu dieser emphatische Auftritt in der Kirche? Warum dieses Schwert-Bild? So richtig verstehe ich nicht, was dieses Bild andeuten möchte.
Dass Georg auch nach Jahren ein schlechtes Gewissen hat, weil er Birgits Vorstellungen zerstört hat, das kann ich in gewisser Weise verstehen. Nur haben mich die Erwähnung von ‚Schwert’ und ‚Florett’ in eine andere Richtung gesteuert: Ich habe gedacht, da kämpft jemand um seine verlorene Liebe, aber so ist es nicht:

„Er sei dir noch etwas schuldig, du wüsstest schon. Und er wünscht dir viel Glück mit Wendelin.“

Insgesamt verlässt du die Ebene der Außensicht auf deine Protagonisten nur selten. Das entspricht natürlich auch der Zeit: Weder ließ man tiefer gehende Selbstreflektionen zu, noch ging man Situationen offensiv an.

Erst in ihrem Kasernenzimmer kamen die Tränen, die Wut, schließlich die bohrende Erkenntnis, dass sie ihrer eigenen Feigheit erlegen war. Denn, nicht wahr, sie hätte ja auch den Mund aufmachen können, schon viel früher und unmissverständlich. Und sie musste einiges überdenken. Jungfräulichkeit, ha, wie naiv war sie eigentlich?
Als sie am Semesterende ihre Sachen packte, war sie zwar unberührt, jedoch weitgehend desillusioniert. Jetzt trug sie einen modischen Kurzhaarschnitt mit einem Fransenpony.
An dieser Stelle lieferst du eine andere Erklärung dafür, dass es mit Georg nichts gegeben hat. Gleich nebenan die Kommune 1, war doch in unseren Köpfen die Vorstellung von Unberührtheit noch so stark, dass eine sexuelle Beziehung vor der Ehe immer mit großen Schuldgefühlen erkauft werden musste. Ich finde es ein bisschen schade, dass du diesen Aspekt eher am Rande behandelst, denn ich erinnere mich, dass genau das unser innerer Konflikt war: Mit konservativ-verstaubten Moralvorstellungen sozialisierte junge Menschen versuchten sich nun über diese hinwegzusetzen, waren aber gezwungen, diesen Kampf ganz persönlich und allein auszutragen. Diesen von dir angedeuteten Konflikt, in den ja wohl auch Birgit hineingeraten ist, wenn ich ihren Gedankengang richtig interpretiere, hätte ich mir stärker ausgeführt gewünscht.
Überhaupt lenken mich sehr viele Einzelheiten z.B. über Wendelin ein wenig vom eigentlichen Schwerpunkt deiner Geschichte ab. Vielleicht ließe sich da etwas kürzen.

Ansonsten, liebe wieselmaus, ist das wie immer eine elegant formulierte Geschichte, die mir die alten Zeiten wieder einmal vergegenwärtigt und mich froh sein lässt, dass die dargestellten Denkbarrieren der heutigen Jugend wohl weniger im Wege stehen als uns noch.

Ein paar Kleinigkeiten:

Dazu gehörte ein Kopftuch aus spanischer Spitze.
Warum nicht ‚Schleier’?

Alles stellte sich als viel harmloser heraus, als (es sich) Birgits Fantasie ausgemalt hatte.
In der S-Bahn, die sie ausnahmsweise nahm, suchte sie sich [in] ein leeres Abteil

Liebe Grüße
barnhelm

Nb:
wieselmaus, wie du ja weißt, hätte ich deiner Birgit durchaus in Dahlem, am OSI oder an der FU begegnen können. Aber vielleicht war sie, als ich endlich dort ankam, schon wieder in ihre süddeutsche Heimat geflüchtet;).

Schade, dass wir uns beim Treffen im Juni nicht weiter darüber austauschen können.

 

Liebe Anne49

das ging ja fix mit deinem Kommentar. Und schön, dass dir meine Geschichte gefallen hat. auch herzlichen Dank für die Hinweise auf die Fehler. Ich habe alles verbessert.

Du hast richtig interpretiert: Die Trümmerfrau sollte repräsentativ für manche Unbelehrbare sein.Ich glaube, diese Einstellung ist immer noch oder wieder vorhanden.

Georg und Wendelin: Birgits Gefühlschaos. Der (heilige) Georg ist der Drachentöter, der alles Böse (was immer es auch ist) mit seinem Schwert erledigt. So hat ihn Birgit als junges Mädchen angehimmelt, aber so verhält er sich ja nicht in Berlin. Er weiß aber von Birgits Schwärmerei für ihn. Mir schwebte vor, dass er durch seinen Auftritt bei der Trauung einerseits was gutmachen will, andererseits auch eitel genug ist (als Künstler), um sich noch einmal in Szene zu setzen. Vielleicht fällt mir noch was ein, um diesen Aspekt deutlicher zu machen.

Das Gefühlschaos Birgits betrifft aber auch Wendelin. Der schleppt ein anderes Päckchen Schuldgefühle mit sich herum. Wer weiß, wie sich das auf die Ehe auswirken wird. "Gemischte Gefühle" bezieht sich durchaus auf beide Männer, überhaupt auf alles, was ja, wie du richtig schreibst, nicht gerade selten ist. Deshalb bekommt Wendelin seinen Raum in der Story.

Die Annonce an der TU, wo damals hauptsächlich Männer studierten. Klar, dass dort ein solcher Text Fantasien auslöste. Aber es wird ja später geklärt.

Zwischen Birgits Treffen mit Georg in Berlin und der Trauung liegen ungefähr drei Jahre. Zeit für Birgit, sich von der Schwärmerei für Georg zu verabschieden. Scheint doch nicht so ganz einfach zu sein, oder?

Sie mag altmodisch anmuten, für mich aber im positivsten Sinn.

Ja, das sehe ich, wenn ich meine Schreibweise mit vielen Texten hier vergleiche. Ich werde aber wohl damit leben müssen. Ich glaube, für literarische Experimente bin ich definitiv zu alt.


Danke für alles und liebe Grüße
wieselmaus

 
Zuletzt bearbeitet:

Hej meine liebe wieselmaus,

wie schön, wieder eine Geschichte, aus einer anderen Zeit in unserem Land, aus deiner versierten Feder zu lesen. Ich freu mich so, hatte fast gefürchtet, deine Abstinenz hier würde gar nicht mehr enden.

Mildes Sonnenlicht fiel durch die bunten Fenster und zauberte farbige Flecken auf die Hochzeitgesellschaft.

Ich pfusch’ dir ungern ins Handwerk, ahne ich doch, wie bedacht du deinen Text ausarbeitest und prüfst. Aber nachdem ich den gesamten Absatz mehrmals gelesen habe, war ich mir sicher: Das wäre mein liebster erster Satz in deiner Geschichte.;)

Und er war kein Kind von Traurigkeit. Da kursierten einige Geschichten.

Ach. Erzähle! :D

Alles ging glatt. Die Ringe tauchten rechtzeitig aus einer Jackentasche auf, fielen nicht zu Boden und rutschten geschmeidig auf die Finger. Das Ja kam laut, wenn auch bei Wendelin nach einem kurzen Räuspern. Niemand schluchzte und niemand erhob Einspruch.

Super Timing. Habe ich doch zeitgleich the Royale Wedding verfolgt. Ich habe also Bilder. Naja. Ich mildere und lasse das Pompöse weg, obwohl ... das Brautkleid der Meghan M. ... Spaaaaß.;) ... obwohl ...

Es war bodenlang und schlicht weiß. Dazu gehörte ein Kopftuch aus spanischer Spitze. Birgits Mutter hatte es nach heftigen Diskussionen als Leihgabe von einer Freundin organisiert.

dort galt auch Something Old, Something New, Something Borrowed, Something Blue. Also etwas Geliehenes ;)

Tu uns den Gefallen. Papa sieht's genau so.

Ohmann, nur keinen Druck vermeiden.

Sie kannte das Organisationstalent ihrer Mutter. Während des Krieges und in der Nachkriegszeit hatte es das Überleben garantiert.

Verstehe, man kann eben nicht so schnell aus seiner Haut.

„Ich bin halt ein Naturbursche“, pflegte er in sein abendliches Bier zu murmeln, die graugrünen Augen melancholisch verschattet. Armer Wendel, ein liebenswerter bayrischer Bauernbub bist du, aber kein Naturbursche, dachte Birgit dann, sagte es aber nicht, sondern küsste ihn auf den Nacken und massierte seine angespannten Schultern.

Ohoh. Noch ist sie nachsichtig.

Birgit konnte Wendelins Erleichterung spüren.

Ich auch.

Es war das 'Ave Maria' von Gounod , Birgits Mutter hatte es schon oft bei Trauungen gesungen.

Ave Maria wird ja nach wie vor gern gespielt - ich find ja persönlich, dass es eher auf Beerdigungen passt.

Im Gegenlicht, das aus kleinen Rundfenstern neben der Orgel hereinfiel, bewegte er sich wie in einem Florettkampf. Die Töne perlten rein und herb herab, das Vibrato schmeckte süß und bitter wie schwarze Schokolade.

Wunderschön, wieselchen.

Sie kannte die Frontstadt von der Abitursreise her und von einem zweimonatigen freiwilligen Sozialdienst an einem Dahlemer Krankenhaus.

Ach, nannte man die echt nach so langer Zeit noch Frontstadt? Achherrje.

braunrot gesprenkelte Bakelitgehäuse,

Schön, wie detailliert du erzählst. Ich tauche immer mehr ein in diese Zeit, obwohl ich das Material googeln musste.

... vieles war auch prima

Ja, escht prima! :lol:

Und dann stürzte sie sich ins Abenteuer Großstadt, stand Fähnchen schwingend am Straßenrand, als die Queen Berlin besuchte, sah von dem winzigen Fensterquadrat des Kasernenzimmers die sowjetischen MIGs im Tiefflug über das Olympiastadion rasen, erlebte die ersten Streiks an der FU.

Durften die Russen über West-Berlin fliegen?

Manchmal leistete sie sich am Bahnhof Zoo eine Curry-Wurst, kaufte im KdW einen rosa Lippenstift, bekam die eine oder andere Einladung für ein Burschenschaftsfest, als Couleurdame.

KaDeWe, liebe wieselmaus und die kleine Kanji kriegt direkt Heimweh.

„Ach Birgit, ich glaube, mit Wendel bist du besser dran. Ist nur so ein Gefühl. Georgs Mutter hat mir Geschichten erzählt ...“

Ich mag in all deinen Geschichten die Mutter-Tochter-Beziehungen gern. Hätte hier gerne mehr davon haben können.

„Vielleicht …, nein, gar nicht. Ich habe nur mehr Glück gehabt als sie, glaube ich.“

In einer anderen Geschichte hatte auch die Schwester mehr Probleme. :(

„Lieber Gott“, betete sie, „mach, dass dieser Tag ein gutes Ende nimmt. Und lass mich glauben, dass meine Ehe unter einem guten Stern steht. Ich werde mir Mühe geben, das verspreche ich. Hoch und heilig.“
Ferdinand drückte aufs Gaspedal.

Och, so ein schöner letzter Absatz. Die süße Birgit. Aber es ist schon eher so, dass es zumindest für sie keine Hochzeit nach ihren Vorstellungen gewesen ist.

Diese kleine Gechichte steckt voll von Informationen und dem Zeitgeist der ... Sechziger Jahre? Und dann auch noch eine Kombination aus Süd-Ost.
Und als Charlottenburger Kind, das den Ku’damm hoch und runter kennt, und im KaDeWe ein- und ausging, auch ich hab noch im Café Kranzler draußen sitzen können unter der Rot-weißen Markise, bin ich auch deswegen liebend gerne durch dein Stück Zeitgeschichte mitgelaufen.

Schön, dass du wieder da bist. Und bitte vergleiche dich doch nicht mit anderen Texten. Zu deinem Lokalkolorit dieser Zeit passt kein anderer Stil, wage ich zu behaupten. :shy:

Wann beginnst du noch mal gleich daraus einen Roman zu schreiben? :D

Lieber Gruß, Kanji

 
Zuletzt bearbeitet:

Lieber Friedrichard,

ein treffliches indivviduelles Zeitgemälde stellstu uns vor ...

Danke für das dicke Lob. Wie ich dich kenne und schätze, würdest du ordentlich Kontra geben, wenn dir meine Schlaglichter auf die Zeit 1964/65 falsch vorkämen. würde. Es war gar nicht so einfach, dafür Beispiele zu wählen, mit denen auch jüngere Leser etwas verbinden können. Andererseits wird ja zur Zeit sehr viel über die Achtundsechziger geschrieben, zum Teil sehr nostalgisch. Ja, und auch andere historische Figuren feiern fröhliche Urständ, leider.

Zum Namen Wendelin habe ich herausgefunden, dass er ein Schutzheiliger der Bauern ist und dass es eine St. Wendelin-Kirche in Freiburg gibt, ebenso auch eine St.Georgs-Kirche. Das aber erst, nachdem mir die Namen spontan in den Sinn gekommen waren. Da sieht man mal wieder, wieviel "Wissen" im Unterbewusstsein schlummert.

Aber gegen Ende, ... mit der Brautentführung - ich weiß nicht so recht, ob da nicht ein Feuer gelegt wird.

Das habe ich nicht ganz verstanden. wenn überhaupt, so ist Ferdinand der "Wandale", und zwar ein großer, der sich schon früher in die Familiengeschichte eingemischt hat, mit durchaus brachialer Gewalt. Vielleicht erinnerst du dich daran.

Danke für deine wie immer erhellenden Anmerkungen und schöne Tage wünsche ich dir aus dem derzeit verregneten Südwesten.
Das Timing meiner Geschichte ausgerechnet zum royal wedding war wirklich nicht beabsichtigt, aber interessant ist schon, dass sich die Bräuche gar nicht so sehr unterscheiden. Beinahe peinliche Übereinstimmungen gibt es ...


Herzlichst wieselmaus

 

wenn überhaupt, so ist Ferdinand der "Wandale"

Moin, wieselmaus,

ja, da ist doch schon die halbe Lösung ... Da hat aber Voltaire Vorurteile britgetreten, denn die Wandalen haben sich nicht anders verhalten als all ihre anderen Zeitgenossen (incl. der ach so zivilisierten Reichsbürger ...). Zufall, dass sie ostgermanistischer Zunge wie die Goten waren? Da bedeutet nämlich "friþ" Schutz, Sicherheit und "nanþ" = Kühnheit und Dreistigkeit ("þ" das berühmte tea-aitsch, und an der ersten Silbe des gotischen Ferdinands sieht man, wie eng gotisch und althochdeutsche Zunge noch beisammen waren, fridu = Friede (ahd.), offensichtlich kam uns schon früh das "th" abhanden und blieb nahezu allein am Thrönchen hängen, weil da macher nicht runterkommen wollte ...

Ach ja, der "vridel" in Walthers "unter den Linden" wäre ja auch ne Zündschnur ...

Tschüss

Friedel

 

Hallo wieselmaus,

schön, dass du wieder aktiv bist und uns eine Geschichte schenkst. Der Text hat mich berührt, obwohl ich Erinnerungsnostalgie lese, nie aber weinerlich erzählt und mit Details versehen, die authentisch eine vergangene, aber nicht ganz so ferne Zeit beschreiben. Mit Namen wie Wendelin, Ferdinand, mit Traditionen und Moralvorstellungen, denen wir uns entledigt haben. Eine bittere Geschichte, dennoch mit Leichtigkeit erzählt, schließlich folgt sie der Vernunft und unterdrückt die Sehnsucht. Klar, ich könnte jetzt noch anführen, dass der „tell“-Anteil hoch ist, aber nimmst du diese Kritik ernst, musst du eben doch einen Roman schreiben.
Textstellen:

Birgit spürte, dass hinter der Akribie die Angst lag, im falschen Beruf festzustecken. Jetzt war er Lehrer am Gymnasium mit den Fächern Geschichte, Gemeinschaftskunde und katholische Religion. Eine Enttäuschung vor allem für seine Mutter. Den eigenen Wünschen war er keinen Schritt nähergekommen. Förster hatte er werden wollen oder, wenn schon Akademiker, wenigstens Forstrat.
diese Stelle hätte man szenischer gestalten können, zum Beispiel als Gespräch

Wie das Kichern der Schwestern schlagartig verstummte, wie der ältere Bruder, mit dem er das Bett teilte, ihn heimlich knuffte und ständig stichelte, weil der vornehme Graf Wendel von der schweren Arbeit auf dem Hof befreit war, wenn er in den Sommerferien aus dem Internat kam.
einer aus der Familie soll was werden, die Träume der Eltern erfüllen, ach, was für eine Zeit

das Vibrato schmeckte süß und bitter wie schwarze Schokolade.
starker Vergleich, aber süß und bitter ließe sich auch streichen

Die meiste Zeit verbrachte sie in der Uni-Bibliothek mit der Lektüre von Sigmund Freud, Thomas und Heinrich Mann, sowie Fritz Sterns 'Griff nach der Weltmacht'.
konnte sie das nicht zuhause lesen? An der Unibibliothek liest man doch eher Sekundärliteratur

„Lieber Gott“, betete sie, „mach, dass dieser Tag ein gutes Ende nimmt. Und lass mich glauben, dass meine Ehe unter einem guten Stern steht. Ich werde mir Mühe geben, das verspreche ich. Hoch und heilig.“
Ferdinand drückte aufs Gaspedal.
Bitterschokoladenschluss

Liebe Grüße und wir brauchen noch Mitsternegucker in Bad Schwalbach
Isegrims

 

Liebe barnhelm,

wieder einmal vermittelst du viel Zeitkolorit, vieles, das ich nach nunmehr annähernd fünfzig Jahre schon vergessen geglaubt habe.

Ja, liebe barnhelm, das ist die Crux der Hochbetagten, dass sie am liebsten in der Vergangenheit herumwandern. Man müsse doch den Enkeln, besonders den Enkelinnen mitteilen, was früher so ein Frauenleben ausmachte ... Im Ernst, ich muss immer wieder den Kopf schütteln, wie anders Mädchen heute leben dürfen.
Insofern hast du natürlich recht, dass hinter der privaten Nostalgie sich die Erinnerung an einsame Kämpfe um neue Werte und Verhaltensweisen verbergen. Und wie heftig die Umbruchszeit in den siebziger Jahren gewesen ist, zeigt sich erst im Rückblick. Wir (z.B. du und ich) haben vielleicht nur im engeren Umfeld versucht, neue moralische Werte, v. allem in der Sexmoral, zu etablieren. Ich finde es hochinteressant, dass heute eine zweite Welle, "metoo", eine so riesige Präsenz in den Medien erreicht. Und doch gibt es auch rückläufige Entwicklungen. Es wird wohl noch eine Weile dauern, bis wir das Ziel "one world" für Frauen (und Männer) erreicht haben.

Zum Stil, den du angemessen findest, möchte ich folgendes sagen. Ich weiß schon, dass ich diesmal verdammt viel Tell und unverschämt viele Adjektive verwendet habe. Mir schien es richtig zu sein, habe da ganz auf mein Bauchgefühl gesetzt. Da immer wieder auch längere Zeiträume, bzw. Rückblenden zu gestalten waren, habe ich auf romanhafte Technik zugegriffen. Das handwerkliche Rüstzeug wäre sicher zu optimieren. Umso mehr freut es mich, dass du mir eine elegant formulierte Geschichte zubilligst.

Überhaupt lenken mich sehr viele Einzelheiten z. B. über Wendelin ein wenig vom eigentlichen Schwerpunkt deiner Geschichte ab.

Die gemischten Gefühle beziehen sich auf beide Männer, Georg und Wendelin, so unterschiedlich die beiden sind. Ich sehe Birgit an ihrem Hochzeitstag mit Skepsis auch nach vorne blicken. Zumindest muss sie im Stoßgebet am Ende den lieben Gott bemühen, den Glauben an das Gelingen der Ehe zu festigen ...

Zu den Kleinigkeiten:

Einen Schleier hätte Birgit auf keinen Fall akzeptiert. Sie wollte allen Situationen unverschleiert begegnen. Übrigens ersparte das Tuch auch eine teure Frisur. Und den spanisch/islamischen Touch finde ich auch nicht ohne Ironie.

Ja, schade, dass wir uns beim Gathering nicht weiter darüber austauschen können. Es gibt ja zum Glück auch noch Emails.

Danke für deine Einschätzung des Textes.

Und ganz herzliche Grüße nach Ungarn

wieselmaus

 

Hallo Ronja

schön, dass du dich für meine Geschichte interessierst. Ich gehe davon aus, dass du nicht zu meiner Generation gehörst. Vielleicht erklären sich dadurch einige "Unstimmigkeiten". Ich will versuchen, einiges zu erläutern.

Wenn du mir gleich das Ende präsentiert, überfliege ich die nächsten Sätze nur noch. Ich weiß ja, dass nichts spannendes mehr passiert.

Hmm, weißt du das? Von mir als Leserin würde dieser Satz eher als Alarmzeichen aufgefasst werden. Als Autorin möchte ich zeigen: Birgit rechnet mit Pannen. (so wie viele Bräute!)

"Ja und Amen" habe ich zu oft gehört.

Wird sicher oft gebraucht. In diesem Kontext kriegt die Floskel aber doch eine etwas andere, ironische Bedeutung.

Da ich mich um spezifische Authenzität bemüht habe, benutzte ich die Bezeichnungen der damaligen Zeit. Das gilt für Namensabkürzungen und juristische Fachausdrücke. Wenn ich das übertrage auf heute gebrauchte Bezeichnungen, geht der zeitgeschichtliche Ansatz mMn verloren. Wenn ich aber alles erst erkläre, fliegt mir bestimmt der Vorwurf des Info-Dumping um die Ohren.

Er ist doch noch Referendar und noch kein Lehrer. Wenn es ein Zeitsprung ist, würde ich einfach ein Absatz machen. Hier erscheint es mir ohne Absatz widersprüchlich.

Kein Zeitsprung. In Baden-Württtemberg ist ein Referendar schon Lehrer im Vorbereitungsdienst. Übrigens haben die Bundesländer unterschiedliche Einstellungsverfahren.


... und ich als Nordlicht nur Schwierigkeiten damit habe.

Wirklich?? Dabei habe ich schon eine entschärfte Version benutzt.

Muss Sybille erwähnt werden?

Ja, unbedingt. Sie ist ja diejenige, die ihren Bruder zwingt, sich mit Birgit in Berlin zu treffen.

Hier habe ich den Überblick verloren. An welcher Uni studiert sie?

Die spezifische Situation Situation Berlins im geteilten Deutschland ist schon kompliziert. Da hilft wohl nur, sich schlau zu machen. Siehe oben bei Info-Dumping. Mir geht es oft so, dass ich googeln muss bei Texten hier im Forum. Ich finde das eher spannend.

Bei der Frisur hätte ich mir eine Beschreibung gewünscht.

In erster Linie: Kopftuch, als Teil der Arbeitskleidung gegen Trümmerstaub. Was darunter war, weiß ich nicht.

Die "Beziehung" zwischen Georg und der Prota habe ich nicht ganz verstanden.

Es war, wenn überhaupt, eine einseitige Beziehung. Georg, der große Bruder Sybilles, sonnte sich wohl in der Schwärmerei. Natürlich wäre da zu damaliger Zeit eher nichts gelaufen, nicht bei der Sozialisation der Protas. Aber gerade da befindet sich die Gesellschaft im Umbruch.
Ich nehme an, du kannst nur den Kopf schütteln über die Großelterngeneration. Um so mehr freut es mich, dass du die Geschichte gerne gelesen hast.

Freundliche Grüße
wieselmaus

 

Liebe Kanji,

ich freu mich immer, wenn du dich meinen Geschichten widmest. Du kennst sie ziemlich genau, und ich finde es spannend, ob die Zusammenhänge Einfluss auf deine Kommentare haben.

Das wäre mein liebster erster Satz in deiner Geschichte.

Da ist was dran, Anne49 hat sich ähnlich geäußert. Ich habe jetzt ein beliebter Ort für Trauungen gestrichen. Er klingt doch sehr nach Touristeninformation. Ich denke, jetzt kann der Leser unmittelbar mit in der Kirche sitzen.

Dann kommt ja nur noch Lob von dir und, das kann ich dir bestätigen, du segelst sehr nah an meinen Intentionen, auch da, wo ich nur mit Andeutungen arbeite. Vielen Dank für dein Einfühlungsvermögen.

Ave Maria wird ja nach wie vor gern gespielt - ich find ja persönlich, dass es eher auf Beerdigungen passt.

Ich find es eher kitschig - aber für die Geschichte habe ich es auch deshalb gewählt, weil es so schön zum Thema Jungfräulichkeit passt.

Für das KaDeWe bin ich dir sehr dankbar. Ich glaube dir sofort, dass du eine Berliner Göre warst, die im Westteil der Stadt aufgewachsen ist. Wenn du nur nicht ein Kind vom Bahnhof Zoo warst ...

Ich mag in all deinen Geschichten die Mutter-Tochter-Beziehungen gern. Hätte hier gerne mehr davon haben können.

Ja, ich bin selbst erstaunt, wie oft das Thema auftaucht. Es geht halt auch um die Rolle der Frau nach dem Krieg. Die Trümmerfrauen waren auch ein Symbol. Die Mutterrolle hat sich sehr gewandelt. Heute suchen sich die Töchter in Mutters Kleiderschrank was zum Ausgehen, oder ist es umgekehrt??
Schwestern können auch ein Thema sein, nicht nur der uralte Zwist zwischen Brüdern.

Och, so ein schöner letzter Absatz.

Dankel, liebe Kanji. Ich muss gestehen, den finde ich auch gut. Es ist wieder so ein Gedankenblitz, der mir zwischen zwei und vier Uhr nachts eingefallen ist. Ich muss dann immer gleich aufschreiben, weil er mir am nächsten Vormittag nicht wortwörtlich einfällt.


Zu deinem Lokalkolorit dieser Zeit passt kein anderer Stil, wage ich zu behaupten
.

Das ist eimal ein Statement! Danke, danke, das geht runter wie Öl. Ob das die anderen auch so sehen? Ich habe da meine Zweifel.

Liebe Kanji, vielleicht schreibe ich bald auch wieder Kommentare im Forum. Aber einen Roman werde ich ganz bestimmt nicht mehr in Angriff nehmen.

Dir alles Liebe, Freude am Schreiben und am Leben.

wieselmaus

 

Hallo Isegrims,

Es ist schade, dass es mit dem Kennenlernen beim Gathering nichts wird. Es geht mir zwar besser, aber familiär habe ich mich nun festgelegt. Da gibt es einige Termine.

Um so mehr freut es mich, dass du dich meiner Erzählung widmest. Ja, es es ist wieder mal ein Text, der große tell - Anteile hat. Und ja, man könnte einige Passagen szenisch lösen. Ich hätte da schon Ideen. Aber meine große Furcht ist, dass der Text sehr viel länger würde und da hieße es wieder kürzen, kürzen, kürzen. Es wird mir wahrscheinlich immer schwerfallen, das richtige Maß zu finden.

Eine bittere Geschichte, dennoch mit Leichtigkeit erzählt

starker Vergleich, aber süß und bitter ließe sich auch streichen

Diese Einschätzung freut mich sehr. Die Leichtigkeit ist dem Alter geschuldet. Da wird vieles als bitter-süß empfunden, aber wie wir wissen, ist schwarze Schokolade viel gesünder als die süße cremige Kinderschokolade ...

konnte sie nicht zuhause lesen? An der Unibibliothek liest man doch eher Sekundärliteratur

In dem Kasernenzimmerchen war es keinesfalls gemütlich. Außerdem verfügten die wenigsten Studenten über eine üppige eigene Bibliothek, außer Reclam natürlich. Ausleihen und heimschleppen war, angesichts der weiten Anfahrt auch nicht bequem. Und überhaupt war das Otto-Suhr-Institut relativ neu, hell und freundlich, vor allem gut bestückt auch mit fakultätsübergreifender Lektüre. Ein wahres Paradies für die kleine Birgit.

Ich danke dir für dein Bitterschokoladenschluss, eine Wortschöpfung, die mir sehr gefällt.
Ich wünsche euch einen üppigen Sternenhimmel im Juni und friedliche Gespräche.

Wie heißt das heute?

Peace

wieselmaus

 

Liebe wieselmaus,

diese Geschichte mochte ich sehr, sehr gern. Das viele "tell" ist dein eigen, aber inzwischen ist es angefüllt mit so liebevollen Details, so nah am Geschehen dran, dass es weniger wie eine Abhandlung klingt, sondern daraus eine Art szenisches "tell" geworden ist, welches sich (für mich) sehr angenehm lesen lässt, ich lese es mit viel mehr Emotionalität als deine ersten Texte hier. Doch, ist wirklich hübsch.

Birgit verdrehte die Augen. Sie wohnte schon seit einiger Zeit mit Wendelin zusammen. Ihre Mutter wüsste das. Die standesamtliche Trauung würden sie mit den Freunden feiern. Ganz unkompliziert, mit einer Bratwurst auf dem Münsterplatz.
...
Zuletzt resignierte Birgit und sagte zu allem Ja und Amen, auch zur Gästeliste. Alles Verwandte oder gute Freunde der Eltern. Sie kannte das Organisationstalent ihrer Mutter. Während des Krieges und in der Nachkriegszeit hatte es das Überleben garantiert.

Mochte ich sehr, diese beiden Stellen. Sagen viel mehr, als was Worte dastehen.

Ja, die Finanzierung der Hochzeit. Die musste natürlich die Familie der Braut übernehmen. Es sei, so Birgits Vater, eine Frage der Ehre. Schließlich gäbe es doch die Ausbildungversicherung für sie und ihre Schwester. Kein großer Betrag, zweitausend Mark, bei Hochzeit oder Studienabschluss auszuzahlen. Birgit und Wendelin hatten fest mit dem Geld gerechnet. Ihre winzige Wohnung brauchte dringend ein Doppelbett statt der zwei hintereinander stehenden Einzelbetten unter der Dachschräge.

Ist das Geld jetzt für die Hochzeit draufgegangen und sie werden kein Bett bekommen? Klingt ja so, aber so richtig sicher bin ich mir nicht.

„Ich hab halt die falsche Fächerkombination. Sport und Religion wären einfacher.“

Ja, faule Leute wählen Sport als zweites Fach. Ich verstehe die sehr gut, obwohl es mir gar nie wirklich was genutzt hat :D.

Birgit spürte, dass hinter der Akribie die Angst lag, im falschen Beruf festzustecken. Jetzt war er Lehrer am Gymnasium mit den Fächern Geschichte, Gemeinschaftskunde und katholische Religion. Eine Enttäuschung vor allem für seine Mutter. Den eigenen Wünschen war er keinen Schritt nähergekommen. Förster hatte er werden wollen oder, wenn schon Akademiker, wenigstens Forstrat.

Hier war ich bisschen verwirrt. Seine Mutter ist enttäuscht, also hat er nicht dem Wunsch der Eltern entsprochen, und wenn er dem sowieso nicht entsprochen hat, warum hat er dann nicht Forstwirtschaft studiert?

Armer Wendel, ein liebenswerter bayrischer Bauernbub bist du, aber kein Naturbursche, dachte Birgit dann, ...

Hehe

Denn er sollte ja Pfarrer werden und deshalb als einziges von sieben Kindern eine höhere Bildung bekommen.

Solche zeitcolorierten Einsprengsel finde ich ja sehr spannend. Also den ganzen Absatz dazu.

Plötzlich erhob sich im leeren Kirchenraum eine einsame Bratschenstimme. Ein Mann stand auf der Empore vor der Orgel. Sie erkannte das Musikstück sofort. Es war das 'Ave Maria' von Gounod , Birgits Mutter hatte es schon oft bei Trauungen gesungen. Der da spielte, war ein Könner. Es war Georg, der Bruder ihrer Freundin Sybille, erfolgreicher Dozent an der Musikhochschule und ihre große Liebe seit Kindertagen. Statt eines Schwertes schwang er einen Geigenbogen. Im Gegenlicht, das aus kleinen Rundfenstern neben der Orgel hereinfiel, bewegte er sich wie in einem Florettkampf. Die Töne perlten rein und herb herab, das Vibrato schmeckte süß und bitter wie schwarze Schokolade. Birgits Knie fingen an zu zittern, sie musste sich setzen. Bloß keinen Anfall jetzt, bloß nicht das lästige Herzrasen.

Oh je. Das ist jetzt aber auch wirklich ein süß bitteres Hochzeitsgeschenk. Ich bin ganz bei Birgit.

Vielleicht sah sie in Birgit einen Ersatz für ihre Tochter, die sie in den letzten Kriegstagen verloren hatte. Sie sprach nicht gern von dieser Zeit. Die Russen waren für sie der Inbegriff des Bösen.

In den paar Worten steckt auch eine sehr bewegende Geschichte. Eine persönliche und die Weltgeschichte.

Georg kam pünktlich um zwei Uhr mittags. Schon von weitem erkannte Birgit eine junge Frau an seiner Seite.

Wie gemein!

Die Enttäuschung kroch langsam vom Kopf in den Magen. Und wieder zurück.

Schön!

„Ach lass nur. Das schreib ich ihr schon selber. Dann also, viel Vergnügen. Ich muss auch nochmal in die Uni. Hier hast du meine Telefonnummer, falls es etwas Wichtiges gibt. Ich darf sie in Notfällen benutzen.“

Sehr cooler Abgang. Da sehe ich zum ersten mal so was wie Selbstbewusstsein in deiner Birgit aufblitzen. Bisher war sie ja eher das geführte Lämmchen. Auch wenn diese Reaktion wohl eher ihrer grenzenlosen Enttäuschung geschuldet ist.

„Mama! Darum geht es nicht. Warum hat er überhaupt erst gespielt, als die Kirche schon leer war?“
„Das hat er so gewollt. Und er wollte auch nicht zum Essen bleiben. Ich hab ihn eingeladen.“
„Aha! Hat er denn noch etwas gesagt?“
„Er sei dir noch etwas schuldig, du wüsstest schon. Und er wünscht dir viel Glück mit Wendelin.“

Das ist aber auch - ach nee, die damalige Abfuhr war feige und seine Entschuldigung ist es auch. Schon gut so, wie alles gekommen ist. Frage ist nur, ob Birgit ihren Wendelin je so lieben kann wie diesen Sausewind.

„Lieber Gott“, betete sie, „mach, dass dieser Tag ein gutes Ende nimmt. Und lass mich glauben, dass meine Ehe unter einem guten Stern steht. Ich werde mir Mühe geben, das verspreche ich. Hoch und heilig.“

Ja lieber Gott, mach das mal. Und wenn er es nicht macht, liebe Birgit, vielleicht knallt die Liebe ja irgendwann noch mal so volles Rohr in dein Leben, und Du traust dich dann - möchte man deiner Birgit jetzt sagen. Also, ich würde ihr es gern sagen.

Liebe wieselmaus, ich freue mich total zu lesen, dass es mit der Gesundheit wieder besser gestellt ist. Ich drücke fest die Daumen, dass es so bleibt.

Sonnige Grüße,
Fliege

 
Zuletzt bearbeitet:

Hey wieselmaus,


wie schön, wieder mal was von dir zu lesen.

Auch mir hat der Text ausgesprochen gut gefallen, auch ich finde, du hast die Auswirkungen der 67er-, 68er-Bewegung glaubhaft widergespiegelt. Eine hoch interessante, sehr spannende Zeit, keine Frage. Ich war zwar nicht dabei, denke aber, dass du sehr authentisch abgebildet hast, wie sich der "Umbruch" langsam, auch ohne Demos, Tränengas und Massenverhaftungen für die meisten bemerkbar machte. Dieser stillere Kampf, in Köpfen, an Küchentischen und Wohnzimmern, in und fernab der Metropolen und Schmelztiegeln, innerhalb der Wohnhäuser, die die Straßen säumten, auf denen Tränengas eingesetzt und Steine geworfen wurden. Und dir ist es gelungen, sehr viel in dein stilles Drama in und um Birgit zu packen. Sehr gelungen, finde ich. Chapeau!

Auch sprachlich gefällt mir der Text wirklich gut; unaufgeregt, dem Sujet angemessen, zeitlos.
Ich bin reibungslos von Zeile zu Zeile geglitten, einzig Folgendes ist mir aufgefallen:

Für einen katholischen Theologen hatte er erstaunlich viele Freunde auch in nichtkirchlichen Kreisen.
Ich wollte ursprünglich nur anmerken, dass ich darauf verzichten könnte. Klar, das sagt natürlich mehr über den Priester aus, dass es nämlich an sich ungewöhnlich für solch einen ist, viele Freunde zu haben. Die Info bräuchte ich aber nicht, dazu erscheint mir der Pfaffe zu unwichtig, für mich erfüllt er nur einen Zweck in dem Text. Ich bin eher geneigt, darüber nachdenken zu wollen, Skeptiker, der ich bin, und stirnrunzelnd zu Fragen: Ist das wirklich so (gewesen)? Haben die so wenig Freundschaften geschlossen?
Mein Wahrnehmungsfilter auf die Wörtchen "Auch" geeicht, wurde nun mehrmals in Folge fündig. Ich finde einige davon redundant, fragwürdig, ersetzbar, und letztendlich habe ich den Text sogar durch ein Schreibprogramm gejagt: 17x auch, davon 9x auf der ersten (DIN A4-)Seite.
Daraufhin könntest du den Text nochmals abklopfen, wenn du möchtest.

Ansonsten hab' ich nix zu meckern, nur zu danken.

In diesem Sinne:


Vielen Dank fürs Hochladen


hell

 

Hallo @ kinaski,

ich bin schon sehr überrascht, von dir ein so uneingeschränktes Lob zu bekommen. In deinen Texten erlebe ich dich eher unverblümt und drastisch. Danke dafür.
Aber es scheint auch Berührungspunkte zu geben, bei Thomas Mann. Seine Erzählung „Unordnung und frühes Leid“ gehört zu meinen Lieblingstexten. Aber bitte kein Vergleich. Da kriege ich ja Gänsehaut und muss verlegen auf die Seite schauen.
Am meisten freut mich, dass ich nach Meinung der meisten Kommentatoren den damaligen Zeitgeist am Schlawittchen gefasst habe. Ich find es nicht verkehrt, gelegentlich zurückzuschauen. Aber keinesfalls sentimental!

Freundliche Grüße

wieselmaus

 

Liebe wieselmaus,

auch ich freue mich sehr, dass du wieder da bist. Ich hab deine Anwesenheit hier im Forum sehr vermisst.

Wie allen anderen, hat auch mir deine Geschichte richtig gut gefallen, und ich habe einen Einblick in Birgits Leben und die damit verbundenen Schwierigkeiten bekommen.

Ich bin mit einer sehr romantischen Vorstellung der '68er aufgewachsen, hab mir immer gewünscht, dabei gewesen zu sein und mich geärgert, dass ich in diesem Jahr nichts weiter als meine Geburt erlebt hab, und daran kann ich mich nicht mehr erinnern.

Aber - wenn ich richtig liege - spielt deine Geschichte ja gar nicht '68, sondern ein paar Jahre davor. Du erwähntest was von '64/65. Der Umbruch war also im Anmarsch, auch in Birgits Leben. Und endet mit der Hochzeit, die fast ein wenig nach einer arrangierten Ehe klingt. Mit einem soliden Mann.
In der Hinsicht hat sich vielleicht nicht so viel geändert, denn wenn es darum geht, eine Familie zu gründen, greifen auch heute noch viele Frauen auf einen beständigen Mann zurück. Nur wird heute nicht zwangsläufig geheiratet, und schon gar nicht den Eltern zuliebe.

Du zeichnest ein ehrliches und ungeschöntes Porträt einer Zeit, die vermutlich an Verwirrung nicht zu übertreffen war. Was durch die Medien oft frei und wild erscheint, muss in vielen jungen Menschen einen großen Konflikt verursacht haben. Einerseits sollten die traditionellen Werte fallen, andererseits waren sie aber noch durch Umfeld und Erziehung tief verwurzelt. Und gerade für Frauen war es sicher keine einfache Zeit, die Emanzipationsbewegung kam erst später, also gehörte bestimmt eine Menge Mut dazu, für die eigenen Rechte einzustehen, zumal man die Trümmerfrauen vermutlich nicht unbedingt auf seiner Seite hatte. Und das andere Extrem, das klassische:"Wer zweimal mit der selben pennt ..." war ja vor allem für viele Frauen auch nicht das Gelbe vom Ei, wie ich von einigen aus dieser Zeit gehört hab. Für viele Männer übrigens auch nicht.
Ich kann mir vorstellen, wie viel Courage es Birgit gekostet haben muss, auf der Veranstaltung aufzustehen und zu sprechen. Gut, das kann einem natürlich auch heute noch so gehen, aber damals war es wahrscheinlich doch recht ungewöhnlich für eine Frau. Und dann wird sie dafür auch noch belächelt. Kann einem heute auch passieren, aber ich kann mir vorstellen, dass das damals noch eher an der Tagesordnung war. Als kleine blonde Frau hat man in der Hinsicht wahrscheinlich nicht die besten Karten.

Diese ganze Unsicherheit, Zerrissenheit und Aufbruchstimmung hast du für mich sehr gut rübergebracht. Auch dass Georg noch in der Kirche rumfidelt, wild und ungebändigt führt er ihr nochmal das Leben vor, dass sie hätte leben können. Aber ob sie damit glücklicher geworden wäre?
Schön auch die Reaktion der Mutter. Da wird die ganze Zeit darüber geredet, dass die Hochzeit perfekt werden soll, aber die Gefühle der Tochter spielen eigentlich keine Rolle. Ohne jegliches Feingefühl wird Georg eingeladen, und als Birgit ihre Mutter darauf anspricht, wird ihr nur gesagt, dass Wendelin ( ich muss dabei übrigens auch immer an Loriot denken ) sowieso die bessere Partie wäre, und damit ist das Thema vom Tisch. Wie das eben in den damaligen bürgerlichen Kreisen so üblich war. Ich finde ja, dass heute teilweise zu viel auf die Gefühle der Kinder eingegangen wird, aber wie es damals lief, war schon recht brutal. Als Frau halbwegs ernst genommen zu werden, war wahrscheinlich eine Lebensaufgabe.

Gerne mehr aus der Zeit!

Liebe Grüße von Chai

 
Zuletzt bearbeitet:

Liebe Fliege,

na, das freut mich sehr, dass du nicht mehr mit meinem Stil haderst. Ich denke, der passt hier ganz gut zu der Geschichte, die großen Emotionsgewitter kamen erst ein paar Jahre später.

Und dann finde ich es super, wie du dich auf den Text einlässst, dich auf Birgits Seite stellst, den armen Georg als Feigling erkennst, ein paar Zweifel an Wendelins Ebenbürtigkeit mit Georg äußerst und, ganz wichtig, der lieben Birgit wünschest, dass die Liebe

... irgenwann noch mal so volles Rohr in dein Leben (knallt) und Du dich traust - möchte man deiner Birgit jetzt sagen.

versprochen. Ich werd's ihr ausrichten, falls ich sie treffe.

In den paar Worten steckt auch eine sehr bewegende Geschichte . Eine persönliche und die Weltgeschichte

Ja, da hast du recht. Auch der Studentenpfarrer wäre ein Objekt für den Wertewandel in der Umbruchszeit. In Freiburg war man immer ein paar Jährchen später dran, aber auch hier war etwas los. Stichwort "Wyhl". Derzeit gibt es viele Reportagen von Personen, die damals an vorderster Front standen und heute gute Bürger sind ...

Berlin ist halt wirklich ein interessantes Pflaster, das wirst du ja am besten wissen. Die geteilte Stadt hast du, glaube ich, noch in den letzten Zügen erlebt. Heute ist West-Berlin, so habe ich es vor zwei Jahren empfunden, etwas heruntergekommen, im Vergleich zum aufgeputzen Ostteil. Das KaDEWe gibt es noch. Um den Checkpoint Charlie ist es eher ruhiger geworden. Ob der Ausdruck "Frontstadt" überhaupt noch mit einer Vorstellung verknüpft ist, weiß ich nicht.

Ich jedenfalls fand ein besonderes Vergnügen darin, mit der S-Bahn nach Köpenick zu fahren und mit dem Schiff eine Rundfahrt durch das Museumsviertel und am Kanzlerbungalow vorbei.

Herzlichen Dank nochmals und allerbeste Grüße

wieselmaus

 
Zuletzt bearbeitet:

Hi wieselmaus,

ich quetsche einen schnellen Kommentar dazwischen, nicht zuletzt, weil ich mich auch noch kurz öffentlich darüber freuen will, dass du hier wieder mal aufgetaucht bist.
Die Geschichte gefällt mir gut, sprachlich schön gegossen, und wie so oft kommt sie nach außen hin recht behaglich daher und hat von innen her nicht wenig zu bieten.
Das gemächlich Erzählende nehme ich als bewusste Gestaltung wahr und würde ich - eben gerade in seiner Wirkung als Understatement - im Grunde gar nicht anders haben wollen.
Weil ich aber so gerne herum mosere, wäre es ja schade, wenn ich dass in diesem Fall ganz bleiben ließe. Manchmal sind mir die Beschreibungen nämlich doch zu ausufernd. Hier zum Beispiel:

Dabei zwinkerte er ein wenig, und Birgit sah darin ein Zeichen, dass auch der Priester vom revolutionären Zeitgeist erfasst war. Sie kannte ihn aus manchen Diskussionen an der Uni. Für einen katholischen Theologen hatte er erstaunlich viele Freunde in nichtkirchlichen Kreisen. Und er war kein Kind von Traurigkeit. Da kursierten einige Geschichten.
Ich würde ja nur den ersten Satz stehen lassen. Ob sie ihn nun kennt oder nicht - ist doch eigentlich Wurscht an der Stelle.

Alles Verwandte oder gute Freunde der Eltern.
Das würd ich auch weglassen. Sie sagt zur Gästeliste Ja und Amen - das sagt doch genug. Wenn ich diesen Satz dann lese, frage ich mich nur: Wirklich alles nur Verwandte oder gute Freunde der Eltern?, und weißnicht so recht, ob ich das glauben soll.

Hier versteh ich was nicht.

„Ich hab halt die falsche Fächerkombination. Sport und Religion wären einfacher.“
„Meinst du? Vielleicht nimmst du es zu genau? Und Religion …, ich weiß nicht.“
(...) Jetzt war er Lehrer am Gymnasium mit den Fächern Geschichte, Gemeinschaftskunde und katholische Religion.
Also lehrt er doch Religion! Oder wie ist das gemeint?

Hi wieselmaus,

ich quetsche einen schnellen Kommentar dazwischen, nicht zuletzt, weil ich mich auch noch kurz öffentlich Dampfer freuen will, dass du hier wieder mal aufgetaucht bist.
Die Geschichte gefällt mir gut, sprachlich schön gegossen, und wie so oft kommt sie nach außen hin recht behaglich daher und hat von innen her nicht wenig zu bieten.
Das gemächlich Erzählende nehme ich als bewusste Gestaltung wahr und würde ich - eben gerade in seiner Wirkung als Understatement - im Grunde gar nicht anders haben wollen.
Weil ich aber so gerne herum mosere, wäre es ja schade, wenn ich dass in diesem Fall ganz bleiben ließe. Manchmal sind mir die Beschreibungen nämlich doch zu ausufernd. Hier zum Beispiel:

Dabei zwinkerte er ein wenig, und Birgit sah darin ein Zeichen, dass auch der Priester vom revolutionären Zeitgeist erfasst war. Sie kannte ihn aus manchen Diskussionen an der Uni. Für einen katholischen Theologen hatte er erstaunlich viele Freunde in nichtkirchlichen Kreisen. Und er war kein Kind von Traurigkeit. Da kursierten einige Geschichten.
Ich würde ja nur den ersten Satz stehen lassen. Ob sie ihn nun kennt oder nicht - ist doch eigentlich Wurscht an der Stelle.

Alles Verwandte oder gute Freunde der Eltern.
Das würd ich auch weglassen. Sie sagt zur Gästeliste Ja und Amen - das sagt doch genug. Wenn ich diesen Satz dann lese, frage ich mich nur: Wirklich alles nur Verwandte oder gute Freunde der Eltern?, und weißnicht so recht, ob ich das glauben soll.

Hier versteh ich was nicht.

„Ich hab halt die falsche Fächerkombination. Sport und Religion wären einfacher.“
„Meinst du? Vielleicht nimmst du es zu genau? Und Religion …, ich weiß nicht.“
(...) Jetzt war er Lehrer am Gymnasium mit den Fächern Geschichte, Gemeinschaftskunde und katholische Religion.
Also lehrt er doch Religion! Oder wie ist das gemeint?

Eine Enttäuschung vor allem für seine Mutter. Den eigenen Wünschen war er keinen Schritt nähergekommen.
Finde ich so direkt hintereinander stehend nicht so günstig. Ich frage mich: Warum vor allem für die Mutter - wenn er seinen eigenen Wünschen noch nicht nähergekommen ist.

Birgits Mutter hatte es schon oft bei Trauungen gesungen.
Find ich ein kleines bisschen verwirrend, weil sie in diesem Fall ja nicht singt. Man kann sich dann denken, dass es mit der Mutter abgesprochen sei. Das ist ein Argument, warum wir die Info brauchen. Trotzdem ...

Der da spielte, war ein Könner.
Das gefällt mir auch nicht so ... Das klingt für mich irgendwie banausisch, wenn man das dazu sagen muss. Also eben doch nicht wie ein richtiger Könner.

Statt eines Schwertes schwang er einen Geigenbogen.
Und auch das will mir nicht so richtig gefallen. Der Fechter kommt gleich weiter unten noch mal - und besser, würde ich sagen. Ein Schwert ist zum einen nicht unbedingt die filigranste Waffe. Zum anderen frage ich mich: Wieso "statt eines Schwertes"? Wenn er ja Hobbyritter wäre, und du hättest uns ihn als solchen vorgestellt, und dann sagst du: heute schwang statt des Schwertes den Geigenbogen" - dann gehe ich da natürlich locker mit. Aber hier frage ich mich: Was hat ein Musikdozent überhaupt mit Schwertern am Hut?

das Vibrato schmeckte süß und bitter wie schwarze Schokolade.
Mir wäre ja lieber nur eins von beidem: Entweder süß und bitter - dann denke ich mir eventuell, dass das wie schwarze Schokolade klingt; oder wie schwarze Schokolade, dann komme ich vielleicht von selbst auf süß und bitter. Beides zusammen ist mir ein Tick zu viel.

Die Erinnerungen überfluteten sie.
Würd ich auch rausnehmen ...

Und dann kommt das also ans Licht, was da unterschwellig rumort. Verzwickte Geschichte - die du mit diesem schönen dramatisch offenen Schluss - wenn man ihn so lesen will - krönst.

Besten Gruß
erdbeerschorsch

 

Hallo hell


Ansonsten hab' ich nichts zu meckern, nur zu danken.

Wow! Das versüßt mir den ganzen Monat. Danke für dieses eindeutige Statement.

Ich habe mich umgehend auf die "Auch-Suche" gemacht. Drei habe ich gestrichen, auch das von dir monierte. Es stimmt, für den Erkenntniswert sind sie nicht immer notwendig.
In den Dialogen lasse ich sie stehen, weil sie, vermute ich, durchaus eine Funktion haben. Erstens stärken sie wegen der Redundanz das 'natürliche' Sprechen.
Zweites glaube ich, dass sie dem Sprecher Zeit verschaffen, sozusagen das Verfertigen der Gedanken beim Sprechen, du weißt schon, was ich meine.
Drittens, aber das ist reine Spekulation, kann es sich auch um eine badische Eigenart handeln. Als Kronzeugen führe ich einen bekannten Nationaltrainer an, in Freiburg wohlbekannt. Ungefähr in jedem zweiten Satz findet sich ein "Au (auch)". Dadurch wirkt seine Rede manchmal etwas unbedarft. Ich weiß, dass manche Journalisten sich darüber lustig machen ...

Tja, ich hätte dich gerne beim Gathering getroffen, auch um herauszufinden, ob du männlich, weiblich oder anders bist und wirklich in Freiburg lebst. Vielleicht läuft man sich mal auf dem Münsterplatz über den Weg. Auch das ist möglich.

Herzliche Grüße und Achtung vor Gewittern. Blitze treffen auch die Gewitzten.

wieselmaus


Liebe Chai,

Ha! Jetzt weiß ich, wie alt du bist. Genau fünfundzwanzig Jahre jünger als ich. Das erklärt mir, warum du einige Fakten anders interpretierst als die Betroffenen. Die Eltern von Birgit sind nicht wirklich herzlos, auch wurde Birgit nicht in eine bürgerliche Ehe gedrängt. Den Wendelin hat sie sich selbst ausgesucht, hat ihre Enttäuschung überwunden und die sexuellen Erfahrungen gemacht, wie sehr viele katholisch erzogene Mädchen damals. Georg und Wendelin wären beide in den Augen von Birgits Eltern passable Ehemänner gewesen. Vielleicht wurde Birgits Mutter ja von Georg überrumpelt. Und dass sie ihn dann zu Hochzeitsessen eingeladen hat, nur ein Akt der Höflichkeit. Georg war schon wer, mit einem bedeutenden Ruf als Dozent. Wie immer in dieser Zeit wird aber vieles nicht ausgesprochen, und zurück bleiben ambivalente Gefühle.

Zum zurückgenommenen Stil möchte ich ganz allgemein was sagen. Unaufgeregt, sagen manche.
Liebesgeschichten schreiben sich mit fünfundsiebzig anders als mit dreißig. Wäre ja auch merkwürdig, wenn es nicht so wäre. Bei dieser Diskussion muss man bei mir mit einer Keuner-Geschichte von Brecht rechnen.

Das Wiedersehen

Ein Mann, der Herrn K. lange nicht gesehen hatte, begrüßte ihn mit den Worten
"Sie haben sich gar nicht verändert."
"Oh!" sagte Herr K. und erbleichte.

Danke für deinen schönen langen Kommentar. Ich lese daraus, dass du richtig Interesse an dieser Epoche hast.

Liebe Grüße

wieselmaus

 

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