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Gedanken eines Radlers

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17.09.2012
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Gedanken eines Radlers

Irgendwann hatte ich das Gedränge im Bus und Tram satt, welches ich jeden Tag auf meinem Arbeitsweg über mich ergehen liess, und entschied mich, das Fahrrad zur Arbeit zu nehmen. Ich zog mein drei-gängiges Velöli, welches ich von meinem Vater geerbt hatte, aus der muffigen Garage und machte mich damit auf den Weg. So begann meine lange Radler-Karriere.
Schnell musste ich feststellen, dass ich bei weitem nicht der Einzige war. Radler kamen aus allen Richtungen in allen Formen und Farben. Und ich merkte schnell: Die Radler, die sind schon ein eigenartiges Völkli.
Unaufhörlich wird man als Radler von Radlern überholt und man kommt sich vor, als befände sich eine ellenlange, nie aufhörende Kolonne hinter einem, für die man ganz alleine verantwortlich ist. Und je schneller man fährt, je mehr man schwitzt und je lauter man atmet umso öfter wird man überholt und umso öfter erntet man tadelnde Blicke, als verursache man einen Stau, der sich von Zürich nach Bern ziehe.
Stolz präsentieren die Radler ihre bis auf Hochglanz polierten und mit allem möglichen und unmöglichen Schnickschnack ausgestatteten Gefährte, welche schon in der Minimalausführung 24 Gänge besitzen. Scheibenbremsen, Rückspiegel, Geschwindigkeitsmesser... check. Schutzbleche? Sicher nicht! Die führen nur die Anfänger.
Ganz wichtig ist die richtige Bekleidung. Zum einen die Sonnenbrille, die natürlich auch in der Abenddämmerung getragen wird und die Radler wie flachgedrückte Heuschrecken erscheinen lässt, womöglich der Aerodynamik zuliebe. Es tobt ein ewiger Kampf zwischen den Radlern, um die Neuheit, Buntheit und die Enge ihrer Bekleidung, die ihre männlichen und weiblichen Organe beinahe durch die Maschen herausdrücken und mein T-Shirt und meine Jeans richtig schäbig erscheinen lassen. Und wehe, diese aufgetakelten Radler werden durch Laien – schlimmer noch, weibliche Laien – überholt. Da glauben sie plötzlich vom Planeten Krypton zu sein, es erwachen in ihnen schlafende Superkräfte und sie jagen einem nach, schwitzend und pustend, sodass man sich schliesslich erbarmt und sie mit einem gespielten Blick eines Besiegten nach vorne fahren lässt.
Und die E-Biker, ja die E-Biker! Sie sind eine Kohorte für sich und bilden eine noch höhere Stufe, was die Respektlosigkeit und Arroganz anbelangt. Die Akkumulatoren halten wohl nicht nur ihr Gefährt unter Spannung, sondern auch ihren heuschreckenartigen Kopf. Nur nach wenigen Pedalumdrehungen kommen sie sich wie Übermenschen vor, vergessen alle Strassenregeln und die Strassenmoral. Mit gespieltem Mitleid überholen sie einen, wenn man schweissübergossen mit einem Aufstieg fechtet oder mit Sehnsucht auf das Grünlicht wartet. Schon bei kleinsten Störungen überhäufen sie ihre Mitmenschen – egal ob diese etwas mit der Störung zu tun haben oder nicht – mit Beleidigungen und Beschimpfungen aus dem eigenen Inventar, ein Verhalten das sich übrigens häufig auf das Privat- und Arbeitsleben ausserhalb ihrer Radlertätigkeit überträgt.
Aber das Radeln an sich ist schon etwas Schönes. Das stickige Gedränge in den öffentlichen Verkehrsmitteln kann einem nie das wundervolle Freiheitsgefühl geben, das man fühlt, wenn einem der Wind um die Haare weht und man am Schluss seiner Strecke sich selber auf die Schulter klopft, weil man sie mit der eigenen Muskelkraft zurückgelegt hat. Oder wenn man klitschnass durch Gewitterregen fährt und beinahe ertrinkt, weil einem das Regenwasser regelrecht in die Nasenlöcher hinaufkriecht. Oder all die Insektenschwärme, die sich wie absichtlich inmitten des Weges aufhalten, und man die ganze Freude ihres Sextanzes auf einmal im eigenen Gesicht miterleben darf. Und natürlich wenn Autos im Stau stecken und man sie mit Eleganz – vielleicht noch eine eingeübte Pose präsentierend – rechts überholt.
Und nun gehe ich ins Sportgeschäft, da mein rechtes Hosenbein – durch das ständige Verfangen in den Zahnrädern – völlig zerzaust ist. Ohne es zu merken, lande ich in der Abteilung mit den engen Radlerhösli und erwische mich kurz darauf, wie ich erste hungrige und liebevolle Blicke einem E-Bike zuwerfe und mir der Speichel im Munde zusammenfliesst.

 

Ein Gedankenmonolog zum anspruchslosen Thema "Ich und die absurde Welt der X (hier Radfahrer)", ein dünkelhafter verbaler Kreuzzug gegen eine beliebige Mitmenschengruppe. Eine Glosse, Stammtischanekdote, ein Tagebucheintrag, kann man als Fingerübung gerne schreiben, aber nicht unbedingt veröffentlichen. Wer eine Geschichte erwartet, mit Konflikt und interagierenden Figuren, die gekennzeichnet sind durch Name und Charakter, den befriedigt das kaum, so geht es jedenfalls mindestens mir.
In Richtung einer Geschichte könnte die Sache weitergehen, indem sich der Prot das E-Bike tatsächlich kauft und damit nachhause fährt, wobei er überholt und hochnäsige Blicke um sich schmeißt.

 

Hallo floritiv!
Danke für deinen Kommentar. Der Text hätte tatsächlich wie eine Stammtischanekdote erscheinen sollen. Ein Monolog, der sich im Kopfe des Erzählers spielt, welcher sich tagtäglich mit uns allen bekannten Situationen konfrontiert sieht. Obwohl er wahrscheinlich intelligent und rational ist, argumentiert er innerlich auf sehr engstirnige und vereinfachte Art und Weise.
Dass er am Schluss das E-Bike kauft und gleich fahren wird, wie die Leute, über die er innerlich schimpft, sollte eigentlich die logische Schlussfolgerung des Textes sein, wie ich dachte, weshalb ich das gar nicht niedergeschrieben hatte.
Lieber Gruss,
kvgunten

 

Hallo kvgunten
Danke für deinen Text. Wie floritiv schon sagte, ist es eigentlich keine Geschichte, aber das Ende gefällt mir, und darin steckt auch die Möglichkeit, eine Geschichte daraus zu machen - wie der Prot seine Meinung ändert. Zuerst schimpft er über dieses Grüppchen, und dann erwischt er sich selber dabei ... sehr menschlich, und auch amüsant.

Was mich beim Lesen etwas gestört hat ist, dass nur geschimpft wird - du lässt kein gutes Haar an diesen Radfahrern. Dabei gibt es doch ganz bestimmt auch nette Typen, solche, die sich diesem Wahn widersetzen und ihr eigenes Ding machen resp. ihr eigenes Rad fahren. Es ist immer schwierig, sich über andere zu mockieren und dabei nicht einfach ins Beschimpfen oder Beleidigen zu rutschen. Dies könntest du allenfalls noch etwas abschwächen.

Gruss aus der Schweiz,
CynthiaGrand

 

Hallo CynthiaGrand

Danke für deinen Beitrag. Es ist mir gar nicht aufgefallen, dass der Text so negativ ausgefallen war, wie du es hier beschreibst. Es war natürlich nicht meine Absicht, einen "Beschimpfer" aus der Hauptfigur - wenn man die in einem solchen Text nennen darf - zu machen.

Lieber Gruss,
kvgunten

 

Hallo kvgunten,
was ist das? Innerer Monolog? Betrachtung? Beschreibung? So richtig kann ich ehrlich gesagt nichts damit anfangen, obwohl ich Fahrrad-affin bin und durchaus einige deiner Gedanken über die Radl und die Fahrer kenne.

Nichts für ungut, aber für mich funzt der Text nicht.

Gruß, Freegrazer

 

Hallo Freegrazer
Danke für den Beitrag! Das sind Gedanken, so wie es der Titel auch sagt :D
Gruss!

 

Hallo kvgunten

Dein Text ist zwar schon etwas älter, hat mich jedoch wegen des Titels gelockt, da ich selber begeisterte Radfahrerin bin.

Ob es nun ein innerer Monolog, eine Beschreibung oder doch eine Geschichte ist, kümmerte mich gar nicht so sehr. Ich musste einfach lachen und habe ganz, ganz vieles wiedererkannt, nicht zuletzt bei mir selbst. Vor kurzem noch mit ausgeleierter Turnhose und T-Shirt unterwegs, flitze ich nun in voller Velomontour (immerhin schwarzweiss und OHNE neonfarbige Einsätze) über die Strassen und überhole mit einem hingeworfenen "'Tschuldigung" die Sonntagsfahrer, die zu dritt nebeneinander die Velowege blockieren.
Immerhin ist es noch weit bis zum E-Bike. Doch auch das wird kommen, spätestens, wenn in ein paar Jahrzehnten die Knochen lauter knacken als der Schalthebel...

Wie gesagt, von der Form her wäre der Text vielleicht eher einer Kolumne als einer Kurzgeschichte zuzuordnen. Doch ich finde deinen Stil flüssig und angenehm zu lesen. Gerne wieder.

Grüsse, Frau Mosimann

 

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