Was ist neu

Gedanken über das Glück

Mitglied
Beitritt
25.06.2002
Beiträge
39

Gedanken über das Glück

Der Werther, geschundener Protagonist Goethes, dessen Herzensleiden ein trauriges Meer von Menschen seiner Zeit zum Freitod bewegte. Der Werther, dessen Schicksal jeden Weggefährten emotional in den Bann zu ziehen weiß. Der Werther, der arme Thor der Neuzeit. Doch ist er wirklich ein tragischer Held, der zuletzt so grenzenlos unglücklich dahinvegetierte, dass ihm nur die konsequenteste unter den Lösungen, nur die sicherste unter den Fluchten in den Sinn kam? Nein! Der Werther ist in Wirklichkeit der glücklichste Held der Weltliteratur. Denn das Glück ist nicht, geliebt zu werden; das ist mit Ekel gemischte Genugtuung für die Eitelkeit. Das Glück ist, zu lieben und vielleicht kleine, trügerische Annäherungen an den geliebten Gegenstand zu erhaschen. Und der Werther schrieb diesen wahren Gedanken des Glücks innerlich auf, dachte ihn völlig aus und empfand ihn bis auf den Grund. Er machte ihn zum einzigen Inhalt seines nun so reichen Lebens. Als sich dann dieser wertvolle Gedankenschwarm unerwartet im Netz der Zärtlichkeit verfing, als Lotte dem Schmachtenden die höchste aller Annäherungen gewährte, war sein Leben getan. Übrig blieb die Angst, an sich selbst zu ersticken. Und um das Glück zu konservieren, folgte der Tod - die Tat eines vollkommen glücklichen Helden. Der Werther. Das Vorbild unserer Zeit. Er hörte. Er handelte. Ich beneide ihn.

 

Lieber Werther!

Ich denke auch, dass es ergiebiger ist, einem Menschen Liebe zuteil werden zu lassen als sie zu nehmen. Die Liebe die man fühlt für den Anderen ist unabhängig, befreit sogar von den inneren Fesseln. Während man beim Haben wollen, beim Brauchen leicht in Abhängigkeit rutscht.

Ob diese Liebe letztlich im Tod enden muss um vollkommen zu werden? Das hat für mich viel mit Angst zu tun. Wenn ich im Lieben sterbe ist es wie ein Anhalten des Moments bevor mir seine Vergänglichkeit bewusst werden kann. Es ist die Flucht nach vorne die aber kein Entkommen sichert, weiß keiner von uns über die Gegebenheiten der Ewigkeit Bescheid.

Ich sehe Liebe aber über die Zweisamkeit weit hinausgehend. Rauschendes Blätterwerk, Worte die sich formen und aneinander schmiegen oder das Wüten des Sturmes bei einem Spaziergang am Strand kann soviel Gefühl aufpeitschen in einem Menschen – auch das ist Liebe. Deine erwähnten erhaschten Annäherungen an den Gegenstand , finde ich, drückt an sich sehr schön aus was ich meine. Warum sie trügerisch sein sollten weiß ich nicht. Etwas das einem, aus welchem Grund immer, wertvoll und erhaben erscheint, zu berühren ist das Schönste das einer Menschenhand möglich ist.

Ist dieser „Gegenstand“ dann noch ein geliebter Mensch dann denke ich nicht an ekelhafte Genugtuung für die Eitelkeit, sondern an Zärtlichkeit. Ich glaube (!!) aber zu verstehen, worauf du hinauswillst. Geliebt zu werden stärkt das Ego, zeigt ich bin jemandem wichtig und man nimmt mich wahr. Diese Genugtuung suchen aber Menschen die sich selbst als mangelhaft erleben, alleine keinen Wert verspüren. Die Stärke des Anderen,in welcher Form immer sie sich offenbart, für sich nutzbar zu machen, das ist nicht Liebe, sondern Bedürftigkeit – oder nicht?

Lieben Gruß schnee.eule

 

Ich habe etwas sehr Passendes zu diesem Thema gefunden, was meiner Meinung nach sehr schön auszudrücken vermag, in welchem Verhältnis Liebe und Tod zueinander stehen. Es stammt aus Epiktets "Handbüchlein der Moral", erschienen im Diogenes-Verlag:

Was liebst du eigentlich

Bei allem, was dich erfreut, was dir nützt und deine Liebe besitzt, sage dir stets, was es eigentlich ist.
Beginne bei dem Geringfügigsten. Liebst du ein Glas, so sage dir: Ich liebe ein Glas. Zerbricht es, wirst du dich nicht aufregen. Liebst du dein Kind oder deine Frau, so sage dir: Ich liebe einen Menschen. Stirbt er, so wirst du nicht aus der Fassung geraten.

Nachdenkliche Grüße,
Werther

 

Lieber Werther !
Das Handbüchlein der Moral vermittelt mir, festgelegte Werte nach bestimmten gesellschaftlichen oder auch ganz persönlichen Maßstäben.
Lass mich meine Gedanken dagegenhalten oder besser, sie daneben stellen.
Ich liebe ein Glas. Das heißt, ich erkenne hinter dem Gegenstand, außerhalb der Materie etwas das nicht offensichtlich ist. Den Glanz des in ihm eingefangenen Lichts, die Farben, die Form, den Ton den es erzeugt, wenn es auf anderes Glas trifft. Wenn es zerbricht habe ich etwas verloren das mir zuvor Gefühle vermitteln konnte.

Was soll ich da noch sagen. Ein geliebter Mensch stirbt. Er hinterlässt etwas - nämlich sein Fehlen. Die Liebe die ich für ihn empfand ist noch da - aber sie kann nicht mehr ankommen, außer in Sehnsüchten und Phantasien. Erst, wenn es gelingt dieses Gefühl in neue Richtungen zu führen, beginnt die Heilung.
Gruß an dich - schnee.eule

 

Letzte Empfehlungen

Neue Texte

Zurück
Anfang Bottom