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Geburtstag

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03.09.2024
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Geburtstag

„Müssen wir dahin?“, fragt Jonathan.
„Müssen wir“, sagt meine Frau zu unserem Sohn. „Oma Hilde wird 85.“
„Das ist aber ganz schön alt“, sagt die Tochter.
Sie hat einen Schuh verkehrt herum angezogen und streift ihn wieder ab. Ich schleppe die Koffer zum Auto und befestige den Kindersitz auf der Rückbank. Die Winterreifen! Ich habe den Werkstatttermin gestern verpasst. Zum Glück spielt das Wetter mit, achtzehn Grad Anfang November. Es dürfte keine Probleme geben. Emilia hat die Schuhe immer noch nicht an. Jonathan will den Fußball mitnehmen.
„Der bleibt hier“, sage ich.
„Nun lass ihn doch!“, sagt meine Frau. Ich nehme Proviantkorb, die Jacken der Kinder und den Ball. Die Präsente sind schon im Kofferraum.
„Haben wir alles?“
Die Frau nickt, es kann losgehen. Blauer Himmel, rote und gelbe Blätter liegen auf dem Boden. Die Gehwege und Straßen sind glatt.
"Es soll kalt werden morgen, zum Glück hast du die Winterreifen draufziehen lassen“, sagt meine Frau.
Ich starre auf die Ampel und warte auf Grün.
„Wie lange noch?“ fragt Emilia.
Vierhundert Kilometer mit Kindern im Auto, aber es gibt keine Staus, wir kommen gut durch. Ein Parkplatz direkt vor dem Haus der Oma ist frei.
„Was wollt Ihr hier?“, fragt Hilde und öffnet die Tür nur einen Spalt. Meine Frau drückt sie auf und nimmt ihre Mutter in den Arm.
„Du hast heute Geburtstag, herzlichen Glückwunsch!“
Ich stelle die Koffer im Flur ab und umarme sie ebenfalls.
„Alles Liebe auch von mir! Geht`s dir gut?“
„Gestern ging`s besser“, sagt sie und sieht auf die Gepäckstücke. „Ihr bleibt aber nicht über Nacht!“
Meine Frau schiebt ihre Mutter ins Wohnzimmer, die Kinder folgen zögernd.
„Wir haben Kuchen mitgebracht, jetzt machen wir es uns erst einmal gemütlich“, sagt sie.
Hilde sinkt in einen Sessel und zeigt auf die Kinder.
„Wer sind die da?“
„Ich heiße Emilia und kann schon bis hundert zählen“, sagt die Tochter. Jonathan verliert kein Wort und sieht sich im Zimmer um. Sein Blick bleibt bei dem kleinen Fernseher hängen. Ich sehe ihm an, dass er sich vorstellt, wie schlecht man auf diesem Bildschirm Fußball gucken kann. Er ist Werder-Fan, das Spiel geht in einer halben Stunde los. Ich habe ihm nicht verraten, dass wir es hier nicht sehen können, weil es nur auf Bezahlsendern gezeigt wird. Die hat die Oma ganz sicher nicht abonniert.
„Der da spricht nicht viel“, sagt Hilde und macht eine Kinnbewegung in Richtung meines Sohnes.
„Der da heißt Jonathan, den hast du schon zwanzig Mal gesehen und jetzt schlage gefälligst einen freundlicheren Ton an!“, sage ich.
„Bernhard, bitte!“, kommt es von meiner Frau, „sie ist krank!“. Normalerweise nennt sie mich Bernd.
„Wer ist krank?“, fragt Hilde.
„Was hat die Oma denn?“, fragt Emilia.
„Werder spielt gleich“, sagt Jonathan.
Ich gehe zum Kühlschrank, da ist kein Bier drin. Ich nehme den Wein, den wir mitgebracht haben und suche nach einem Glas. Der Wein ist warm.
„Der Heinrich hat auch immer gesoffen“, sagt Hilde.
Bei jedem Besuch meckert sie über ihren verstorbenen Mann. Danach hat sie mich im Visier. Ich proste ihr zu.
„Das hätte ich an seiner Stelle auch getan.“
Meine Frau sieht mich missbilligend an, steht auf, deckt den Tisch und bringt den Kuchen. Die Kaffeemaschine brodelt, für die Kinder haben wir Apfelschorle mitgenommen. Jonathan wird unruhig. Emilia möchte etwas spielen. Ich brauche einen Eiswürfel für den Wein. Kaffee ist fertig.
„Kommt die Haushaltshilfe noch regelmäßig?“, fragt meine Frau.
Hilde schüttelt den Kopf. „Die hat mich beklaut. Der ganze Schmuck ist weg!“
„Ich habe auch Schmuck“, erklärt die Tochter und zeigt ihr Armband. Die Oma ignoriert sie. Jonathan sucht Blickkontakt zu mir.
„Wir sehen gleich mal in den Schränken nach“, sagt meine Frau und schenkt Kaffee ein, „aber eine Hilfe brauchst du doch!“
„Ich hatte nie Hilfe“, kommt es von Hilde. „Heinrich hat jedenfalls keinen Finger krumm gemacht. Ich hoffe, dass es bei dem da besser ist!“ Diesmal macht sie ihre Kinnbewegung in meine Richtung.
„Papa!“, sagt Jonathan.
„Wir können hier keinen Fußball sehen.“ Irgendwann muss ich es ihm sagen. Er sackt in sich zusammen und verzieht das Gesicht.
„Wir verfolgen das über den Live-Ticker“, schiebe ich nach.
„Verkauft der noch seine Feuerlöscher?“, fragt Hilde und meint mich. Das hat sie sich merken können, ist allerdings kein gutes Thema.
„Im Moment nicht, die Firma hat Konkurs angemeldet“, antwortet meine Frau.
„Elisabeth!“, sage ich. „Nicht vor den Kindern!“ Normalerweise nenne ich sie Lisa.
„Du bist mit einem Arbeitslosen zusammen? Der Heinrich hat zwar gesoffen, aber arbeitslos war der nie!“, sagt Hilde. „Ich lasse nicht zu, dass ihr euch hier einnistet!“
Ich stehe auf und gehe mit meinem Wein zur Balkontür. Draußen ist es dunkel geworden, ich trete hinaus.
„Der würde mich vermutlich gern über den Balkon schubsen, damit er hier umsonst wohnen kann“, höre ich Hilde sagen.
„Das lohnt sich nicht vom Hochparterre aus, da müsste ich ein paar Blumenkübel hinterherwerfen. Ein Feuerlöscher ginge auch, wenn du einen hast“, rufe ich zurück.
Die Bäume auf der anderen Straßenseite scheinen etwas höher gewachsen zu sein als vor zwei Jahren, sie überragen die gegenüberliegenden Häuser. Aus einigen Fenstern schimmert gedämpftes Licht, eines ist mit roten Lichterketten und Sternen dekoriert. Dort kann man die Weihnachtszeit offenbar kaum erwarten. Ich frage mich, ob die alle mit Feuerlöschern und Rauchmeldern ausgestattet sind. In der Adventszeit passieren die meisten Brände. Mein Vorstellungsgespräch bei der neuen Firma D-Secour nächste Woche kommt zum richtigen Zeitpunkt und ich weiß, dass die Leute brauchen. Lisa werde ich erst davon berichten, wenn der Vertrag unterschrieben ist. Jonathan kommt zu mir auf den Balkon und umarmt mich, vermutlich will er mein Handy wegen des Fußballspiels.
„Läuft es nicht gut bei der Arbeit?“, fragt er.
„Der Betrieb hat zugemacht“, erkläre ich. „Aber nächste Woche habe ich eine neue Firma.“
Er nickt. Emilia kommt zu uns und will auf meinen Arm. Ich hebe die Tochter hoch. Sie sieht die Beleuchtung gegenüber.
„Ist bald Weihnachten?“, fragt sie.
„Ja“, sage ich. „Vorher stellen wir einen Tannenbaum auf und vielleicht kommt dann der Weihnachtsmann.“
Meine Frau gesellt sich zu uns.
„Bernd?“, fragt sie.
„Lisa?“, frage ich zurück.
„Hilde ist ganz allein Heiligabend.“
„Ich wusste, dass das kommt“, sage ich.

 

Moin @Jaylow,

vielen Dank für deinen Challengebeitrag. Du erzählst die Geschichte eines Ich-Erzählers, der mit seiner Frau und seinen Kindern zu Oma Hildes 85. Geburtstag fahren muss. Dabei hat er versäumt, die Winterreifen draufziehen zu lassen. Bei Oma Hilde angekommen, hat sie vergessen, dass sie Geburtstag hat und erkennt auch die Kinder nicht mehr. Zudem hat sie an allem etwas auszusetzen und insgesamt wirkt die Stimmung ziemlich bedrückt. Oma Hildes Haushaltshilfe hat sie beklaut, sie beschwert sich über ihren verstorbenen Ehemann und sie wirft dem Vater vor, dass er sie am liebsten vom Balkon schmeißen würde. Zudem hat dann auch noch der Betrieb zugemacht und an Heiligabend soll Oma Hilde dann auf Vorschlag der Frau zu Besuch kommen.

„Müssen wir dahin?“, fragt Jonathan.
Insgesamt hat mir ein wenig der rote Pfaden gefehlt: Beispielsweise hatte ich erst kurz gedacht, dass es sich um einen personalen Erzähler handelt und mich nach dem ersten Satz auf Jonathan eingestellt. Daher war ich dann von dem Ich-Erzähler kurz überrascht.

Die Frau nickt, es kann losgehen. Blauer Himmel, rote und gelbe Blätter liegen auf dem Boden. Die Gehwege und Straßen sind glatt.
Das hat sich für mich etwas klischeehaft gelesen: blauer Himmel, rote und gelbe Blätter auf dem Boden.

Ich habe ihm nicht verraten, dass wir es hier nicht sehen können, weil es nur auf Bezahlsendern gezeigt wird. Die hat die Oma ganz sicher nicht abonniert.
„Der da spricht nicht viel“, sagt Hilde und macht eine Kinnbewegung in Richtung meines Sohnes.
„Der da heißt Jonathan, den hast du schon zwanzig Mal gesehen und jetzt schlage gefälligst einen freundlicheren Ton an!“, sage ich.
„Der Heinrich hat auch immer gesoffen“, sagt Hilde.
Bei jedem Besuch meckert sie über ihren verstorbenen Mann. Danach hat sie mich im Visier. Ich proste ihr zu.
Hilde schüttelt den Kopf. „Die hat mich beklaut. Der ganze Schmuck ist weg!“
„Ich habe auch Schmuck“, erklärt die Tochter und zeigt ihr Armband. Die Oma ignoriert sie.
Abschließend finde ich, dass die Oma Hilde ziemlich bösartig rüberkommt. Wenn das dein Ziel war, dann hat das funktioniert, allerdings sorgte das bei mir, dass ich deine Figuren insgesamt nicht so sehr mochte. Oma Hilde ist bösartig, der Ich-Erzähler abwesend und wenig empathisch, was ich aus dem Umgang mit Oma Hilde herausgelesen habe.

Ich stehe auf und gehe mit meinem Wein zur Balkontür. Draußen ist es dunkel geworden, ich trete hinaus.
„Der würde mich vermutlich gern über den Balkon schubsen, damit er hier umsonst wohnen kann“, höre ich Hilde sagen.
Ja, du hast das Thema der Challenge sehr genau genommen und 1:1 so in deinen Text eingebaut.

„Hilde ist ganz allein Heiligabend.“
„Ich wusste, dass das kommt“, sage ich.
Auch hier finde ich deinen Prota etwas kalt.

So viel zu meinem Leseeindruck.

Beste Grüße
MRG

 
Zuletzt bearbeitet:

Moin Jaylow,

nun wollte ich mal jemand anderem den Vortritt für den Erstkommentar lassen, aber ich habe einfach zu viel Freizeit (momentan) . Ah, da ploppt etwas auf, ich lese später rein, also entschuldige etwaige Dopplungen.
Ich gehe mal durch und fasse hinterher zusammen ...

Geburtstag
Ich meckere hier jetzt auf hohem Niveau, denn ich habe für meine Geschichte noch nicht einmal eine wage Titelidee, aber der hier hat noch Luft nach oben :D

„Müssen wir dahin?“, fragt Jonathan.
„Müssen wir“, sagt meine Frau zu unserem Sohn. „Oma Hilde wird 85.“
oh! Das kennt wohl jeder! Super Einstieg, vertraut und macht doch neugierig. Ich mag Dialoggeschichten, mich hast du also am Haken.

„Nun lass ihn doch!“, sagt meine Frau.
Die typisch inkonsequente Mutter, auch immer gerne genommen.

Die Frau nickt, es kann losgehen.
Hier bin ich ein bisschen skeptisch mit der Perspektive, Du erzählst doch aus seiner Sicht. Denkt/spricht er echt: das Kind/die Frau?

"Es soll kalt werden morgen, zum Glück hast du die Winterreifen draufziehen lassen“,
Ich habe mich hinterher gefragt, wozu Du das Winterreifendetail brauchst? Ist ein wenig eine falsche Spur, ich erwartete natürlich irgendetwas im Zusammenhang damit. Entweder später noch einmal verwenden oder über Streichung nachdenken?
Ah, zitiert habe ich den Satz aber, weil die Anführungszeichen verrutscht sind. Könnte sein, das Du hier im Forum nachgebessert hast, da kommen bei mir auch nur Anführungszeichen oben. Ich behelfe mir immer, indem ich richtige drüber kopiere.

„Was wollt Ihr hier?“,
Ah! Ich tippe mal auf demente Oma! Schlimm für alle, und ja, auch diese aggressive Tonlage ist oft zu beobachten.

„Gestern ging`s besser“, sagt sie und sieht auf die Gepäckstücke. „Ihr bleibt aber nicht über Nacht!“
Bei mir klappt es in sofern, mir tut sie leid und ich kann über die harten Äußerungen sogar schmunzeln. Aber sie bleibt natürlich den ganzen Text über ziemlich "die Böse". Ich würde überlegen, das irgendwie aufzubrechen, es hat ja einen Grund und meistens haben auch diese Patienten noch eine liebenswerte Seite.

Hilde sinkt in einen Sessel und zeigt auf die Kinder.
„Wer sind die da?“
Ich finde, Du kriegst mit den klaren Dialogen gut klare Bilder gemalt. Für mich passt es!

„Ich heiße Emilia und kann schon bis hundert zählen“, sagt die Tochter.
Schöne, typische Beobachtungen aus meiner Sicht.

„Der da heißt Jonathan, den hast du schon zwanzig Mal gesehen und jetzt schlage gefälligst einen freundlicheren Ton an!“, sage ich.
Klar, in Geschichten dürfen wir alles, aber das ist schon hart überzeichnet. Wenn die immer so mit einander umgehen, würden sie sich wohl seit Jahren nicht mehr besuchen. Ich habe kurz hochgescrollt, ob Du Satire getagtet hast.

„Bernhard, bitte!“, kommt es von meiner Frau, „sie krank!“. Normalerweise nennt sie mich Bernd.
Das fand ich geschickt gemacht, diese Spiel mit Stimmung und Namen ...

Ich gehe zum Kühlschrank, da ist kein Bier drin. Ich nehme den Wein, den wir mitgebracht haben und suche nach einem Glas. Der Wein ist warm.
Okay, hier breche ich als Oma mal einen Stab für die ältere Generation, hier würde ich ihn nach seiner Kinderstube fragen.

„Der Heinrich hat auch immer gesoffen“, sagt Hilde.
Ich fürchte, hier verliert die gute Hilde alle Sympathien, es ist halt alles schwarz-weiß, lässt mir wenig Interpretationsspielraum - schade!

Danach hat sie mich im Visier. Ich proste ihr zu.
„Das hätte ich an seiner Stelle auch getan.“
Aua!

„Elisabeth!“, sage ich. „Nicht vor den Kindern!“ Normalerweise nenne ich sie Lisa.
Passt zu der Variante andersrum, ein schöner Kunstgriff, um viel auszusagen.
Danach eskaliert das Ganze und ...

„Bernd?“, fragt sie.
„Lisa?“, frage ich zurück.
„Hilde ist ganz allein Heiligabend.“
„Ich wusste, dass das kommt“, sage ich.
somit ist Dein Schluss für mich ausgesprochen unglaubwürdig - wer täte sich das an?

Das Challenge-Thema hast Du natürlich sehr direkt und absolut beachtet, soweit gut. Mir fehlt als Leserin etwas zum mitgehen, sei es gefühlsmäßig (wobei mir aus solidarischer Oma-Sicht) tatsächlich Hilde leid tut. Aber auch inhaltlich dürfte da gerne eine Überraschung hinein, vielleicht fällt Dir ja noch etwas ein. Aber selbstverständlich ist es kein Wunschkonzert, solide geschrieben, ohne dicke Fehler, also Dankeschön für Deinen Challengebeitrag.

Liebe Grüße
Witch

 

Hallo @Jaylow ,

du hast ja wirklich Flieges Titel geschmeidig eingeflochten und auch den schwarzen Humor, der drin steckt aufgegriffen. Ich habe mich amüsiert, die Oma ist klasse und die Familienmitglieder in ihren Rollen pointiert dargestellt. Es muss ja nicht immer der Mega-Tiefgang sein. Trotzdem denke ich, dass du hier und da Potential verschenkst und schließlich zu schnell zum Ende kommst.

ch schleppe die Koffer zum Auto und befestige den Kindersitz auf der Rückbank. Die Winterreifen! Ich habe den Werkstatttermin gestern verpasst. Zum Glück spielt das Wetter mit, achtzehn Grad Anfang November. Es dürfte keine Probleme geben.
Ja, das ist sozusagen die geladene Pistole im ersten Akt, die muss auf jeden Fall noch losgehen.
Blauer Himmel, rote und gelbe Blätter liegen auf dem Boden. Die Gehwege und Straßen sind glatt.
Und das widerspricht sich aber doch mit den achtzehn Grad, vorher?
Vierhundert Kilometer mit Kindern im Auto, aber es gibt keine Staus, wir kommen gut durch.
Bisschen langweilig, da vielleicht genauer. "Jonathan redet unerwartet viel auf der Autofahrt, indem er das Spielverhalten von Werder-Bremen analysiert und schon sind die ersten Hundert Kilometer rum" ja, nicht toll, aber als Beispiel.
„Was wollt Ihr hier?“, fragt Hilde und öffnet die Tür nur einen Spalt.
Schöner knackiger Einstieg. Der Ton ist gesetzt.:D
„Gestern ging`s besser“, sagt sie und sieht auf die Gepäckstücke. „Ihr bleibt aber nicht über Nacht!“
:D
„Wer sind die da?“
„Ich heiße Emilia und kann schon bis hundert zählen“, sagt die Tochter. Jonathan verliert kein Wort und sieht sich im Zimmer um. Sein Blick bleibt bei dem kleinen Fernseher hängen.
Schön, wie du die Kinder charakterisierst.
„Der da spricht nicht viel“, sagt Hilde und macht eine Kinnbewegung in Richtung meines Sohnes.
„Der da heißt Jonathan, den hast du schon zwanzig Mal gesehen und jetzt schlage gefälligst einen freundlicheren Ton an!“, sage ich.
Ja, Hilde und Schwiegersohn sind eigentlich aus einem Holz. Da könnte man doch was draus machen ...
„Der Heinrich hat auch immer gesoffen“, sagt Hilde.
Bei jedem Besuch meckert sie über ihren verstorbenen Mann. Danach hat sie mich im Visier. Ich proste ihr zu.
„Das hätte ich an seiner Stelle auch getan.“
Eben.
Hilde schüttelt den Kopf. „Die hat mich beklaut. Der ganze Schmuck ist weg!“
„Ich habe auch Schmuck“, erklärt die Tochter und zeigt ihr Armband. Die Oma ignoriert sie. Jonathan sucht Blickkontakt zu mir.
Ja für so eine kleine humoristische Story darf es auch ein bisschen Cliché sein.
„Wer ist krank?“, fragt Hilde.
„Was hat die Oma denn?“, fragt Emilia.
„Werder spielt gleich“, sagt Jonathan.
Der Jonathan ist echt süß.
„Papa!“, sagt Jonathan.
„Wir können hier keinen Fußball sehen.“ Irgendwann muss ich es ihm sagen. Er sackt in sich zusammen und verzieht das Gesicht.
„Wir verfolgen das über den Live-Ticker“, schiebe ich nach.
Und der Vater ist irgendwie ein Aas.

„Du bist mit einem Arbeitslosen zusammen? Der Heinrich hat zwar gesoffen, aber arbeitslos war der nie!“, sagt Hilde. „Ich lasse nicht zu, dass ihr euch hier einnistet!“
Ich stehe auf und gehe mit meinem Wein zur Balkontür. Draußen ist es dunkel geworden, ich trete hinaus.
„Der würde mich vermutlich gern über den Balkon schubsen, damit er hier umsonst wohnen kann“, höre ich Hilde sagen.
„Das lohnt sich nicht vom Hochparterre aus, da müsste ich ein paar Blumenkübel hinterherwerfen. Ein Feuerlöscher ginge auch, wenn du einen hast“, rufe ich zurück.
Schöner Höhepunkt.
Mein Vorstellungsgespräch bei der neuen Firma D-Secour nächste Woche kommt zum richtigen Zeitpunkt und ich weiß, dass die Leute brauchen. Lisa werde ich erst davon berichten, wenn der Vertrag unterschrieben ist. Jonathan kommt zu mir auf den Balkon und umarmt mich, vermutlich will er mein Handy wegen des Fußballspiels.
„Läuft es nicht gut bei der Arbeit?“, fragt er.
„Der Betrieb hat zugemacht“, erkläre ich. „Aber nächste Woche habe ich eine neue Firma.“
Und hier verplätschert das irgendwie. Den ganzen Absatz finde ich entbehrlich und es kommt mir ein bisschen so vor, als wolltest du die Story schnell zu Ende bringen. Meine Empfehlung wäre, noch irgendwie einen Twist einzubauen, irgendetwas was Hilde und Schwiegersohn unvermutet vereint. Also erst noch die Steigerung, dass sie wegen des Wetters wirklich länger bei der Oma bleiben müssen und dann irgendeine Wendung. So ist es am Ende halt ein bisschen mehr desselben, aber bewegt hat sich eigentlich nichts.

Trotzdem ein amüsanter kleiner Happen und ich bin gespannt, was du noch draus machst.

Liebe Grüße von Chutney

 

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