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Götterdämmerung
Es war ein regnerischer und wolkenverhangener Nachmittag der die Menschen eilenden Schrittes durch die Straßen in ihre Behausungen trieb. Ich liebte Tage wie diesen an denen sich die Dämmerung wie ein schützender Mantel über die Welt legt. Der Blick aus dem Fenster war grau und feucht. Auf den Scheiben landeten die vom Wind durcheinander gewirbelten Tropfen um sich mit ihresgleichen zu vereinen und gemeinsam in Rinnsalen dem Nichts zuzulaufen. Was auf den ersten Blick hinaus vielleicht Traurigkeit und Einsamkeit vermuten ließ, vermittelte im geschützten warmen Raum gleichzeitig eine Behaglichkeit welche nur durch diese Verschleierung im Außen möglich ist. Dieses Sehnen wurde dann spürbar im Innersten, im unzugänglichsten, fast unerkannt ruhenden Teil des Labyrinths des eigenen Seins. Eine Sehnsucht die nie gestillt werden kann. Niemals? Niemals.
Im Zimmer lag ein Gefühl von Geborgenheit im Schimmer der Teelichter. Die kleine Wohnung die er auffällig zielstrebig einzurichten begann war erfüllt von unserer Liebe. Hier war ich seine Frau, er mein Mann. Die Stille war greifbar, die Gespräche, die eine Tiefe hatten wie das Meer dort wo es ganz dunkel und dicht ist in der Farbe, die kamen immer erst nach dem Fallenlassen. Unser Duft lag im Raum und hüllte uns ein. Seine Hände waren überall, liebkosten, forderten Raum und verkrochen sich gleichzeitig in meinem Schutz. Ich legte meine Hand auf sein Gesicht und verlor das Gefühl von Begrenztheit. So einfach war Distanz zu überwinden, so fühlt es sich an in Freiheit aus Liebe eins zu werden – eine menschliche Einheit durch das Berühren von Seelen.
Mit einer unglaublichen Sanftheit suchten seine Finger den Weg über meine Haut. Seine zärtlichen Berührungen erweckten in mir eine Sinnlichkeit die ich längst verloren glaubte. Weggesperrt in der Verdammnis des nicht besitzt werden wollens. „Es ist eigenartig, wenn ich dich streichle ist es als streichle ich mich selbst“ sagte er zu mir. Ich nahm diese Worte mit einem Spiel unserer Lippen in mich auf als würde die Zärtlichkeit seiner Hände, die sanften Küsse die zugleich erfüllt waren vom Fordern seines manchmal so weichen und dann wieder so hart zusammengepressten Mundes noch immer nicht reichen, mich in ein Glücksgefühl fallen zu lassen für das ich einfach keine Worte mehr fand. Also schwieg ich, berührte seine Augenbrauen, küsste voll Achtsamkeit die schützenden Lider über seinen Augen. Diese Augen die mir ermöglichten in tiefe Urzeiten einer Seele einzutauchen, wenn sein Blick staunend irgendwo in dem meinen sich verlor. Ich liebkoste die geliebte Faltenhaut seines Halses. Wenn ich in dieser warmen Zone hinter dem Ohr meine Lippen spielen liess atmete er ganz tief und entspannt und ich hörte das Rasseln seines Atems tief im Inneren welches mir immer wieder Angst machte. Zeigte es doch die Vergänglichkeit, warnte vor dem Zerfall. Eine Träne verlässt durch eine unscheinbare Hintertür verstohlen seinen von Zärtlichkeit verschleierten Blick. Aneinandergeschmiegt ließen wir die Zeit vertropfen, spielten mit unseren Körpern die wir völlig ungeschützt und unverborgen dem anderen darboten, regten unseren Geist, unsere Sinne an. Immer wieder fanden sich unsere Hände wie zufällig, vereinigten sich mit sanftem Druck und unsere Körper taten es ihnen gleich.
Wie war es möglich, dass unser letzter gemeinsamer Tag auf diese Weise begann?