Was ist neu

Frost

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Challenge 3. Platz
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08.07.2012
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Frost

Die Taiga erbebte unter dem Donnern tausender Hufe. Arve Norstrøm fuhr herum, ließ das Gewehr fallen und rannte los. Der Mantel behinderte ihn, und die Stiefel versanken tief im Schnee. Den Fluss erreichen ... Die Ohrenklappen der Trappermütze schlugen gegen seine Wangen, eiskalte Luft schnitt ihm in die Kehle.
Hoch oben im eisengrauen Himmel krächzten Aaskrähen. Ein Rauschen und Flügelschlagen, und der Schwarm jagte über ihn hinweg.
Schon konnte Norstrøm das schwarze Wasser des Torne sehen, doch schwerer und schwerer wurde jeder Schritt. Er kämpfte, wie er so viele Male gekämpft hatte. Er biss die Zähne aufeinander, fühlte den Feueratem in seiner Brust.
Das Brüllen und Stampfen der heranstürmenden Herde näherte sich wie ein Orkan. Norstrøm hörte das Krachen von splitterndem Holz und er sah, wie die Leiber der tonnenschweren Waldbüffel Birken und Fichten niederwalzten. Er sah, wie unter ihren Hufen Schnee emporwirbelte, wie Erde und Morast in den Himmel spritzten.
Als er den sengenden Atem der Tiere im Rücken spürte, stieß Norstrøm einen Seufzer aus und ließ sich fallen. Hunderte Tritte zermalmten seinen Körper, aus den zerplatzenden Organen schoss das Blut dick, schwarz und dampfend. Norstrøm stöhnte. Mit dem Knacken berstender Knochen in den Ohren umfing ihn Finsternis und das Gefühl, lebendig begraben zu sein.


Sveija beugte sich zu Norstrøm hinab und küsste seinen Hals. Sie fuhr mit der Hand in seine Hose und rieb in langsamen kreisenden Bewegungen, doch Norstrøm saß nur da, starrte auf den leeren Teller, der vor ihm auf dem Tisch stand, und sagte nichts.
»Wieder dieser Traum?«
Draußen kreischte die Sirene - das Signal für das Training des Patrouillenkommandos.
Sveija zog ihre Hand zurück und richtete sich auf. Ihr Blick ruhte einige Augenblicke lang auf Norstrøm, dann schnalzte sie mit der Zunge und begann, den Tisch abzuräumen.


Die Männer zitterten vor Kälte, doch Bussarth scherte sich nicht darum. »Es ist mir scheißegal, wie lange wir hier draußen stehen«, brüllte er. »Auch wenn es den ganzen Tag dauert. Jeder von euch wird mir vier Treffer auf fünf Schuss zeigen. Also noch einmal. Bereitmachen!«
Norstrøm zog das Gewehr von der Schulter, hockte sich in den Schnee und schlug an. Aus den Augenwinkeln sah er, dass auch die anderen Männer des Kommandos ihre Feuerpositionen einnahmen. Matt Larkim zu seiner Rechten hatte Schwierigkeiten, wie immer. Sein lahmes Bein machte ihm zu schaffen. Norstrøm beobachtete, wie er sich umständlich niederkniete und vergeblich versuchte, das Gewehr in Anschlag zu bringen.
»Larkim!« Bussarths Stimme gellte über den Hof und wurde von den Wänden der umstehenden Baracken zurückgeworfen. »Benutze gefälligst den Riemen.«
Larkim hantierte eine Weile mit dem Gewehrriemen und fand schließlich eine Schussposition.
»Ich hoffe nur, dass du ein paar Kugeln abfängst, bevor du krepierst«, sagte Bussarth. »Dann wärst du wenigstens für den Mann hinter dir zu etwas nutze.«
Norstrøm entsicherte sein Gewehr, zielte auf die Latte mit den Fallscheiben und wartete auf das Feuerkommando.


Sveija ließ die Hände über Norstrøms Schultern gleiten, abwärts, die Brust hinab, über Rippen, Bauch und Hüfte. Dann umfasste sie seinen Hintern und zog ihn dicht an sich heran.
»Fick mich, Krieger!«, flüsterte sie in sein Ohr.
Norstrøm drückte sie in die Kissen und betrachtete das unter ihm im unruhigen Licht der Öllampe schwimmende Gesicht. Er sah in Sveijas grünlich leuchtende Augen, spürte die Hitze ihres Körpers.
»Ich bring dich ein bisschen in Fahrt«, sagte Sveija und griff zwischen seine Beine.
Ein wenig später lagen sie auf dem Bett und starrten auf die Schatten, die im Flackerschein über die kahlen Wände krochen.
»Morgen geht es dir bestimmt besser«, sagte Sveija.
»Mit mir ist alles in Ordnung«, sagte Norstrøm.
»Wirklich?« Sveija drehte sich zu ihm herum. »Okay, und was hat dein Schwanz für ein Problem?«
Norstrøm steckte sich eine Zigarette an. Er blies den Rauch unter die niedrige Decke der Baracke und schwieg.


Norstrøm schloss die Tür hinter sich, schulterte sein Gewehr und machte sich auf den Weg zum Tor der Basis. Unterwegs traf er auf Larkim und zwei Männer der Wachschicht. Larkim lag im schmutzigen Schnee und hielt die Hände schützend über sich. Aus einem Mundwinkel tropfte Blut.
»Verdammter Krüppel«, sagte einer der Männer. »Wenn wegen dir jemand da draußen draufgeht, komm nicht wieder zurück.« Er rieb sich die Knöchel der Faust und versetze Larkim einen Stiefeltritt in die Seite.
Norstrøm verfolgte, wie die beiden Männer auf den am Boden Liegenden spuckten, sich umwandten und davongingen. Larkim rollte sich hustend zur Seite. Er brauchte einen Moment, um zu Atem zu kommen. Dann packte er das im Schmutz liegende Gewehr, stützte den Kolben auf und stemmte sich hoch.
Norstrøm trat an Larkim heran. »Du hast da draußen nichts zu suchen«, sagte er.
Larkim wischte sich mit dem Ärmel seines Mantels das Blut aus dem Gesicht. »Der Kommandant hat es entschieden. Alle Freiwilligen können mit auf Patrouille gehen.«
»Weil die Männer da draußen sterben wie die Fliegen«, erwiderte Norstrøm. »Aber der Kommandant hat keine Krüppel gemeint.«
Larkim zuckte die Schultern. »Mir egal, was du denkst.«
Norstrøm stieß ihn hart vor die Brust. Larkim schwankte zurück.
»Halt dich fern von mir, du Freak«, sagte Norstrøm.


Es begann mit einem Zischen. Etwas schoss durch die klare Luft, dann explodierte der erste Geländewagen.
»Raus! Raus!«, brüllte Bussarth. »Raus aus den Jeeps!«
Norstrøm stieß die Beifahrertür auf und machte einen Satz ins Freie. Gewehre krachten und das Prasseln einschlagender Geschosse raste wie ein Schauer über die Patrouille hinweg. Norstrøm warf sich in den Morast, kroch ein paar Meter über den aufgeweichten Waldboden und brachte sich im Unterholz in Sicherheit.
»Neugruppieren! Neugruppieren!« Bussarths Stimme klang schrill und brüchig. Sie wurde vom Donnern zweier Detonationen verschluckt, dann folgte das böse Zwitschern umherfliegender Wrackteile, und Rauch zog über die chaotische Szene. Schmerzensschreie waren zu hören. Es roch nach Diesel, Feuer und Blut.
Norstrøm arbeitete sich durch das Dickicht und erreichte den Rand einer Lichtung. Ein paar Männer hatten hier hinter Buchen und Fichten Stellung bezogen und schossen liegend auf einen unsichtbaren Feind. Seitlich seiner Position entdeckte Norstrøm Matt Larkim. Er stützte sich auf sein Gewehr und humpelte zwischen verkrüppelten Birken auf den Rest der Truppe zu.
»Idiot«, fluchte Norstrøm. Er löste eine Nebelgranate von seinem Gürtel, zog den Sicherheitsstift und schleuderte die Granate Larkim entgegen. Weißer Rauch wallte auf.
Unterdessen waren einige andere Männer bei der Lichtung angelangt, schwer atmend, wild mit den Augen rollend, die Gesichter geschwärzt vom Ruß der Flammen.
»Bajonette aufpflanzen«, brüllte Bussarth und Norstrøm sah, wie sich unter den Bäumen am gegenüberliegenden Rand der Lichtung der Schatten des Feindes zusammenballte. Der eiskalte Stahl des Bajonetts biss durch den Handschuh, doch Norstrøm spürte es kaum.
»Angriff!«
Norstrøm stemmte sich hoch, seine Stiefel versanken tief im matschigen Schnee. Er stürzte vorwärts, inmitten explodierender Rauchgranaten, gemeinsam mit den anderen Männern, vielleicht waren es zwei Dutzend, vielleicht waren es ein paar verlorene Seelen mehr. Irgendwo links neben ihm schleppte sich Larkim über die Lichtung. Mit seiner Fünfundvierziger in der Hand feuerte er ins Ungewisse und wankte, das schwache Bein nachziehend, dem Kampf auf Leben und Tod entgegen.
Norstrøm holte tief Luft und hob seine Waffe. Aus dem Dickicht vor ihm starrten ihn die Augen der Feinde an, und dann versank alles im Knattern der Sturmgewehre, im schmatzenden Stoßen der Bajonette und im Schreien der tödlich Verwundeten. Unter dem Anprall des Schreckens duckte sich Norstrøms Seele, krümmte sich zusammen, zog sich in einen unzugänglichen Winkel des Seins zurück, und nicht mehr als eine kalte, ganz und gar empfindungslose Aufmerksamkeit verfolgte aus seinem Innern heraus das Stechen, Würgen und Trampeln, das Schießen, Schneiden und Reißen.
Bis zu dem Augenblick, als Norstrøm begriff, dass er am Boden lag und eine schwarze Gestalt über ihm mit der Waffe zum Schlag ausholte. Norstrøm betrachtete die unter der vernarbten Haut zuckenden Muskeln, die zum Zerreißen fest gespannten Sehnen und schließlich den auf ihn gerichteten Blick des Feindes, ein Blick, in dem es kein Verzeihen gab, kein Verständnis, kein menschliches Fühlen oder Wollen. Unsere Zeit ist vorbei, dachte Norstrøm. Es war nicht mehr, als ein kurz aufzuckender Gedanke. Aber er fasste all die Jahre des Kampfes zusammen, die Jahre des Krieges gegen diesen unbekannten und unerkennbaren Feind: Die Zeit der Menschen war vorüber.
Mit einem Knall zerplatzte der Schädel über ihm und hinter der zusammensinkenden schwarzen Gestalt erschien Larkim. Aus dem Lauf seines Gewehrs quoll Rauch.


Sveija strich zärtlich über Norstrøms Haar. »Gut, dass du wieder da bist«, sagte sie und hob das Glas. »Ich wusste, dass du es schaffen würdest.« Sie tranken. Der Wodka, der ölig in ihren Gläsern funkelte, brannte Norstrøm in der Kehle.
»Ist nicht mein Verdienst«, sagte er. »Wäre Matt nicht gewesen …«
»Wer?«
»Matt Larkim«, sagte Norstrøm. »Der Krüppel. Er hat mir das Leben gerettet.«
Sveija erhob sich, trat an den Tisch und ergriff die halbgeleerte Flasche. Sie setzte sich wieder zu Norstrøm aufs Bett und schenkte nach.
»Und wie viele Männer hast du gerettet?«
Norstrøm schwieg. Im Feuerloch des eisernen Ofens loderten die Flammen. Das Knistern und Knacken brennender Buchenscheite erfüllte den Raum.
Sveija stellte Glas und Flasche auf den Boden, dann streifte sie ihr Leinenkleid herunter und wandte sich Norstrøm zu. Im Halbdunkel der Baracke lag ein olivfarbener Schimmer auf ihrer Haut. Sie strich über die Innenseiten ihrer Schenkel und sagte: »Lass uns das alles vergessen, Arve.«
Norstrøm betrachtete sie eine Weile.
Dann sagte er: »Glaubst du, dass du das tun musst, damit ich dich liebe?«
»Was? Ich …«
»Oder willst du mich nur bei Laune halten?«
Sveija presste die Lippen zusammen. Ihre Brüste hoben und senkten sich schnell und eine Ader an ihrem Hals pochte wild. Sie starrte Norstrøm einen Moment lang an.
»Du verdammtes Arschloch«, sagte sie schließlich und sprang auf.
Norstrøm verfolgte, wie sie zum Ofen ging, die Klappe öffnete und Feuerholz nachlegte. Sie starrte in die Flammen und lange Zeit sagte niemand ein Wort.
Irgendwann fuhr sich Norstrøm mit den Händen über das Gesicht.
»Würdest du mit mir weggehen von hier?« Seine Stimme klang kraftlos.
Sveija sah Norstrøm an. »Was ist nur los mit dir?«, fragte sie traurig. »Wohin sollen wir denn gehen? Da draußen gibt es nur den Tod. Niemand weiß das besser als du.«


Er war hochgewachsen, groß. Sicher größer als irgendein Mann in der Basis. Und er trug das Fell eines weißen Wisents über seinem Armeemantel. Doch obwohl sich diese Dinge seltsam genug ausnahmen, starrten ihn die Wachen und die Frauen im Hof aus einem anderen Grund mit Blicken an, in denen sich Furcht und Faszination mischten. Als die Sirene losgegangen war, um das Zeichen zum Öffnen des Tors zu geben, konnte es kaum jemand glauben, denn seit Monaten hatte kein Fremder die Basis betreten. Der nächste Posten befand sich vierhundert Kilometer südwestlich, und jenseits der Grenze zu Finnland lebten ohnehin keine Menschen mehr.
Sveija, die mit ihrer Freundin Freyr ganz in der Nähe stand, als das Tor geöffnet wurde, strich sich eine widerspenstige Haarsträhne aus der Stirn und presste den Griff ihres Weidenkorbes.
»Oh, der ist aber groß«, sagte Freyr.
»Wie ist der hierhergekommen?«, sagte Sveija.
»Er sieht stark aus«, erwiderte Freyr.
Sveija schüttelte den Kopf. »Niemand ist stärker als der Tod.«


Norstrøm setzte das Glas an die Lippen und trank.
»Den hättest du sehen sollen, Arve!«, sagte Freyr. »Der Typ ist so riesig wie ein Büffel.«
»Hm«, brummte Norstrøm.
Sveija räumte den Tisch ab. Sie hantierte eine Weile am Spülbecken, dann sagte sie über die Schulter: »Sogar Bussarth war schwer beeindruckt.«
Freyr nickte. »Ja. Kein gewöhnlicher Mann wandert hier einfach durch die Wildnis. Ich meine, er war zu Fuß unterwegs. Kann man das glauben?«
»Kaum«, sagte Norstrøm. »Von wo ist er denn gekommen?«
»Es heißt, er kam aus dem Osten«, sagte Sveija. Sie trocknete ihre Hände, trat wieder an den Tisch und setzte sich.
Norstrøm schüttelte den Kopf. »Aus Finnland? Unmöglich.«
Die beiden Frauen nickten.
»Ich glaube, das ist ein gutes Zeichen«, sagte Freyr. Sie stieß Sveija an. »Hast du gesehen, sein Haar ist beinahe weiß.«
»Wie seine Haut«, erwiderte Sveija.
»Seit wann ist ein verdammter Albino ein gutes Zeichen?«, sagte Norstrøm. Er nahm einen Schluck und ließ den Blick von Sveija zu Freyr wandern. »Was ist los mit euch?«
»Es hat etwas auf sich mit diesem Mann«, sagte Sveija.
Freyr nagte an ihrer Unterlippe und nickte geistesabwesend.
Norstrøm rieb sich die Stirn. »Wie ist sein Name?«, fragte er schließlich. »Ihr habt doch sicher gehört, wie er heißt.«
Sveija senkte den Blick und starrte auf ihr halbgeleertes Glas, doch Norstrøm bemerkte das Flackern in ihren Augen.
»Frost«, sagte sie leise. »Ich hörte, sein Name sei Frost.«


Wollte man nicht in der eigenen Hütte trinken, ging man ins Gunnarson, wo neben Sima und Met auch Brännvin und Wodka ausgeschenkt wurde. Der Kommandant des Camps hatte dem Metzger Till Gunnarson zwei Jahre zuvor gestattet, im Nordwestviertel der Basis eine Baracke anzumieten, um dort eine Schenke einzurichten. Bald sorgten monatliche Lieferungen aus Sundsvall für Nachschub, und seit dieser Zeit verbrachten nicht nur die Männer der Wache ihre freien Abende hier.
Auf dem Weg zum Gunnarson dachte Norstrøm daran, wie fremd ihm dieses Leben noch immer war. Ein Leben, das sich zwischen Patrouillen, Schießplatz und Baracke abspielte. Ein Leben, das außer Tabak, Wodka und Sveijas Brüsten keine Freuden mehr bot.
In der Schenke herrschte noch wenig Betrieb, doch es roch bereits streng nach Met, Schweiß und Zigarettenqualm. Larkim saß weit hinten an einem Tisch, vor sich zwei leere Gläser und eine Flasche Schwarzer Tod.
»Ich bleibe nicht lange«, sagte Norstrøm und setzte sich. Larkim nickte, füllte die Gläser, und sie tranken.
Norstrøm sah sich um.
»Er ist nicht hier«, sagte Larkim.
»Hm?«
»Es heißt, er trinkt mit dem Kommandanten.«
Norstrøm zuckte die Schultern. »Und wenn schon.«
Larkim räusperte sich. »Also eine Patrouille pro Woche«, sagte er. »Das ist nicht viel.« Einen Moment lang schien es, als wollte er dem etwas hinzufügen, doch dann schwieg er.
Norstrøm griff in seine Jacke und holte ein Päckchen Tabak hervor. Er begann, eine Zigarette zu rollen. Ein eisiger Luftzug fuhr durch die Schenke, als sich die Tür öffnete und ein paar Männer der Wachmannschaft eintraten. Sie setzten sich an einen Tisch in der Nähe des Kamins.
»Das da draußen«, sagte Norstrøm, »ist nicht die Wildnis, in der ich aufgewachsen bin.« Er entzündete seine Zigarette und rauchte.
»Was meinst du damit?«, fragte Larkim.
»Ich bin früher in diesen Wäldern gewandert, bin in diesen Flüssen geschwommen. Ich war jagen, fischen, wie die meisten hier. Und ich sage dir, es ist jetzt alles anders.«
»Natürlich«, sagte Larkim. »Es ist jetzt das Gebiet des Feindes.«
»Nein, nein.« Norstrøm schüttelte den Kopf.
»Es ist die Wildnis selbst, die …« Er verstummte, zog an seiner Zigarette, und dann sagte er: »Was wissen wir eigentlich über den Feind?«
Larkim hob die Schultern. »Nicht viel. Aber ich verstehe nicht …«
»Er kopiert uns«, sagte Norstrøm.
»Er kopiert uns?«
Norstrøm ergriff die Flasche und während er ihre Gläser nachfüllte, sagte er: »Ich glaube jedenfalls nicht an Wiedergänger, Geister und Dämonen.«
»Naja«, sagte Larkim und trank. »Wer oder was auch immer sie sind. Sie wollen unseren Tod.«


Norstrøm hatte Bussarth niemals zuvor lächeln gesehen. An das Kommandieren und Herumschreien konnte man sich gewöhnen, doch dieses Lächeln machte Norstrøm fertig.
»Nehmt euch ein Beispiel an dem Mann«, sagte Bussarth. »Er ist wochenlang durch die Wälder marschiert. Allein. Nur auf sich gestellt.«
Frost blickte in die Runde. Sein glattes Gesicht zeigte kaum eine Regung. In seinen Augen lag ein kaltes, blaues Strahlen.
»Wie ihr wisst, gibt es wieder einmal Versorgungsschwierigkeiten«, fuhr Bussarth fort. »Die Rentierjäger sind heute Nacht zurückgekommen. Sie sind total erledigt und haben nur wenig Beute gemacht.«
»Und ratet mal, wer das meiste Fleisch bekommen wird«, sagte einer der Männer.
»Maul halten!« Bussarth sah wieder grimmig drein. So kannte man ihn. Er wandte sich an Frost.
»Der Kommandant hat entschieden, deine außergewöhnlichen Fähigkeiten zu nutzen. Du wirst eine Jagd leiten. Nimm dir so viele Leute, wie du brauchst.«
Matt Larkim, der neben Norstrøm in der Reihe stand, stieß einen leisen Pfiff aus.
»Moment mal«, sagte Norstrøm. »Wir kennen diesen Mann nicht. Wir wissen nicht, ob er uns die Wahrheit sagt.«
Bussarth drehte sich zu ihm herum. »Und wie hätte er sonst hierherkommen sollen? Du weißt, dass es hier weit und breit keine Siedlungen mehr gibt.«
»Keine menschlichen Siedlungen«, entgegnete Norstrøm.
Bussarth lachte auf. »Sicher. Und glaubst du nicht, wir würden den Feind erkennen, wenn er jetzt hier vor uns stünde?«
Norstrøm betrachtete das Gesicht des Fremden. Frost erwiderte seinen Blick gleichmütig.
»Also, wie viele Männer brauchst du für die Jagd?«, sagte Bussarth an Frost gewandt.
»Ich brauche nur einen«, sagte Frost, und noch immer ruhte sein Blick auf Norstrøm.


Freyr ging in der Baracke auf und ab. »Überall sprechen sie von ihm«, sagte sie.
Norstrøm verdrehte die Augen und kaute auf einem zähen Stück Robbenfleisch.
»Und nicht nur die Frauen«, sagte Sveija. »Auch viele Männer glauben, dass sich jetzt etwas ändern wird.«
»Jemand, der es so lange allein in der Wildnis geschafft hat, weiß Dinge«, fuhr Freyr fort.
Norstrøm wischte sich mit dem Handrücken über den Mund. »Dinge?«
Freyr setzte sich an den Tisch. In ihren Augen lag ein seliges Leuchten. »Wir könnten einen neuen Anführer brauchen«, sagte sie. »Jemanden, der sich da draußen wirklich auskennt. Jemanden wie Frost.«
»Hat der Mann, seit er hier aufgetaucht ist, überhaupt mehr als zehn Worte gesprochen?«, erwiderte Norstrøm.
»Aber das muss er ja gar nicht«, sagte Freyr und blickte zwischen Sveija und Norstrøm hin und her. »Frost weiß Dinge«, wiederholte sie.
»Gefällt mir trotzdem nicht, dass du allein mit ihm auf die Jagd gehen sollst«, sagte Sveija an Norstrøm gewandt.
»Bussarth hat entschieden, dass uns Larkim begleiten wird.«
»Der Krüppel?«
»Bussarth will mich demütigen. Seit der letzten Patrouille wären wir wohl beste Freunde, hat er gesagt.«
Sveija schüttelte den Kopf. »Und wie soll das helfen? Überhaupt. Wie wollt ihr zu dritt genügend Fleisch für uns alle beschaffen?«
»Der Kommandant will nur, dass uns Frost seine Jagdmethode zeigt.«
»Es heißt, er hätte den weißen Wisent mit bloßen Händen erlegt«, sagte Freyr und fuhr sich durch das blonde Haar.


Frost streckte sich und warf die Beifahrertür zu. »Von hier ist es nicht mehr weit«, sagte er. »Wir gehen zu Fuß.«
Norstrøm und Larkim holten ihre Ausrüstung aus dem Jeep und schulterten die Gewehre.
»Du gehst voran«, sagte Norstrøm.
Sie folgten Frost einen felsigen Hang hinab, der an beiden Seiten dicht mit Lärchen und Kiefern bewachsen war. Vor ihnen öffnete sich eine weite Ebene. Im Osten dunkelten die Uferböschungen des Torneflusses, weiter im Norden erstreckten sich Wälder bis zum Horizont.
Frost hob einen Arm und deutete auf einen weit entfernten Punkt der Ebene. Norstrøm hob sein Fernglas und suchte die Gegend ab, bis er eine Gruppe von zwanzig oder dreißig Rentieren entdeckte.
»Die sind mehr als einen Klick entfernt«, sagte er und ließ das Glas sinken. »Wie geht es jetzt weiter?«
Frost zog das Büffelfell von seinen Schultern und warf es in den Schnee. Er löste das Schloss seines Koppels und knöpfte den dicken Armeemantel auf.
Norstrøm trat einen Schritt zurück. »Was zur Hölle ...«
»Rentiere sind neugierig«, sagte Frost. »Man kann sie mit ungewöhnlichem Verhalten anlocken.« Er hatte Koppel und Mantel zu Boden geworfen und legte jetzt auch den Rest seiner Kleider ab.
»Nicht dein Ernst«, sagte Larkim. »Du willst doch nicht …« Er verstummte, als Frost nackt vor ihnen stand.
Norstrøm schnalzte mit der Zunge. Er wollte etwas sagen, doch dann schwieg er.
Frost sah ihn einen Augenblick an. Dann sagte er: »Wartet hier auf mich.« Mit diesen Worten drehte er sich um und schritt auf die Ebene zu. Sein haarloser, weißer Leib setzte sich scharf vor dem Hintergrund ab.
Larkim stand mit offenem Mund da. Norstrøm stieß ihn an.
»Thor hat jedenfalls seinen Hammer dabei«, sagte Larkim.
Norstrøm packte ihn am Kragen. »Hältst du das hier für einen Witz?«
Larkim zuckte zusammen und hob die Hände. »Ich …«
»Kapierst du das nicht?«, fuhr ihn Norstrøm an. »Bin ich der Einzige in diesem verdammten Camp, der sieht, dass da was faul ist?«
»Okay«, erwiderte Larkim. »Was sollen wir jetzt tun?«
Norstrøm ließ ihn los. Er hob erneut das Glas und beobachtete Frost, der die Ebene erreicht hatte und sich nun seinen Weg durch Schnee, Eis und Morast bahnte.
»Wir folgen ihm«, entschied er.


Sie waren keine hundert Meter weit gekommen, als fauchend ein Wind einsetzte und ihnen so eisig entgegenwehte, dass sie stehenblieben und die Gesichter abwandten.
»Das wird ein verfluchter Schneesturm«, sagte Larkim.
»Wir müssen an ihm dranbleiben«, rief Norstrøm gegen den Wind. Er wickelte sich ein wenig fester in seinen Schal und setzte sich wieder in Bewegung. Larkim humpelte neben ihm her. Der Wind heulte stärker und stärker.
Norstrøm suchte die Ebene nach Frost ab, doch der Sturm wirbelte lockeren Schnee vom Boden empor und jagte ihn in weißen Schleiern vor sich her.
»Siehst du ihn?«, rief Larkim. Er keuchte.
»Nein, keine Chance.«
»Dann lass uns umkehren.«
Norstrøm biss die Zähne aufeinander. »Okay«, sagte er schließlich. »Folgen wir unseren Spuren zurück, solange wir noch können.«
Als sie eine Stunde später erschöpft und durchgefroren wieder bei ihrem Jeep ankamen, wurde ihnen bewusst, dass es keine andere Möglichkeit gab, als den Sturm im Wagen auszusitzen. An eine Heimfahrt war nicht zu denken, denn mittlerweile konnte man kaum mehr zehn Schritte weit sehen.
Sie packten Schlafsäcke und Decken aus und richteten sich so gut ein, wie es ging.
»Wollen wir den Motor starten?«, sagte Larkim.
»Nein«, erwiderte Norstrøm. »Ich will nicht, dass die Batterie schlappmacht.«
Der Sturm tobte beinahe bis Mitternacht. Als das Heulen endlich nachließ, stieß Norstrøm Larkim an.
»Los, raus aus dem Schlafsack.«
»Willst du jetzt nach Frost suchen?«, fragte Larkim.
»Nein«, sagte Norstrøm. »Ich weiß, wo er ist.«


Riesig und bleich stand der Mond über der Basis und warf ein gelbes Licht über die Palisaden und das Tor.
»Weshalb warten wir hier?«, fragte Larkim. »Willst du nicht reinfahren?«
Norstrøm hatte den Motor abgestellt und spähte mit dem Glas über das Steuer hinweg hinüber zum Camp.
»Schau dir das an«, sagte Norstrøm. Er reichte Larkim den Feldstecher.
Larkim sah durch das Glas. »Was zur Hölle! Da steht ein Wolf vor dem Tor.«
»Ja«, sagte Norstrøm. »Im Unterholz sind noch mehr von denen. Und das Tor steht offen.«
»Verdammt, du hast recht.« Larkim setzte das Glas ab. »Was bedeutet das?«
Norstrøm stieß die Fahrertür auf. »Nimm dein Gewehr. Wir lassen den Wagen hier.«


Tiefe Stille lag über dem Wald und dem Lager. Im Dickicht links und rechts vor dem Tor bewegten sich Wölfe wie Schatten durch das Unterholz.
»Werden die uns angreifen?«, flüsterte Larkim.
»Nein«, erwiderte Norstrøm. »Die tun uns nichts. Sie warten nur.«
»Warten? Worauf?«
Norstrøm antwortete nicht.
»Was ist mit dem da vorn?«, sagte Larkim und entsicherte seine Waffe.
»Werden wir sehen.«
Als sie das Tor erreichten, wandte sich der Wolf ihnen zu. Er hielt einen Moment lang inne, dann trottete er über den Zufahrtsweg und verschwand in der Schwärze des Waldes.
Norstrøm spähte durch das offene Tor in das Camp und warf einen Blick hinauf zum Wachturm.
»Niemand hier«, sagte er. »Gehen wir rein.«
Auf dem Hof wankte ihnen ein Mann des Patrouillenkommandos entgegen. Er war betrunken und konnte sich kaum auf den Beinen halten.
Norstrøm sprach ihn an. »Was ist hier los? Warum sind die Wachen nicht auf ihren Posten?«
Der Mann sah ihn an, doch er schien ihn nicht zu erkennen.
Norstrøm packte ihn an den Schultern. »Was geht hier vor? Wieso wird das Lager nicht geschützt?«
»Weil … «, der Mann suchte nach Worten. »Weil wir nur unsere Angst zu fürchten haben«, brachte er schließlich lallend hervor. Seine Augen waren trübe, das Gesicht gerötet.
»Wo sind die anderen?«, fragte Norstrøm.
»Sind alle … die meisten … im Gunnarson …« Der Mann wand sich los. Schwankend ging er davon.
»Schauen wir nach«, schlug Larkim vor.
Norstrøm schüttelte den Kopf. »Dafür bleibt keine Zeit. Lauf zur Garage. Wir brauchen einen Kanister Diesel. Ich hole Sveija, und dann verschwinden wir von hier.«
»Aber …«
Norstrøm warf Larkim einen glühenden Blick zu. »In weniger als einer Stunde sind hier alle tot. Wir verschwinden, solange es noch geht.«
»Und wohin?«
»Die Küste entlang nach Sundsvall. Jetzt los!«
Norstrøm eilte durch die schlammverkrusteten Gassen des Camps. Hier und dort waren Stimmen zu hören: hysterisches Gelächter, dann ein Wehklagen, irgendwo sang eine Frau ein altes Lied der Samen.
Mit der Mündung des Gewehrlaufs drückte Norstrøm gegen die Tür der Baracke. Im Innern flackerte das rötliche Licht von Öllampen, Gurgeln und Keuchen war zu hören, und ein seltsamer, beißender Geruch lag in der Luft. Es roch nach Tier. Norstrøm spürte, wie ihn der Dunst betäubte. Die Konturen des Raumes verschwammen, ein dumpfes Pulsieren waberte durch die Baracke und zerrte Norstrøm in den Eingeweiden.
Als er durch die Diele trat, erstarrte er. Sveija lag auf dem Bett, ihre Schenkel umklammerten den weißen Leib von Frost. Freyr wand sich wie eine Schlange zwischen ihnen. Die Körper der Frauen wirkten winzig, sie waren nicht mehr als Puppen in den Händen des weißen Riesen.
Norstrøm hob das Gewehr. »Geh runter von ihr«, wollte er sagen, doch es war nur ein kehliges Krächzen, das aus seinem Mund kam.
Er machte einen Schritt in den Raum, er wollte schreien. Doch Körper und Stimme gehorchten ihm nicht länger. Versteinert stand er da und sah, wie sich Sveija unter Frosts Stößen bog. Sah das pupillenlose Weiß in Freyrs Augen, sah den Schaum, der von Frosts Lippen herablief und auf Sveijas Brüste tropfte. Einen Moment lang schien Sveija Norstrøm zu bemerken. Sie drehte den Kopf und blickte ihn an. Sie öffnete die Lippen und streckte eine Hand nach ihm aus. Dann zuckte sie zusammen, ein Schauer jagte über ihre bleiche Haut und ihre Augen rollten zurück, in einem Zustand, der Qual oder Lust war oder beides in einem.
»Weg hier!«, brüllte Larkim ihm ins Ohr. Er packte Norstrøm und zerrte ihn aus der Baracke. Während sie im Mondschein über den Hof taumelten, kehrten Norstrøms Sinne zurück.
»Ich muss sie retten«, stammelte er. »Sveija, ich muss sie da raus holen.«
»Komm zu dir«, rief Larkim. »Sie ist tot, Arve. Sie ist tot.«


Die Ruinen von Umeå lagen hinter ihnen, als im Osten über der Bottensee eine kalte Sonne aufging.
»Halt an«, sagte Norstrøm.
Er stieß die Tür auf und lehnte sich aus dem Wagen.
Larkim steckte sich eine Zigarette an und klopfte Norstrøm sachte auf den Rücken.
»Lass es raus«, sagte er, und Norstrøm erbrach sich hustend. Als es vorüber war, reichte ihm Larkim eine Wasserflasche. Norstrøm trank, spuckte und stieg aus dem Wagen. Er machte ein paar Schritte und starrte über die Wipfel des Waldes hinweg in den Himmel. Das raue Krächzen von Aaskrähen war zu hören. Und dann schien es, als erbebte die Taiga unter dem Donnern tausender Hufe.

 

Hallo Achillus,

wow, das ist echt ein Werk, das du da niedergeschrieben hast. Ich glaube, ich habe nicht alles vollends verstanden, dazu muss ich den Text glaube ich noch einmal lesen. Aber hier einmal mein erster Eindruck:

Sprachlich finde ich das toll gemacht. Mir ist nichts aufgefallen, das mich irgendwie rausgebracht hätte. Nein, im Gegenteil, obwohl ich eher selten Geschichten lese, die sich in einer Art Apokalypsenstimmung abspielen, haben mich deine Beschreibungen und der Aufbau immer weiter hineingezogen. Ich konnte mir das Lager gut vorstellen, fast ein bisschen mittelalterlich sieht es in meinem Kopf aus, drum herum weiße, wilde und grausame Natur. Wer da draußen auf sie wartet, bzw. sie bedroht, das ist einer der Punkte, der sich mir nicht ganz erschließt, aber ich habe das Gefühl, das nicht einmal Norstrøm das genau weiß.

Die ersten Szenen sind eher auf ihn allein und auf ihn und Sveija konzentriert. Das Hin und Her zwischen der Kalte und dem Kampf (bzw. die Vorbereitung darauf) draußen und der Wärme drinnen. Auffallend ist natürlich, wie sehr Sveija versucht, ihren Mann mit Körperlichkeit abzulenken oder wieder zu erden oder aber überhaupt noch etwas zwischen ihnen spürbar zu machen. Norstrøm reagiert darauf nicht nur verbal ablehnend, sondern offensichtlich will sein Körper auch nicht so recht auf ihre Avancen reagieren. Da wird für mich so eine Abgestumpftheit spürbar. Sveija kommt mir so vor, als wolle sie viel über Sex kompensieren, damit eine Leere füllen. Dazu ist Norstrøm aber nicht mehr so recht in der Lage. Das fühlt sich hoffnungslos an, ich hatte ein Bild vor Augen, wie sie beide dasitzen und ins Leere starren, aneinander vorbei. Ich frage mich, ist das noch etwas wie Liebe zwischen ihnen oder ist es eher eine Zweckbeziehung, um nicht allein zu sein?

Dann öffnet sich die Geschichte, der Raum wird größer, Freyr tritt öfter auf, Larkim erhält immer mehr Bedeutung. Das finde ich richtig gut gemacht. Das ebnet den Weg für den Unbekannten, der das Lager betritt. Wenn ich das richtig verstanden habe, hat Norstrøm von Anfang an recht und Frost gehört zum Feind. Er lockt die beiden Männer weg, um dann das Lager unter eine Art Bann zu setzen. Das kann ich wie gesagt alles nur so halb greifen, macht aber nichts. Mir gefällt die Stimmung sehr gut, wie sie sich hochschraubt und schließlich in der Flucht der beiden Männer endet. Das Erbeben der Taiga, das zum Schluss wie ein Rahmen um den Text gespannt wird.

Ja, also das sind so meine Eindrücke. Ich kann nicht viel Hilfreiches beitragen, aber ich finde diese Geschichte beeindruckend. So viel wollte ich dir schon einmal sagen.

Liebe Grüße
RinaWu

 

Hej Achillus,

also gut, dann stromere ich mal wieder durch die Wildnis, jage, kämpfe und überlebe. Und obwohl ich das gar nicht mal so gerne mache, entwickelt sich ein Wohlgefühl das zu tun, weil du gut geordnet und strukturiert deine Geschichte entwickelt hast. Darauf ist Verlass. Ich empfinde sie als kurze Abenteuergeschichte. Die Charaktere sind ausgearbeitet und klar. Selbst der Wolfsmensch (?) ist in seiner Form greifbar.

Er stützte sich auf sein Gewehr und humpelte zwischen verkrüppelten Birken auf den Rest der Truppe zu.

Logisch, die Birken sind verkrüppelt. ;) Ist auch verlockend das zu schreiben.

Mit einem Knall zerplatzte der Schädel über ihm und hinter der zusammensinkenden schwarzen Gestalt erschien Larkim. Aus dem Lauf seines Gewehrs quoll Rauch.

Ja, das war selbst mir, einer ungeübten Leserin von Heldengeschichten, klar, dass der gehandicapte Antiheld noch mal nützlich sein wird. Aber wessen Schädel an der schwarzen Gestalt das jetzt war, bleibt unklar. Oder nur mir?

Dann sagte er: »Glaubst du, dass du das tun musst, damit ich dich liebe?«
»Was? Ich …«
»Oder willst du mich nur bei Laune halten?«
Sveija presste die Lippen zusammen. Ihre Brüste hoben und senkten sich schnell und eine Ader an ihrem Hals pochte wild. Sie starrte Norstrøm einen Moment lang an.
»Du verdammtes Arschloch«, sagte sie schließlich und sprang auf.
Norstrøm verfolgte, wie sie zum Ofen ging, die Klappe öffnete und Feuerholz nachlegte. Sie starrte in die Flammen und lange Zeit sagte niemand ein Wort.
Irgendwann fuhr sich Norstrøm mit den Händen über das Gesicht.
»Würdest du mit mir weggehen von hier?« Seine Stimme klang kraftlos.
Sveija sah Norstrøm an. »Was ist nur los mit dir?«, fragte sie traurig. »Wohin sollen wir denn gehen? Da draußen gibt es nur den Tod. Niemand weiß das besser als du.«

Das wurde Zeit, mir Norstrøm menschlich zu zeigen. Ich war schon beunruhigt. Dieser Dialog gefällt mir, weil es eine andere Seite deines Protagonisten zeigt und ihn deswegen interessant macht. Und obwohl ich zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht weiß, wo ich mich befinde, außer in einem Krieg, bin ich tief in deiner geschaffenen Welt, die aus nicht vielen Komponenten besteht. Deine besonnene, präzise Sprache führte mich sicher bis hierher. Und ich beobachte, wie ich gierig jeden Hinweis suche und wahrnehme, der mir etwas zeigt: Weidenkörbe, Felle, Leinenkleider. Du bist so sparsam damit, dass es meine Aufmerksamkeit steigert.

Norstrøm und Larkim holten ihre Ausrüstung aus dem Jeep und schulterten die Gewehre.

Spannend ist die Diskrepanz der Einfachheit der Lebensbedingungen und der Technik, Autos, Gewehre.

Weil wir nur unsere Angst zu fürchten haben«, brachte er schließlich lallend hervor.

drunken philosopher ;)

Hier und dort waren Stimmen zu hören: hysterisches Gelächter, dann ein Wehklagen, irgendwo sang eine Frau ein altes Lied der Samen.

Du lässt dir Zeit, die Bröckchen der Informationen auszustreuen. Das liest sich schön.

Dass diese Episode nicht gut ausgehen konnte und Norstrøm nicht zum ultimativen Helden avancieren konnte, ist dennoch bedauerlich. Arme Sveija.
Dass ich aber auch weiterhin im Dunklen tappe, was die Situation der beiden Parteien betrifft, wie es kommt, dass sie aufeinander treffen, sich ewig zu bekämpfen scheinen, immerhin wurden ganze Camps/Dörfer errichtet, der Gegner lange nicht erkannt wurde und was das für Folgen hat, außer Flucht und wie diese Horde 'Wölfe' sich etabliert dort zwischen den Camps, ist hoffentlich nicht meiner Unfähigkeit verschuldet, nicht gewissenhaft gelesen zu haben. Oder war das tatsächlich das letzte menschliche Camp, das gerade ausgemerzt wurde? Aber: wieso wollte Frost nicht, dass Norstrøm dabei ist, getötet wird? Nur um einmal ungestört über Sveija drüberzuhuschen? Ich komm schon noch dahinter.

Möglicherweise spielt es keine Rolle. Ich bin dank deiner Sprachgewandtheit und Kenntnis zum Aufbau einer guten Geschichte gut unterhalten worden.
Ich erlaube mir mal die Anmerkung, dass ich bei den Dialogen zwischen Larkim und Norstrøm den Eindruck hatte, einem Spielfilmdialog zu folgen. ich hätte mir mehr so etwas wie Unbeholfenheit gewünscht. Es kam mir vor, als würden die sich meinetwegen unterhalten, damit ich sehe, was sie sehen.

Die Polysemie deines Titels ist wirklich toll gewählt und windig genug war es auch, aber ich möchte nicht glauben, dass du diese Geschichte eigens für die Challenge geschrieben hast.

Das war ein freundlicher Leseeindruck und Gruß, Kanji

 
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"Sô tuot im grôʒer frost sô wê,
sîn fleisch wirt kelter denne dër snê."
Parzival 490, 11​

"Solange die Erde steht, soll nicht aufhören Saat und Ernte, Frost und Hitze, Sommer und Winter, Tag und Nacht", heißt es im Bündnis mit Noah nach 1. Mose 8, 22,

lieber Achillus,

und Frost, bereits im ahd. "frost", wie auch überwiegend auf allen germanistischen Zungen all über all - außer, merkwürdig genug, in den ältesten schriftlichen Aufzeichnungen, in Ulfilas Bibelübersetzung*, bedeutet mehr als Temperaturen unterm Gefrierpunkt und als heftige Kälteempfindung und wenn man die Geschichte Finnlands parat hat, weiß man um das Land als schwedische und russische Provinz, womit auch frostige Beziehungen im Großen, dem politischen Leben, und im Kleinen, der persönlichen Beziehung Sveija und Norstrøm von der Hitze zu Anfang bis zur Kälte des Schlusses. Und wenn man weiß, die Schändung der Frau trifft sowohl deren Integrität und Ehre, sondern den Gegener/Feind insgesamt.

Demütigung ist das Wort, nicht Demut.

Allein eine winzige Fluse wäre aufzulesen, wenn es heißt

<

Sie fuhr mit der Hand in seine Hose und rieb in langsamen kreisenden Bewegungen, doch Norstrøm saß nur da, starrte auf den leeren Teller, der vor ihm auf dem Tisch stand[,] und sagte nichts
.>
(der Relativsatz ist zu Ende, die Konjunktion führt die Aufzählung gleichrangiger Satzteile fort)

Kurz: Die beste Geschichte, die ich bisher von Dir gelesen habe ...

Gern gelesen vom

Friedel,
der vorsorglich schöne Tage dieser Tage wünscht!

* frius, abgeleitet von friusan, frieren (Gotisches Wörterbuch, http://www.koeblergerhard.de/got/got.html)


Nachtrag: Formatierungselemente ausgeliehen ...

 

Larkim sah durch das Glas. »Was zur Hölle! Da steht ein Wolf vor dem Tor.«

Gib her das Fernglas, ich will auch mal schauen ...

Hallo Achillus,

Norstrøm drückte sie in die Kissen und betrachtete das unter ihm im unruhigen Licht der Öllampe schwimmende Gesicht.

Hier rätsele ich, ob du ‚verschwimmende‘ schreiben wolltest. Wie kann ein Gesicht schwimmen, wenn nicht im Wasser? Wenn er sie ins Kissen drückt, ist ja kein Bewegungsspielraum da, den man als schwimmen bezeichnen könnte.

und das Prasseln einschlagender Geschosse raste wie ein Schauer über die Patrouille hinweg

Ich kann nicht den Finger drauflegen, aber irgendwie ist mir das zu viel und nicht ganz logisch. Die Geschosse gehen doch auf sie nieder (schlagen ein), wie können sie dann gleichzeitig über sie hinwegrasen, weiterfliegen?

Unterdessen waren einige andere Männer bei der Lichtung angelangt, schwer atmend, wild mit den Augen rollend, die Gesichter geschwärzt vom Ruß der Flammen.

Das mit dem wilden Augenrollen ist mir persönlich viel zu viel Drama, zu übertrieben. Diesen plumpen Effekt hast du nicht nötig, bei all den anderen bildgewaltigen Szenen, die du zeigst.

Norstrøm eilte durch die schlammverkrusten Gassen des Camps.

verkrusteten

Sein haarloser, weißer Leib setzte sich scharf vor dem Hintergrund ab.

Ich finde es sehr sehr stark, wie du Frost hier etwas Unheimliches verleihst. (Ob er sich mit seinem weißen Leib tatsächlich von der Schneelandschaft abhebt? Geschenkt.)

»Es ist die Wildnis selbst, die …« Er verstummte, zog an seiner Zigarette, und dann sagte er: »Was wissen wir eigentlich über den Feind?«
Larkim hob die Schultern. »Nicht viel. Aber ich verstehe nicht …«
»Er kopiert uns«, sagte Norstrøm.
»Er kopiert uns?«
Norstrøm ergriff die Flasche und während er ihre Gläser nachfüllte, sagte er: »Ich glaube jedenfalls nicht an Wiedergänger, Geister und Dämonen.«
»Naja«, sagte Larkim und trank. »Wer oder was auch immer sie sind. Sie wollen unseren Tod.«

Der unbekannte Feind - das ist schon sehr arg rätselhaft. Sie befinden sich in the middle of nowhere. Die einstige Heimat ist jetzt Feindesland. Wohin sollen sie gehen? Draußen gibt es nur den Tod. Und dann diese Büffelherden.

Sind die Feinde Aliens? Büffel? Oder doch Menschen? Ich nehme es hin als den düsteren Hintergrund, über den ich leider nichts weiß.

Ich hab das trotz aller Rätselhaftigkeit gerne gelesen. Deine Geschichte ist spannend und die Figurenzeichnung ist dir gut gelungen. Ich mag deinen Norstrøm, den Larkim natürlich erst recht. Bei solchen Geschichten ist manch einer versucht, die Frauenfiguren zu schwach anzulegen, aber zum Glück gibt es auch hier nichts zu mäkeln. Das ist eigentlich nicht mein Genre, aber du hast mich in eine andere Welt entführt, ich konnte darin eintauchen, den Alltag für einen Moment vergessen.

Beste Grüße, ach was frohe Festtage!
Anne

 
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Hey RinaWu, vielen Dank für Deinen Kommentar.

Sprachlich finde ich das toll gemacht. Mir ist nichts aufgefallen, das mich irgendwie rausgebracht hätte. Nein, im Gegenteil, obwohl ich eher selten Geschichten lese, die sich in einer Art Apokalypsenstimmung abspielen, haben mich deine Beschreibungen und der Aufbau immer weiter hineingezogen.

Freut mich, dass es für Dich funktioniert hat. Ich war diesmal mit den Details etwas zurückhaltener, vielleicht aktiviert das so einen Sog beim Leser. Das wäre natürlich toll.

Die ersten Szenen sind eher auf ihn allein und auf ihn und Sveija konzentriert. Das Hin und Her zwischen der Kälte und dem Kampf (bzw. die Vorbereitung darauf) draußen und der Wärme drinnen.

Ja, das Draußen wird hier primär als bedrohlich beschrieben, während das Drinnen Wärme und Geborgenheit bietet. Allerdings gibt es bei dieser Wärme und Geborgenheit auch ein Problem:

Norstrøm reagiert darauf nicht nur verbal ablehnend, sondern offensichtlich will sein Körper auch nicht so recht auf ihre Avancen reagieren.

Ich dachte mir beim Schreiben, dass der Verlust dieser Ebene ihrer Beziehung sicher ein harter Schlag für Sveija und Arve wäre und wollte sehen, wie sie damit umgehen.

Das fühlt sich hoffnungslos an, ich hatte ein Bild vor Augen, wie sie beide dasitzen und ins Leere starren, aneinander vorbei. Ich frage mich, ist das noch etwas wie Liebe zwischen ihnen oder ist es eher eine Zweckbeziehung, um nicht allein zu sein?

Diese Frage ging mir von Anfang an durch den Kopf. Aus welchen Gründen bleiben die Beiden zusammen? Ich bin in dieser Hinsicht kein Romantiker. Aber das wird wohl jeder Leser anders wahrnehmen.

Das kann ich wie gesagt alles nur so halb greifen, macht aber nichts. Mir gefällt die Stimmung sehr gut, wie sie sich hochschraubt und schließlich in der Flucht der beiden Männer endet.

Es erleichtert mich, dass Du das so siehst, denn ich wollte die Geschichte schreiben, mit einer Tiefenunschärfe in Richtung des Feindes. Es ging mir darum, wie die Figuren mit dem Unbekannten umgehen und da würde eine Detailbeschreibung des Gegners nicht gut funktionieren.

Ja, also das sind so meine Eindrücke. Ich kann nicht viel Hilfreiches beitragen, aber ich finde diese Geschichte beeindruckend. So viel wollte ich dir schon einmal sagen.

Vielen Dank dafür, hat mich sehr gefreut.

Gruß Achillus


Hey Kanji, schön, dass Du mir schreibst. Vielen Dank für Deinen Kommentar.

also gut, dann stromere ich mal wieder durch die Wildnis, jage, kämpfe und überlebe. Und obwohl ich das gar nicht mal so gerne mache, entwickelt sich ein Wohlgefühl das zu tun, weil du gut geordnet und strukturiert deine Geschichte entwickelt hast. Darauf ist Verlass. Ich empfinde sie als kurze Abenteuergeschichte. Die Charaktere sind ausgearbeitet und klar. Selbst der Wolfsmensch (?) ist in seiner Form greifbar.

Ich hab mir diesmal beim Scheiben vorgenommen die einzelnen Abschnitte stärker aufeinander zu beziehen bzw. aufzubauen, hab mich gefragt, welche Funktion die Vorgänge eines Abschnitts nicht nur für die Geschichte insgesamt besitzen, sondern dafür, wie der Leser in die Geschichte reingezogen wird. Vielleicht hat das ein bisschen was gebracht.

Ja, das war selbst mir, einer ungeübten Leserin von Heldengeschichten, klar, dass der gehandicapte Antiheld noch mal nützlich sein wird.

Das ist vielleicht eine Konvention, über die man streiten kann. Liest man den Herrn der Ringe, Moby Dick oder Geschichten von Allan Poe und Jack London, dann tauchen dort immer wieder bestimmte Erzählmuster auf. Solche Muster haben sich wohl herausgebildet, weil sie irgenwie mit der geistigen Verarbeitung der erzählten Inhalte beim Leser zusammenhängen. Ich will nicht behaupten, dass man ohne solche Formen nicht auskommen kann, aber andererseits ist es sicher mehr, als nur eine Mode.

Hollywood hat beispielsweise viel von der antiken Tragödie übernommen. Die alten Griechen haben sich intensiv mit Techniken der Erzähkunst befasst. Auch das mag ein Grund dafür sein, dass solche Formen von der Antike bis zur Moderne immer wieder auftauchen, ohne deshalb zwangsläufig ein Klischee zu sein.

Und obwohl ich zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht weiß, wo ich mich befinde, außer in einem Krieg, bin ich tief in deiner geschaffenen Welt, die aus nicht vielen Komponenten besteht. Deine besonnene, präzise Sprache führte mich sicher bis hierher. Und ich beobachte, wie ich gierig jeden Hinweis suche und wahrnehme, der mir etwas zeigt: Weidenkörbe, Felle, Leinenkleider. Du bist so sparsam damit, dass es meine Aufmerksamkeit steigert.

Ich schreibe sonst detaillierter, glaube ich. Vielleicht ist diese Reduktion hier gut, um die Phantasie des Lesers zu stimulieren.

Spannend ist die Diskrepanz der Einfachheit der Lebensbedingungen und der Technik, Autos, Gewehre.

Ja, das fand ich beim Schreiben auch recht cool. :D Ist so ein bisschen wie beim Steampunk, da scheinen die Dinge erst einmal nicht zusammenzupassen, aber irgendwie hat das einen schönen Effekt.

Dass ich aber auch weiterhin im Dunklen tappe, was die Situation der beiden Parteien betrifft, wie es kommt, dass sie aufeinander treffen, sich ewig zu bekämpfen scheinen, immerhin wurden ganze Camps/Dörfer errichtet, der Gegner lange nicht erkannt wurde und was das für Folgen hat, außer Flucht und wie diese Horde 'Wölfe' sich etabliert dort zwischen den Camps, ist hoffentlich nicht meiner Unfähigkeit verschuldet, nicht gewissenhaft gelesen zu haben.

Doch, Du hast das schon richtig gelesen. Nur rückt die Geschichte nicht mit Einzelheiten zu diesem Thema heraus.

Aber: wieso wollte Frost nicht, dass Norstrøm dabei ist, getötet wird? Nur um einmal ungestört über Sveija drüberzuhuschen? Ich komm schon noch dahinter.

Der Gedanke hier war, dass Norstrøm als Einziger misstrauisch ist und deshalb vor der Übernahme des Camps isoliert werden musste. Und weshalb „raubt“ Frost Norstrøms Frau? Dafür hatte ich beim Schreiben mehrere Gründe. Friedel hat ja schon über Demütigung gesprochen. Das ist sicher eine in Kriegen häufig angewandte Methode. Man kann es aber auch anders deuten, glaube ich, wenn man bedenkt, dass Norstrøm zuvor einen Potenzverlust erleidet. Ach, keine Ahnung, das ist wohl was für Tiefenpsychologen ;)

Ich erlaube mir mal die Anmerkung, dass ich bei den Dialogen zwischen Larkim und Norstrøm den Eindruck hatte, einem Spielfilmdialog zu folgen. ich hätte mir mehr so etwas wie Unbeholfenheit gewünscht. Es kam mir vor, als würden die sich meinetwegen unterhalten, damit ich sehe, was sie sehen.

Danke für den Hinweis, das schaue ich mir nochmal an.

Die Polysemie deines Titels ist wirklich toll gewählt und windig genug war es auch, aber ich möchte nicht glauben, dass du diese Geschichte eigens für die Challenge geschrieben hast.

Doch, doch. Ich hatte in den letzten Monaten eine Menge anderer Sachen um die Ohren, bin zwar auch zum Schreiben gekommen, aber nicht zum KG-Schreiben. Da war die Challenge ein schöner Anlass.

Kanji, vielen Dank.

Gruß Achillus

... wird fortgesetzt

 
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Hallo Achillus,
der erste Abschnitt ist irgendwie anders, fühlt sich etwas abgetrennt an. Die Zermalmung des Protagonisten, und dass er eigentlich während der Geschichte tot ist, obwohl sein Sterben nicht in der Vorvergangenheit dargestellt wird, ging mir beim Lesen nie aus dem Kopf.
Erst am Schluss, in dem letzten Satz, erkannte ich die Lösung. Es ist eine Kreisgeschichte: - Denn: - Der erste und der letzte Satz sind fast identisch. Der Protagonist ist wirklich die ganze Zeit schon tot. Sie kämpfen um Leerheit und verhungern dabei. Dieser Krieg ist nur da, weil in dieser Geschichte die Gebiete des Nichts sich in mindestens vier Dimensionen ins Unendliche ausdehnen. Ein Land nur aus Kälte, Schnee, Matsch, krumme und elende Baumreste, Blut und Impotenz.
Solche sinnlosen Kämpfe mit philosophischem Hintergrund hast Du ja bereits in früheren Geschichten ähnlich beschrieben.

Ein Leben, dass [das] außer Tabak, Wodka und Sveijas Brüsten keine Freuden mehr bot.
Sonst habe ich nichts gefunden, sprachlich perfekt. War wieder spannend zu lessen.
Viele Grüsse
Fugu

 
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Lieber Friedel, vielen Dank für Deinen Kommentar und Deine Empfehlung. Ich habe mich sehr darüber gefreut.

Ich kenne Norwegen von einer Reise. Schweden und Finnland kenne ich leider nicht. Insbesondere Finnland erscheint mir immer noch als mystischer Ort, das hängt mit meinen persönlichen Phantasien zusammen (Schnee, Wölfe, Krähen, Du verstehst). Überhaupt hat es mir die Taiga angetan. Aus dem Grunde zieht es mich in Geschichten immer mal wieder in diese Gegend.

und Frost … bedeutet mehr als Temperaturen unterm Gefrierpunkt und als heftige Kälteempfindung

Das trifft absolut meine Wahrnehmung des Wortes. Für mich ist es auch ein Gefühlszustand. Und darüber hinaus ein metaphysischer Begriff. Im Buddhismus (Mahāyāna) gibt es einen ähnlichen Begriff, der mir immer einen kleinen Schauer über den Rücken jagt: Shunyata, das heißt Leere/ Leerheit. Darin spiegelt sich eine gewisse Härte, die gleichzeitig aber auch Klarheit ist.

Mit dem Wort Frost geht es mir ähnlich. Letztlich zeigt es mir das Menschliche: Ich mag den Frost fürchten, doch das gehört zur Natur, und die Natur ist weder freundlich noch unfreundlich, sie ist einfach, wie sie ist. Ich merke, ich schweife ab.

Vielen Dank auch für die Fehlerkorrektur.

Ich wünsche Dir schöne Festtage.

Beste Grüße
Achillus

Hallo Anne, schön, von Dir zu hören. Habe mich über Deinen Kommentar sehr gefreut. Vielen Dank dafür.

Hier rätsele ich, ob du ‚verschwimmende‘ schreiben wolltest. Wie kann ein Gesicht schwimmen, wenn nicht im Wasser? Wenn er sie ins Kissen drückt, ist ja kein Bewegungsspielraum da, den man als schwimmen bezeichnen könnte.

Das ist ein wenig poetische Freiheit, die ich mir da nehme. Mal sehen, ob es noch andere stört. Ich hatte da dieses Bild einer auf dem Wasser schwimmenden Reflexion.

… und das Prasseln einschlagender Geschosse raste wie ein Schauer über die Patrouille hinweg …
Ich kann nicht den Finger drauflegen, aber irgendwie ist mir das zu viel und nicht ganz logisch. Die Geschosse gehen doch auf sie nieder (schlagen ein), wie können sie dann gleichzeitig über sie hinwegrasen, weiterfliegen?

Ich hatte dabei das Bild eines Geschosshagels vor Augen, der wie ein Schauer über die Truppe hinwegjagt.

Das mit dem wilden Augenrollen ist mir persönlich viel zu viel Drama, zu übertrieben. Diesen plumpen Effekt hast du nicht nötig, bei all den anderen bildgewaltigen Szenen, die du zeigst.

Zugegeben, das ist ziemlich dicke. Mal sehen, ob ich das lasse.

Danke auch für die Fehlerkorrektur.

Ich finde es sehr sehr stark, wie du Frost hier etwas Unheimliches verleihst. (Ob er sich mit seinem weißen Leib tatsächlich von der Schneelandschaft abhebt? Geschenkt.)

Ursprünglich hatte Frost noch so etwas wie eine Aura. Aber ich fand dann, das wäre zu viel des Guten.

Der unbekannte Feind - das ist schon sehr arg rätselhaft. Sie befinden sich in the middle of nowhere. Die einstige Heimat ist jetzt Feindesland. Wohin sollen sie gehen? Draußen gibt es nur den Tod. Und dann diese Büffelherden.

Sind die Feinde Aliens? Büffel? Oder doch Menschen? Ich nehme es hin als den düsteren Hintergrund, über den ich leider nichts weiß.


Immer, wenn ich beim Schreiben der Geschichte den Versuch machte, das zu konkretisieren, dann ging der Zauber verloren, fand ich. Letztlich glaube ich, dass das Ganze seine Kraft auch vom Vagen der Geschehnisse bzw. Verhältnisse bezieht.

Inspiration für diese Geschichte war (wie auch bei meiner Geschichte Die Jagd und bei der Traumszene von An den Ufern des Styx) meine Beschäftigung mit Pagan-Themen, nicht so sehr im historischen, sondern vielmehr künstlerischen (Vorsicht, drastisch) Sinne. Dabei spielen Ideen einer bewussten Natur eine Rolle und die Frage, wie der Mensch seinen Platz in der Wildnis als Gleichberechtigter unter anderen Wesen findet. Ich mag das Archaische, auch wenn mir bewusst ist, dass da natürlich Romantisierungen eine Rolle spielen, veraltete Geschlechterrollen, problematische Identifikationen usw.

Ich hab das trotz aller Rätselhaftigkeit gerne gelesen. Deine Geschichte ist spannend und die Figurenzeichnung ist dir gut gelungen. Ich mag deinen Norstrøm, den Larkim natürlich erst recht. Bei solchen Geschichten ist manch einer versucht, die Frauenfiguren zu schwach anzulegen, aber zum Glück gibt es auch hier nichts zu mäkeln. Das ist eigentlich nicht mein Genre, aber du hast mich in eine andere Welt entführt, ich konnte darin eintauchen, den Alltag für einen Moment vergessen.

Das freut mich sehr, Anne. Ich wünsche Dir schöne Festtage.

Gruß Achillus


Hallo Fugusan, freut mich, dass Du mal wieder reinschaust. Vielen Dank für Deinen Kommentar.

Erst am Schluss, in dem letzten Satz, erkannte ich die Lösung. Es ist eine Kreisgeschichte: - Denn: - Der erste und der letzte Satz sind fast identisch. Der Protagonist ist wirklich die ganze Zeit schon tot … Dieser Krieg ist nur da, weil in dieser Geschichte die Gebiete des Nichts sich in mindestens vier Dimensionen ins Unendliche ausdehnen. Ein Land nur aus Kälte, Schnee, Matsch, krumme und elende Baumreste, Blut und Impotenz.

Das ist eine spannende Interpretation. Demzufolge wäre das Ganze ein immer wiederkehrender, in sich zurückrollender Ereignisablauf. Gefällt mir als Gedanke, war aber so nicht von mir beabsichtigt.

Solche sinnlosen Kämpfe mit philosophischem Hintergrund hast Du ja bereits in früheren Geschichten ähnlich beschrieben.

Das stimmt, und das wird sich wohl auch in meinen künftigen Geschichten nicht ändern. Oder doch? Mal sehen.

Dank Dir auch für Deine Fehlerkorrektur.

Wünsche Dir schöne Feiertage, Fugu.

Gruß Achillus

 

Achillus, ich kenn Dich nicht, darum frage ich Dich: Du bist doch ein etablierter Autor, richtig? So schreibt keiner, der vielleicht, wenn er sich entwickelt und brav anstrengt, mal einen Verlag findet, sondern einer, der schon ein paar Bücher veröffentlicht hat. Richtig?
Wie auch immer, mit "Frost" spielst Du hier ja ziemlich in einer eigenen Liga. Das wirklich Gute und Beeindruckende ist, dass die Geschichte nicht nur "an sich" spannend ist, sondern man das Gefühl hat, dass es noch eine andere, tiefere Ebene gibt. Nun ist es natürlich smart, die als Autor nicht explizit auszuführen, aber zumindest mir fehlt genau das dann doch in Deinem Text. Ein paar Passagen oder auch nur Sätze, die noch stärker über das Geschehen hinausweisen. Die Natur oder der Sex. Beides hat bei Dir eine elementare Kraft - und man traut Dir aus irgendeinem Grund zu, dass Dir dazu noch ein paar starke Sätze einfallen könnten. Oder zur Einsamkeit. Durchaus im gleichen Sound, also nicht psychologisierend, sondern somehow viril. Oder so: Dein Text hat auch etwas "Existenzielles". Und davon hätte man gerne noch ein bisschen mehr.
oder so ähnlich
Jürgen Hoffmann

 

Hallo Achillus ,

beim Lesen schreib ich mit:

Hunderte Tritte zermalmten seinen Körper, aus den zerplatzenden Organen schoss das Blut dick, schwarz und dampfend. Norstrøm stöhnte. Mit dem Knacken berstender Knochen in den Ohren umfing ihn Finsternis und das Gefühl, lebendig begraben zu sein.
Mag ich.

Mit einem Knall zerplatzte der Schädel über ihm und hinter der zusammensinkenden schwarzen Gestalt erschien Larkim. Aus dem Lauf seines Gewehrs quoll Rauch.
Das ist echt sehr spannend.

Seine Stimme klang kraftlos.
Ich finde, das kannst du rauslassen.

Wollte man nicht in der eigenen Hütte trinken, ging man ins Gunnarson, wo neben Sima und Met auch Brännvin und Wodka ausgeschenkt wurde. Der Kommandant des Camps hatte dem Metzger Till Gunnarson zwei Jahre zuvor gestattet, im Nordwestviertel der Basis eine Baracke anzumieten, um dort eine Schenke einzurichten. Bald sorgten monatliche Lieferungen aus Sundsvall für Nachschub, und seit dieser Zeit verbrachten nicht nur die Männer der Wache ihre freien Abende hier.
Auf dem Weg zum Gunnarson dachte Norstrøm daran, wie fremd ihm dieses Leben noch immer war. Ein Leben, das sich zwischen Patrouillen, Schießplatz und Baracke abspielte. Ein Leben, das außer Tabak, Wodka und Sveijas Brüsten keine Freuden mehr bot.
In der Schenke herrschte noch wenig Betrieb,
Da wäre show don't tell schöner, finde ich.

Du weißt, dass es hier weit und breit keine Siedlungen mehr gibt.
Hast du das nur geschrieben, damit der Leser das erfährt? Wirkt auf mich unrealistisch.

»Komm zu dir«, rief Larkim. »Sie ist tot, Arve. Sie ist tot.«
Uhh, sehr schön!

Aaaallsoo:
Achillus, wirklich was zu kritisieren hab ich nicht.Die Geschichte hat mir sehr gefallen. Hoffentlich hilft dir der Kommentar trotzdem weiter. An deiner Stelle würde ich im Text mehr Show rein tun beispielsweise bei der Stelle, wo die Frau ein Lied der Samen singt. Welches Lied? Bezieht sich das auf die Handlung? Ist es ein trauriges Lied? Mit mehr Show können sich manchmal ganz neueWelten in einer Geschichte öffnen. Dir muss ich das aber, denke ich, nicht erklären.

Liebe Grüße,
Alexei

 
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Hallo Achillus,

ich suche noch, ob ich wirklich die tieferen Ebenen dieser Geschichte wahrnehmen kann, oder ob ich sie einfach als toll geschriebene, düstere Abenteuergeschichte begreife. Aber ich versuche mich mal in einer Interpretation.
Es ist eine absolute Männergeschichte für mich. Das Leben ist vom Krieg bestimmt, den die Männer gegen einen ungreifbaren Feind führen, der ihnen offenbar an Kälte und Brutalität noch überlegen ist und den er deshalb auch gewinnen wird. Es ist die Geschichte einer bereits zum Tode verurteilten Gesellschaft, in die, wie ein trojanisches Pferd, dieser Frost als Hoffnungsträger willkommen geheißen wird und der er den Todesstoß versetzt. Anzeichen, dafür, dass die menschliche Gesellschaft am Ende ist, ist die Impotenz des Protagonisten, Norstrøm. In der Beziehung zu Sveija scheitert die sexuelle Ebene, aber nicht nur die. Sveija bietet sich vergeblich an, das scheint fast das Einzige zu sein, was überhaupt zwischen den Beiden stattfindet. Die Beziehungen, auch der Männer untereinander sind ohne Mitgefühl, ohne Zwischentöne, wobei es so einen gewissen Ehrenkodex gibt. Kinder werden nicht erwähnt. Das, was Norstrøm irgendwann einmal an seinem Leben in der Natur geliebt hat, ist nicht mehr vorhanden, die Natur ist getrennt, zum Feind geworden. Ja, sie lassen es zu, dass dieser Frost in ihre Mitte kommt. Die Kälte ist schon vorher da in ihren Seelen und so hat er leichtes Spiel. Die Frauen in deiner Geschichte himmeln ihn als Retter an, sind schon bereit zu ihm, als neuem Anführer überzulaufen, dienen schließlich nur als Beute. Sprache setzt du, wie immer gekonnt ein. Wenn ich mich frage, was dieser Text mir für mein Leben gibt, so ist es am Ehesten eine Mahnung. Die Art, wie du schreibst, beschwört archaische Themen, hat etwas Machtvolles, auch Verführerisches, birgt sogar die Gefahr, das Kriegerische zu überhöhen. Doch dein Text weist auf das Ende, wenn eine Gesellschaft alles Menschliche aufgibt und untergeht.
Hast du mal „Kassandra“ gelesen, von Christa Wolf? Auch eine Geschichte, wie eine zivile Gesellschaft sich in eine Kriegerische wandelt. Was dabei verloren geht und wie das die Seelen der Menschen verändert.


Friedliche Weihnachtstage wünscht

Chutney

 

Hallo Maria, vielen Dank für Deine Gedanken zum Text.

Du hast einen grausamkalten Stil …

Die Geschichte, die ich ursprünglich in die Challenge bringen wollte begann mit diesem Satz:

Das Leben des elfjährigen Thure Hellsund endete, als ihm sein Freund Arne Erikson beim Spielen im Geräteschuppen eine Nagelpistole seitlich an den Kopf hielt und abdrückte.

Mein Idee war, die Entwicklung eines autistischen Killers zu zeichnen, der seinen Mangel an Gefühlen durch Sex und Gewalt zu kompensieren sucht. Nicht nur habe ich irgendwann bemerkt, dass ich das Ganze dramaturgisch nicht bewältige, es schien mir dann in der Summe als gnadenlos hart und düster und irgenwie wenig … weihnachtlich.

Deshalb habe ich noch mal angefangen und dabei kam dann Frost heraus. Deiner Einschätzung zufolge ist es wohl kaum besser geworden. Immerhin fandest Du es spannend, das ist ja schon mal was.

Aber das ist eben der persönliche Geschmack von mir, der mehr Gefühle verlangt, eine Nähe zu den Figuren, ihnen in die Seele blicken möchte, der hinter die Fassade einer Figur blicken will. Das zeigst du uns nicht, sondern die Handlung ist hier dominant und bestimmt einfach alles.

Dem würde ich insgesamt schon zustimmen. Meine Hoffnung ist trotzdem, die Seele der Figuren durch die Art ihrer Handlungen zumindest anzuleuchten. Als Leser habe ich ein bisschen ein Problem mit der Technik der geschwätzigen Figur (meistens eine Ich-Erähler-Figur), die endlos von ihren Empfindungen, Eindrücken und Assoziationen redet. Ich mag es lakonisch, darum schweigen meine Figuren auch häufig, obwohl sie vielleicht zunächst etwas sagen wollen.

Dieser Stil kann den Eindruck erwecken, die Figuren, deren Innenleben nicht explizit beschrieben wird, wären seelenkalt. Das verstehe ich. In der aktuellen Geschichte ist ja nun Frost und Kälte auch ein Thema des Ganzen, ich sehe aber trotzdem, wo Du die Schwäche von Stil und Inhalt siehst. Vielen Dank für Deine Rückmeldung, Maria.

Gruß Achillus


Hallo Jürgen, vielen Dank für Deine Rückmeldung zum Text.

… ich kenn Dich nicht, darum frage ich Dich: Du bist doch ein etablierter Autor, richtig?

Nein, Schreiben ist bislang nur ein Hobby für mich.

Wie auch immer, mit "Frost" spielst Du hier ja ziemlich in einer eigenen Liga. Das wirklich Gute und Beeindruckende ist, dass die Geschichte nicht nur "an sich" spannend ist, sondern man das Gefühl hat, dass es noch eine andere, tiefere Ebene gibt.

Danke für das Kompliment. Natürlich ist das genau ein Wunsch von mir, also mit der Geschichte auf einen Subtext zu verweisen, der dem Leser dann etwas Besonderes gibt. Aber ich habe im Laufe der letzten Jahre bemerkt, dass das sehr problematisch ist. Dieser Text ist von mir vor einem philosophischen/ gedanklichen Hintergrund geschrieben worden. Wenn bestimmte Leute in einem Text den Buchstaben ø sehen, etwas von Frost, Schnee und Krähen lesen, holen sie ihre Orakelknochen heraus und stimmen das Wolfgeheul an. :lol: Ich meine damit, es gibt bestimmte Trigger, die den Subtext sofort erschließen, vorausgesetzt der Leser schwingt auf dieser Welle.

Anderes Beispiel: Als ich den Film Matrix im Kino sah, habe ich das sofort mit der buddhistischen Lehre assoziiert, der zufolge unser ganzes Erleben eine Illusion darstellt. Und tatsächlich wurde der Film innerhalb der buddhistischen Community so populär, dass man ihn irgendwann als Dharma-Movie betrachtete, also als einen Film über die Lehre (Buddhas). Doch alle, die den Buddhismus nicht kennen, sehen darin entweder nur einen Actionfilm oder einen ganz anderen Subtext. Das ist eben das Problem mit Subtexten, jedenfalls ist das mein aktueller Stand der Überlegungen.

Im besten Fall bringt der Hintergrund unabhängig von philosophischer/ kultureller Vorprägung im Leser eine Saite zum schwingen. Freut mich, wenn das bei Dir geklappt hat.

Nun ist es natürlich smart, die als Autor nicht explizit auszuführen, aber zumindest mir fehlt genau das dann doch in Deinem Text.

Ja, das verstehe ich. Das Weglassen birgt definitiv Risiken. Ich werde mich damit weiter befassen. Soll ja kein Puzzle werden.

Jürgen, vielen Dank für Dein Feeback!

Gruß Achillus

wird fortgesetzt ...

 
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Lieber Achillus,

Aber er fasste all die Jahre des Kampfes zusammen, die Jahre des Krieges gegen diesen unbekannten und unerkennbaren Feind: Die Zeit der Menschen war vorüber.

Ganz im Stil heutiger Fantasy-Szenarien siedelst du deine Geschichte in einem Lager an, in das die letzten Menschen sich zurückgezogen haben vor einer Bedrohung, die nicht weiter konkretisiert wird. Handelt es sich um menschenähnliche oder tierische Wesen, handelt es sich um Grenzwesen? Das lässt dein Text offen. Sie scheinen in der Lage zu sein, Menschen zu kopieren und sich so Zugang in deren letzte Bastion zu verschaffen. Gekämpft wird (auf beiden Seiten?) mit Waffen der Jetztzeit: Schusswaffen, Granaten und Bajonetten.

Konkret geschieht – wenn ich deine Geschichte richtig lese – Folgendes: In die von Feinden bedrohte Basis kommt der große undurchschaubare Frost, dem Bussarth, der Vorgesetzte Norstroms, zutraut, die Versorgungsengpässe des Lagers beheben zu können. Für eine Exkursion wählt Frost Norstrom als seinen Begleiter aus und Bussarth gibt beiden den Krüppel Larkim mit, weil er damit (seinen Konkurrenten ?) Norstrom demütigen möchte.
Frost stellt sich als Inkarnation des Bösen heraus, so wie Norstrom es schon vermutet hat. Am Ende überleben Larkim und Norstrom, die die von Frost (und den Feinden) zerstörte Basis verlassen. Deine Geschichte endet wie der Alptraum des Anfangs:

Und dann schien es, als erbebte die Taiga unter dem Donnern tausender Hufe.

Du zeichnest Norstrom sehr genau: Er ist der Kämpfer, dem allmählich die Sinnlosigkeit des Kampfes bewusst wird, der an Weggehen denkt, der als einziger die Gefahr, die von Frost ausgeht, spürt. Ihm zur Seite steht Sveija, die Gefährtin, die ihn liebt, die ihn tröstet und aufbaut, als ihn Zweifel beschleichen und er als Mann versagt. Sie verkörpert den Alltag in dieser von Drill und Überlebenskampf gekennzeichneten Welt. Sie ist aber auch die Realistische, die resigniert hat und sieht, dass es kein Entfliehen gibt. Larkim, der Krüppel, steht Norstrom als Freund zur Seite, nachdem er ihm das Leben gerettet hat.

Bussart ist für mein Empfinden die am schlichtesten gezeichnete Person: Er ist hart und bösartig, menschenverachtend und dumm: Kleinkariert auf Demütigung aus, belastet er die für alle lebenswichtige Aktion durch das Mitschicken des Krüppels.

Frost ist das Böse an sich, unfassbar und unabwendbar. Ansonsten ist und bleibt diese Figur (für mich) leer. Von ihm wird gesagt, dass er die Wildnis überwunden habe und alle – außer Norstrom setzen ihre Hoffnung in ihn: hoffen, dass sich jetzt alles ändern werde, dass er ‚Dinge’ wisse, dass er der neue Anführer sein könne. Letztendlich projizieren alle ihre Erwartungen in diese Person. Aber Frost ist nur böse: Er schleicht sich ein und zerstört alles. Norstrom ist am Ende der Verlierer: Seine Frau ist tot und auch er selber wird der Bedrohung wohl nicht entkommen.

Da sind einige Grundsituation in deiner Geschichte: die Frau, die versucht, den Mann zu stärken, der verachtete Mensch, der zum Retter wird, der gebrochene Held, die diffuse Bedrohung der Menschen, die Unausweichlichkeit des Endes.

Ein Problem, was ich aber mit deiner Geschichte habe, ist das Fehlen einer Entwicklung. Da gibt es für mich keine Veränderung in den Personen. Norstrom führst du als gebrochenen Helden ein und lässt ihn auch so scheitern. Frost taucht auf, vermittelt den anderen das Gefühl, der Erlöser zu sein, bleibt aber selber ohne Eigenschaften: Für mich ist er nichts, er ist weder kalt noch böse. Dass sein Handeln böse ist, entnehme ich dem Ende.
Und auch die Konflikte bleiben für mich nur angedeutet: Zwischen Sveija und Norstrom bleibt die Situation die gleiche wie am Anfang, die Probleme zwischen Norstrom und Bussarth werden mehr behauptet als gezeigt. Und auch die Konfrontation Norstrom – Frost bleibt für mich so vage, dass ich sie an keiner Stelle wirklich fassen kann. Frost identifiziert Norstrom zwar gleich als seinen Gegner, dabei bleibt es aber. Frost ist das Böse und agiert auch so: Er bekämpft Norstrom, indem er dessen Frau zerstört.

Die Zweifel Norstroms an sich selber und an Frost deutest du an, führst aber auch sie nicht aus. Es wird nicht deutlich, warum er als einziger vermutet/weiß, dass mit Frost etwas nicht stimmen kann. Da bleibst du vage. Dieser zweiflerischen Haltung Norstroms stellst du die Naivität der Menschen im Lager gegenüber. Sie sehen, was sie sehen wollen. Das ist für mich ein bisschen zu sehr schwarz-weiß: der Held erkennt das Böse, die anderen sehen es nicht oder wollen es nicht sehen.

Was mir insgesamt fehlt, das ist die Möglichkeit der Einordnung des Geschehens. Platt ausgedrückt: Alles geschieht einfach. Ich weiß nicht, wer die Feinde sind und warum sie die Menschen bedrohen? Ich kenne die gesamte Vorgeschichte nicht. Natürlich sind solche Konstellationen im Moment Mode und wir akzeptieren das Vage, das Diffuse, die einfach nur behauptete Bedrohung wegen der spannend konzipierten Handlung. Aber normalerweise gehört für mich zur Bedrohung eine Motivation: Landnahme, Bereicherung, Rache.

Wenn ich von all diesen Aspekten abstrahiere und deinen Text als Ausriss eines größeren mir unbekannten Zusammenhangs ansehe, so kann ich deinen Text sprachlich und inhaltlich würdigen. Ich sehe und lese, wie der Autor die Menschen gekonnt agieren lässt, wie er das Drumherum anschaulich beschreibt, wie mir die Szene vorstellbar wird. Das ist dir gelungen. Vergeblich suche ich allerdings nach einer Aussage des Ganzen. Die für mich interessanten Ansätze: ‚gebrochener Mann’, ‚kluge, alles wissende Frau’, ‚Freundschaft’, ‚unfassbare Bedrohung’, ‚Demütigung’ spricht dein Text zwar an, lässt sie dann aber unausgeführt stehen, entwickelt sie nicht.

Lieber Achillus, bei deiner Geschichte geht es mir wie bei ähnlichen Geschichten (u.a. ‚Das Lied von Eis und Feuer): Ich erfreue mich an der detaillierten Darstellung einzelner Szenen, an gekonnten Dialogen und Charakteristiken, aber die Geschichte und ihre Thematik trifft mich nicht, weil ich für mich die Möglichkeit des Transfers nicht erkenne: Was ist die Aussage des Geschehens? Worüber soll ich am Ende nachdenken? Dass Menschen in einer bedrohten Lage all ihre Hoffnung auf einen vermeintlichen Retter setzen und sich ihm gedanken- und bedingungslos ausliefern? Das ist keine besonders neue Erkenntnis, wenn ich unsere jüngste Geschichte betrachte. Und als Warnung vor einer Wiederholung ist mir dieser Gedanke in deinem Text ein wenig zu oberflächlich abgehandelt.

Achillus, wie immer muss ich darauf hinweisen, dass ich als Leserin nicht zu deiner Zielgruppe gehöre und allein dein handwerkliches Können würdigen kann. Und das ist unbestritten.

Komm gut ins neue Jahr
und

liebe Grüße von
barnhelm

 
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Hallo Achillus, liebe Chutney,

es hat mich geradezu aus dem Sessel gehoben, als ich Chutneys Hinweis auf „Kassandra“ gelesen habe, genau diese Erzählung von Christa Wolf kam mir auch in den Sinn. Die archaische Männerwelt, die reduzierte Rolle der Frau, der unausweichliche Niedergang der Gesellschaft, sie finden sich hier wie dort in den Texten. Aber eben aus verschiedenen, wenn nicht sogar entgegengesetzten Blickwinkeln.

Du schreibst routiniert und perfekt, ja elegant. Von daher habe ich nichts zu kritisieren, sondern eher zu bewundern. Du stehst in der Tradition von Heldensagen, germanischen und griechischen und natürlich, wie du selbst sagst, japanischen, die alle den Krieg, Kampf und Untergang beschreiben.
Meine Frage ist, sollen Eltern deine Protagonisten als Vorbilder für für Söhne und Töchter verstehen, sind die untergehenden Gesellschaften fatalistisch hinzunehmen?

Ich habe als Kind jede Menge Abenteuerbücher gelesen, von Karl May, Fritz Mühlenweg und A. Th.
Sonnleitner. Helden sind nicht nur die mit der Waffe. Es gibt auch Helden und Heldinnen des Alltags, solche, die unverdrossen gegen die Dämonen von Armut, Angst und Ungerechtigkeit ankämpfen. Ist das langweilig? Ich meine das nicht als rhetorische Frage.

Nochmals:Du schreibst sehr souverän, angenehm zu lesen, spannend. Die Themen sind mir eher fremd.
Dystopien, bei denen mir häufig der Zusammenhang von Ursache und Wirkung fehlt, oder anders gesagt, die historische Reflexion, bereiten mir Unbehagen.

Dennoch, du deckst offensichtlich ein geschätztes Spektrum im Forum ab. Das akzeptiere ich selbstverständlich.

Freundliche Grüße

wieselmaus

 

Hey Achillus,


schön , einen neuen Text von dir lesen zu dürfen.
Ich muss schon schreiben: Natürlich wieder auf sehr hohem Niveau - anderes habe ich nicht erwartet, gerade technisch ist das sehr geschliffen alles.
Deine Geschichte ist mMn zu recht empfohlen worden, und ich finde auch, man kann eine Menge aus deinen Texten und Kommentaren lernen, wenn man will - auch wenn ich solcherart Genre wohl nicht bedienen werde.
Vergleicht man den Autor und Kommentator Achillus miteinander, lässt sich eine hohe Stringenz erkennen, wie ich finde. Du hast, denke ich, ein festes Gerüst, mit dessen Hilfe du an die Arbeit gehst. Du hast verinnerlicht, wovon du überzeugt bist, und es gelingt dir, das auch umzusetzen. Das merkt man, finde ich, du bewegst dich sehr sicher, das strahlen deine Geschichten auch aus. Großen Respekt dafür.

Aus Zeitgründen kann ich mich leider (vorerst) nur dem ersten Absatz widmen, Achillus.
Ich finde, du könntest diesen sprachlich noch weiter verbessern.

Ich gehe einfach mal rein:

Arve Norstrøm fuhr herum, ließ das Gewehr fallen und rannte los. Der Mantel behinderte ihn, und die Stiefel versanken tief im Schnee.
Für mich nimmt das Versinken der Stiefel zu viel Tempo raus. Ich kann das gar nicht so genau auf den Punkt bringen, bei Versinken kommt mir ganz automatisch ein ruhendes Objekt in den Sinn, das ... ja ... eben versinkt. Kann natürlich einfach auch an mir liegen :). "Hinterlassen tiefe Spuren", "suchen Halt im Schnee", von mir aus: "graben, bohren sich in den Schnee" ... irgendsowas würde besser für mich passen.
Beim Mantel denke ich, du könntest das szenischer machen. Wieso behindert ihn der Mantel denn? Ist er eng geschnitten? Vollgesogen und schwer? Du weißt schon, was ich meine.

Den Fluss erreichen! Den Fluss werden sie nicht …
Letzteren würde ich streichen, wirkt so auf den Leser geschrieben. Ich ahne auch so, weshalb ihm der Gedanke durch den Kopf schießt. Könntest das Tempo hoch halten, ohne diesen Bremser, finde ich.

Die Ohrenklappen der Trappermütze schlugen gegen seine Wangen, eiskalte Luft schnitt in seine Kehle
Du verwendest unnötig viele Pp, mMn. "Schlugen ihm gegen die Wangen", "schnitt ihm in die Kehle" ... könntest hier variieren.

Irgendwo weit hinter ihm, hoch oben im eisengrauen Himmel, krächzten Aaskrähen. Dann ein Rauschen und Flügelschlagen, und der Schwarm jagte über ihn hinweg.
Schon konnte Norstrøm das schwarze Wasser des Torne sehen, doch schwerer und schwerer wurde jeder Schritt. Er kämpfte, wie er so viele Male gekämpft hatte. Er biss die Zähne aufeinander, fühlte den Feueratem in seiner Brust.
Weit hinter ihm und hoch oben? Dann diese Füllsel; und "schwerer und schwerer" finde ich sehr abgegriffen, würde ich rausnehmen; "er kämpfte"-"er biss", ach, zum Verdeutlichen - was ich meine - einfach mal folgender Vorschlag:
Hoch oben im eisengrauen Himmel, krächzten Aaskrähen. Ein Rauschen und Flügelschlagen, und der Schwarm jagte über ihn hinweg.
Norstrøm konnte das schwarze Wasser des Torne sehen. Er kämpfte, wie sooft, biss die Zähne aufeinander, fühlte den Feueratem in der Brust.

Das Stampfen, Brüllen und Donnern der heranstürmenden Herde näherte sich wie ein Orkan.
Würde ich rausnehmen, hast du im ersten Satz schon.

Norstrøm hörte das Krachen von splitterndem Holz und vor seinem geistigen Auge sah er, wie die Leiber der tonnenschweren Waldbüffel Birken und Fichten niederwalzten. Er sah, wie unter ihren Hufen Schnee emporwirbelte, wie Erde und Morast in den Himmel spritzten.
Ich weiß nicht, hattest du das schon beim Einstellen der Geschichte: "vor seinem geistigen Auge"? Finde ich komisch irgendwie, vor allem, da er ja dann tatsächlich sieht, wie Morast in den Himmel spritzt.
Vorschlag: Norstrøm hörte das Krachen von splitterndem Holz. Die (tonnenschweren) Waldbüffel walzten Birken und Fichten nieder. Er sah, wie unter ihren Hufen Schnee emporwirbelte, wie Erde und Morast in den Himmel spritzten.

Dann war das wütende Schnauben dicht hinter ihm, und als er den sengenden Atem der Tiere in seinem Rücken spürte, stieß Norstrøm einen Seufzer aus und ließ sich fallen.
Vorschlag: Als das wütende Schnauben dicht hinter ihm war, und er den sengenden Atem der Tiere im Rücken spürte, stieß Norstrøm einen Seufzer aus und ließ sich fallen.
Oder (fände ich besser): Als er den sengenden Atem der Tiere im Rücken spürte, stieß Norstrøm einen Seufzer aus und ließ sich fallen.

Hunderte Tritte zermalmten seinen Körper, aus den zerplatzenden Organen schoss das Blut dick, schwarz und dampfend.
Das finde ich unpräzise. Das kann er und ich nicht sehen, es sei denn, das Blut schösse aus seinem Mund. Also, dampfen wird es zumindest erst, nachdem es den Körper verlassen hat.

Norstrøm stöhnte. Mit dem Knacken berstender Knochen in den Ohren umfing ihn Finsternis und das Gefühl, lebendig begraben zu sein.
Das funktioniert auch nicht für mich. Er wird das Knacken nicht hören bei dem Lärm, und das Gefühl lebendig begraben zu sein, ist ein andres, denke ich, ohne Getöse, ohne Tritte und wildem Schnauben - wird eher ein einsam-verlorenes sein; klaustrophobisch und so.
Vorschlag: Norstrøm stöhnte. Er spürte seine Knochen bersten und Finsternis umfing ihn.


So, bis hierhin mal, Achillus, sind alles Kleinigkeiten, mir sind sie trotzdem aufgefallen. Ich finde, du kommst später besser in Fahrt, der Einstieg hat Zug, ja, aber für mich ist er noch etwas zu holprig.

Ich finde bestimmt die Zeit, noch mehr zu deinem Text zu schreiben, insgesamt gefällt er mir ausgesprochen gut, das will ich unbedingt noch hervorheben.


Vielen Dank fürs Hochladen


hell

 
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Hey Achillus,

hola, da geht heute ja richtig was los unter deiner Geschichte. Ich jetzt auch noch. Egal, weil ich deine Geschichte gestern gelesen habe, und bevor ich alles wieder vergesse, ... Schräge Geschichte. Echt, jetzt. Gruselig auch. Dystopisch eh. Und Spannung kannste, wie schon so oft hier bewiesen. Und immer diese Gewalt! Immer diese Waffen, dieser Krieg. Das sind doch keine Themen für die zarte-Fliege-Frau. Herr je. Aber solltest Du je über Butterblumen und rosa Ballett schreiben, würde ich mir ernsthaft Sorgen um Dich machen.

Also, was haben wir. Wir haben Waffen, wir haben Alkohol, willige Frauen und Tabak. Es soll Leute geben, die das mögen. Allerdings ist das Leben da auch so sinnentleert. Im Prinzip geht es irgendwie ums Überleben. Der übermächtige, aber nicht identifizierte, Feind ist allmächtig und tritt dem Leser als Büffel, als Krähe, Wolf oder Frost entgegen. Natur irgendwie. Sie erobert sich ihr Land zurück. Könnte eine schöne Parabel abgeben, funktioniert dann aber doch nicht, weil, es ist ein absurdes Bild, wenn die Natur zum Angriff anrückt, und dann fahren die Männer in den Wald, ballern auf schwarze Gestalten, und dann zieht die Natur sich wieder zurück und setzt auf psychologische Kriegsführung. Wobei ich sagen muss, dass mir Frost als Antagonist sehr gut gefallen hat. Väterchen Frost legte sich über sie - dann auch noch so wörtlich, doch, das fand ich irgendwie hübsch. Also, gegen was die letzten Männer da nun kämpfen, weiß ich nicht, und ich weiß schon gar nicht, warum sie da noch kämpfen, dieses "Leben" ohne jede Freude, ich weiß nicht. Klar, Selbsterhaltungstrieb und so. Am Ende, als die beiden übrigbleiben, ich konnte mich gar nicht richtig für die freuen. Die Krähen werden mit ihnen ziehen, die Büffel nach wie vor durch ihre Träume trampeln, der Feind wird sie nicht einfach gehen lassen, wer oder was der auch immer jetzt ist.

Was mich aber richtig rausgehauen hat aus deiner Geschichte, waren die monatlichen Lieferungen aus Sundvall für das Gunnarson. Jetzt frage ich mich doch die ganze Zeit, warum diese Barackenmenschen sich nicht einfach in ihre Autos setzen und nach Sundvall ziehen (da scheint noch einiges mehr in Ordnung zu sein), oder wie man in "Kriegszeiten", wo das Lager nur zum Kämpfen auf Leben und Tod verlassen wird, wie also da so ein Lieferwagen so mir nix, dir nix, die Schnapskisten durchjuckeln kann. Okay. Über die Luft ginge noch. Militärstation im Nirgendwo. Und in diesem Nirgendwo kämpfen eine Handvoll Männer gegen irgendwas, während in Sundvall fleißig Schnaps gebrannt wird. Okay. Krieg ist nie logisch und regional, und gegen was die auch immer kämpfen und am Ende verlieren, und wozu die überhaupt kämpfen, für wen; ach, ich hätte so gern eine Hand die mich führt. So eine unterschwellige Ahnung, die das alles zusammenhält.

Ich hätte so gern den "Krieg gegen die Natur" gehabt, den man langfristig nur verlieren kann. Das Setting hätte auch so hübsch gepasst, dass es ausgerechnet im Norden das letzte bisschen Mensch gibt, weil die Menschen dort schon immer mit extrem wenig klarkommen mussten. Die Samen, die nichts anbauen konnten, weil nichts reif wurde, die nur den Fisch und die Rentiere hatten. Dabei fällt mir ein: Warum haben die eigentlich keine eigenen Rentiere in deiner Station?

So liest sich das natürlich auch sehr gut weg. Spannend allemal. Nur so richtig mitnehmen kann ich am Ende nichts, außer den Sex mit Frost, das fand ich eine sehr originelle Umschreibung für den Tod. Aber ich bin auch ganz sicher nicht die Zielgruppe.

So viel zu meinen Leseeindrücken und Gedanken,
beste Grüße, Fliege

 
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Hey Alexei, vielen Dank für Deine Hinweise zum Text. Du hast mir ein paar Stellen gezeigt, die ich mir näher anschauen werde. Beispielsweise der Satz mit der kraftlosen Stimme, da hatte ich auch schon so meine Zweifel, ob es das braucht.

Insgesamt habe ich bei dieser Geschichte weniger zusammenfassende, reflektierende bzw. erzählende Passagen drin, als sonst bei meinen Geschichten. Ein wenig Hintergrund, der nicht szenisch gezeigt werden kann, gehört meiner Ansicht nach schon rein. Es gibt ja drei Wege Informationen an den Leser zu vermitteln: zusammenfassend/ erzählend, szenisch zeigend oder innerhalb von Dialogen/ Reflektionen der handelnden Figuren. Allein das Zeigen in Szenen reicht manchmal nicht, denke ich.

Danke auf jeden Fall für Deine Denkanstöße.

Gruß Achillus

Hallo Chutney, vielen Dank für Deine Rückmeldung. War schön, von Dir zu hören. Ich kenne „Kassandra“ von Christa Wolf noch aus dem Abitur, musste jetzt aber erst mal nachschauen, was es damit auf sich hatte.

… ich suche noch, ob ich wirklich die tieferen Ebenen dieser Geschichte wahrnehmen kann, oder ob ich sie einfach als toll geschriebene, düstere Abenteuergeschichte begreife.

In erster Linie ist es genau das, eine düstere Abenteuergeschichte, aber ich freue mich natürlich auch, wenn jemand mehr darin sieht.

Es ist eine absolute Männergeschichte für mich.

Ich befürchte, das ist wahr. Und wenn man sich klar macht, das acht von zehn Lesern weiblich sind (so war glaub ich die Statistik für Deutschland), ist das schon ein Problem.

Deine Interpretation fand ich spannend. Ich würde dem nicht in allen Details zustimmen, aber als Autor bin ich natürlich befangen, und ein Autor ist selten ein guter Interpretator seiner eigenen Geschichten. Da gibt es zuviele blinde Flecken.

Die Art, wie du schreibst, beschwört archaische Themen, hat etwas Machtvolles, auch Verführerisches, birgt sogar die Gefahr, das Kriegerische zu überhöhen.

Wenn man das Kriegerische in Literatur und Film sieht, kann man immer fragen, ob das über das gezeigte Hauen und Stechen hinausweist oder tatsächlich nur das Dargestellte meint. Das Kriegerische in diesem Text wird nicht als Lösung irgendeines Konflikts gezeigt, so weit ich sehen kann. Es scheint mehr oder weniger schlicht der Endzustand dieser Gesellschaft zu sein, die schon lange keine Zivilgesellschaft mehr ist.

In vielen dystopischen Szenarios ist das einer Dauerfrage, glaube ich: Kehren wir nach dem Untergang der Zivilgesellschaft in eine Gesellschaft zurück, die von den Gesetzmäßigkeiten des Kampfes geprägt wird (Mad Max) oder von denen der Technologie (Bladerunner). Beide Varianten sind beunruhigend.

Trotzdem möchte ich einen Einwand gegen Deinen Gedanken

Doch dein Text weist auf das Ende, wenn eine Gesellschaft alles Menschliche aufgibt und untergeht.

vorbringen: Ist eine Gesellschaft bzw. eine Gemeinschaft, in der Kampf die dominierende Rolle spielt unmenschlich? Mal ganz abgesehen davon, ob wir uns das wünschen oder nicht. Wie war das mit Sparta, wie bei den Wikingern, den Kelten, den germanischen oder indianischen Stämmen der Vorzeit?

Sicher waren sie nicht die blutrünstigen Monster, als die sie heute in der Popkultur häufig dargestellt werden. Sicher ist aber auch, dass der Kampf ums Überleben (gegen Kälte, Hitze, Raubtiere, feindliche Stämme etc.) ihr Zusammenleben prägte. Macht sie das unmenschlich?

Ich wünsche Dir eine schöne Zeit zwischen den Jahren.

Gruß Achillus


wird fortgesetzt ...

 

Hallo Achilllus

Den Text habe ich sehr gern gelesen, du ziehst den Leser gekonnt ins Geschehen rein, hast ein tolles Setting, gutes Personal. Kann ich mir auch sehr gut verfilmt vorstellen, diese Geschichte. :)

Ich hab etwas Kleinkram mitgebracht, bediene dich, falls du etwas davon brauchen kannst.

Die Taiga erbebte unter dem Donnern tausender Hufe.

Ich finde den ersten Satz nicht so stark wie den Rest des Abschnitts, der wirkt auf mich etwas abgegriffen, habe ich zu oft schon gelesen, die donnernden Hufe, die den Boden erzittern oder erbeben lassen.

Irgendwo weit hinter ihm, hoch oben im eisengrauen Himmel, krächzten Aaskrähen. Dann ein Rauschen und Flügelschlagen, und der Schwarm jagte über ihn hinweg.

Wenn die Krähen hoch oben sind, und er zudem rennt, dann kann er das Flügelschlagen der Vögel m.E. nicht hören, auch wenn sie über ihn hinweg fliegen. Gut, es ist eine Traumsequenz und deshalb geht das vielleicht. Wollte es dennoch erwähnen.

Das Stampfen, Brüllen und Donnern der heranstürmenden Herde näherte sich wie ein Orkan.

Das Donnern wiederholt sich hier. Und den Orkan hast du im „heranstürmen“ implizit schon drin. Da wirkt der Vergleich auf mich etwas gar naheliegend.

Ansonsten finde ich den ersten Abschnitt sehr gut geschrieben, das ist sehr sinnlich, auch auf der sprachlichen, also akustischen Ebene, mit all dem Krachen und Bersten und Spritzen und Knacken und Platzen. Toll gemacht!

Norstrøm beobachtete, wie er sich umständlich niederkniete und dann vergeblich versuchte, das Gewehr in Anschlag zu bringen.

Du hast ziemlich viele „dann“ im Text (23), die du häufig dazu verwendest, den Satzaufbau zu variieren. Hier wäre eines, das mir überflüssig erscheint.

dann folgte das böse Zwitschern umherfliegender Wrackteile

Sehr schöne Formulierung, hab sofort ein Geräusch im Ohr!

die Jahre des Krieges gegen diesen unbekannten und unerkennbaren Feind

Das habe ich an dieser Stelle nicht verstanden. Zuvor beschreibst du seine Muskeln, die Sehnen, den Blick des Feindes. Also so unbekannt ist er offenbar doch nicht. Später hab ich dann an einen Feind gedacht, der sich der Körper von Menschen bedient, das würde dann wieder passen.

Sicher größer, als irgendein Mann in der Basis.

Kein Komma.

Doch obwohl sich diese Dinge seltsam genug ausnahmen, starrten ihn die Wachen und die Frauen im Hof aus einem anderen Grund mit Blicken an, in denen sich Furcht und Faszination mischten.

Ich finde den Satz etwas schwerfällig, vor allem auch im Vergleich zu deinem sonstigen Stil. Vielleicht erweist sich der letzte Tell-Teilsatz als entbehrlich? Die starren ja. Klar, dass sie fasziniert sind.

Sveija, die mit ihrer Freundin Freyr ganz in der Nähe stand als das Tor geöffnet wurde,

Komma vor „als“.

Der Kommandant des Camps hatte dem Metzger Till Gunnarson zwei Jahre zuvor gestattet, im Nordwestviertel der Basis eine Baracke anzumieten, um dort eine Schenke einzurichten.

Die Info fügt sich etwas unorganisch in den Text ein. Du sagst dem Leser z.B. nichts über den Feind und den Krieg (was ich gut finde), erzählst nahe an den Figuren, aber dann muss ich auf einmal wissen, dass der Wirt der Schenke früher Metzger war und dass es genau zwei Jahre her ist …?

. Seit der letzten Patrouille wären wir wohl die besten Freunde

Ich fände „beste Freunde“ eleganter und präziser.

weiter im Norden erstreckten sich unendliche Wälder bis zum Horizont.

Ich würde „unendlich“ streichen. Auch, weil du gleich danach ein konterkarierendes „bis“ verwendest. Klar, die Wälder gehen weiter, aber dennoch. Ich würde hier bloss das Bild - Wälder bis zum Horizont - arbeiten lassen.

einen weitentfernten Punkt der Ebene

Duden sagt: weit entfernten

Er wollte etwas sagen, doch dann schwieg er.
Frost sah ihn einen Augenblick an. Dann sagte er

Zweimal „dann“ in zwei Sätzen.

Lieber Gruss
Peeperkorn

 
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Liebe Barnhelm,

vielen Dank für Deine Rückmeldung zu meinem Text. Ich habe mich sehr gefreut, dass Du ihn so intensiv unter die Lupe genommen hast, obwohl das Szenario Dir gar nicht zusagt. Ich weiß das wirklich zu schätzen.

Ich kann und möchte Deiner Interpretation nicht widersprechen, aber trotzdem anmerken, dass es dazu an einigen Stellen alternative Auslegungen geben könnte.

Frost ist das Böse an sich, unfassbar und unabwendbar. Ansonsten ist und bleibt diese Figur (für mich) leer. Von ihm wird gesagt, dass er die Wildnis überwunden habe und alle – außer Norstrom setzen ihre Hoffnung in ihn: hoffen, dass sich jetzt alles ändern werde, dass er ‚Dinge’ wisse, dass er der neue Anführer sein könne. Letztendlich projizieren alle ihre Erwartungen in diese Person. Aber Frost ist nur böse: Er schleicht sich ein und zerstört alles.

Diese Sicht drängt sich auf, wenn man Norstrøm und seine Leute als die Guten betrachtet. Aber ist das so? Ich bin da nicht sicher. Geht man von einem Szenario Mensch vs. äußerer Feind aus, dann wissen wir als Leser natürlich, wo wir stehen. Dort, wo die Menschen sind, richtig? Wir stehen zu unseren Leuten.

Betrachtet man das Ganze aber mit ein wenig mehr Abstand, könnte man fragen: Sind diese Menschen dort wirklich unsere Leute? Das, was dort innerhalb der Gesellschaft geschieht, ist nicht unbedingt die Verkörperung des Guten, finde ich. Daraus könnte man folgernd fragen, ob der Feind dieser Gesellschaft zwangsläufig das Böse sein muss. Ist es überhaupt ein äußerer Feind? Oder ist es lediglich die Manifestation innerer Widersprüche einer Gesellschaft, die ihren Weg verloren hat.

Frost taucht auf, vermittelt den anderen das Gefühl, der Erlöser zu sein, bleibt aber selber ohne Eigenschaften: Für mich ist er nichts, er ist weder kalt noch böse. Dass sein Handeln böse ist, entnehme ich dem Ende.

Ich verstehe das. Du schlägst Dich auf die Seite von Norstrøm und folgst seiner Interpretation. Frost hat schon einige Eigenschaften, auch wenn diese letztlich keine wirklich individuell-menschlichen sind: Er ist stark, potent, emotionslos, damit auch furchtlos. Er geht nackt durch das Eis, die für Menschen geltenden physikalischen Grenzen scheinen ihn kaum zu beeindrucken, er hat eine Ausstrahlung auf Menschen, die sie hypnotisiert …

Ein Problem, was ich aber mit deiner Geschichte habe, ist das Fehlen einer Entwicklung. Da gibt es für mich keine Veränderung in den Personen. Norstrom führst du als gebrochenen Helden ein und lässt ihn auch so scheitern.

Entwicklung kann auf zwei Ebenen ablaufen, einerseits was die Ereignisse betrifft, andererseits, was die Psyche der Figuren betrifft. Letztlich ist das nicht zu trennen, aber als Leser wünschen wir uns meist, das auch explizit dargestellt zu bekommen.

Die Geschichte beginnt mit einer Ahnung (einem Traum). In der Beziehung zu Larkim und Sveija ist Norstrøm abweisend, kalt, sprachlos. Das ändert sich, und ich sehe das bereits als Entwicklung. Im Lauf der Geschichte wird Norstrøm klar, dass Frost die Inkarnation seiner dunklen Vorahnung ist. Diesen Schritt von Ahnung zu Einsicht sehe ich ebenfalls als Entwicklung. Am Ende der Geschichte ist Norstrøm für mich definitiv ein anderer Mensch.

Was mir insgesamt fehlt, das ist die Möglichkeit der Einordnung des Geschehens. Platt ausgedrückt: Alles geschieht einfach. Ich weiß nicht, wer die Feinde sind und warum sie die Menschen bedrohen? Ich kenne die gesamte Vorgeschichte nicht. Natürlich sind solche Konstellationen im Moment Mode und wir akzeptieren das Vage, das Diffuse, die einfach nur behauptete Bedrohung wegen der spannend konzipierten Handlung. Aber normalerweise gehört für mich zur Bedrohung eine Motivation: Landnahme, Bereicherung, Rache.

Bei dieser Art von Geschichten ist der Aufwand des Dechiffrierens wesentlich höher, als bei realistischen Szenarien oder als bei voll ausgestalten Alternativwelten. Und es bleibt fraglich, ob es da überhaupt etwas zu dechiffrieren gibt. Der Vorteil ist, dass dieses Vage dem Leser mehr Freiheiten lässt, eigene Vorstellungen einzubringen und zu überprüfen.

Je nach Temperament wünscht man sich mehr oder weniger Klarheit, mehr oder weniger Definitives. Ich habe meine Sympathie für weniger Definitives eigentlich bei den Kurzgeschichten/ Erzählungen von Kafka entdeckt oder entwickelt. Anfangs erschienen sie mir nur absurd. Irgendwann hat mich die Stimmung fasziniert, die diese Geschichten in mir auslösten. Ich weiß nach wie vor nicht, wovon viele seiner Geschichten eigentlich handeln, aber sie geben mir trotzdem etwas.

Nun ist diese Geschichte hier nicht kafkaesk. Ich finde trotzdem, dass das Ganze einen bestimmten Sound hat, den man mögen oder auch nicht mögen kann.

Was ist die Aussage des Geschehens? Worüber soll ich am Ende nachdenken?

Für mich ist bei dieser Art von Texten stets eine Aussage besonders relevant: Die Wirklichkeit ist nicht die Wirklichkeit. Etwas, das als Mahnung in den verschiedensten Formen immer wiederholt werden kann und sollte ist, dass wir Wirklichkeit niemals direkt erfahren, sondern stets etwas anderes sehen. Wir sehen nicht mit unseren Augen, wir sehen mit unserer Psyche. In diesem Text stellt sich Wirklichkeit von Anfang an als etwas dar, das irgendwie in Schieflage gekippt ist. Die Welt „verhält“ sich merkwürdig, ja feindlich. Es liegt nahe, das – so wie Du es versuchst – objektivieren zu wollen. Aber man kann es auch als einen inneren Prozess betrachten.

Auch Dir eine schöne Zeit zwischen den Jahren, Barnhelm.

Lieber Gruß
Achillus

wird fortgesetzt

 

Hi Achillus!

Wow - das muss ich jetzt auch mal loswerden, so wie viele andere hier auch.
Die dystopische Handlung, das skandinavische Setting (das so exakt und lebendig beschrieben ist, dass ich erstmal die Heizung angemacht habe!), die Figuren, der Wald, der Schnee, die Kämpfe - die Liste könnte ich jetzt einfach so weiter durchorgeln.

Von der Handlung her hat mich die Geschichte ein wenig an Mutant Chronicles erinnert. Anfangs dachte ich an den finnisch-russischen Krieg, aber diese geheimnisvolle Sache mit den Monstern/Dämonen machte das Ganze um einiges interessanter. Ich habe mich am Schluss gefragt, wie es wohl weitergeht. Die Geschichte macht definitiv Lust auf mehr - wärs ein Buch, ich hätte es mir nach dieser Leseprobe gekauft! Und das ist eigentlich das größte Lob, das ich einem Autor aussprechen kann!:thumbsup:

Sehr gern und mit Spannung gelesen, Achillus!

Einen guten und wiedergängerfreien Rutsch ins neue Jahr wünscht dir der EISENMANN

 

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