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Freier Fall

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22.10.2011
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Freier Fall

Gonna free fall out into nothin'
Gonna leave this world for a while
Tom Petty


Wie viel Zeit braucht man, um den freien Fall zu erreichen? Mir genügte ein Satz. Gemurmelt von einem Mann, der sich entschlossen hatte, seine Liebe wieder einzupacken in den Koffer, der vor ihm stand. Dann splitterten meine Gedanken.

In der Wohnung will ich nicht bleiben, da steht der Mann mit den Worten, die mich stürzen ließen.
Auf der Straße greife ich an die Wand eines Hauses, streiche über rauen Putz und fühle die Brüchigkeit der Mauer. Mein Blick wandert hinauf zu Balkonen, an denen Fahnen hängen. Was wohl passiert, wenn sich einer der Töpfe löst? Das Gefühl, alles hören zu können, selbst das Flüstern des Mannes hinter mir, der sich über die Hausschuhe an meinen Füßen wundert, wird immer stärker. Nur wenn man ganz schnell geht, entkommt man dem Hören und Wispern. Menschen schwanken mir entgegen, ich will sie stützen, gehe auf sie zu, bis ich an ihren Gesichtern merke, dass ich es bin, die schwankt.
Ich zähle Türen und Fenster, verspreche mir, wenn zehn und dreißig aufeinanderträfen, kehrte ich um, riefe an, verabredete mich mit irgendeinem, mit dem ersten besten, der Zeit hat.
Das sechzehnte Fenster gehört zur zehnten Tür. Es sind die Fensterfluchten, die mich genarrt haben. Auslagen voller Menschen, die vom freien Fall nichts wissen. Davor Stuhlreihen und Tische, Augen, die mich mustern und verfolgen, während ich an ihnen vorbeiziehe. Die zehnte Tür steht offen. Keine Fensterflucht, nur eine kleine Kneipe mit einem Raucherabteil und Musik.

Das Innere ist dunkel, ein paar Tische formen ein Fünfeck, nur einer ist besetzt. Vom Raucherzimmer schwappen Laute herüber, lösen sich auf, bevor die Worte mich erreichen. Die Wände sind mit Bierdeckeln tapeziert. Linie an Linie, rund, rot und weiß, vereint sich zu einem Muster, dessen Sinn mir verschlossen bleibt. Ich setze mich an einen Tisch, fahre mit den Händen über die narbige Holzplatte, bis der Wirt mir etwas zu trinken bringt und ein Stück Papier. Bleistiftkringel entstehen darauf, als kopierten die Wände sich selbst, Linie an Linie folgt, wird zu Ecken, Tischen, Türen, schnell und schneller. Nur so erfasse ich den Sinn des Falls, ich muss ihn zeichnen. Und dann ist es gewiss: Ich bin allein. Wie heißt es in einem Gedicht? „Wer jetzt allein ist, wird es lange bleiben.“ Manchmal lebt man ein Gedicht. Nur dass Rilke sich geirrt hat, es ist nicht Herbst, wenn der freie Fall kommt, es ist Sommer.

Ich nippe an meinem Bier und zähle die Tropfen, die an dem Glas hinabrinnen. Immer nur an das denken, was man sieht und hört, wenn man stürzt, sonst nichts. Und niemals in den Abgrund schauen. Halt dich fest an dem, was du siehst, auch wenn es ein Tropfen ist. Ich muss lachen, als ich mir vorstelle, wie unsinnig es ist, sich ausgerechnet daran festzuhalten. Dennoch zeichne ich es. Eine kleine Figur, die an einem Tropfen zappelt, der aus einem Roy-Lichtenstein-Wasserhahn quillt. Mein Blick streift ängstlich den Abgrund, der unter dem Strichmännchen wartet, nur nicht hineinschauen, huscht weiter, ahnt ein Netz von Linien, sie müssen nur gezeichnet werden. Strich an Strich, eine Rundung mit der Andeutung einer Halsbeuge und immer wieder Linien, dicht an dicht. Lass ihn warten, den Abgrund, zeichne das Netz, es fängt dich auf, rettet dich vor dem freien Fall. Bis ich sehe, was ich wirklich gemalt habe. Kein Netz, sondern die Kleidung des Mannes am Nebentisch.
Es ist warm, doch er trägt einen Fellmantel. Ich bin froh, dass er unpassend gekleidet ist, das lenkt mich ab von meinen Hausschuhen. Ab und an begegnet mir das Oval eines braunen Auges hinter meinen Linien. Starre ich das Auge an oder das Auge mich? Immer wieder streunt mein Blick zu dem Fellmantel hin, als wäre es möglich die Haare des Mantels zu zählen und zu zeichnen, Tausende feiner, dunkler Härchen mit blonden Spitzen. Irgendwann steht der Mann auf. Ein langer Fingernagel mit einem lilafarbenen Rund tippt auf meinen Zettel, fährt eine Linie nach. Wie weibisch denke ich, ein lackierter Fingernagel bei einem Mann.
„Sie sehen ihn?“, fragt er. Seine Stimme klingt sanft.
„Was meinen Sie, Ihren Fingernagel oder den Pelzmantel?“
„Den Mantel, nur wenige sehen ihn. Und die folgen mir.“
„Idiot“, sage ich leise, „sieht man mir die Einsamkeit so an?“ Doch dann blicke ich auf den Bleistiftstumpf, zahle und gehe ihm hinterher. Alles ist besser, als zuhause zu sein, wo der Mann mit den Erklärungen die Koffer packt.
Es hat geregnet. Dunstschleier kriechen vom Pflaster, verhüllen die Beine des Mannes, es ist, als folge man einem schwebenden Mantel. Vor einem alten Haus hält er und verschwindet darin. Mein Finger sondiert die Namen auf den Klingeln, nur ein alter Reflex, bevor ich eintrete. Die Tür zu seiner Wohnung ist geöffnet, über einem Stuhl hängt sein Mantel.
„Warum tragen Sie dieses Fell, es passt nicht zum Sommer.“ Meine Stimme fühlt sich fremd an, als hätte sie eine Schwingung zu viel.
„Er macht mich interessant, die Frauen folgen ihm wie einem vertrauten Geruch.“ Er schnaubt. Soll das Lachen sein? Es klingt wie eine Übung. Ich greife in meine Hosentasche und suche nach einem neuen Stift, mit dem man dieses Lachen bannen kann.
„Ich hatte nicht viele Gründe zur Freude in letzter Zeit. Wollen Sie sich nicht setzen? Ihre Jacke ablegen? Etwas trinken? Oder brauchen Sie Trost? So wie ich?“
Noch jemand, dem es geht wie mir, denke ich, und lege den Stift auf einen Tisch. Mein Blick flattert zur Eingangstür, gleitet wieder zurück.
„Setzen Sie sich. Was haben Sie zu verlieren? Was spricht gegen Wärme in einer Nacht, die trostlos ist? Ich sehe es Ihnen an. Wissen Sie nicht, wer ich bin?“
„Doch. Der Mann mit dem Fell“, ich lache, „Sie gehören in den Zoo.“
Er gießt mir ein Glas ein, eine honigfarbene Flüssigkeit, nickt mir zu. „Auf den Trost“, sagt er, „und auf die, die ihn suchen.“ Ich höre ihn, die Traurigkeit, die in seiner Stimme vibriert, und nippe an dem Glas, schmecke süßen, schweren Portwein mit einer leichten Zimtnote.

Dann reicht er mir den Mantel. „Fühl“, sagt er. „Nur wenige sehen ihn. Fühl den weichen Pelz. Er schützt und tröstet. Fühl nur.“
Der Mantel erhebt sich vor mir wie ein fedriger Vorhang. Erst habe ich Angst, groß ist er, dunkel, doch dann fass ich vorsichtig in das zarte Fell, erforsche Härchen um Härchen, taste und spüre die goldenen Spitzen, zeichne den Flaum mit meinen Fingern, es ist viel besser, als auf Papier zu malen, ergründe die Fasern, bis sie verschwimmen und ganz leise eine Stimme erklingt. Ich kann sie nicht zuordnen, doch sie wärmt wie die Suppe, die man als Kind bekam, wenn man krank war. Dann erkenne ich sie. Das ist meine Großmutter, wenn sie ein Lied für mich sang.
Langsam komme ich zu mir, erwache wie aus einem Traum. „Wie kann das sein?“, frage ich. „Es ist wunderschön.“
„Es ist der Mantel, er führt uns zurück in die Kindheit, lässt uns das Leid der Erwachsenen vergessen, sogar die Einsamkeit. Du spürst sie nicht mehr. Probiere nur, schlüpf hinein. Er tröstet dich.“ Der Mann erhebt sich, in den Händen den Mantel wie eine Opfergabe. Ich öffne meine Arme, will ihn überstreifen, doch dann zögere ich. Warum habe ich meine Großmutter nur gehört? Warum habe ich sie nicht gesehen? Oder gerochen? Sie roch immer so gut nach Geißblatt und Birnen. Und was wird der Mann für den Trost wollen? Er kennt mich doch nicht einmal. „Ich will nur einen Kuss“, wispert der Mann, „mehr nicht, schlüpf nur hinein, dann wirst du alles spüren und sehen, sogar riechen.“ Wieso liest er meine Gedanken? Oder habe ich laut gesprochen? Dann spüre ich seine Lippen. Warm und weich. Ich falle, doch da sind Arme, die mich umschließen, Beine, die mich umklammern. Meine Haut wird kühl, ein Gesicht taucht auf, verschwimmt, wird zu dem Gesicht des Mannes, den ich liebe, dann zu einem anderen, das für immer gegangen ist, verwandelt sich erneut. Es war nur ein Traum, ein ganz schlimmer Alptraum, sie sind alle da, hier bei mir, die Verlorengeglaubten, bin nicht allein, nie mehr. Ich dränge mich an den Körper über mir, presse meine Hände auf seinen Rücken, will ihn in mich ziehen, einsaugen. Doch dann verwandelt sich das Gesicht erneut, wird wieder zu dem des Mannes mit dem Fellmantel. Seine Augen schauen auf mich herab, zwei Tunnel, in denen Lichtpunkte zucken.

Über die Ebene läuft ein Mann. Um seine Schultern liegt ein Mantel aus weichem, dunklen Fell. Er schützt ihn vor den Winden, die aus den Abgründen nach oben jagen. Der Mann rennt, er sucht jemanden, den er trösten, dem er das Leid süßen kann.

„Du darfst ihn tragen“, sagt er, „denn du hast den Mantel gesehen, nur wenigen ist das vergönnt. Schlüpf hinein, und du wirst nie wieder Leid spüren.“ Der Mann gießt mir ein neues Glas ein, ich trinke rasch. Ein zweites, drittes. Der süße Zimtgeschmack berauscht. Vorsichtig fahre ich mit dem rechten Zeigefinger an dem Ärmel des Mantels entlang, gleite hinein. Ich schaue auf meine fingerlos gewordene Hand, taste weiter, bis sie verschwunden ist. Das Innere ist glatt und kühl, feine Rillen entfalten sich unter meinem Tasten, richten sich auf zu zarten Fäden. Wie eine zweite Haar-Schicht schimmern sie durch die Oberseite des Mantels hindurch. Dazwischen pulst ein rosiger Widerschein, meine Hand, die sich von den schwarzblonden Härchen abhebt. Sie kitzeln, wenn man darüber streicht. Dann werden sie blass, als würden sie in meine Haut dringen, verschwimmen zu einer wolkigen Farblandschaft, aus der allmählich die Kontur eines Kindes wächst. Dunkelrote Zöpfchen, eine Zahnlücke. Mein Knie ist aufgeschlagen, ich weine, eine Stimme ruft nach mir, zwei tröstende Arme umfangen mich. Ich versinke in einem weichen Schoß, sehe eine Schürze mit dunkelblauen Streifen. Ein Lied erklingt: „Habt ihr nicht unser kleines Mädelchen gesehn, es ist uns weggelaufen, schon lang, lang ist´s her. Lang ist´s her.“ Ich sehe mich selbst mit lachendem Gesicht und dicken Beinchen, um meine Füße rascheln Blätter. Das Knie ist verheilt. Ich will meine Großmutter in die Arme nehmen, will ihre Schürze riechen, in deren Taschen Birnen stecken, doch ich höre nur ihre Stimme, sehe ihr glattes Gesicht. Warum rieche ich sie nicht, wo sind ihre Falten? Es ist ja sonst nicht meine Oma. Mit der linken Hand taste ich nach meinem Bleistift, ich muss die Linien in ihrem Gesicht malen, unbedingt, vielleicht rieche ich die Oma dann. Es ist nur mit der linken Hand, aber für Lachfalten wird es reichen. Und für Birnengeruch. Man muss es nur auf das Papier bringen, dann wird alles gut. Doch der Stift in meiner Hand fühlt sich ungelenk an, die Linien verbiegen zu einem krakeligen Gewirr.
Meine rechte Hand ist wieder frei und schmerzt. Wie aus einem Nebel taucht das Gesicht des Mannes vor mir auf. Es ist verzerrt, schweißgebadet. Ich frage mich, warum er den Mantel nicht selbst behält, wenn er doch so gut tröstet, warum er ihn unbedingt loswerden will? Ein Tropfen rinnt über sein Gesicht, benetzt die zarte Linie des Halses, sickert hinab auf seine Brust, stockt und perlt an einem Haar entlang. Ich muss an den Comic-Tropfen denken, der noch irgendwo auf einem Blatt sein muss, dann sehe ich, dass das Haar eine helle Spitze hat.

Vor vielen Jahren, als er noch nicht über die Ebenen lief, da liebte er ein Mädchen, denn ihr Haar war hell wie Bernstein und roch nach Zimt und Feigen. Er streichelte es oft zum Troste, denn ihre Mutter war eine böse Zauberin, die ihr Kind schlug. Sein Streicheln linderte den Schmerz des Mädchens, nicht nur den ihres Geistes, sondern auch den ihres Leibes, denn er bockte sie auf, dass sie vor Lust schrie und ihre harte Mutter vergaß. Und ihrer beider Haar lag so dicht beieinander, dass es aussah wie ein einziges Haupt aus dunkelhellen Flechten. Doch eines Tages, als die Zauberin, entdeckte, wie sich die Haare ihrer Tochter mit denen des Mannes mischten und Strähne dicht an Strähne lag, da verdammte sie ihn. Sie nahm ihm seinen Namen, verurteilte ihn dazu, dass er am ganzen Körper von Haaren bedeckt werde, dass er daraus einen Mantel schüfe und auf immer damit trösten müsse. Erst dann werde er erlöst von dem Mantel und dem Haar, wenn er genügend fände, die den Mantel des Trostes tragen wollten. Und sie verfluchte ihn, dass sein Trost süß sei, süß und schal und weder Bitterkeit, noch Schärfe oder Salz kenne. Nur Süße.

Er sieht krank aus, flehend, doch ich wende mich ab, kann ihm nicht helfen, will es nicht. An der Tür hat der Mann mich eingeholt. „Ich habe noch nicht einmal einen Namen“, bittet er. „Hilf mir, wenn ich dich schon nicht trösten darf!“ Ich zögere. Namenlos zu sein, das quält, so sehr wie Einsamkeit.
Seine Hände umschließen mein Gesicht, meinen Hals. Sein Blick ist wie ein Tunnel, der mich in ein barmherziges Dunkel führt. „Wir könnten uns trösten“, sagt der Blick. Doch ich will keinen Mantel tragen, in dem die Haut meiner Großmutter glatt ist. Oder doch? Einsamkeit wiegt schwer, und man spürt ihr wahres Gewicht erst dann, wenn sie bleibt. So kalt und bitter ist sie wie der Fallwind. Wie leicht wäre das, Trost, wann immer ich ihn brauche, in diesem schwarzen Pelz. „Bist du es? Bist du der freie Fall?“, flüstere ich und tauche durch den Kranz seiner Iris hinein in die Schwärze seiner Augen. Das Dunkel darin bewegt sich, fällt zusammen und bläht sich auf. Ein Blasebalg gefüllt mit Trilliarden lebender Organismen, die dicht an dicht die Dunkelheit besiedeln, zarte Haare, die in einem gemeinsamen Rhythmus atmen. Ich greife meinen Bleistift, doch zeichnen, das geht nicht mehr, kann mich nur an den rauen Kanten des Stifts stützen und hoffen, dass er von allein weiß, was zu tun ist. Als ich ihn packe, meinen Halt im Dunkel, so fest, dass sich das Holz in meine Haut bohrt, da weiß ich, dass die Haare dieses Felles mich ersticken werden, wenn sie trösten. Und dann sehe ich sie wieder, die kleine, zappelnde Figur an dem gläsernen Tropfen, der aus dem Comic-Wasserhahn rinnt. Was für ein jämmerlicher Halt, denke ich, blicke in den Abgrund und lasse los.

Etwas kracht. In meiner Hand ist der Stift, er ist blutig. Auf dem Boden liegt das Glas, das ich vorhin in der Hand gehalten habe. Zerbrochen. Die bernsteinfarbene Flüssigkeit verfärbt sich zu einer schmutziggrauen Lache, die in den Fellmantel sickert.
Der Mann hat losgelassen, an seinem Mundwinkel hängt ein Tropfen, rot ist er und er rinnt ganz langsam. „Tropfen sind wirklich kein guter Halt, wenn man fällt“, sage ich, nehme meine Jacke und gehe.

***​

Wieder sitze ich an einem narbigen Tisch. Flecken darauf bilden Muster, ich fahre sie mit dem Zeigefinger nach, um sie zu erforschen, blicke auf die Haut meiner Hand, die mit Wundmalen übersät ist. Wenn man genau hinschaut, sieht man in den Wülsten kleine Haarbälge, aus denen Härchen sprießen. Die Kellnerin bringt Kaffee und stellt ihn neben das Papier, das vor mir liegt. Ein Blatt voller Linien. Dicht an dicht. Wie die Haare eines Fells.

 

Liebe Novak

Philosophie pur und das in einer ersten Zeile! Damit und dem ersten Abschnitt, war das Feuer meiner Neugierde entfacht. Ausreichend Grund, mir heute nochmals etwas Zeit zu entlehnen, da ich wissen wollte, ja musste, was sich da Seltsames erschliesst.

Eine kleine Figur, die an einem Tropfen zappelt, der aus einem Roy-Lichtenstein-Wasserhahn quillt.

Dieses Bild vermittelt mir Harald Lloyd in einem echten Lichtenstein, ein sehr feinsinniger Gedanke, der die Kunstwelt begeistern könnte.

Der Mann rennt, er sucht jemanden, den er trösten, dem er das Leid süßen kann.

Ich denke es ist gewollt und auch nicht falsch, vermaledeit, ich bin dennoch über das süßen gestolpert und hätte mir ein ver davor gewünscht. Doch stehe ich mir da wohl selbst im Wege, bei solch geballter Sprachkunst, über Derartiges zu sinnieren.

Und sie verfluchte ihn, dass sein Trost süß sei, süß und schal und weder Bitterkeit, noch Schärfe oder Salz kenne. Nur Süße.

Voreilig muss ich erkennen, waren da meine vorgehenden Gedanken, denn es fügt sich hier zu einem Ganzen, ich Tor.

Als ich ihn packe, meinen Halt im Dunkel, so fest, dass sich das Holz in meine Haut bohrt, da weiß ich, dass die Haare dieses Felles mich ersticken werden. wenn sie trösten.

Hoppla, zu Ende hin hat der Bleistift einen Punkt gesetzt, der da, wohl nicht sein sollte. Wenn es ein Komma nicht tut, dann aber ein grosses Weh danach.

Für mich ist es eine deiner eindrücklichsten Geschichten, die ich von dir las. Ich erinnere mich auch nicht, auf das Thema Einsamkeit literarisch derart gut verpackt, jemals gestossen zu sein. Mich hat sie von dem her begeistert.

Ich zögerte, es zu erwähnen, du könntest es als pikant empfinden, doch nahm ein Gedanke während des Lesens von mir Besitz. Es ist, vielleicht entfernt aber doch vorhanden, etwas das mich an Leonor Gnos – nach deren kleinem Werk ich keine Bücher mehr rezensiere – erinnerte. Nicht direkt vom Inhalt her, aber doch wie Seelenverwandtes in Sprache und Geist. Unbesehen davon sprüht deine Geschichte von Eigenständigkeit, die mich auch an deine mit den Kastanien, nur noch einige Gänge höher geschaltet, erinnert.

Es war mir ein exquisites Lesevergnügen, in dem Esprit und Ausdruck sich rundeten, auch wenn meine Einschätzung nur als die eines einfachen Lesers verstanden werden darf.

Schöne Grüsse

Anakreon

 

Ja, Novak!

freier Fall ist weniger ein Titel hier, sonder eher wegweisend: in dem geht es die Geschichte hinunter. Gottseidank haben wir dieses lästige Papier nicht mehr, jetzt findet so eine atemlose Weglauf-Geschichte ihren Weg im richtigen Raum.
Ich mag das. wir haben hier eine aus dem Innen heraus durchs Außen flüchtende Person, der mit ihrem Halt auch die umgebende Welt wegbricht, bzw in der sich die Wahrnehmung dieser Welt radikal verändert. da kann schon mal das Fell aus der Hand wachsen.

Sie flieht vor dem Alleinsein, nein, es war Einsamkeit, ja, da weht schon ein anderer Wind den Abgrund hinauf: Und vor diesem Wind flüchtet sie in einen Mantel. find' ich total nahe liegend. Seltsam -> Mantel -> Gogol?
aber dieser Mantel st, und jetzt wirds kompliziert. jedenfalls befindet sich darin einer, der erkennt und verführt, einer, der sich von der Lebenskraft, von dem Leid der Menschen nährt? das ist ja eigentlich der Vampir.

und dann ist da das Ende. das erklär' mir mal jemand, so dass ich's versteh' und dass die Seltsamkeit erhalten bleibt. ;-)

freier Fall, starkes Stück!

Kubus

PS: Man könnte diese Einsamkeit, die Tiefe und das Verzweiflungspotential dieser Empfindung angesichts der kurzen Zeit, die zwischen Liebe-in-Koffer-packen und Erklärungen und ihrem Freiflug liegt, noch einmal hinterfragen, aber das müsste an anderer Stelle geschehen.

 
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Hallo Novak,

und endlich mal kein Horror :).

Ich bin hier ganz benebelt irgendwie. Diese seltsame Begegnung, dieses Märchen um den Mann darin, ich mag so was.

Für mich war der Mann während des Lesens so einiges. Etwas Abstraktes, das für mich am Anfang noch für ihren Wunsch nach Wärme stand, für ihre Sehnsucht, sich später jedoch als personifizierte Nostalgie entpuppte. Die verklärten, beschönigten (gereinigten) Erinnerungen. In die man sehr wohl flüchten kann, gerade in Zeiten der Einsamkeit. Aber da ist kein Platz für Zukunft. Nostalgie ist Vergangenheit. Die Welt von gestern, kein morgen. Nostalgie heißt in gewissen Maßen Einsamkeit. Weil man sie nicht teilen kann. Das ist ja auch der Fluch, mit dem er "gestraft" wurde. Das um ihn alles süß ist, finde ich nur folgerichtig. Diese Gefahr erkennt sie am Ende und sieht die Narben, auch die haben Erinnerungen hinterlassen und sie gehören dazu. In dem Moment ist für mich ihr Fall beendet. Sie ist wieder in der Realität.

Gewirbelt in einen Raum, in dem es kein Halten gibt, ein Raum, den ich selbst erschuf.

Weiß nicht, ob ich den Satz brauch. Der ist so ... mir gefällt der nicht.

In der Wohnung will ich nicht bleiben, da steht der Mann mit den Worten, die mich stürzen ließen.

Den Nachtrag würde ich in jedem Fall rausnehmen.

Nur wenn man ganz schnell geht, entkommt man dem Hören und Wispern.

Der Satz kommt auch so Erklärdings daher.

Nur dass Rilke sich geirrt hat, es ist nicht Herbst, wenn der freie Fall kommt, es ist Sommer.

:)

Alles ist besser, als zuhause zu sein, wo der Mann mit den Erklärungen die Koffer packt.

Doppelmoppel. Weiß ich doch ;).

Probiere nur, schlüpf hinein. Er tröstet dich.“

Schon klar ;).

Mit der linken Hand taste ich nach meinem Bleistift, ich muss die Linien in ihrem Gesicht malen, unbedingt, vielleicht rieche ich die Oma dann. Es ist nur mit der linken Hand, aber für Lachfalten wird es reichen. Und für Birnengeruch. Man muss es nur auf das Papier bringen, dann wird alles gut.

Schön!

Und dann sehe ich sie wieder, die kleine, zappelnde Figur an dem gläsernen Tropfen, der aus dem Comic-Wasserhahn rinnt. Was für ein jämmerlicher Halt, denke ich, blicke in den Abgrund und lasse los.

An der Stelle hab ich richtig für sie aufgeatmet :).

Wieder sitze ich an einem narbigen Tisch. Flecken darauf bilden Muster, ich fahre sie mit dem Zeigefinger nach, um sie zu erforschen, blicke auf die Haut meiner Hand, die mit Wundmalen übersät ist. Wenn man genau hinschaut, sieht man in den Wülsten kleine Haarbälge, aus denen Härchen sprießen.

Das Ende finde ich so toll. Die Narben, die die Zeit auf einem hinterlässt und die sich mit der Zeit schönen, weil man sie verdrängt, vergisst, weil man das Schöne in Erinnerung behalten will. Wie die Großmutter, die nicht alt wird und deshalb in der Erinnerung auch nicht sterben muss.

Hat mir wirklich gefallen!

Liebe Grüße Fliege

Nachtrag: Ich habe grad Quinns Komm gelesen und sehe das anders als er. Vielleicht liegt das an unterschiedlichen Lesarten oder Erwartungen, ich weiß nicht. Ich lese hier nicht die Trennungsgeschichte einer Frau. Ich lese hier einen Prozess, den die Frau verkörpert. Also, keine konkrete Figur, sondern auch sie ist etwas Abstraktes, was für etwas steht. Und zwar für Bewältigung/Flucht/Verdrängung/Selbstschutz - eben alles, was in einer Phase der Verletztheit so greift. Sie ist eine "Kunstfigur" und darf daher auch künstlich auf mich wirken. Sie hat ja für mich die Funktion der Verallgemeinerung. Wenn Du das nicht so beabsichtigt hast, ist mir wurscht :), aber was individuelles, ach nö - die Psychologie in dem Text, die trifft ja auf fast alle zu. Also, diese Allgemeinheit, die hat schon - aus meiner Sicht - seine Berechtigung. Also, in diesem Punkt gehe ich mit Quinn nicht mit, was den konkreten Textkram angeht - da ... naja, Quinn halt. Ich lerne auch von ihm.

 

Hi,

Immer nur an das denken, was man sieht und hört, wenn man stürzt, sonst nichts.
Das ist gut, weil es impliziert, dass es für diesen Ausnahmezustand eine Betriebsanweisung gibt, der ihn normal macht. Das ist ein starker Gedanke.

„Ich hatte nicht viele Gründe zur Freude in letzter Zeit. Wollen Sie sich nicht setzen? Ihre Jacke ablegen? Etwas trinken? Oder brauchen Sie Trost? So wie ich?“
Ja, darüber müsste man mal eine Abhnadlung schreiben. Über die Schwierigkeit der ersten Sätze einer Figur, die entweder übermächtig oder mysteriös eingeführt wird.
Ich hab gestern erst, da hab ich mit Möchtegern im Chat über eine alte Maria-Geschichte gesprochen, da hat sie einen suizidären Emo-Philosophen gehabt, auch eine stark eingeführte Figur, und wenn sie den Mund aufmacht, dann greint man so ein bisschen vorm Rechner.
Und das ist jetzt nichts gegen Maria, aber das ist ein Problem, das es oft gibt. Was sagt eine Figur tatsächlich, wenn die Erwartungshaltung des Lesers schon relativ hoch ist.
Was für ein Sprachmuster hat man da? Wie soll es klingen?
Hier hast du eine Figur: Ich dachte sofort an den Rattenfänger von Hameln und dann fängt er an zu reden, und in meinem Kopf klingt es ganz furchtbar.
Muss man mal gucken: Wie sprechen solche Figuren in Romanen, die man mag (generell behelfen sich Autoren, glaub ich, damit, dass sie die großen Figuren nur ganz dosiert auftreten lassen: Die großartigsten Figuren (Tywin z.B.) in „Das Lied von Eis und Feuer“ haben nur ganz wenige Szenen, die existieren am Rand der Wahrnehmung.) Oder der Dialog von Hannibal in Schweigen der Lämmer. Wie spricht jemand, nachdem eine große Erwartungshaltung aufgebaut wurde, ohne dass der Leser ein bisschen greint (Gott in Dogma hat gar keinen Text). Das ist sicher ein Problem, mit dem sich Spannungsschreiber auseinandersetzen müssen.

„Es ist der Mantel, er führt uns zurück in die Kindheit, lässt uns das Leid der Erwachsenen vergessen, sogar die Einsamkeit. Du spürst sie nicht mehr.
Der klingt wie die Erzählstimme in den ersten Absätzen. Dieses Asyndeton. Die Auslassung von Pronomen und Substantiven in der direkten Rede – das ist ganz schwierig.
Wenn einer im „echten Leben“ so spricht, das klingt gestelzt.
„Es ist der Mantel, er führt uns zurück in die Kindheit, - okay
!lässt uns das Leid der Erwachsenen vergessen! – hier, ohne Pronomen, ohne Substantiv gesprochen. Ich find das echt schwierig, mystische Figuren zu betexten.

denn er bockte sie auf, dass sie vor Lust schrie und ihre harte Mutter vergaß.
[…]
Sie nahm ihm seinen Namen, verurteilte ihn dazu, dass er am ganzen Körper von Haaren bedeckt werde, dass er daraus einen Mantel schüfe und auf immer damit trösten müsse.
Mit dem Konjunktiv aufpassen. Es klingt gestelzt.
Er bockte sie auf – das ist doch so, einerseits ist es natürlich dick und geil und spannend, auf der anderen Seite ist es aber auch so komisch. Ich kann mich dran erinnern, in einem Roman von Peter Berling ist das auch so ganz dick beschrieben, wie da im Mittelalter gevögelt wird, mit deftigen, zünftigen Worten, in den Steiß und da wohnt der Teufel und der muss ausgetrieben werden. Bei „Im Namen der Rose“ so eine schöne Mittelalter-Vögelei, das hat ja schon viel Reiz, weil da die Unschuld der Unwissenheit zusammenkommt mit so einer ganz deftigen Körperlichkeit. Ich hab neulich den Klappentext gelesen von einem historischen Fantasy-Schinken von Rebecca Gablé oder so: Irgendwie Frau stürzt durch Zeitreisestein in die Vergangenheit, wo es noch richtige Männer gibt und lässt sich da kräftig durchziehen. Also das scheint eine riesige Zielgruppe zu geben, grad unter Frauen, für sowas. Du gibst denen hier nur ein winziges „bockte sie auf“.

Das ist immer dicht dran, dass man’s zu dick macht. Und hier mit „bockte sie auf“ – wo man an Autos denkt, wenn das so kurz ist. Und schüfe“ – Hülfe es nücht! Da vorsichtig sein, wenn man in „ö“s und „ü“s reinkömmt beim Konjunktiv. Das klingt wie ein Franzose, der den Kopf nach oben trägt und sich ein Mundtüchlein vor die Nase hält und versucht deutsch zu sprechen.
Nicht von Friedrichard verrückt machen lassen mit dem Konjunktiv, Konjunktiv oder von anderen Leuten. Der hat seinen Platz, natürlich. Aber er wirkt auch auf eine besondere Art. Und diese Wirkung kann man nicht immer brauchen. Da muss man sich fragen: Will ich das. Will ich diese Vibes in meinem Text.
Das ist hier die Frage. Was machst du mit der Frau. Du zeigst sie in einem Stadium der Auflösung, der Einsamkeit. Dann bist du an einem Punkt, wo du dich fragen musst: Was mach ich jetzt mit der Würde? Wie zeige ich sie. Dann hast du den Satz sinngemäß „Sie geht jetzt mit ihm mit, Hauptsache sie ist nicht zu Hause“ – so, das ist der Satz, den sich Frauen sagen, wenn sie nachts um 2 noch in einer Bar sitzen und emotional total schief hängen.
Dann vergisst du das aber eigentlich wieder und gehst ins mystische rein, da hast du das eigentlich nur als Aufhänger gebraucht, um die Figur dahin zu kriegen, wo du sie haben willst.
Und jetzt bist du schon bei dem „Der ewige Jude“-Motiv (das haben die Nazis versaut, den Begriff, an sich ist das nichts total anti-semitsches). Und im Märchenhaften.

Dieses „Der ewige Jude“ oder „Der wandernde Jude“ ist eine Legende, das bei der Kreuzigung Christi jemand Jesus verspottet habe und dafür von ihm verflucht wurde, rastlos durchs Land zu ziehen. Und das Motiv ist hier auch wieder drin. Ich hab zu Anfang gedacht – und es hat mir fast besser gefallen – du kommst mit einer Variation des Rattenfängers von Hameln. Aber hier hast du diesen Mann, der seinen Fluch weitergeben will, aus so einem Schneewittchen-Universum eher.
Das macht es dann sehr schwer und ein bisschen vollgesogen den ganzen Text. Du verstärkst die anfängliche Emotion (Ich wurde verlassen, die Welt geht unter) durch dieses Märchen-Kontext noch eher, statt versuchen sie zu brechen. Du gibst der Figur in dieser Absolutheit der Einsamkeit fast noch recht.
Und es kommt auch zusammen, dass eben nicht genau erörtert wird, was jetzt eigentlich Einsamkeit ist.
Was fehlt ihr? Fehlt ihr Sex? Das wird angedeutet. Aber viel mehr scheint ihr Geborgenheit zu fehlen – mit der Oma. Aber in welcher Form? Sucht sie jemanden, mit dem sie jetzt Kinder haben kann? Da ist der Begriff „Einsamkeit“ – ich weiß nicht, ob du das so siehst – eben ein Konglomerat dieser vielen unterschiedlichen Formen von Sachen, die passieren, wenn eine Beziehung endet.
Und das kriegt man nicht so mit, ich find’s schwierig die Figur zu erfassen.
Der Mann, der sie da verlässt, wird ja nicht mal erwähnt. Es ist nicht: Oh Gott, ich wird nie wieder an ihm riechen können, wenn er frisch geduscht ist. Oder: Er wird mir nie wieder Spiegeleier machen, wenn ich nachts lange gearbeitet habe.
Es ist auch nicht: Mein Lebensplan bricht zusammen, wie soll ich mir jetzt noch eine Wohnung leisten könne?
Oder: Ich werd ja nie Mutter, wenn ich alle 5 Jahre neu anfangen muss.
Oder: Warum will er mich denn nicht, bin ich zu alt?
Also diese normalen, banalen Abläufe bei einer Trennung gibt es hier nicht, sondern es ist so eine absolute, fast egomanische Einsamkeit, um die es dir hier geht. Die Frau könnte auch ohne jegliches auslösende Ereignis einfach einen Einsamkeits-Flash kriegen.
Und dadurch dass du es eben nicht konkret machst, bleibt mir die Figur über den ganzen Text über seltsam fremd. Wie ein Prototyp, wie eine entrückte. Es erdet sie nichts, so richtig. Du hast ihr die Marotten gegeben und die Motive: Mit der Träne. Aber für mich klappt das nicht so richtig, weil ich keine Form von Verbindung zu der Frau herstellen kann. Die ist mir nicht echt genug, die versteh ich nicht, die ist mir in ihrem Leiden zu abstrakt.
Ich kann eine Frau verstehen, die leidet, weil sie den Mann echt geliebt hat und weil sie Angst vor einer Zukunft hat. Weil sie Angst vor Veränderung hat.
Aber eine Frau, die das abstrakte Gefühl „Ich bin einsam“ in eine Sinnkrise treibt, 2 Sekunden, nachdem ein Mann mit ihr Schluß gemacht – das scheint mir ein bisschen – ja – auf Geschichte gebürstet. Die Frau fällt in die Welt, in dem Moment, wo du anfängst, sie für deine Geschichte zu brauchen, da findet die sich auf der Straße wieder, guckt sich kurz um, schreit „Oh Gott, ich bin so einsam“ und läuft los. Und da fängt deine Geschichte an.
Das ist wie bei Douglas Adams, wenn sich im freien Fall ein Wal manifestiert.
Es ist als Autor auch wichtig – oder erstrebenswert – den Eindruck zu erwecken: Ich erzähle von jemandem, der schon da war, bevor die Geschichte anfing.

Mir ist schon klar, dass das eigentlich hier in „Standard-Stück“ ist. Dieses „der ewige/wandernde Jude“-Motiv. Also noch mal, bevor das einer in den falschen Hals kriegt. Die Nazis haben dieses „alte“ erzählerische Motiv dann für ihre Zwecke genommen und versaut. Aber eine erzählerische Trope ist es eben trotzdem, auch wenn sie seit 700 Jahren geschürt wird, um Stimmung zu machen (.http://de.wikipedia.org/wiki/Ewiger_Jude)
Auch in der Antike. Jemand versündigt sich gegen „eine höhere Macht“ – und wird verflucht, auf ewig rastlos zu wandern. Man könnte das Motiv sicher auch anders nennen, dann brächte man nicht jedes Mal so einen „Lies das nicht anti-semitisch“-Trara drumrum.
Das ist ein typisches Standard-Motiv – aus dem Horror-Bereich tatsächlich – auf das viele Autoren unabhängig von einander kommen, weil es eine bewährte Plotmechanik ist, die aufgeht, und in die man coole Arten von Flüchen einbauen kann. Und weil jede Generation von Autoren diese Trope verwendet, lernt die nächste Generation von Autoren das wieder kennen und verbrät es selbst. :)

Ich fänd’s eben stärker, wenn du sagen würdest: Ich hab diese Figur. Ich spiele die total straight. Das ist keine abstrakte ID einer Frau, die einsam ist. Sondern das ist eine einsame Frau. Die hättest du heute morgen beim Bäcker treffen können. Und der geht es elend und ich geb sie auch ein Stück weit preis, und lös mich so weit von ihr, dass ich ihr auch richtig weh tun kann. Und dieser Figur passiert dann sowas: Die trifft diese mystische Figur.
(das ist auch etwas, was man lernen muss, wenn man so Geschichten schreibt: Ich darf mich mit der Hauptfigur auch nicht so weit identifizieren, dass ich ihr nichts Böses zumute, der Beschützerinstinkt darf auch nicht dazu führen, dass ich zu nett zu meinen Figuren bin – na ja, darüber könnte man auch streiten, Verlage wollen gerade das oft, weil sich Leserinnen mit der Hauptfigur identifizieren und möglichst und keine traumatischen Erfahrungen machen wollen; Hier: SF-rubrik, Möchtegern, Froschkönig: Die Geschichte gibt die Figur preis; von Andrea H. die guten: Miraculum, Im aus; von Fliege: Das Bild des Tigers usw..)
Und die mystische Figur hätte ich gern ein bisschen mystischer.
Sonst ist das schon alles sehr brauchbar, sind paar gute Sachen in dem Text.
Wie gesagt: Aufpassen, welche Effekte bestimmte Sprachebenen hervorrufen. Als Autor ist das oft schwer zu überschauen, welche Effekte im Leser ausgelöst werden, grad weil es natürlich so viele unterschiedliche Lesergruppen gibt: Der Konjunktiv und das Asyndeton und das Zeugma und das Weglassen von Subjekten – schwierig alles. Muss man genau wissen, was man da grade macht. Nicht so: „Oh, das klingt poetisch, das nehm ich!“ Das ist gefährlich, muss auch immer passen. ;)


Gruß
Quinn

 
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Na dann will ich mal,

Hallo, lieber Anakreon,

ich bin echt rot geworden, als ich deinen Kommentar las, ich hab mich wahnsinnig darüber gefreut. Ich empfinde es immer als sehr erleichternd, wenn nicht gleich der erste Kommentar die Geschichte in den Grundfesten erschüttert. Und ganz besonders hier war ich für dein Lob ausgesprochen dankbar, denn ich hatte sehr lange gebraucht, bis ich die Geschichte dann mal eingestellt hatte. Und bis zum letzten klitzekleinen Moment habe ich daran rumgefeilt, ich glaube, ich kann mittlerweile ganze Passagen auswendig hersagen. Ich war mir bei dieser Geschichte supersuperunsicher, was sie werden wird, wie sie aufgenommen werden wird undundund. Man kann sagen eine Geschichte des Zweifelns. :) Ich schreibe ja hier auch anders, als ich das normalerweise getan habe.

Philosophie pur und das in einer ersten Zeile!
Das ist Philosophie? Ok, aber dann war es völlig unbeabsichtigt. :lol:


Dieses Bild vermittelt mir Harald Lloyd in einem echten Lichtenstein, ein sehr feinsinniger Gedanke, der die Kunstwelt begeistern könnte.

Das gefällt mir, an Harold Lloyd hatte ich schon gar nicht mehr gedacht. Der hing immer an einem Uhrzeiger. Oder?


Hoppla, zu Ende hin hat der Bleistift einen Punkt gesetzt, der da, wohl nicht sein sollte. Wenn es ein Komma nicht tut, dann aber ein grosses Weh danach.
Schon verbessert.

Für mich ist es eine deiner eindrücklichsten Geschichten, die ich von dir las. Ich erinnere mich auch nicht, auf das Thema Einsamkeit literarisch derart gut verpackt, jemals gestossen zu sein. Mich hat sie von dem her begeistert.

Und damit wurde ich dann völlig rot.

An deine Rezension zu Leonor Gnos kann ich mich noch gut erinnern.
Ich weiß noch, dass ich dir damals sogar einen Kommentar dazu schrieb.
Aber ich habe sie leider nie gelesen. Wenn du mir aber sogar eine gewisse Seelen- und Sprachverwandtschaft attestierst. Dann, ja dann MUSS ich mir die Dame ja mal näher anschauen.

mich auch an deine mit den Kastanien, nur noch einige Gänge höher geschaltet, erinnert.

Das stimmt. Im Nachhinein fällt es mir auf, dass es eine ähnliche Thematik war. Aber da war Einsamkeit Hintergrund und Motiv für die gruselige Bastelei der alten Dame. Hier ist es eher der Schwerpunkt.

Lieber Anakreon, tausend Dank wie immer für deinen Kommentar, deine Hilfe und überhaupt.

Liebe Grüße von der Novak


Und dir, Kubus, auch ein herzliches Hallo,

ich muss gestehen, ich habe deinen Kommentar zweimal lesen müssen, weil ich nicht kapiert hatte, ob dir die Geschichte nun irgendwie gefiel oder ob du sie zum Umfallen fandst. Mittlerweile denke ich, sie gefiel dir, und das gefällt mir natürlich auch, wenn es doch nicht so war, kannst du dich ja wehren.

wir haben hier eine aus dem Innen heraus durchs Außen flüchtende Person, der mit ihrem Halt auch die umgebende Welt wegbricht, bzw in der sich die Wahrnehmung dieser Welt radikal verändert. da kann schon mal das Fell aus der Hand wachsen.

Da musste ich lachen - wegen dem Fell.
Ansonsten hast du die Ausgangssituation sehr richtig getroffen. Das ist eine Frau, die eine/mehrere Verlusterfahrungen gemacht hat, der sie in dem Moment richtiggehend traumatisiert/erschüttert. Das sollte so weit gehen, dass sie in ihrer Wahrnehmung gestört ist. Ihre Welt bricht aus den Fugen.
Was genau es ist, was sie vermisst an den verlorenen Menschen oder was sie konkret befürchtet, wenn sie Angst vor der Einsamkeit hat, das wollte ich nicht genau beschreiben. Hier ist einfach jemand, dem alles auseinanderbricht. Trost wünscht sie sich jetzt, ganz unbedingt, weil sie dieses Gefühl nicht ertragen kann. Dieser Trost aber hat seinen Preis. Sie muss den Erinnerungsmantel tragen. Und der hats in sich.

aber dieser Mantel st, und jetzt wirds kompliziert. jedenfalls befindet sich darin einer, der erkennt und verführt, einer, der sich von der Lebenskraft, von dem Leid der Menschen nährt? das ist ja eigentlich der Vampir.

Nein, von daher ist dieser Tröstemann kein Vampir, Verführer schon, er saugt sie nicht aus, aber er will sie zu seinem Trost verführen, aber er erstickt sie, wenn er sie tröstet, weil dieser Trost nichts Lebendiges ist, sondern etwas Süßes, Schales. Und das merkt sie. Und dann entscheidet sie sich, gegen den süßen Trost, und stürzt sich in den Abgrund. Die Geschichte schildert ihre Entwicklung von der Erschütterung hin zu der Entscheidung. Das aber in dieser mysthischen Form.
Ich dachte, ich hätte mir diesen Tröstekerl ganz alleine ausgedacht, aber durch Quinns Kommentar habe ich gelernt, dass ich damit mal wieder nur ein altes Motiv (diesen ewigen Wanderer) variiert habe. Himmel, es ist nicht so leicht, sich was Neues auszudenken.

und dann ist da das Ende. das erklär' mir mal jemand, so dass ich's versteh' und dass die Seltsamkeit erhalten bleibt. ;-)

Die ganze Zeit, als sie in der Kneipe ist, da kritzelt sie ja schon die Wände ab, die Bierdeckel, den Mantel. Der Stift ist sozusagen ein Anker, der ihr hilft, nicht völlig abzudriften. Sie merkt durch das Fehlen div. Sinneswahrnehmungen (oder Erfahrungen), was es mit dem Mantel auf sich hat. Und da lässt sie den Stift allein agieren, und "springt" mit seiner Hilfe, bleibt nicht im Verharren in der Angst vor Einsamkeit, während der Stift dem Tröster eine verpasst, so dass sie sich seinem Einfluss entziehen kann.

Ja, das Seltsame ist jetzt natürlich wegerklärt. Oder? Ich hoffe mal das beste.
Auf jeden Fall danke ich dir sehr für deinen Kommentar, deine Interpretation der Ereignisse und deinen trockenen Humor, das Fell hat mir sehr gefallen.
Bis denn, Novak

Und ein Hallo an Fliege und Quinn, euch antworte ich natürlich auch gleich, aber die Pflicht ruft gerade, damit meine ich das Essen. :D
Ich schreibe dann direkt hierdrunter weiter.

UND HIER DIE ANTWORTEN AN FLIEGE UND QUINN
Ich hoffe, ihr seht es, hab schon selbst den Überblick verloren, was wo steht.

Liebe Fliege,


und endlich mal kein Horror .
Ja, ich schreibe nur für Rubriken, die mit einem H beginnen. Horror, Humor und Heltsam. War also nur eine Frage der Zeit.

Ich bin hier ganz benebelt irgendwie. Diese seltsame Begegnung, dieses Märchen um den Mann darin, ich mag so was.
Wenn ich das erreichen konnte, freufreu, ich muss sagen, ich wusste noch nicht mal so ganz genau, ob die Geschichte wirklich zu Seltsam passt. Von daher ists wohl richtig gelandet.

sich später jedoch als personifizierte Nostalgie entpuppte. Die verklärten, beschönigten (gereinigten) Erinnerungen. In die man sehr wohl flüchten kann, gerade in Zeiten der Einsamkeit. Aber da ist kein Platz für Zukunft. Nostalgie ist Vergangenheit. Die Welt von gestern, kein morgen. Nostalgie heißt in gewissen Maßen Einsamkeit. Weil man sie nicht teilen kann. Das ist ja auch der Fluch, mit dem er "gestraft" wurde. Das um ihn alles süß ist, finde ich nur folgerichtig. Diese Gefahr erkennt sie am Ende und sieht die Narben, auch die haben Erinnerungen hinterlassen und sie gehören dazu. In dem Moment ist für mich ihr Fall beendet. Sie ist wieder in der Realität.

Ich bin wirklich sehr verblüfft, wie unterschiedlich man das zusammenfassen kann, Kubus hat den Mann im Pelz einen Verführer genannt, für dich ist er die personifizierte Nostalgie. Es stimmt beides. Der Pelzkerl stand für sie bereit in einer Situation, in der sie außer sich war, als sie desorientiert war und nur noch Einsamkeit sieht, haltlos ist. Sie ist in einem traumatischen Zustand oder in einem Schock, sie braucht/will in dieser Situation Trost, jemanden spüren, Halt gewinnen, sich orten, nicht mehr fallen. Und da greift die Verführung des Mannes. Er schickt die Kindheit, die Nostalgie, die Erinnerung. Aber darin, da hast du Recht, wäre man einsam, wär ja kein echtes Leben mehr. Der Mann ist ein Verführer, mit der Kindheit als Bauchladen, und er will sie trösten, weil er sie selbst braucht. Und ihre Erkenntnis ist es eben, sich ihrem Schock zu stellen, die Realität zuzulassen, zu landen. Ich weiß nicht, ich wollte eben diesen Moment der Desorientierung, der ja jeden angreifbar macht, aus welchen Gründen auch immer, der einen bereit macht für das Abdriften, den wollte ich erzählen, ihren Konflikt damit, und wie sie es für sich löst. Sie lässt sich in die Realität fallen. Ich empfinde das als etwas sehr Menschliches, dass man im Leben manchmal an so komischen Scheidewegen steht, sie könnte vor lauter Angst und Einsamkeit und Geschocktsein dem Mann im Mantel folgen oder sie lässt sich eben fallen und knall hin und kriegt ihre Narben, aber es riecht eben auch um einen herum.
Mann das ist ja lang geworden, so jetzt bleib ich kürzer.


Gewirbelt in einen Raum, in dem es kein Halten gibt, ein Raum, den ich selbst erschuf.
Weiß nicht, ob ich den Satz brauch. Der ist so ... mir gefällt der nicht.
Ulkig, bei dem Satz hatte ich schon überlegt, ihn rauszuwerfen. Ließ ihn drin, weil ich ausdrücken wollte, dass die Angst, die sie hat, weshalb dann auch die Desorientierung da ist, ja ein Stück weit von in ihrer Einbildung besteht. Mmmmh, ich markiere mir das einfach mal im Originaltext, mal schauen.

Zitat:

In der Wohnung will ich nicht bleiben, da steht der Mann mit den Worten, die mich stürzen ließen.
Den Nachtrag würde ich in jedem Fall rausnehmen.

Gebongt, das kommt raus, ich weiß schon, warum ich das immer mache, ich glaub immer, man würde es sonst nicht raffen. Das alte Problem, weißt du noch? Ich hoffte, ich hätte es jetzt besser im Griff, aber naja. Sieht man ja an meinen ellenlangen Antworten. Irgendwann schreib ich mal eine Geschichte, die heißt dann "Der Übererklärer".


Nur wenn man ganz schnell geht, entkommt man dem Hören und Wispern.
Der Satz kommt auch so Erklärdings daher.
Mmmh, der war mehr so als Bedeinungsanleitung gedacht für die Frau, das sagt sie sich selbst, weil sie in der Desorientierung sozusagen über Wasser bleiben will. Also den nehm ich im Moment von daher sicherlich nicht raus.

Die beiden anderen Doppelmoppels prüf ich nach, ich weiß noch, dass ich Gründe hatte. In einem Fall war es wieder erklärend, im anderen eine Rhythmusfrage. Aber ist angemarkert,


An der Stelle hab ich richtig für sie aufgeatmet .
Glaubs oder nicht. Ich auch. Die Stelle war für mich richtig befreieiend.
:lol:

Ich dank dir schön für dein Lob, es hat mich total gefreut, denn ich hatte hier etwas anderes probiert als in den Horrorgeschichten. Da wollte ich immer in das Leben einer bestimmten Person schlüpfen und dann die gruselige Geschichte erzählen, die mit ihr passiert. Und da gelang mir das dann halt mal besser und mal weniger gut. Hier hatte ich jetzt eine andere Geschichte zu erzählen, es ist mehr die Geschichte einer menschlichen Erfahrung und Grundentscheidung in personifizierter Form (hach, ich weiß auch nicht, das klingt so fürchterlich, geradezu abstoßend) und dafür musste ich dann auch mit der Sprache rumbaldowern, z. B. am Anfang, als sie desorientiert ist und noch nicht mal mehr weiß, was sie anhat.
Für dein Lob, deine Anmerkungen und deine Hilfe bei meinen Mopplern dank ich dir schön.

Huch, das hab ich nicht gesehn, dass da noch was kommt, hatte mir einfach alles hier reinkopiert.
Was du da schreibst, das stimmt genau:

Ich lese hier nicht die Trennungsgeschichte einer Frau. Ich lese hier einen Prozess, den die Frau verkörpert. Also, keine konkrete Figur, sondern auch sie ist etwas Abstraktes, was für etwas steht. Und zwar für Bewältigung/Flucht/Verdrängung/Selbstschutz - eben alles, was in einer Phase der Verletztheit so greift. Sie ist eine "Kunstfigur" und darf daher auch künstlich auf mich wirken. Sie hat ja für mich die Funktion der Verallgemeinerung. (...) die Psychologie in dem Text, die trifft ja auf fast alle zu. Also, diese Allgemeinheit, die hat schon - aus meiner Sicht - seine Berechtigung.

Liebe Grüße Novak

Und hallo, lieber Quinn, Antwort an dich folgt, ich weiß auch nicht, was heut los ist, aber vorab ein herzliches Dankeschön für die genaue Beschäftigung.

So endlich, aber Achtung, die Antwort wird, glaub ich, sehr lang und möglicherweise etwas zerfahren.
Vülleicht fürchterlücherwüse üntwürte üch öm künjünktüf ... ok, bevor ich noch den Albernheitspreis krieg, dein Franzose mit dem Taschentuch als Erklärung dafür, warum der K II manchmal einfach scheiße ist, der hatte es mir einfach angetan. Das hat mich überzeugt, dass man den Bengel mit Samthandschuhen anfassen muss.

Gedankt habe ich dir ja schon und mache es nochmal, ich finde es immer wieder erstaunlich, mit welcher Hingabe du dich in die Geschichten von anderen reinversetzt und aufzeigst, was daran gut oder verbesserungswürdig oder auch nicht gelungen ist. Und die Geschichte hier, die hat es, glaub ich, ganz generell bei dir vergeigt. Aber das macht nichts, denn deine Begründungen und Hinweise sind so, dass ich deine Kritik zuordnen und einordnen kann.

Zu den Stilfragen (die Sprache des Mannes, das mittelalterlich Bocken, der KII) komme ich später. Das sind wie immer Punkte, vor denen ich fassungslos stehe und denke, ach siehste mal, das ist der Grund, warum es im Schreiberbauch so ein bisschen geruckelt hat. Zumindest beim Bocken war das so. Hihi, wie sich das anhört.
Also da hast du bestimmt Recht oder ich vertraue dir einfach zu sehr, so dass ich mich einfach mal drauf einlasse. Aber dazu wie gesagt gleich mehr.


Zum Inhalt/Charakterisierung/Mann im Pelz, mysthische Figur

Ich fang mal mit diesem ewigen Wanderer an. Ich dachte eigentlich, ich hätte mit diesem Tröstemann im Pelz etwas Neues erfunden, du sagst jetzt, es ist nur eine Variation des ewigen Wanderers. Ich habe übrigens kein Problem mit der Benutzung dieses Namens, es ist ein literarisches Motiv, mehr nicht, ich kenne auch nur diesen Namen, wen es stört, der soll es halt umbenennen.
Ja, hast Recht, das ist eine Variation davon. Ist mir auch aufgefallen. Was die beiden Figuren gemeinsam haben, das ist die Tätigkeit, die Zeitdauer der Tätigkeit und den Fluch. Warum er verflucht wurde, was er da in der Gegenwart treibt, das allerdings ist sehr eigen aus meiner Feder gerutscht. Passend zu der Person, der er begegnet und zu ihrem Problem. Variation also ja, klar. Aber ich habe da so einen Hauch von Kritik gespürt, dass man den Wanderer nicht "benutzen" könnte, oder vielleicht nicht sollte, was der Grund dafür sein soll, ist mir jedoch nicht klar. Es ist ein Archetypus. Genauso wie der Rattenfänger einer ist. Ich denke, beide Figuren gehen auf sehr sehr grundlegende Vorstellungen von Verfehlung, Strafe, Sühne anpiekst.

Aber jetzt zu dem, was mir näher geht.
Normalerweise ist es so, dass ich eine Geschichte über eine bestimmte Person schreiben will, über einen Lenny, der in der Kirche vereist wird, über einen Toni, der sich verunstalten lässt, oder über die alte Dame, die mit den Kastanien bastelt.
Und da leg ich (von der Absicht her) natürlich wert darauf, dass die Figuren greifbar, fühlbar, farbig werden. Das ist mir manchmal besser geglückt, oft auch nicht so gut.
Wenn du da oder irgendeiner geschrieben hat, die Figur bleibt fremd, das hätte ich blöd gefunden, nicht wegen der Kritik, sondern weil ich meine Absicht nicht habe umsetzen können. Hätte/habe ich ja auch schon sofort ans Umschreiben gemacht, weil ich dann ja mein Ziel gar nicht oder nicht genügend erreiht hätte.

Hier ist es anders. Da wollte ich das, was du vermisst, gar nicht machen. Aus deiner Sicht und von deinem Geschichtenverständnis her ist es dann natürlich trotzdem doof. Ist ja klar. Aber ich muss den Kommentar ja mit meiner Idee und meinem Ziel vergleichen.
Hier ging es mir nicht darum, den Hintergrund ihrer Trennung auszuleuchten oder das genaue Aussehen ihrer Einsamkeit. Das war für mich nicht Thema und nicht Intention. Ich wollte nicht eine Geschichte schreiben über eine ganz bestimmte Person mit einem speziellen Hintergrund, sondern eine Geschichte über einen Zustand, eine Entwicklung und eine Entscheidung, die von einer Person verkörpert wird. Mein Fokus liegt da also ganz anders. Es ging mir um den Zustand einer Frau/Person, die sich in einer Desorientierung befindet, im Schock, die nichts richtig begreift, die den Halt verloren hat, rauskatapultiert ist. Im Schock nur noch das Alleinsein sieht etc. Was macht man in einem solchen Zustand? Man sucht Trost, will sich spüren, denn man hat ja die Erdung verloren, man fällt, will Halt haben. Die Geschichte erzählt die Entwicklung einer Person in einem Ausnahmezustand hin dazu, dass sie wieder in die Realtität findet. Nicht weiter abdriftet, nicht in diesem Zustand großer Verletzlichkeit bleibt, sondern auf dem Boden aufkommt. Die Geschichte erzählt den Konflikt, den sie mit sich hat, dass es aber vielleicht auch seine Vorteile hätte, in den Mantel zu schlüpfen. Um diesen ganzen Prozess ging es mir.
Es ist von daher also für mich völlig unwichtig gewesen, wie der Kerl hieß, der sie verlassen hat, oder ob Hasen auf seinen Unterhosen waren und es ist auch egal, ob sie Kinder kriegen wollte oder so. Die Personen sind tatsächlich abstrakt, es war meine Absicht, diesen Gefühlen, dem Konflikt, vor lauter Angst vor der Angst sich zur Süße verführen zu lassen, ein Gesicht zu geben, aber es ist kein bestimmtes mit einer ganz bestimmten Geschichte. Sie sollte diesen Zustand stellvertreten und der Mann die Verführung zur Süße. Fliege hat das Kunstfiguren genannt und das trifft die Sache ganz gut.
Dass die Frau da fremd bleibt, das ist klar, denn sie ist tatsächlich abstrahiert. Sie ist nicht Jana Pallert, sie ist einfach eine Frau, die einen Zustand und Konflikt verkörpert. Es kam auf die Entwicklung, die Verführung, ihre Erkenntnis und das Zurückkommen in der Realität an. Es ist was Märchenhaftes, Archetypisches, dem ich da menschliche Züge gebe. Und das ist möglich, weil diese Themen ja sehr menschliche sind, ich glaube, schon viele haben sich annäherungsweise mal in einem Schock befunden. Da hat man tatsächlich Hausschuhe an den Füßen und weiß nicht mehr, warum die da sind. Oder sich in die Kindheit zurückgewünscht oder körperlichen Trost gesucht, das sind Reaktionen, die jeder kennt.

Die Geschichte, die du bei mir vermisst, das ist aus meiner Sicht also etwas, was ich hier nicht schreiben wollte. Es wäre glaube ich ja auch nicht damit getan, wenn ich sie ein paar mal sehnsüchtig hätte in Kinderwägen gucken lassen oder den Zahnputzbecher ihre Mannes.
Es sind für mich einfach zwei völlig verschieden Geschichtenansätze, also hier ein Punkt, bei dem wir nicht zusammenkommen.

Wie ein Prototyp, wie eine entrückte. Es erdet sie nichts, so richtig.
Sie ist ein Prototyp und sie ist entrückt, genau darum ging es mir, und ganz genau, sie ist nicht geerdet. Sondern wie sie wieder zur Erde kommt, um die märchenhafte Geschichte, darum ging es.

Also es ist so, dass du es eigentlich schon genau merkst, worum es mir geht, aber du findest dieses Vorhaben nicht gut, würdest es anders angehen. Es entspricht nicht deiner Sicht einer wirklich guten Geschichte, die irgendwas in dir rührt (kann man das so sagen?). Und klar, was du da anmerkst, das ist eine sehr faszinierende Angelegenheit. Man kann natürlich die Geschichte einer Frau nach einer Trennung und was die dann macht, erzählen, auch die mythische Figur einführen, hier wäre es aber nicht mehr die Geschichte, die ich schreiben wollte. Ich mag normalerweise auch lieber Geschichten, wo man die Figur, anfassen könnte durch die Art der Charakterisierung. Ich will mit ihr mitgehen, mitleiden, in ihr eine Person mit ihren Eigenschaften und Reaktionen kennen lernen. Hier habe ich was anderes ausprobieren wollen. Auch von der Sprache her.

Die Frau fällt in die Welt, in dem Moment, wo du anfängst, sie für deine Geschichte zu brauchen, da findet die sich auf der Straße wieder, guckt sich kurz um, schreit „Oh Gott, ich bin so einsam“ und läuft los. Und da fängt deine Geschichte an.
Das ist wie bei Douglas Adams, wenn sich im freien Fall ein Wal manifestiert.
Es ist als Autor auch wichtig – oder erstrebenswert – den Eindruck zu erwecken: Ich erzähle von jemandem, der schon da war, bevor die Geschichte anfing.
Cool, der Douglas Adams gefällt mir, obwohl du hier alles so ein bisschen übertreibst und auf den Kopf stellst. Ein Schock, weil man einen Verlust erlitten hat, das ist nicht etwas so Unnormales wie ein Wal, und so tust du mit diesem Spruch, aber es trifft einen vergleichbar. Wer das schon mal erlebt hat, weiß, wovon ich spreche. Dass du das hier so kurios zusammenfasst, das liegt an der Unterstellung, die du machst, nämlich dass die Frau in ihrer Biographie sichtbar werden MÜSSTE.

Ich fänd’s eben stärker, wenn du sagen würdest: Ich hab diese Figur. Ich spiele die total straight. Das ist keine abstrakte ID einer Frau, die einsam ist. Sondern das ist eine einsame Frau. Die hättest du heute morgen beim Bäcker treffen können. Und der geht es elend und ich geb sie auch ein Stück weit preis, und lös mich so weit von ihr, dass ich ihr auch richtig weh tun kann. Und dieser Figur passiert dann sowas: Die trifft diese mystische Figur.
Ja, so würdest du die Sache angehen, aber es bleiben einfach zwei verschiedene Ansätze. Und zwei unterschiedliche Intentionen. Und zwei unterschiedliche Geschichten. Man müsste praktisch sagen, dass eine Geschichte die abstrakte Figuren hat, gar keine Chance hat, eine gute Geschichte zu werden.
Oh Mann, ich weiß nicht, ob das rüberkommt, was ich meine, man bewegt sich ja da schon in Sphären, die ich normalerweise vermeide.

Was nicht heißt, dass ich deinen Ansatz nicht am liebsten sofort schon wieder ausprobieren würde. Sozusagen eine Second version mit Jana Pallert ins Rennen schicken. Ich hab eh das Gefühl, ich müsste das dauernd machen, weil ich viele Anregungen oder Ideen so faszinierend finde. Für eine Perfektionistin wie mich ist das ziemlich tödlich.
Das andere Ende von Celebrate Yourself ist ja auch immer noch im Second Version Stübchen. Weißt du noch? Also an Projekten mangelt es nicht. Himmel noch mal, du merkst die Koketterie hoffentlich, das ist eine ziemlich süße, selbstgeschaffene Drangsal, über die ich ziemlich froh bin.

Diese unterschiedlichen Ansätze habe ich auch an deinen zum Teil wieder sehr feinen sensiblen Überlegungen bemerkt, hier beispielsweise:

das ist auch etwas, was man lernen muss, wenn man so Geschichten schreibt: Ich darf mich mit der Hauptfigur auch nicht so weit identifizieren, dass ich ihr nichts Böses zumute, der Beschützerinstinkt darf auch nicht dazu führen, dass ich zu nett zu meinen Figuren bin
Das finde ich eine sehr kluge Beobachtung, die hier zwar nicht zutrifft, denn es ging mir nicht um den Schutz meiner Figur, aber es ist dennoch eine faszinierende Idee, der ich gerne nachging, einfach als Gedanke.

So und jetzt ist schon wieder keine Zeit für gar nix, also nur kurz zu dem sprachlichen Zeug.
Ich überleg mir was zu der Sprachebene des Pelzmannes, guck mir vielleicht mal Beispiele an, Schweigen der Lämmer ist eine gute Idee.
Falls du da weitere Ideen kriegst, nur zu, ich bin sehr aufgeschlossen, denn ich verstehe schon, was du meinst, so ein mythischer Kerl, der draf nicht einfach so draufloslabern. Und ich habe im Grunde das gleiche Stilmittel gewählt (beim ersten Durchsichten) wie ich es in der sonstigen Erzählweise gemacht habe. Das war dein Hinweis, gell? Also wenn ich da nicht fündig werde, kürze ich ihn jedenfalls in den Redeanteilen.
Ich denk auch über den Konjunktiv nach, ich gebrauche sonst meistens die Umschreibung mit würde , weil die Ös und Üs ja tatsächlich ein bisschen affig wirken. Ich dachte, gerade bei einem Typen, der schon seit Jahhunderten verflucht ist, käme das gut. Das Bocken, das war mir von vorneherein suspekt, da hast du es genau getroffen, mir gefiel das, weil es mir zu dem Märchenhaften, Deftigen passte, dann dachte ich, so allein, das sieht komisch aus. Also da werd ich es entweder erweitern und etwas deftiger machen oder einfach streichen, weil es sonst echt nach Werkstatt klingt.

Vielen Dank noch mal Quinn für die wie immer sehr gründliche Auseinandersetzung, die Anregungen, die andere Sichtweise, die Stilanmerkungen und überhaupt. Ich bin immer total froh, wenn du schreibst, weil es meinen Geschichtenhorizont jedesmal erweitert.
ACHTUNG, HAB NOCH EINIGES EDITIERT, UM ES GENAUER ZU MACHEN.

Viele Grüße und Danke auch noch mal an Anakreon, Kubus und Fliege. Ich bin froh, über das Lesen, die Meinung, das Lob, Kritik, einfach alles.

 

Liebe Novak

Das ist Philosophie? Ok, aber dann war es völlig unbeabsichtigt.

Na ja, was wollte Philodophie denn ursprünglich sein? Das Streben, alles Sein, Wissen und Handeln auf letzte Grundlagen zurückführen und sicher begründen. Ein Satz genügte, den freien Fall zu erreichen. Da können die alten Philosophen doch nur noch erbleichen. :D

Der hing immer an einem Uhrzeiger. Oder?

Richtig, der ist‘s. Ich hatte ihn wirklich vor Augen, wie er sich bei dir nun an einem Tropfen übte.

Wenn du mir aber sogar eine gewisse Seelen- und Sprachverwandtschaft attestierst. Dann, ja dann MUSS ich mir die Dame ja mal näher anschauen.

Oh Schreck, was habe ich da wieder angestellt! Das kleine Büchlein ist eigentlich – falls dies Autoren lesen, die von diesem kargen Brot leben, bitte wegschauen - viel zu teuer! Ich bin mir auch nicht sicher, ob du dich identifizieren würdest, mit der alten Dame. Aber mir erschien es schon wie eine Wahlverwandtschaft bei dieser einen Geschichte. Frag aber besser erst mal bei der Stadtbibliothek nach, ob sie es in den Bestand nehmen und du es ausleihen kannst, bevor du mir das Fell über die Ohren ziehst, wegen einer Investition, die dir dann nichts wert war. :shy:

Und bevor ich‘s vergesse:

Und damit wurde ich dann völlig rot.

Der Gedanke gefällt mir ausgezeichnet, dass ich noch jemanden zum Erröten bringen konnte, ohne Schummeln zu müssen.

Schöne Grüsse

Anakreon

 
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Moin Novak,

Wie viel Zeit braucht man, um den freien Fall zu erreichen? Sieben Sekunden? Mir genügte ein Satz. Gemurmelt von einem Mann, der sich entschlossen hatte, seine Liebe wieder einzupacken in den Koffer, der vor ihm stand.

Die ersten beiden Sätze sind jedenfalls schon mal ganz großes Kino (verzeih mir diese Aussage in einem "LiteraturForum", aber dass musste erst mal sein)!

Zunächst einmal, du hast was geändert an der Geschichte, oder? Gekürzt? Denn die Kritik, die ich zuerst schreiben wollte, passt nicht mehr ganz. Vom ersten Lesen hatte ich in Erinnerung, dass die ersten beiden Absätze länger waren, und da zum Teil viel kürzere Sätze drin waren (fast schon fragmentarisch). Das hatte mir am Anfang der Geschichte nicht so gut gefallen, weil es zum Teil für meinen Geschmack zu sehr nach Poetry Slam klang. Andererseits haben schon im ersten Teil Sätze wie:

Bleistiftkringel entstehen darauf, als kopierten die Wände sich selbst

und

Nur dass Rilke sich geirrt hat, es ist nicht Herbst, wenn der freie Fall kommt, es ist Sommer.

mich staunen lassen: "Das ist immer noch gut".

Wie dem auch sei! Ich kann davon jetzt nichts mehr erkennen (und ich habe gelesen und gelesen ;)), und so gefällt mir deine Geschichte als Gesamtwerk jetzt viel besser als zuvor, nicht erst ab der Stelle, wo der Mann auftaucht.

Für mich erzählst du in märchenhafter Weise eine authentische Geschichte über den tückischen Trost von Erinnerungen (da verzeihe ich dir auch die Zauberin ;)).
Die tröstenden Bilder des Mantels einer rein süßen Vergangenheit entpuppen sich im Endeffekt auch nur als ein "Sack voller Gespenster", denen die Prot Leben einhauchen will, was ihr aber nicht gelingt. Sie hat zwar die Bilder, die Berührungen, Gerüche etc., nach denen sie sich sehnt (das Gerüst aus Fleisch und Blut sozusagen), kommen aber nicht zurück - eine Erkenntnis, die alles nur umso trauriger macht, und ganz bestimmt nichts wäre, an dem man sich festhalten kann beim freien Fall.
Schlimmer noch: Die Erinnerungen an die süße Vergangenheit mit der Erkenntnis, dass sie nicht mehr zum Leben erwacht, verstärken nur noch die Einsamkeit.

Demnach ist die Erinnerung nur an das Süße und die Sehnsucht danach, die sie birgt, in der Tat ein bedrückener Mantel. Sie kann sogar Gift sein (in Anlehnung an die honigfarbene Flüssigkeit). Insofern hat sich meiner Meinung nach zum Schluss auch die Figur an der Erinnerung ein Stück weit vergiftet.

Du siehst meiner Deutungsfreude an, hat mir sehr gefallen, deine Geschichte (mal wieder ;)).

Ist allerdings auch nicht schwer bei wunderschönen Sätzen wie:

Meine Haut wird kühl, ein Gesicht taucht auf, verschwimmt, wird zu dem Gesicht des Mannes, den ich liebe, dann zu einem anderen, das für immer gegangen ist, verwandelt sich erneut.

Und wenn man dann noch Tom Petty's Free Fallin' einleitend über das Ganze stellt, wer kann dann noch meckern?

Lg

fvg.

P.S.: Warum nur hast du den Text nur schon so schnell geändert (wenn du es denn getan hast), so bleibt mir ja gar kein Quäntchen Kritik mehr übrig ;)!

 

Wie viel Zeit braucht man, um den freien Fall zu erreichen?
Nun, eine erste, heute noch gültige physikalisch korrekte Antwort wurde schon von Galilei gegeben, aber bevor Newton sich ins Geschehen einmische, wollen wir uns dem Kern zuwenden, bevor ich noch beweise, dass es nicht länger dauert als zu stolpern - und wär's über die eigenen Füße, um sich eine blutige Nase zu holen und für Wasser in unsern Fensterlein zu sorgen.

Manchmal lebt man ein Gedicht. Nur dass Rilke sich geirrt hat, es ist nicht Herbst, wenn der freie Fall kommt, es ist Sommer,
behauptestu,

liebe Novak,

ins Fell lyrischer Prosa
(und - auf linksgewendet - ein Prosagedicht)
gehüllt, und wenn Rilke übers Fallen in nur neun Versen mit den fallenden Blättern beginnt –
üblicherweise in unsern Breiten im Herbst –
so hat er doch zumindest nicht unrecht. Dass auch Blätter im Sommer fallen
(wenn sie denn vorzeitig verdorren)
wie auch Beziehungen und Weltreiche untergehen
(eine der Bedeutungen des Fall[en]s)
zeigt, dass der Fall eintritt, wann und wo er will, womit Rilke wiederum mit den Schlussversen nicht unbedingt Recht haben muss, dass »Einer« sei, der den Fall in Händen halte.

Aber, wie ich finde, es ist in & trotz aller Kürze ein verdammt starkes Stück auf dem Weg zum totalen Kunstwerk mit literarischen Mitteln (ich nenn’s mal, wir kennen uns jetzt lang und leichtfertig genug, Kalligraphie) –
wenn man so will, sogar als ein Kammerstück für zwei Personen, alles andere wären nur Statisten, der Verflossene wie das Fußvolk und in der Kneipe das Publikum.
Die Kammer ist der Schädel der Icherzählerin, in dem alles spielt. Und ist es nicht so, dass wir die Welt in unserm Kopf abbilden nach je eigenen Regeln?

Und sie hofft die Erzählerin, dass Jeman(d) – wenn er sie denn schon nicht in seiner Hand halten kann – seine Haut, eben: sein Fell für sie hergäbe (von zu Markte tragen wäre schon wieder eine andere Geschichte) und sei’s zu ihrem Trost, was mehr wäre, als was der Heilige, der nach dem Mars, dem Kriegsgott (!) benannt wurde dem Bettler antat, und das, obwohl Winter gewesen sein muss-
da siehste ma' wieder, wie gut wir't haben! -
der Offizier und Bischof von Tours halbierte nur seinen Mantel, anders als der von mir Jeman(d) genannte.
Doch wäre zum Trost geeigneter als der Heilige Geist –
eine Vorstellung, wie die ger Gläubigen incl. Rilke.
Doch da ist die Begegnung der Großmutter mit der Icherzählerin in der Kammer schon viel realer.

Doch wo bleibt da der Großvater? Und die Generation dazwischen?

Bissken von Seele Nr. 9, ach in meiner Brust! Erschreckend wenig ...

Was wohl passiert, wenn sich einer der Töpfe löst?
¿Wäre hier nicht in & bei aller „Frag-„würdigkeit der Konjunktiv besser als der Indikativ angebracht?, etwa
Was wohl passiert[e], wenn sich einer der Töpfe löst[e]?
Oder gar das schlichte Futur, das in diesem Fall den gleichen Effekt hätte und sich damit als eben nicht schlicht & einfach zeigt
Was wohl passiert, wenn sich einer der Töpfe lös[en wird]?

…, verspreche mir, wenn zehn und dreißig aufeinanderträfen, kehrte ich um, riefe an, verabredete mich mit irgendeinem, mit dem ersten besten, der Zeit hat.
Da müsste nun konsequenterweise der Konj. II auch am Ende zu finden sein …

Und nur ein mickriges Komma musste der Text bis gerade entbehren …

…, als wäre es möglich[,] die Haare des Mantels zu zählen und zu zeichnen, …

Womit ich für heute schließen will, nicht ohne darauf hinzuweisen, dass mancher sein Erleben nach-ZEICHNEN muss, um es zu verstehn. Und plötzlich find ich den Großvater in neuen Versen zu einem uralten Lied:
Flieh, Kindchen, flieh! Dein Opa blieb im Krieg.
Oma hüt’ immer noch das letzte Hemd,
Das leise ruft und keinen Namen nennt.
Weiß wer wo Opa liegt? Flieh, Kindchen, flieg!​

Jetzt muss ich erst den vorhergegangen Schriftwechsael studieren. Bis dann und schönen Gruß

Friedel

Nichtselbstgereimtes stammt aus Rilke, Herbst.

 

Also ne, lieber fvg, das ist ungerecht,
ich habe heute morgen lediglich Anakreons angemerktes Komma verbessert und ein überflüssiges Gesicht gestrichen.
Die Absätze sind genau so lang wie vorher, an denen hab ich nichts gemacht. Und auch an den Sätzen nichts.
Das Lesen dieser Absätze und Wracksätze muss an dir gelegen haben, hihi, wer weiß, was du gemacht hast, gefällt mir total, ich könnt mich kugeln :rotfl:

Bin zur Zeit krank, krieg aber dauernd Anrufe, so dass ich hier gar nicht die Antworten schreiben kann, die ich wollte. Ich schreib aber noch. Nur vorweg schon, du hast die Geschichte total schön zusammengefasst. Ich finde das erstaunlich. Danke schon mal vorweg und ich schreib dann die Antwort hier drunter.
Liebe Grüße schon mal

 

Dann, liebe Novak, löst deine Geschichte zu später Stunde ganz eindeutig Halluzinationen aus, die ganz andere Sätze da erscheinen lassen (und das sollte uns allen ein bisschen unheimlich sein)! :D.

Aber,

Die Absätze sind genau so lang wie vorher, an denen hab ich nichts gemacht. Und auch an den Sätzen nichts.

biste sicher? Was habe ich da bloss gelesen, oder geraucht? Ich bin echt perplex!

Bleibt noch gute Besserung zu wünschen (vielleicht hat die Krankheit dir ja so zu schaffen gemacht - und ich greife hier nach dem letzten Strohhalm meiner gesunden Psyche -, dass du dich nicht mehr erinnern kannst, den Text geändert zu haben?).

Nochmals lg

fvg.

 

Hallo Novak,


extrem abgefahren, surreal, wie eine filmische Traumsequenz, wahlweise von Jim Jarmusch oder einem bösen Tim Burton. Ich weiß gar nicht, wo man da anfangen könnte, und ich denke, das sind dann gute Texte. Habe das Teil auch direkt zweimal gelesen, weil es so viele Informationen und Bilder enthält. Man kann da auch nichts rauspicken, da hängen ja alle Bilder und Szenen zusammen, weben ein Erlebnisfeld, das so dermaßen intensiv ist ...

Einige Sätze, auch gleich zu Beginn, die sind großartig, die sind sehr akkurat aber dennoch poetisch. Viele Autoren beginnen dann ja zu schwafeln, weil sie den Klang ihrer eigenen Wörter so sehr schätzen, und da verknappst das zum richtigen Zeitpunkt. Die Poesie bleibt immer bei der Person, wird also nie zum Selbstzweck, wie ich finde.

Diese Gestalt mit dem Mantel, da haben ja nun einige andere Kommentatoren echt viel zu gesagt ... für mich ist er der eigentliche Protagonist in der Szene, er setzt alles in Bewegung, sie spiegelt sich ja im Prinzip nur in ihm. Also, du hast das alles sehr haptisch verfasst, den Mantel und diesen Portwein, den konnte ich fühlen und schmecken, das ist alles sehr organisch, fast wie in einem Klartraum, luzide.

Ich mochte den Text sehr. Er hätte auch jeder Zeit ins absolut Graufenhafte abdriften können, horror vacui und so, darauf hätte ich eigentlich insistiert, aber so hat er tatsächlich etwas Schwebendes, deswegen passt auch der Titel so gut.

Lieben Gruss, Jimmy.

 

Hallo Novak

Ich fall gleich mit der Tür ins Haus: Die Idee ist echt gut, aber im Ganzen fehlt mir irgendwas – wobei, um ehrlich zu sein, ich mich zunehmend zu einem ungeduldigen Leser wandele und meine Kritik vielleicht mehr eine Frage des Geschmacks oder der Lesart ist.

Hängen geblieben bin ich jedenfalls gleich beim ersten Satz. Hab den mehrfach gelesen und schließlich sogar Wikipedia zu Rat gezogen. Fakt ist, auch wenn der Satz gut klingt und Anakreon ihn sogar Philosophisch findet, er ist einfach Quatsch.
Ich zitier noch mal die erste Zeile:

Wie viel Zeit braucht man, um den freien Fall zu erreichen? Sieben Sekunden?

Sagen willst Du, wie schnell die eigene Welt zerbrechen kann. Leider benutzt Du aber einen Ausdruck aus der Physik und das auch noch völlig falsch. Freier Fall bedeutet: Ein Körper wird nur von der Erdanziehung beschleunigt und von keinen weiteren Kräften. Sprich: In dem Moment wo ich bspw. aus dem Fenster springe befinde ich mich im freien Fall. Sieben Sekunden später hat man dann höchsten den Boden erreicht aber sonst nix.

Womit ich auch Schwierigkeiten hatte ist das hier:

Gonna free fall out into nothin'
Gonna leave this world for a while
Tom Petty

Solche vorangestellten Zitate wecken in mir immer das Bild, von einem kleinen Mädchen, die in der Schule Pailletten auf ihr Federmäppchen klebt, weil etwas mit Pailletten immer besser aussieht als ohne.
Zierrat ist zwar ein Hingucker, aber er kann auch schnell albern oder pompös wirken.
Ich glaube mich hätte so ein Einstiegszitat weniger gestört, wenn es kein Anglizismus gewesen wäre. Wenn schon so was, dann hätte mir das Rilkezitat aus der Geschichte an der Stelle besser gefallen. Tom Petty hat mir zumindest gar nichts gesagt und Englisch mag ich auch nicht immer lesen.

Mein nächster Kritikpunkt ist mehr subjektiver Natur. Nach den genannten anfänglichen Schwierigkeiten, weiß die Geschichte insbesondere die Sprache schnell zu gefallen.
Das hier, um mal ein Beispiel zu nennen, fand ich schön erzählt:

In der Wohnung will ich nicht bleiben, da steht der Mann mit den Worten, die mich stürzen ließen.
Auf der Straße greife ich an die Wand eines Hauses, streiche über rauen Putz und fühle die Brüchigkeit der Mauer. Mein Blick wandert hinauf zu Balkonen, an denen Fahnen hängen. Was wohl passiert, wenn sich einer der Töpfe löst? Das Gefühl, alles hören zu können, selbst das Flüstern des Mannes hinter mir, der sich über die Hausschuhe an meinen Füßen wundert, wird immer stärker.

Doch die nächsten Sätze beginnen mich seltsamerweise zu stören:
Nur wenn man ganz schnell geht, entkommt man dem Hören und Wispern. Menschen schwanken mir entgegen, ich will sie stützen, gehe auf sie zu, bis ich an ihren Gesichtern merke, dass ich es bin, die schwankt.
Keine Ahnung warum, aber plötzlich wird mir das Beschriebene zu viel. In der Stilistik gibt es einen Punkt der da heißt „Vorwärts schreiben“ und an der Stelle hatte ich das Gefühl plötzlich in der Handlung auf der Stelle zu treten – übrigens nicht die einzige Stelle im Text.

Gut gefallen hat mir wiederum der Wechsel von Alltagsproblem des Verlassenwerdens hin zum Phantastischen. Insbesondere die Stelle hat es mir echt angetan:

Es ist warm, doch er trägt einen Fellmantel. Ich bin froh, dass er unpassend gekleidet ist, das lenkt mich ab von meinen Hausschuhen.
Kurz musste ich ja an Hagrid (Harry Potter) mit seinem Maulwurfmantel denken. Aber die Figur zeigt schnell genügend Eigenheiten, um den flüchtigen Eindruck zu vertreiben.

Soweit liest sich die Geschichte gut. Verwirrt hat mich dann nur, dass die Frau nicht nur im Pub sondern auch später versucht mit ihrem Bleistiftstummel Dinge zu zeichnen, zu bannen oder sonst wie festzuhalten. Das habe ich ehrlich gesagt nicht so ganz kapiert. Im Pub konnte ich mir noch vorstellen, das sie gedankenverloren auf einem Zettel rumkritzelt, aber danach? Wer macht so was?

Nicht ganz gelungen fand ich auch die Einführung einer zweiten Erzählebene, wo man die Vergangenheit des Fellträgers erfährt. Das war für mich zu erzwungen, obwohl die Information an sich durchaus interessant und brauchbar ist. Nur die Art wie das in den Text eingebettet ist hat mir nicht gefallen. Außerdem hast Du dir damit meiner Meinung nach den Schluss versaut, den ich ehrlich gesagt auch nicht prickelnd fand – der läuft für mein Verständnis so ins Leere.
Besser hätte ich es gefunden, wenn das Thema der Versuchung stärker herausgekommen wäre. Das hätte man weitaus diabolischer machen können. Immerhin versucht der Fellträger seinen Mantel alias Fluch loszuwerden. So sanfte Beschreibungen von der Oma, die nach Geißblatt und Birnen duftet, (was übrigens sehr toll formuliert war) fand ich da zu wenig. Ja streng genommen, fand ich die Handlungsweise des Fellträgers recht halbherzig, da hätte viel mehr kommen müssen.
Gut war wiederum, dass sie der Versuchung widersteht – und als Schluss hätte ich dann die Geschichte des Fellträgers erzählt, und wie es ist mit dem Trostfluch zu leben. Unempfindlich der Einsamkeit gegenüber, aber nicht in der Lage die Trauer jemals zu überwinden.

Jo, hm, soviel zu meinen Eindrücken.

Viele Grüße

Mothman

 

Hallo nochmal lieber Anakreon,
ich antworte lieber noch mal schnell, nächste Woche wirds dicht, da hab ich wenig Zeit. Und am Wochenende bin weg. Fang ich lieber schon mal an.

Ein Satz genügte, den freien Fall zu erreichen. Da können die alten Philosophen doch nur noch erbleichen.

Stimmt, das hatte ich nur nicht bedacht. Ich wusste nicht, dass es so einfach ist, philosophische Texte zu schreiben.
:D


Oh Schreck, was habe ich da wieder angestellt! (...)Ich bin mir auch nicht sicher, ob du dich identifizieren würdest, mit der alten Dame. Aber mir erschien es schon wie eine Wahlverwandtschaft bei dieser einen Geschichte.
Das macht mich echt neugierig. Ich leih es, lese es und dann rate ich, welches die Verwandtschaftgeschichte war.

(...) bevor du mir das Fell über die Ohren ziehst, wegen einer Investition, die dir dann nichts wert war.
:bounce:
Und das, nachdem ich eine Geschichte über einen Mann im Fell geschrieben habe. So hätte man die Geschichte auh enden lassen können.

Der Gedanke gefällt mir ausgezeichnet, dass ich noch jemanden zum Erröten bringen konnte, ohne schummeln zu müssen.
So schön ist das , geradezu :kuss: aber trotzdem hätte ich gerne gewusst, wie du das mit dem Schummeln genau machst.

Ein ganz schönes Wochenende und lass dir auf keinen Fall das Fell über die Ohren ziehen.
Liebe Grüße Novak

 
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Hi Novak!

Wie viel Zeit braucht man, um den freien Fall zu erreichen? Sieben Sekunden? Mir genügte ein Satz.
Die "Sieben Sekunden?" müssen da unbedingt raus, Mothman hat es ja schon erklärt. Ich hab gestern noch gegrübelt, ob die 7 sec eine Anspielung sein könnten auf ein Sprichwort oder einen Song oder so ... Dann war ich auf wiki und bin fündig geworden: ca 7s braucht es angeblich, bis im freien Fall die Beschleunigung Null wird, weil der Luftwiderstand gegenarbeitet. Das hast du falsch verarbeitet. Im freien Fall ist man sofort, nur die ersten sieben Sekunden lang wird man immer schneller. Die Zeit, die man braucht, um den freien Fall zu erreichen - ist die Zeit, die man braucht, um aus einem Fenster zu stürzen oder aus einem Flugzeug geschubst zu werden oder den Felsvorsprung loszulassen, an dem man über einer Schlucht baumelt ... das sind nicht sieben Sekunden.

Gemurmelt von einem Mann, der sich entschlossen hatte, seine Liebe wieder einzupacken in den Koffer, der vor ihm stand. Dann splitterten meine Gedanken.
Das fand ich gut!

Bin nicht mehr in mir selbst und doch zu sehr. Gewirbelt in einen Raum, in dem es kein Halten gibt, ein Raum, den ich selbst erschuf.
Und bei sowas denk ich: heiße Luft.

Die Leseempfindung zog sich dann so durch, immer erst ein paar Sätze, wo ich dachte "super, das macht richtig Atmosphäre, das wirst du bei Gelegenheit mal klauen", gefolgt von Stellen wo ich zusammengezuckt bin und dachte "pfui Schmalz".

Ich zähle Türen und Fenster, verspreche mir, wenn zehn und dreißig aufeinanderträfen, kehrte ich um, riefe an
Das mochte ich gerne, das erinnert mich an Spiele, die ich früher selber immer gespielt hab (wenn ich es noch bei Grün über diese Ampel schaffe, gehe ich heute noch ins Kino).

Es sind die Fensterfluchten, die mich genarrt haben.
Den versteh ich nich.

Nur so erfasse ich den Sinn des Falls, ich muss ihn zeichnen. Und dann ist es gewiss: Ich bin allein. Wie heißt es in einem Gedicht? „Wer jetzt allein ist, wird es lange bleiben.“
Und ab hier schreibst du gegen ein festgesetztes Bild in meinem Kopf an. Freier Fall ist hier gleich Alleinsein?
Das passt für mich überhaupt nicht. Wahrscheinlich ist es mein Pech, dass der Text "Freier Fall" heißt und mit einem Songzitat eingeleitet wird, mir schoss nämlich sofort ein anderes Songzitat durchs Hirn, das ich gerne mag (It's not the fall that hurts, it's when you hit the ground).
In den ersten Zeilen trennt sich die Prota von ihrem Partner oder er sich von ihr, und ich war sofort auf dieser Fährte "ja, die ist im Moment noch wie betäubt und ohnmächtig, die kapiert noch nicht, was los ist, im freien Fall da fühlt man ja erstmal nichts, und erst wenn sie unten auf dem Boden der Tatsachen aufschlägt, dann wird sie aufwachen und es tut weh".
Und du benutzt den Freien Fall aber ganz anders und mein Bild ist kaputt.

Bis ich sehe, was ich wirklich gemalt habe. Kein Netz, sondern die Kleidung des Mannes am Nebentisch.
Es ist warm, doch er trägt einen Fellmantel.
Hier war ich wieder drin im Text, das fand ich interessant.

Tausende feiner, dunkler Härchen mit blonden Spitzen
Gefällt mir!

Ein langer Fingernagel mit einem lilafarbenen Rund tippt auf meinen Zettel,
IGITT.

„Warum tragen Sie dieses Fell, es passt nicht zum Sommer.“ Meine Stimme fühlt sich fremd an, als hätte sie eine Schwingung zu viel.
„Er macht mich interessant, die Frauen folgen ihm wie einem vertrauten Geruch.“
Da dachte ich, wie genial, ein mit Pheromon getränktes Fell als Frauenfalle. Jetzt bringt er sie gleich um. Oder so. Ich war ein bisschen enttäuscht, dass da kein blutiges oder anderweitig schreckliches Ende kam.

Mit der linken Hand taste ich nach meinem Bleistift, ich muss die Linien in ihrem Gesicht malen, unbedingt, vielleicht rieche ich die Oma dann. Es ist nur mit der linken Hand, aber für Lachfalten wird es reichen. Und für Birnengeruch.
Schön.

Sein Streicheln linderte den Schmerz des Mädchens, nicht nur den ihres Geistes, sondern auch den ihres Leibes, denn er bockte sie auf, dass sie vor Lust schrie und ihre harte Mutter vergaß.
Da hab ich lachen müssen, gibt es kein besseres Wort? Sie wird von ihm aufgebockt? Da sah ich vor meinem inneren Auge ihn, das Mädchen, einen Wagenheber [...].
Dein Schreiben lebt doch so von Atmosphäre, wenn ein Wort danebengeht, ist das fürs Leseerlebnis katastrophal.

Was für ein jämmerlicher Halt, denke ich, blicke in den Abgrund und lasse los.
Du boykottierst dein eigenes Bild. Jetzt erst lässt sie los? Jetzt erst fällt sie? Jetzt erst ist sie im Freien Fall? Irgendwie passt da doch was nicht? Fällt sie nicht seit der ersten Zeile?

blicke auf die Haut meiner Hand, die mit Wundmalen übersät ist
Gut für sie, dass sie sich mit ihren eigenen Narben ausgesöhnt hat.

Mein Kopfkino lief nicht ohne Pannen ab, für einiges muss ich mir wohl selber die Schuld geben (du kannst ja nichts dafür, dass ich vorgefasste Ideen habe, welche Gefühle und Bilder mit dem Freien Fall zusammenzuhängen haben).

Und ich hätt's wirklich gern ein bisschen blutig am Ende gehabt. Mönsch, du schreibst doch Horror ... ;)

LG,
MG

Edit: Wg dem blutigen Ende - das ist nicht, weil ich mich an Blutbädern aufgeilen möchte oder so. Oder zumindest nicht nur :D
Aber im Moment ist die Geschichte so süßlich, also süß und deshalb schal, wie die tröstenden Erinnerungen vom Mann im Fell. Vielleicht liegt es daran, dass du so eine wunderschöne Sprache anstrebst, das wird mir dann einfach viel zu viel. Wenn der Frau am Ende der Kopf abgerissen würde, dann hätte das so einen aufrüttelnden Effekt. Aber wenn der Inhalt so FriedeFreudeEierkuchen aufgelöst wird, dann wird mir das schnell kitschig.
Diese Stelle mit dem "er bockte sie auf", im Grunde genommen finde ich dieses Muster perfekt, poetische Sprache und märchenhaft und bäm von einem Satz auf den anderen rough sex - das ist ein unerwarteter Bruch. Sowas find ich toll. Das Verb sollte ein andres sein, aber ansonsten funktioniert das.

 

Hallo Novak,

Mothman und Möchtegern haben meine wichtigsten Kritikpunkte schon zur Sprache gebracht: Diese sieben Sekunden. Ich habe gerätselt, was damit gemeint sein könnte. Zuerst dachte ich an die Schallgeschwindigkeit, aber mein Taschenrechner hat mich belehrt, dass man nach sieben Sekunden im freien Fall etwa 250 km/h erreicht, während die Schallgeschwindigkeit bei etwa 1235 km/h liegt. ;)
Außer dieser sachlichen Unstimmigkeit fand ich die Sprache an vielen Stellen künstlich. Mit dem Bemühen, einen guten und grammatikalisch richtigen Stil zu schreiben, wächst vielleicht die Gefahr, das zu sehr mit dem rationalen Verstand zu tun. Manche Beschreibungen erwecken den Eindruck, dass sie wie echte Literatur klingen wollen:

Menschen schwanken mir entgegen, ich will sie stützen, gehe auf sie zu, bis ich an ihren Gesichtern merke, dass ich es bin, die schwankt.

Vom Raucherzimmer schwappen Laute herüber, lösen sich auf, bevor die Worte mich erreichen.

Mein Blick streift ängstlich den Abgrund, der unter dem Strichmännchen wartet, nur nicht hineinschauen, huscht weiter, ahnt ein Netz von Linien, sie müssen nur gezeichnet werden.

u. v. a.

Und die Erzählperspektive: Die Ich-Erzählerin schiebt gleichsam einen Filter zwischen das Geschehen und das Erlebnis des Lesers.

Und etwas Doofes: Ich hatte den Eindruck, bis der namenlose Mann mit dem Pelzmantel auftaucht, geschieht in dem Text nichts. Meiner Meinung nach würde der Text gewinnen, wenn er an der Stelle beginnen würde, an der die Protagonistin sich bewusst wird, dass sie den Mann am Nebentisch anschaut.

Trotzdem finde ich den Text auch in dieser Form gut. Die Moral, dass das Kleben an Erinnerungen, an einer verklärten Kindheit, an Menschen von früher, die Angst nicht heilt, sondern nur betäubt, das finde ich stark.
Auch die Namenlosigkeit des Mannes, der Fellmantel und das Blut. Alles sehr schön.

Freundliche Grüße,

Berg

 

Hallo Novak.

„Sie sehen ihn?“, fragt er. Seine Stimme klingt sanft.
„Was meinen Sie, Ihren Fingernagel oder den Pelzmantel?“
„Den Mantel, nur wenige sehen ihn. Und die folgen mir.“
„Idiot“, sage ich leise, „sieht man mir die Einsamkeit so an?“ Doch dann blicke ich auf den Bleistiftstumpf, zahle und gehe ihm hinterher. Alles ist besser, als zuhause zu sein, wo der Mann mit den Erklärungen die Koffer packt.
Die Stelle ist wirklich stark. Da steckt viel drin. Zum einen, er bemerkt ihre Einsamkeit, er weiß, das es ihr schlecht geht und sieht deshalb seine Chance - sie ist leichte Beute für ein. Zum anderen versucht er auch gar nicht sich zu verstellen. Er setzt sich nicht zu ihr und macht auf besorgt, liebenswürdig, einfühlsam. Er sagt, dass Frauen, die ihn bemerken, ihm folgen. Das ist nicht mal eine Aufforderung, das ist eine Tatsache. Er ist sich da total sicher, er weiß er hat sie. Er läßt ihr auch keinen Freiraum.
Und das wirklich harte ist ja, sie weiß das. Sie weiß, der nutzt mich nur aus, ich kenne ihn überhaupt nicht und er will mich mitnehmen. Und trotzdem geht sie mit. Weil selbst eine beschissene Erfahrung immer noch gut genug ist, um ihren eigentlichen Schmerz zu überdecken. Sie versucht den Mann zu Hause für eine kurze Zeit aus dem Bild zu drängen, indem sie diesen Felltypen reinstellt.
Hier dachte ich, das wird richtig gut. Aber für mich hast du dann die falsche Abzweigung genommen. Du rutscht dann in dieses Seltsame, Märchenhafte rein.
Du hast dieses körperliche Ausnutzen, sprich Sex, nur am Rande drin, das mit dem Küssen. Und der Rest ist dieser Mantel. Das ist für mich ein die weichgespülte Version. Du ersetzt die direkte Version durch Symbole. Hast quasi einen Weichzeichner drübergelegt. Anstatt bei den harten Vorgängen zu bleiben. Für mich wäre es besser gewesen, er würde sie einfach flach legen, oder es zumindest versuchen und ihr nicht diesen Mantel anbieten.
Das hängt damit zusammen, wie ich das Thema der Geschichte sehe - wie weit geht diese Frau, um ihre Einsamkeit zu kaschieren. Übrigens glaube ich nicht, dass der Mann mit den Koffern der eigentliche Grund ist, die Einsamkeit scheint da viel tiefer zu stecken und der Koffermann auch nur eine Ablenkungsmaße. Sie ersetzt ihren Ersatz durch einen anderen Ersatzt, oder versucht es zumindest. Erkennt am Ende aber, dass das nicht funktioniert. Dass diese Männer keine Lösung sind für ihr Problem.
Ich weiß, das führt jetzt alles von deiner Geschichte weg, die du hast bzw. ist eine ganz neue. Und für die anderen funktioniert die auch wie sie ist. Ich wollte nur versuchen zu erklären, weshalb ich bei der Geschichte zwiegespalten bin. Den es gibt gute Stellen:

Wie viel Zeit braucht man, um den freien Fall zu erreichen? Sieben Sekunden? Mir genügte ein Satz. Gemurmelt von einem Mann, der sich entschlossen hatte, seine Liebe wieder einzupacken in den Koffer, der vor ihm stand. Dann splitterten meine Gedanken.
Die hier etwa. Obwohl ich da den Rest des Absatzes nicht so stark finde. Aber das hier ist ein guter Einstieg. Da wird mit wenigen Sätzen viel aufgebaut.

Menschen schwanken mir entgegen, ich will sie stützen, gehe auf sie zu, bis ich an ihren Gesichtern merke, dass ich es bin, die schwankt.
Das ist fast schon überzeichnet, aber es funktoniert.

Ich muss lachen, als ich mir vorstelle, wie unsinnig es ist, sich ausgerechnet daran festzuhalten.
Das ist gut, das bricht das Tropfenbild, bewahrt es vor dem Kitschvorwurf und verleiht im trotzdem Tiefe.

Mit der linken Hand taste ich nach meinem Bleistift, ich muss die Linien in ihrem Gesicht malen, unbedingt, vielleicht rieche ich die Oma dann. Es ist nur mit der linken Hand, aber für Lachfalten wird es reichen. Und für Birnengeruch.
Auch das hier ist gut. Zu korrigieren, anzupassen was man geboten bekommte, weil es nicht reicht oder nicht richtig ist.

Noch eine Sache:
Dieses Märchen zwischen drin. Also, ich weiß nicht, ob du da nicht über erklärst, ob es überhaupt gebraucht wird für die Geschichte. Ich glaube, die funktioniert auch so. Außerdem rechtfertigst du so den Mann - es ist der Fluch, der ihn zwingt, es ist nicht seine Entscheidung. Sprich er wird vom Täter zum Opfer. Aber vielleicht lese ich da schon wieder was rein, was du nicht wolltest.
Abgesehen davon, du würdest dir einen Ausbruch aus der Perspektive ersparen.

Ich hoffe, du kannst was mit der Kritik anfangen.

Gruß,
Kew

 
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Hey Novak,

Es ist nicht so meins, glaub ich. Zum einen find ich es anstrengend. Irgendwann dacht ich mir so: Okay, das verdammte Fell ist plüschig, ich glaub ich habs verstanden. Mir fällt es jetzt schwer, hier in die Materie zu steigen, und die Figuren analysieren, was hier was bedeutet und so, einfach weil, ja …
Ich hab ein bisschen das Gefühl, du bist einfach voll durchgedreht und abgegangen irgendwann. :) Du hast dich treiben lassen, du beschäftigst dich viel mit dem Schreiben, warst ein bisschen schreibtrunken, und hattest einfach viel Freude daran, hier die einzelnen Sätze und die langen Beschreibungen zu erschaffen, und es sind auch wirklich schöne Sätze und Beschreibungen, da möchte ich ein paar klauen, und dann hier noch ein Märchen, und alles bisschen seltsam, und es macht total Spaß und ist cool und so. Da ist so die Erfahrung, man raucht einen Joint und erlebt dann alles voll intensiv, die Farben, und der Regenbogen, und die Musik ist irgendwie im Kopf drin, und alles fühlt sich gut an, und probier mal von der Schokolade, Novak, probier mal, schließ die Augen und lass das auf der Zunge zergehen, ist das nicht der Wahnsinn, Baby? Und jetzt zum Vergleich, ein Stück Roque-Fort Käse, ist das nicht unglaublich? Spürst du das? Ist das nicht der beste Käse ever? Komm, wir verrühren beides in einem Topf, geile Idee, was? Hier noch bisschen Salz und Pfeffer, hier noch eine Chilischote. Mann sind wir kreativ, haha, das wird so gut, ey … so gut.
Und am Morgen schmeckt das irgendwie nicht mehr ganz so gut.

Oder vielleicht eine musikalische Metapher für dich: Jimi Hendrix. Er hat diese ewig langen psychedelischen Gitarrensolos .. die so krass gut sind scheinbar. Und ich mag halt eher Foxy Lady und Purple Haze und Little Wing.
Und der Text hier ist halt eher eines seiner Solos, find ich.
Oder vielleicht bin ich auch zu straight im Kopf, weil ich nie Acid versucht hab, ich weiß nicht. Also ich hab jetzt hoch gescrollt, und es ist viel geschrieben worden zur Intention und Gefühle und klar hast du da irgendwas verarbeiten wollen, hattest Gefühle und Ideen, die aufs Papier wollten, aber die Form ist so einfach nicht wirklich meins. Ich find man kann schon total abgespacete Sachen machen auch, das geht schon, aber das muss echt gut sein, und sich ieneinander fügen auch, hier gibst du so arg bei den Beschreibungen Gas. Bei mir kommt kurz Spanung bei den Dialogen, aber das drifetet dann ins Nichts auch … also spannend ist es schonmal nicht – und dann wird es immer ein schwierig mit einem Text. Ich mein, es passiert halt nichts. Da bewegt sich nichts. Da ist keine Handlung. Wie gut muss ein Text, in dem nichts passiert, sein, damit der fesselt? Sehr schwer.
Ich find der Stil, der eignet sich für Erotik gut. Also wenn du, statt dem Fell oder der Oma oder dem Tisch, irgendwas anderes so ganz detailliert zum Besten geben würdest … Oder meinetwegen was echtes halt und nicht diese Linien. Diese komischen Linien immer … und Stadtmauern ... so Sachen, die uns normalerweise nicht wirklcih interessieren halt.

Die Wände sind mit Bierdeckeln tapeziert. Linie an Linie, rund, rot und weiß, vereint sich zu einem Muster, dessen Sinn mir verschlossen bleibt

Welcher Sinn hier? Was hast du da erwartet?


In der Wohnung will ich nicht bleiben, da steht der Mann mit den Worten, die mich stürzen ließen.
Auf der Straße greife ich an die Wand eines Hauses, streiche über rauen Putz und fühle die Brüchigkeit der Mauer. Mein Blick wandert hinauf zu Balkonen, an denen Fahnen hängen. Was wohl passiert, wenn sich einer der Töpfe löst? Das Gefühl, alles hören zu können, selbst das Flüstern des Mannes hinter mir, der sich über die Hausschuhe an meinen Füßen wundert, wird immer stärker. Nur wenn man ganz schnell geht, entkommt man dem Hören und Wispern. Menschen schwanken mir entgegen, ich will sie stützen, gehe auf sie zu, bis ich an ihren Gesichtern merke, dass ich es bin, die schwankt.
Ich zähle Türen und Fenster, verspreche mir, wenn zehn und dreißig aufeinanderträfen, kehrte ich um, riefe an, verabredete mich mit irgendeinem, mit dem ersten besten, der Zeit hat.
Das sechzehnte Fenster gehört zur zehnten Tür. Es sind die Fensterfluchten, die mich genarrt haben. Auslagen voller Menschen, die vom freien Fall nichts wissen. Davor Stuhlreihen und Tische, Augen, die mich mustern und verfolgen, während ich an ihnen vorbeiziehe. Die zehnte Tür steht offen. Keine Fensterflucht, nur eine kleine Kneipe mit einem Raucherabteil und Musik.

Das Innere ist dunkel, ein paar Tische formen ein Fünfeck, nur einer ist besetzt. Vom Raucherzimmer schwappen Laute herüber, lösen sich auf, bevor die Worte mich erreichen. Die Wände sind mit Bierdeckeln tapeziert. Linie an Linie, rund, rot und weiß, vereint sich zu einem Muster, dessen Sinn mir verschlossen bleibt. Ich setze mich an einen Tisch, fahre mit den Händen über die narbige Holzplatte, bis der Wirt mir etwas zu trinken bringt und ein Stück Papier. Bleistiftkringel entstehen darauf, als kopierten die Wände sich selbst, Linie an Linie folgt, wird zu Ecken, Tischen, Türen, schnell und schneller. Nur so erfasse ich den Sinn des Falls, ich muss ihn zeichnen. Und dann ist es gewiss: Ich bin allein. Wie heißt es in einem Gedicht? „Wer jetzt allein ist, wird es lange bleiben.“ Manchmal lebt man ein Gedicht. Nur dass Rilke sich geirrt hat, es ist nicht Herbst, wenn der freie Fall kommt, es ist Sommer.

Ich nippe an meinem Bier und zähle die Tropfen, die an dem Glas hinabrinnen. Immer nur an das denken, was man sieht und hört, wenn man stürzt, sonst nichts. Und niemals in den Abgrund schauen. Halt dich fest an dem, was du siehst, auch wenn es ein Tropfen ist. Ich muss lachen, als ich mir vorstelle, wie unsinnig es ist, sich ausgerechnet daran festzuhalten. Dennoch zeichne ich es. Eine kleine Figur, die an einem Tropfen zappelt, der aus einem Roy-Lichtenstein-Wasserhahn quillt. Mein Blick streift ängstlich den Abgrund, der unter dem Strichmännchen wartet, nur nicht hineinschauen, huscht weiter, ahnt ein Netz von Linien, sie müssen nur gezeichnet werden. Strich an Strich, eine Rundung mit der Andeutung einer Halsbeuge und immer wieder Linien, dicht an dicht. Lass ihn warten, den Abgrund, zeichne das Netz, es fängt dich auf, rettet dich vor dem freien Fall. Bis ich sehe, was ich wirklich gemalt habe. Kein Netz, sondern die Kleidung des Mannes am Nebentisch.


Okay ... was passiert hier? Frau geht in eine Bar, und sieht einen Mann. Und alles dazwischen ist so Atmosphäre bisschen Feeling und so. Ich hab grad Bukowski vor kurzem gelsen, der geht ständig in Bars. 50 Mal im Roman oder so, und das, was du da beschreibst, sind höchstens vier Sätze bei dem, wenn überhaupt. Ich glaub bei ihm wär die ganze Geschichte zwei Absätze. Okay, das ist jetzt ein anderes Extrem, daran sollte man sich nicht orientieren. Aber ich finds grad lustig, es aus der Perspektive zu betrachten – es ist eine Bargeschichte. Frau geht in Bar, trinkt was, lernt Mann kennen, bisschen quatschen. Also ich find die Sprache schon gut, aber wie gesagt, es ist wohl insgesamt nicht so meins.

MfG,

JuJu

 

Hallo Novak,

endlich mal 'n Schnitzel ;)

Mir hat die Geschichte sehr gut gefallen, weil sie - jedenfalls für mich -, etwas, das auf der träumerisch symbolischen Ebene geschieht in die Sprache des Intellekts übersetzt. Es ist mir das geistige Analogon dieser "Das Magische Auge" Stereogramm-Bücher, bei denen man sich ein zweidimensionales Bild erst nah vor das Gesicht halten und dann mit unfokussiertem Blick von sich wegschieben muss - aufeinmal formt sich ein dreidimensionales Gebilde. Es klappt nicht immer und nicht sofort, man muss sich drauf einlassen und üben, aber dann wirkt es.

Besondes gut gefallen hat mir der märchenhafte Einschub, in dem diese mysthische Figur aus nahezu realistischen Impulsen geformt wurde. Die erfüllte Liebesbeziehung, die entstellt wird durch ihre Ventilfunktion. Das Rastlose, nach dem Verschwinden der Liebe und das zwanghafte Wiederholen von Mustern, die einmal Erfüllung bedeuteten, nun aber nurnoch so tun als ob. Da ist in wenigen Sätzen viel wahres skizziert, finde ich. Nur hätte ich einen Hexenmeister gewählt statt einer Zauberin, die Vaterfigur scheint mir weibliches Sexualverhalten häufiger zu bestimmen und würde die Vertreibung des "Rivalen" intuitiv erklären.

Das "Aufbocken" hat mir auch gefallen. Weniger wegen der sexuellen, sondern der technischen Assoziation. Das macht man in einer Werkstatt. Gibt schonmal einen Hinweis auf das Schicksal des werdenden Tröstermannes.

Wäre es eigentlich möglich, dass der Tröstermann unter Gynäkomastie litt? Beim ersten Lesen erwartete ich keine typische Männerbrust im Weg des Tropfens. Vermutlich wegen den hellen Spitzen, dem lilanen Fingernagel und dem vermischten Haar der Liebenden.

Auch das Haar konnte seinen vollen Symbolkreis ausschöpfen: Liebe, Zauberei, Kraft, das Urtümliche... gesteigert noch durch den Pelz, dem warmen, dichtbehaarten... die ursprünglichste Version, mit all seinen Anspielungen... und dann wird genau daraus ein künstlicher Gegenstand gemacht, ein Ding, das man ausziehen, anziehen und herumreichen kann. Das alles noch als Fluch. Instrumentalisierte Körperlichkeit. Das fand ich echt gut.

Schön fand' ich auch den ersten Dialog, der hatte Spannung. Die übrige Aktion der Geschichte erscheint mir irgendwie als Gerüst um die Mechanik hinter dem Tröstermann zu erklären und die Ablehnung desselben durch die Zentralfigur in Worte zu packen. Nötig, um es zu erzählen, aber für mich ohne Nährwert. Die Situation der Frau und ihr Bleistift hätten mir gereicht, aber ich bin da auch etwas eigen. :)

Das Ende war mir etwas zu... weiß nicht, da finde ich keinen spontanen Zugang. Vermutlich wegen der Wundmale und dem Blut, das ist mir zu christlich. Wieder hätte mir der brechende Bleistift gereicht, dessen unterbewussten Malereien erst das Netz, der Pelz entsprang.

Auch die Betrachtung der eigenen Haarbälge.. da bekam ich kein klares Bild. Meinst du die dunkleren Eckpunkte der Rhomben, aus denen unsere Felderhaut besteht, wo die Haare an die Oberfläche kommen?

Am Anfang würde ich die "sieben Sekunden" streichen. Der freie Fall ist nicht an eine Zeit gebunden, sondern an das Vorhandensein von Vakuum. Wenn da nur steht "wie lange braucht man, um den freien Fall zu erreichen?", dann ist man noch im Gedankenspiel. Man weiß durch die Sinnlosigkeit der Frage, dass nichts physikalisches gemeint ist und wird neugierig. Wenn direkt danach nochmal etwas technisch/physikalisches kommt, verliert es irgendwie diese Triebkraft... dann denkt man über den "echten" freien Fall nach und das passt dann nicht.

Wie oft kann man von einem Watt abbeißen? ^_^

Danke für die Geschichte und liebe Grüße,
Alaglast

 
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Hallo,

das ist erst mal für alle, mich hat es leider gesundheitlich ziemlich umgehauen, so dass ich mich momentan mit dem Kommentieren und dem Antworten schwer tue. Ich erledige die noch ausstehenden individuellen Antworten nach und nach, denn ich will nicht einfach schnell was hinschreiben, sondern gescheit und in Ruhe antworten.

Ich muss sagen, ich bin völlig verblüfft über die Vielzahl der schnellen Rückmeldungen, und gleichzeitig sehr dankbar für die umfangreiche und gründliche Beschäftigung mit der Geschichte, die Kritik und die Hinweise und die Begründungen. Mir hilft das wirklich sehr und ich habe gemerkt, wie froh ich bin, dass ich hier in diesem Forum schreibe.

Ich fand es deswegen so bemerkenswert, weil ich ja hier etwas Neues ausprobiert habe. Und da ist man ja sehr angewiesen auf Rückmeldungen, man will ja für sich klären, ob einem etwas gelingt oder ob es Schwierigkeiten gibt. Und an welchen Punkten man ansetzen kann, um die Geschichte zu verbessern oder für das weitere Schreiben zu lernen.
Klar bin ich da froh über das Lob, das ich bekommen habe, Lob ist immer klasse und motiviert und beflügelt. Ich bin aber genauso dankbar für die Rüffler und für die Klarheit und Ehrlichkeit, mit der Dinge bemängelt wurden. Ihr hättet ja auch einfach nur lesen und denken können, „Mann, hat die Novak aber einen Scheiß verzapft“, das ist ja viel einfacher, man muss nichts begründen und gar nichts, denkt sich einfach nur seinen Teil. Und ich hätte die Gründe für das Missfallen nie erfahren.
Und dass ihr geschrieben und begründet habt, das fand ich klasse. Begründungen zu finden, wenn man etwas nicht so gut findet, das ist ja schwer, das weiß ich ja selbst und am Ende wird man noch um weitere Begründungen oder Beispiele gebeten, wie ich wissbegieriger Mensch das ja fast immer tue.
Ich fand es auch klasse, Juju, dass du geschrieben hast, auch wenn du es so ziemlich von oben bis unten durchtränkt blöd fandest, ich fand das irgendwie richtig gut. Du hast zwar mit 50% deiner Einschätzung komplett daneben gelegen, mit der anderen aber was getroffen. Welche Hälfte das wohl ist? Verrat ich jetzt noch nicht. :D
Wie auch immer, es hilft einfach beim Einschätzen der Geschichte und dabei, wie man als Schreiber weiter verfahren kann.

Um für mich ein Fazit zu ziehen: Mir ist beim Sichten der Kritiken aufgefallen, dass ungefähr 50 % der Kommentierenden die Geschichte ganz gut bis sehr gut finden, die andere Hälfte sagt, „Meine Güte, Novak, was hast du da gemacht?“.
Ich könnt mich ja jetzt hinstellen und sagen, wie geil, die Geschichte polarisiert. Ist aber einfach nicht mein Ding. Denn: Wenn das so auseinanderklafft, kann ich mich nicht allein auf eine Geschmacksfrage oder unterschiedliche Intentionen zurückziehen, sondern dann hat das was mit der Geschichte, ihrer Konstruktion und ihrer Sprache etc. zu tun. Und: Man willl ja nicht nur mit der Geschichte 50% der kommentierenden Leser erreichen, sondern wenigstens den größen Teil. Klingt vielleicht vermessen, und es hat sicherlich auch seine Grenze an dem, was man selbst will, aber man schreibt ja für Leser, sonst könnte man es sich zuhause an die Wand hängen.
Wenn ich mal die kritischen Punkte Revue passieren lasse, dann schauts wohl so aus, dass immer mal wieder in Variationen das Künstliche, Gewollte der Sprache (bis hin zum Kitsch, knirsch, wer will schon Kitsch) moniert wurde, z. B. von euch, Möchtegern , Berg und Juju, bezogen auf bestimmte Punkte auch von Quinn (die Sprache des Fellmannes) und Mothman (ich solle ans vorwärts schreiben denken) oder Fliege. Und das schrieben mehr oder weniger alle, die Probleme mit der Geschichte hatten, egal ob sie die Idee nun grundsätzlich vielleicht sogar ganz gut fanden.

Ich habe lange hin und her überlegt, woran das wohl liegen kann, dass die Sprache hier so sehr thematisiert wird. Zu allererst hat das natürlich seinen Grund darin, dass ich hier ja tatsächlich das Traumatisierte, Geschockte der Frau und ihre traumartige Auseinandersetzung sprachlich versucht habe nachzuvollziehen, da schießt man vielleicht mal übers Ziel hinaus.
Zum anderen aber , und das scheint mir das Entscheidende zu sein, habe ich eine prinzipiell künstliche, surreale Situation mit Kunstfiguren (so nannte Fliege das) beschrieben, was ja einige von euch auch am Wickel hatten: Quinn, der moniert hat, dass ihm die Frau völlig fremd bleibt, Kew, der die Direktheit der Situation durch Symbole ersetzt sieht und dann Schreck lass nach, meine Geschichte als Fellmantelersatz sieht (weichgespülte Version).

Viele andere haben, da war ich ähnlich verblüfft, unterschiedliche Geschichtenverläufe angedacht. Da hab ich mich gefragt, wieso diese Geschichte auf einmal zu so vielen alternativen Verläufen einlädt, das ist ja sonst nicht so.

Dass der Fokus hier deutlicher als sonst auf meiner Sprache liegt und sich viele eine Geschichtenalternative zurechtdenken, das kann ich mir im Nachhinein nur so erklären, dass es mit dem Inhalt der Geschichte zu tun hat.
Es ist eine Kunstsituation oder surreale Szenerie. Und das scheint eine ausgesprochen schwierige Sache zu ein. Da darf wohl kein Sprachfetzchen falsch sitzen , zu blumig sein oder ein Symbol zuviel auftauchen. Vielleicht ist es sogar so, dass die Kunstsituation geradezu dazu einlädt, eigene Handlungsverläufe zu ersinnen, weil sie eine gewisse Beliebigkeit zu haben scheint?
In einer Geschichte, in der die Figur durch die Charakterzeichnung einem nahegekommen ist, verzeiht man eine etwas blumige Sprache (ich glaub, ich hab die nämlich sonst auch) wohl eher, weil man als Leser von der Figur und der Handlung getragen wird. Selbst ein kleiner Durchhänger darf da passieren. Man wird dann vielleicht einen Ablauf unlogisch finden oder das Ende monieren, weil es stärker sein könnte, oder eine Figur könnte noch ein wenig mehr herausgearbeitet werden, aber das sind dann Sachen, die mit der konkreten Geschichte zu tun haben.
Hier steht alles unmittelbar auf dem Geschichtentablett hinpräsentiert, wird durch keine Identifikation mit einer Figur zusammengehalten, es ist im Prinzip eine einzige Sitiation, und entweder mag man es als Leser sowieso ein wenig surreal, oder es muss schon alles sehr stimmig sein von Sprachbildern, Ausführlichkeit, Symbolismen undundund her.

Es war für mich ein Versuch, ein Experiment. Und: Achtung, kann schon sein, dass ich sowas oder Ähnliches auch nochmal probiere. Und ich freu mich dann genauso wie jetzt über ehrliche Kritik.
Aber beim nächsten Mal wird ich wohl eher wieder zu einer Horrorgeschichte zurückkehren und das probieren, was ich auch am liebsten lese, nämlich mich um eine spannende, unterhaltsame Geschichte bemühen, mit echten Figuren, die man sympathisch oder auch zum Kotzen findet. Da hab ich genug zu tun.

Diese Geschichte hier mag ich sehr, aber sie hat wie gesagt auch einige Makel, denn sie hat Wirkungen hervorgebracht, die ich absolut nicht erreichen wollte, bei zu vielen Leuten.
Ich möchte sie daher auf jeden Fall etwas kürzen,
- also sprachlichen Zierrat, der in die übertriebene Ornamentik geht, rigoros rausschmeiße, auch diejenigen von euch, die die Geschichte gut fanden, haben ja einzelne Sätze angemerkt, die für sie für die Füß warn.
- Die Sprache des Fellmannes überarbeiten.
- Die Physik des ersten Satzes werd ich schönen und bessern, Alaglast hat mir da ja zum Glück schon einen Tipp gegeben.
- Vielleicht schaffe ich es auch, den Widerspruch zu bereinigen, den Möchtegern entdeckt hat.

Ansonsten werde ich an der Geschichte wohl nichts ändern, also keine Frau charakterlich ausmalen und auch kein neues Ende entwickeln oder Handlungsverläufe umgestalten oder so. Bin dazu noch zu nah an der Geschichte. Und es würde ja auch etwas anderes werden. Wenn der eine oder andere für meine Überarbeitung noch Beispiele findet, die er zu süßlich oder unnötig findet, es würde mich echt freuen.

Was ich mir vorstellen kann, das ist, dass ich irgendwann mal mir einige der Ideen, die ihr zu den Geschichten ersonnen habt, schnappe und daraus dann was Neues mache mit dem Gerüst meiner Geschichte, also der unglücklichen Frau und dem Fellmann, ohne so sehr in die Symbolik oder ins Märchenhafte zu gehen, aber so ganz vergessen möchte ich es vielleicht auch nicht. Mal sehen. Mit Anteilen aus dieser Geschichte, aber eben was ganz Neues.

Vielen Dank euch allen noch einmal für Lob und Kritik und Klarheit und Ehrlichkeit.
Liebe Grüße
Novak

 

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