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Fregmusch und die Polonäse der Verpisserkönige

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Fregmusch und die Polonäse der Verpisserkönige

Ben Jockisch

Fregmusch und die Polonäse der Verpisserkönige

Wenn Fregmusch einen Kopf hätte, würde ich ihn ihm abreißen.
Solche drastischen Methoden halte ich durchaus für angebracht, aber wie gesagt, er hat ja keinen Kopf. Nicht mehr.
Seit dem Ende der Party.
Aber das ist eine längere Geschichte. Da ich ohnehin gerade genug Zeit habe, werde ich sie erzählen. Egal, ob Sie sie hören wollen oder nicht. Vielleicht ist sie ja nicht das Papier wert, auf dem sie gedruckt ist. Wenn Sie das glauben, dann verpissen Sie sich gefälligst. Für solche Leute verschwende ich nicht meine Zeit.
Das wäre ja noch schöner.
Nagut!
Wo fange ich an...
Ungefähr dreißig leere Bierdosen liegen in einer verstopften Toilette und auf diesen Haufen wurde hinterher sorgfältig erbrochen.
Nein, noch ein bisschen früher...
Mit Urin gefüllte Wasserbomben treffen auf diverse Menschenköpfe, platzen auf und verstreuen ihren Inhalt überall im Wohnzimmer.
Nein, noch vorher...
Irgend jemand hat eine Qualle mitgebracht und verschmiert sie an der Wand.
Nein, so geht das nicht, ich muss am Anfang beginnen.
Wenn Sie jetzt noch dabei sind, dann sind Sie offenbar interessiert.
Nagut!
Fregmusch wollte also diese Party geben. Ich meine, dass ist ja an sich nichts besonderes. Wenn man es aber anstellt wie Fregmusch, dann fällt es doch ein wenig aus dem Rahmen. Er hat nämlich einige große, aber vermeidbare Fehler begangen, die einem echt niemals unterlaufen sollten. Aber nagut, Fregmusch kennen Sie ja gar nicht. Sie müssen sich einen sehr, sehr... fällt mir doch das Wort nicht ein... adrett. Jawohl, adrett. Sie müssen sich einen sehr adretten jungen Mann vorstellen. Ungefähr zwanzig Jahre alt und so um die eins achtzig groß und schwarzes Haar und das reicht als Beschreibung, ich will mir ja hier nicht den Mund fusselig reden. Außerdem interessiert es wahrscheinlich sowieso keinen, wie Fregmusch vorher ausgesehen hat. Fregmusch war ja ohnehin nicht sein richtiger Name. Fregmusch war sein Spitzname, aber fragen Sie mich bitte nicht, wie der zustande gekommen ist.
Das wäre viel zu kompliziert zu erklären.
Aber nagut!
Fregmusch hatte da also diese Wohnung. Sehr... adrett. Sehr... beschaulich und... so. Normalerweise würde Fregmusch ja niemals eine Party geben, dazu war er viel zu... scheiß Adjektive... viel zu... weiß nicht. Wollte er halt nicht. Traute er sich nicht oder so. Hat er jedenfalls in den fünf Jahren, in denen ich Fregmusch kannte, nie gemacht. Hätte er auch lieber mal bleiben lassen sollen, hähähähä.
Oh, Verzeihung, mir wird gerade schlecht, Moment.
...
So, ich glaube, jetzt geht's wieder.
Nagut, also weiter.
Fregmusch, ich nenn ihn jetzt mal Freg, das mochte er zu Lebzeiten gar nicht, wollte also diese Party geben, weil es dazu diesen immens wichtigen Anlass gab, der mir jedoch gerade entfallen ist. Freg sagt also zu mir, "Schorse", sagt er, denn so heiße ich, "Schorse, du musst mir bei der Organisation helfen."
Womit wir beim ersten großen Fehler wären, den er begangen hat.
"Schorse", sagt er, "hilf mir bitte beim Verteilen der Einladungen."
Nagut, sage ich, gib mir'n Stapel und ich verteile sie, bin ja schließlich dein Kumpel.
"Dankeschön im Voraus, sagt Freg und lächelt, "das wird bestimmt ein schöner Abend."
Ja, ganz bestimmt, sage ich und nehme den Stapel Zettel von ihm entgegen. Der Stapel war mickrig klein. Es waren ungefähr zehn Einladungen und Freg hatte noch mal zehn, die er selbst verteilen wollte. Er hätte sie doch lieber auf dem Postweg verschicken sollen. Großer Fehler, aber nagut. Auf jeder Einladung war oben in der Ecke ein Name und eine Addresse mit Bleistift geschrieben. Der Text war sehr schlicht gehalten und mit lachhaften Sätzen in der Art von Ich würde mich freuen, wenn ihr alle kommen würdet, oder Ich hoffe, ihr bringt gute Laune mit, oder Für Speis und Trank ist gesorgt gespickt. Die komplette Addresse von Freg stand natürlich auch noch drauf. Außerdem war da noch dieser Enorm wichtige Anlass, der mir nun mal leider gerade entfallen ist.
Nagut.
Ich nehme die Zettel also mit und gehe nach hause. Dort setze ich mich an meinen Schreibtisch, nehme ein Radiergummi zu Hand und Radiere den Namen aus der Ecke der obersten Einladung weg. Dann nehme ich einen Edding zur Hand und verziere die Einladung ein wenig. Ich male ein paar Penisse drauf und schreibe groß folgende Sätze in die Lücken zwischen dem restlichen Text:
Fregmusch gibt `ne Riesenparty!
Eintritt frei!
Freibier für alle!
Freischnaps ebenfalls!
Was zum Fressen gibt`s auch!
Stripshow!
Wenn ihr nicht kommt, verpasst ihr die Party des Jahrhunderts!
Bringt alle eure Freunde mit!

Dann fällt mir noch ein cooles Zitat aus einem alten Asterix-Comic ein und ich füge ganz unten noch hinzu:
Orgien, Orgien, wir wollen Orgien!
Zufrieden schaue ich mir mein Werk an. Danach habe ich so ungefähr zehn Minuten gelacht.
Sie müssen wissen, ich kann mir jetzt gerade, wo ich das erzähle, das Lachen auch nur mit Mühe verkneifen. Aber nagut, so ist das Leben halt. Ich muss jetzt noch mal kurz einen Schluck Bier zu mir nehmen, Moment.
...
So, Fertig. Die scheiß Dose ist leer und im Kühlschrank ist auch nix mehr. Bevor ich neues holen gehe, erzähl' ich aber besser mal weiter, sonst haben Sie sich noch still und heimlich verpisst, wenn ich wiederkomme. Mir fängt's nämlich langsam an, Spaß zu machen. Das Erzählen, mein ich. Passen sie also auf, der lustige Teil kommt nämlich erst noch.
Nagut, wo war ich.
Ach ja, ich schau mir also mein Werk an und lache. Dann nehme ich die restlichen Einladungen und fackele sie eine nach der anderen mit meinem Feuerzeug ab. Ich nehme mein Kunstwerk und gehe runter zum Copyshop in der Göbelstraße, ja die heißt wirklich so, und dort mache ich von meiner verbesserten Einladung fünfhundert Kopien. Ich kaufe mir noch eine Dose Reißzwecken und eine Rolle Tesafilm und mach mich auf einen Rundgang durch die Stadt. Ungefähr zwanzig Stück pinne ich an Bäume im Stadtpark. So circa fünfzig Stück hänge ich an diverse Straßenlaternen in der Innenstadt und noch mal achtzig im Umkreis von ein paar Kilometern. Einige habe ich in Geschäften aufgehängt, nachdem ich vorher artig um Erlaubnis gefragt hatte. Ich glaube, die haben die Penisse übersehen. Eine ganze Menge Zettel landen gefaltet hinter Scheibenwischern von Autos, die ganz besonders abgewrackt ausgesehn haben. Den weniger wohnlichen Bezirken unserer Stadt... wie hat sie mein Vadder immer genannt... ach ja, soziale Brennpunkte, also den sozialen Brennpunkten hab ich einen gesonderten Besuch abgestattet und meine Einladungen gewissenhaft an Junkies, Penner, Nutten und sonstige zwielichtige Gestalten verteilt.
Aber das reichte natürlich noch nicht.
Die restlichen Einladungen habe ich wahllos in Briefkästen gesteckt oder in der Fußgängerzone als Flyer verteilt. Ein paar habe ich in der Kirche unter die Pfarrbriefe gemischt. Einige wollte ich der Zeitung geben, damit sie als Werbebeilage mit der nächsten Ausgabe ausgeliefert werden, aber das war mir zu teuer. Bei meinem Vadder im Laden habe ich eine Menge der Zettel in diversen Packungen für Lebensmittel und sonstigen Kram gesteckt. Einige der Leute, die sich einen der aktuellen Bestseller aus dem Buchladen kaufen, haben auch ohne es zu wissen eine meiner Einladungen mitgekauft, die in dem Buch gelegen hat. Manche der Zettel habe ich auch aus Langeweile an heliumgefüllte Luftballons gehängt oder in eine Flaschenpost gesteckt.
Aber das war noch nicht genug.
Die letzten zehn Einladungen habe ich dann als Kettenbriefe versandt, die jeder, der einen erhielt, dreißig mal Kopieren und an dreißig Freunde verschicken sollte, denn jeder der das versäumen sollte, würde spätestens drei Tage später vom Blitz getroffen oder von der Mafia entführt und in Säure aufgelöst werden.
Das war nun fast perfekt, aber das Tüpfelchen auf dem W, nein auf dem I waren die E-Mails und SMS-Handy-Nachrichten, die ich mit dem Hinweis "Unbedingt an alle, die du kennst weitersenden" versehen habe. Dann konnte ich mich zufrieden zurücklehnen und auf den kommenden Samstag warten.
Ach ja, an Fernsehwerbespots hatte ich natürlich gedacht, aber wer sollte das denn bezahlen!
Nagut.
Die folgende Woche war lustig, denn ich hab meine Zettel überall rumfliegen sehen.
Am Freitag frage ich mich, ob meine E-Mail-Nachricht schon Paraguay erreicht hat, und ob die Leute von da auch kommen werden. Vermutlich müsste da erst einer meine Nachricht übersetzt haben, denn an Ausführungen in verschiedenen Sprachen habe ich natürlich nicht gedacht.
Nun, niemand ist vollkommen.
Hähähähä.
Oh, tschuldigung, ich musste nur gerade lachen.
Na, wie fanden Sie's bis hierher? War doch eigentlich noch gar nix. Aber ich will Sie nicht so lange auf die Folter spannen und weitererzählen. Nur meine Kehle ist so trocken ohne Bier. Hab aber doch keinen Bock, jetzt welches zu holen. Ich mach lieber weiter.
Nagut.
Am Samstag gehe ich sehr früh zu Fregs Wohnung, da ich nix verpassen will. Nicht um alles in der Welt.
"Hi Schorse, schön das du kommst", sagt Freg und grinst irgendwie... äh... verlegen, "Es ist zwar erst drei, aber so kannst du mir beim Schmücken helfen."
Das war der zweite große Fehler, den Freg begangen hat. Natürlich helfe ich ihm gerne. Er hat Girlanden. Er hat Luftballons. Er hat bunte Lampen und Luftschlangen. Mein Gott, er hat sogar Tischkärtchen, die anzeigen, wo wer sitzen soll. Mir hat er einen Platz neben sich selbst zugewiesen, wie nett. Ich helfe ihm, alles so zu schmücken, das es möglichst nach Kindergeburtstag aussieht und frage mich, wann Freg auf seiner letzten Party war, und wie er die Zeit dazwischen überlebt hat. In der Küche finde ich zwei gemischte Kästen Cola/Fanta/Sprite/Zitronenfanta (die niemand mag)/grüne Fanta/rosa-Schwuchtel-Fanta vor, außerdem einen Kasten Cola Light Koffeinfrei, ein paar Fruchtsäfte, drei Flaschen Mineralwasser und etwas ganz gewagtes: einen Kasten Alkoholfreies Bier. Freg will heute offensichtlich echt einen draufmachen. Junge, Junge, das wird der lustigste Abend meines Lebens. Auf dem Kühlschrank steht ein Tablett Fleischbällchen mit kleinen Fähnchen unter durchsichtiger Plastikfolie, ein Teller Käsehäppchen und zwei Torten bereit. Nagut, denke ich und bediene mich ausgiebig bei den Fleischbällchen, was Freg anscheinend überhaupt nicht bemerkt. Es sieht auch so aus, als hätte er in der vergangenen Wochen keine einzige der leicht abgewandelten Einladungen in der Stadt gesehen. Entweder er lässt sich nichts anmerken oder er liest derartige Zettel aus Prinzip nicht, auf jeden fall ist es um so besser, wenn er nichts ahnt. Der Spaß wird dann nur noch größer sein. Als ich satt bin und Freg gerade nicht hinsieht, spucke ich auf die restlichen Fleischbällchen, die Torten und den Käse. Ich gerate in Versuchung, in die Fantaflaschen zu pinkeln, aber das ist mir dann doch zu riskant. statt dessen stelle ich unauffällig den Kühlschrank und das Eisfach ab, drehe die Heizung in der gesamten Wohnung hoch, verteile einige Messer und Gabeln zwischen den Möbelstücken und verstecke einige mitgebrachte Gegenstände wie mein berüchtigtes Furz-Spray, ein Dutzend Gummipenisse, Kunstkotze, Knallkörper, eine halb volle Flasche Buttersäure (die ich mal vor Jahren in der Schule aus dem Chemieunterricht geklaut habe), und einige besonders ausgefallene Pornohefte aus meiner umfangreichen Sammlung überall in der Wohnung.
Freg wirkt glücklich und zufrieden und voller Vorfreude.
Er merkt garnix.
Nagut.
Um fünf klingelt es an der Tür. Freg ist etwas verwundert darüber, doch er macht trotzdem auf.
Vor der Tür stehen circa zehn Leute, die weder ich noch Freg jemals in unserem Leben gesehen haben. Das einzige was sie sagen, ist: "Geht's schon los?"
Sie sind abgewrackt. Einige haben Punk-Haarschnitte und passende Kleidung. Außerdem haben sie zwei große, schwarze Hunde dabei. Nicht zu vergessen einige fast leere Pullen Hochprozentigen Alkohols.
Fregmusch ist verwundert und versucht seinen ungebetenen Gästen zu erklären, dass sie sich in der Party geirrt hätten, doch ich gehe dazwischen und behaupte, dass die Leute vor der Tür Bekannte von mir wären, denen ich von der Party erzählt hätte. Dabei zwinkere ich den ungebetenen Gästen unauffällig zu. Ich mache Freg klar, dass es auf ein paar Leute mehr oder weniger nicht ankommt und dass auf jeder Party einige Typen auftauchen, die nicht eingeladen sind, das sei ganz normal.
Freg lässt sie schließlich widerwillig herein.
Das war der dritte grosse Fehler, den er begangen hat.
Von nun an macht nicht mehr Freg die Tür auf, wenn es klingelt, sondern irgendwer.
Die Punks wundern sich kurz über die Girlanden und Luftballons, stürzen sich aber dann sofort auf das karge Büfett und essen meine bespuckten Leckerbissen unter den besorgten Protesten von Freg auf, den sie einfach ignorieren. Als sie bemerken, dass das Bier Alkoholfrei ist, fangen sie an, lautstark Freibier zu fordern. An der Tür klingelt es. Einer der Punks macht den Kühlschrank auf. Ein anderer beschwert sich über die Hitze. Einer der Hunde kackt unter den Tisch im Wohnzimmer. Die Tischkärtchen fliegen zum Fenster raus.
So hatte ich mir das in etwa vorgestellt.
Es kommt aber noch besser.
Wollen Sie das eigentlich wirklich alles wissen?
Aber jetzt werden Sie sich wohl ohnehin nicht mehr verpissen, also werde ich bis zum bitteren Ende weiter erzählen.
An alles kann ich mich natürlich nicht mehr erinnern, denn mir selbst hatte ich natürlich Alkohol mitgebracht, aber ich glaub' ich werde trotzdem nicht an Details sparen.
Nagut.
Also, ich sage dem hilflosen Freg, dass ich zur Tür gehe und lasse vier mir völlig unbekannte, minderjährige Mädchen rein, die mir erzählen, dass draußen auf der Straße schon einige Leute "vorglühen" und gleich raufkommen werden. Außerdem fragen sie mich, wo das Bier sei. Ich schicke sie in die Küche und höre gleichzeitig einen Aufschrei von Freg, der den Menschenauflauf vor seinem Fenster (er wohnt im vierten Stock) entdeckt hat. Der Kasten alkoholfreies Bier fliegt durch das geöffnete Fenster und verfehlt draußen nur knapp einen betrunkenen Proll, der herumschreit: "Das schöne Bier, das schöne Bier". Die Hunde stecken mit den Köpfen im verlassenen Kühlschrank und scheinen zu fressen. Zwei Punks schauen sich eine Talkshow im Fernsehen an, in der es um Opfer von Überfällen geht. Zwei andere, brechen auf, um Bier zu holen und den Leuten auf der Straße zu raten, sich auch welches zu besorgen. Die Schlafzimmertür steht offen und einige Kissen fliegen von dort aus auf den Flur, in einer Wolke aus Federn. Die Mädchen sind nirgends zu sehen. An der Tür klingelt es und irgend jemand macht auf. Freg versucht vergebens, den Schaden zu begrenzen und sein Aquarium wegzuschaffen, was für eine Katastrophe natürlich geradezu prädestiniert ist. Weitere Leute, ungefähr zwanzig, stürmen die Wohnung und wollen wissen, wann die Stripshow anfängt. Joints werden herumgereicht. Zigarettenkippen schwimmen im Aquarium. Noch mehr Leute kommen rein, da die Tür jetzt offen steht und beschweren sich, dass Freischnaps angekündigt sei, doch Leute behaupten, es gäbe gar keinen. Irgendwo in der Wohnung klirrt etwas. Jemand trägt einen Kasten Bier rein, gefolgt von einer Schar überschminkter, dicker Mädchen in Miniröcken. Auf dem Teppich sehe ich einen meiner Gummipenisse liegen, die ich versteckt habe. "Schorse!" ruft jemand, den ich kenne, und wir setzen uns in eine Ecke und unterhalten uns, wobei ich die Wohnung weiter im Auge behalte, damit mir nix entgeht. Draußen vor dem Fenster höre ich Motorräder aufheulen. Jemand hat endlich den CD-Spieler entdeckt und eine Party Hits '95 - CD angemacht, die circa zwanzig Sekunden läuft, bevor sie aus dem Fenster fliegt. Ein Kerl den keiner kennt ruft nach draußen, dass jemand gute Musik holen soll. Eine meiner Einladungen flattert auf dem Fußboden herum und Freg hebt sie auf, starrt sie an und wimmert ungläubig, bevor er von irgend jemandem aufs Sofa gezerrt wird, der ihn mit einem Trichter und einer Flasche Korn abzufüllen versucht. Einer meiner Knallkörper geht offenbar in einem Schrank los. Teller fliegen in hohem Bogen gegen die Zimmerdecke. Einer der Hunde versucht, mich abzulecken. Irgend jemand hat Kaffe gekocht und reicht ihn herum. Ich gehe mit meinem alten Kumpel in die Küche und der Boden ist mit einem unidentifizierbaren Schleim aus ehemaligen Lebensmitteln bedeckt. Es riecht nach Rauch. Eine Flasche Baileys wurde in der Mikrowelle heißgemacht. Ein fetter Kerl trinkt die rosa Fanta. Die restlichen Flaschen sind verschwunden. Ich überlege mir, dass ich vielleicht doch hätte hineinpinkeln sollen. Die Wohnung ist brechend voll und draußen sind immer noch Leute, die reinwollen. Ein Skinhead taucht aus der Masse auf und verschwindet wieder. Ein ungefähr fünfzig Jahre alter, bärtiger Mann versucht, mit einem der minderjährigen Mädchen zusammen Dosenstechen zu machen, wobei er eins der Messer benutzt, die ich überall versteckt habe. Ein anderes der Messer schwingt gerade ein völlig besoffener Kerl, der versucht, einen anderen, der ihm überhaupt nichts getan hat, abzustechen. Er schreit immer wieder: "Ich kill dich, ich kill dich, ich kill dich". Keiner geht dazwischen. Es interessiert einfach keinen. Ich amüsiere mich prächtig. Ungefähr zwanzig Bierkästen wurden inzwischen hereingebracht und mehrere Paletten Karlsquell machen die Runde. Es ist unerträglich heiß, doch niemand findet die Ursache dafür heraus, alle schwitzen fürchterlich. Jemand hat eine CD von Cannibal Corpse aufgelegt und einige Leute fangen trotz der Enge an, zu moshen. Ich glaube, einer der Schränke ist umgekippt. Eine der Zimmerpflanzen brennt. Eine der Torten klebt an der Wand, die muss von den Punks übrig gelassen worden sein. Ich sehe keine Spur von Freg. Jemand hat auf den Flur gekotzt und die Kotze ist blau. Mittendrin liegt ein Fisch. Das Bad ist abgeschlossen und daraus erklingen Stöhngeräusche von mindestens fünf verschiedenen Personen. Ein Fixer hockt in der Kotze auf dem Flur und Spritzt sich irgendwas und eins der kleinen Mädchen sieht ihm dabei zu. Jemand hat offenbar eine Nutte bestellt, denn sie fragt mich, wer ihr Kunde sei. An einer der weißen Tapeten im Flur klebt Blut. Irgend jemand hat eine Qualle mitgebracht und verschmiert sie an der Wand im Schlafzimmer, das ansonsten von Leuten nur so überquillt. Weiß der Geier, wo jemand eine Qualle herbekommt. Das Aquarium steht auch im Schlafzimmer und die Fische sind tot und schwimmen mit dem Bauch nach oben. Die Wasseroberfläche ist bedeckt von Zigarettenkippen und Brocken von Kotze. Ein Schuh schwimmt auch noch darin. Jemand schreit nach Meskalin. Ein anderer ruft nach einem Arzt. Auf dem Boden vor mir liegt eine zertretene Kuhglocke. Die Asche von Girlanden und Luftschlangen bedeckt den Boden. Mehrere Leute haben in den Flur gepisst. Ein Mann mit einem Blauen Auge und einer Blutigen Nase geht an mir vorüber. Ich bilde mir ein, dass ich einen Typen mit einer Taucherausrüstung gesehen habe. Ich finde eine der Fantaflaschen wieder und sie ist mit brauner Flüssigkeit gefüllt. Es riecht nach Tränengas. Mehrere Schnapsleichen liegen herum, um die sich keiner kümmert. Ein Mädchen hat sich die Pulsadern aufgeschnitten und läuft aus der Wohnung. Einer der Punks kommt an mir vorüber und starrt mich aus eingefallenen Augen an. Sein Gesicht ist blass wie das einer Leiche. Irgendwann jetzt muss jemand auf die Idee mit den uringefüllten Wasserbomben gekommen sein. Ein Kerl mit einem völlig psychopathischen Gesichtsausdruck wirft sie anderen gegen den Kopf und der Inhalt spritzt durchs Wohnzimmer. Einen Moment sieht es so aus, als läge ein Finger am Boden, doch jemand kickt das Etwas weg, bevor ich es genauer erkennen kann. Eines meiner Pornohefte liegt auf dem Teppich und ist voll mit getrocknetem Blut. An den Wänden klebt weißes Zeug. Ein paar Spritzen stecken in den Töpfen der Zimmerpflanzen. Violetter Rauch quillt aus dem Schlafzimmer. Im Wohnzimmer ist es bereits leerer und einige Verrückte haben den Tisch zerhackt und machen daraus ein Lagerfeuer. Unbenutzte LSD-Trips und Ecstasy-Pillen liegen über die Couch und den Boden verstreut. Ich glaube, dass ich irgendwo draußen Polizeisirenen höre. Das Gerücht geht um, dass sich die Nachbarn beschwert haben. Ein anderes Gerücht geht um, nach dem die Nachbarn tot seien. Jemand sticht jemand anderem mit einer Gabel das Auge aus. Ein Mädchen schreit hysterisch herum. Freg ist nirgends zu entdecken. Ich sehe einen der Hunde sich winselnd am Boden wälzen. Das Mobiliar scheint sich beträchtlich reduziert zu haben. Dinge brennen. Leute schreien unverständliches Zeug. Ein Frettchen huscht vorbei. Einer der Fische aus dem Aquarium fliegt mir gegen den Kopf. Schreie. Rauch. Lachen. Noch mehr Schreie. Jemand hängt alle Türen aus. Rauch. Schreie. Meine Buttersäureflasche scheint zerbrochen zu sein und eine fluchtartige Bewegung zur Tür beginnt. Alle hauen ab. Mir wird schwindlig und ich taumele. Die Reihe der Leute, die sich durch die Tür zwängen, sieht aus wie eine Polonäse. Alle verpissen sich. Die Polonäse der Verpisserkönige. Mir wird fast schwarz von Augen und ich falle hin und um mich herum verschwimmt alles und ich lache und lache und lache und lache und dann
...
Nagut.
Das wars jetzt fast.
Nur das noch.
Ich wache auf in einer großen Lache aus Zeugs, von dem ich lieber nicht wissen will, was es alles ist. Mir ist schlecht und alles ist verwüstet. Mir geht das Wort Polizei durch den Kopf und ich frage mich, wo sie gestern war und ich freue mich, dass sie nicht gekommen ist, denn die Bullen hätten bloß alles verdorben. Ich stehe auf und meine Kleidung ist total zerfetzt. Das Wohnzimmer ist irgendwie nur noch schwarz und grau, mit ein paar bunten Flecken darin. Ich gehe zum Klo, um zu kotzen, doch es ist mit Scheiße, Bierdosen und Kotze total verstopft. Ich kotze statt dessen in die Dusche, in der Fregs kaputte Stereoanlage und ungefähr tausend leere Bierdosen liegen. Den Rest des Bades sehe ich mir sicherheitshalber nicht so genau an. Nach dem Kotzen geht es mir wieder besser, ich rutsche nur fast auf einem gebrauchten Kondom aus, das auf den Fliesen liegt. Ein perfekter Abend gestern, geht mir durch den Kopf. Ich frage mich nur, wo Freg steckt, damit ich ihm zu der gelungenen Party gratulieren kann. Ich suche ihn überall in der Wohnung und finde ihn schließlich im Schlafzimmer.
Sein Kopf ist ab.
So, das war's jetzt aber echt. Scheint so, als sei der gute Fregmusch der einzige gewesen, der auf der Party keinen Spaß gehabt hat. Aber hey, das ist halt das Risiko des Gastgebers. Damit muss man rechnen. Ich hab mich natürlich so schnell es geht aus der Ruine von Fregs Wohnung verpisst und bin pfeifend nach hause gegangen. Ich habe mich quasi nachträglich der Polonäse angeschlossen.
Sie werden sich nun natürlich fragen, wer Fregmusch das angetan hat. Aber das weiß ich auch nicht. Man kann ja schließlich seine Augen nicht überall haben. Sich den Kopf abschneiden zu lassen war Fregmuschs vierter und größter Fehler in Zusammenhang mit dieser Party.
Ach ja, was meinen ersten Satz betrifft: Wer so viele unverzeihliche Fehler macht, dem muss man einfach den Kopf abreißen. Verdientermaßen.
So, ich hoffe meine kleine Geschichte hat Ihnen gefallen und Sie haben vielleicht die eine oder andere Lehre daraus gezogen. Wenn nicht, ist mir das scheißegal und Sie können sich sofort verpissen.
Warum haben sie das dann eigentlich nicht schon vorhin gemacht?
Aber jetzt haben sie sich den ganzen Kram angehört. Selber schuld.
Nagut, jetzt muss ich wirklich Schluss machen.
Ich gehe mir nämlich jetzt ein Bier holen.

 

Was die Fäkalsprache angeht, stimme ich Dir voll und ganz zu. Da shabe ich auch nicht anders aus der Geschichte rausgelesen.

Wenn du die erste Hälfte mal anlesen möchtest, kann ich sie dir ja schicken, wenn du willst.
Stelle Dir jetzt bitte einen jungen, sympathischen Studenten aus der verregneten Nicht-Hansestadt Hannover vor, welcher freudig die Arme in dir Luft hebt, sich freut und sagt "Wenns denn sein muß..."

Im Ernst, ich würde mich da wirklich sehr drüber freuen. Meine MailAdresse müßte im Profil stehen, schick mir, was Du hast, ich les es und vielleicht schreib ich Dir sogar, was ich davon halte... :D

 

Mach ich. Ich schick dir mal die ersten Kapitel.

Und jetzt zurück zur Story...

 

Jau Ben,
gerne komm ich zurück zu deiner Story.
Gnoebel sei Dank, dass er den Maulwurf gemacht hat und sie ausgegraben hat.
Eigentlich ist schon so ziemlich alles gesagt, so dass ich dir nichts Neues an Lob schreiben kann, was mich ehrlich betrübt.
Ich kann dir nur sagen, was mir besonderen Lesespaß bereit hat, nämlich immer die Passagen, in denen Schorse so lakonisch daherredet, das klingt einfach göttlich und die Stellen, in denen er aus der Geschichte aussteigt und eigentlich immer aufhören will, sie weiter zu erzählen. Da ertappt man sich als Leser, dass man unruhig wird und sich denkt: nein, er wird doch nicht jetzt grad aufhören?!?
Absolut gelungene Geschichte.
Danke für die mir verschaffte Kurzweil Ben.

Gruß lakita

 

Hi Ben,
lese Deine Geschichten sonst wirklich gern (der Link zu den ersten Kapiteln Deines Buchs funktioniert wohl zur Zeit leider gar nicht :( ), aber dem Jubel der kritiken kann ich mich hier nicht so richtig anschließen...

Dem mag durchaus die Perspektive des weiblichen Humors zugrunde liegen :heul: (s.o.) - aber unabhängig davon, dass ich nicht so viel lachen konnte, finde ich diese Alltags(?)-Geschichte wirklich schwer zu lesen. Der Dialog des ich-erzählers mit dem Leser wirkt sehr aufgesetzt und nimmt mE dem Text an Spannung - außer es war die Intention zu nerven ...

Erinnert mich daher ein bisschen an Alphas "Überlebenstechnik für Zyniker" - und hätte auch insgesamt wohl gut in den Challenge "Texte, die anmachen" gepaßt!

Der Sinn einer Aufzählung an den Haaren herbeigezogener Sauereien bleibt mir allerdings irgendwie verschlossen - auch hier: eher mühsam als witzig und für mich daher ein wenig sinnleer..., oder?

"Überleg" - :confused: :confused: :confused: :confused:

Sinnleer war wohl Sinn, oder so ... Hilf einer treuen, doch Deinem Hurmor unwürdigen Leserin mal auf die Sprünge ...

Gruß
K.

 

Hi Kay Nexion.

Schade, dass du's nicht mochtest, aber jedem gefallen kann, soll und muss es gar nicht. Ich bin immer dankbar für andere Blickwinkel. :)
Nur tu ich mich immer ein wenig schwer, auf Verlangen des Lesers den "Sinn" zu erklären. Jeder Leser hat da so seine ganz eigene Vorstellung von "Sinn", und wenn man mit einer Story nichts anfangen kann, wird auch die Erklärung des Autors nicht viel bringen.

Ach ja, die Seite mit dem Wettbewerb, wo mein Buch online stand, ist vom Netz, wie's aussieht. Ich hab den Roman ohnehin nicht rechtzeitig fertig gekriegt, aber auch wenn ich es geschafft hätte, die Seite wäre ohnehin über den Jordan gegangen. Jetzt bin ich wenigstens nicht mehr unter Zeitdruck. :D

Gruß

Ben

[ 02.08.2002, 18:04: Beitrag editiert von: Ben Jockisch ]

 

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