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Der dritte Teil der Serie.
Frühstück in Woodstock
Woodstock, Vermont; Vereinigte Staaten
13. April 2020: 13:22 Uhr GMT (Ortszeit 10:22 Uhr)
Matt betrachtet die Baumstämme, auf denen die Tischplatte befestigt ist, streicht über die glattpolierten Wurzelreste. Die Sonne strahlt durch die Äste der Weide hindurch und wirft Schattenmuster auf Pancakes, Rühreier, Speck und auf das selbstgebackene Brot, das Gwendoline heute früh vorbeigebracht hat. Er liebt den Frühstücksduft hier auf dem Land, weil er sich sich mit dem der Wildnis vermischt, der von den Wäldern herüberweht. New York riecht nach Abfall und Staub.
Er hasst es, mit seiner Frau auf dem Land festzusitzen. Grace fällt ihm ein, ihre Haut aus Milch und Honig, der samtschwarze Hintern, die Zärtlichkeit eines Schmetterlings. Er lässt eine Extraportion Ahornsirup auf das Pancake tropfen, schneidet sich ein großes Stück ab, beißt zu. Matt hört, wie seine Frau etwas sagt und reicht ihr den Brotkorb. Sie nimmt sich das letzte Stück.
„Ich schneide gleich noch mehr ab", sagt er.
„Sehr lecker, das Brot.“
„Hätte gar nicht gedacht, dass Gwendoline backen kann.“
„Du hast Vorurteile. Sie versorgt jetzt die Nachbarschaft. “
„Eine Heldin der guten Taten, was? Ich mag sie nicht. Sie sieht wie ein Monster aus.“
„Irgendwann werde ich`s auch mit Botox probieren.“
„Scheiße, nein!“
„Übrigens schneide ich ihr morgen die Haare, hat ja kein Friseur mehr geöffnet.“
„Spinnst du?“
„Ich nehme Handschuhe.“
„Viel Spaß.“
„Den werde ich haben.
„Champagner?“
„Caiprinha!“
„Ich fahre morgen mit Bill zum Gun-Shop.“
„Spinnst du?“
„Man kann nie wissen.“
Evas Blick schweift umher. Sie sitzt dem Haus zugewandt. Säulen stützen die Veranda, das Weiß der Fassaden glänzt. Sie hat immer von einer Vom-Winde-verweht-Villa geträumt. Und von Kindern. Aber man muss Opfer bringen, wenn man zu Wohlstand kommen will. Was wäre, wenn sie wegen einer Schwangerschaft den nächsten Karriereschritt verpasst hätte? Bench-Marketing erfordert volle Hingabe. So ist das! Außerdem hat Matt die Lust verloren und denkt nicht daran Viagra zu nehmen. Wahrscheinlich hält er sich irgendwo ein Flittchen. Scheiß drauf! Er gehört ihr!
„Weißt du, wo meine Sonnenbrille ist?“
„Keine Ahnung, auf der Anrichte liegen welche, such dir eine aus.“
„Die mit den blauen Gläsern fehlt.“
„Wir hätten Lucy mitnehmen sollen.“
„Sie wird zurechtkommen.“
„In Manhattan sterben Menschen.“
„Oh nein, eher in Queens und Brooklyn. Upper East Side nicht. Irgendwer muss die Wohnung und das Büro in Schuss halten.“
„Wir hätten sie krankenversichern sollen.“
„Ach, quatsch. Wirst schon sehen. Geht alles in Ordnung.“
„Trotzdem.“
„Wo sie herkommt, ist man einiges gewöhnt.“
„Weil sie schwarz ist?“
„Nicht deswegen.“
„Was anderes. Hast du?“
„Ja, klar. Puts auf den Dow und NASDAQ. Und zwar rechtzeitig!“
„Wir könnten was spenden.“
„Für welche Organisation?“
„Irgendwas Soziales.“
„Mm, mal sehen. Ich habe schon paar Spendenquittungen.“
Der Cayenne parkt unter dem Carport. Er ist lackiert wie der Himmel in einer klaren Nacht. Matt denkt daran, wie sie ihn wahllos mit ihren Alukoffern beladen haben, bis er randvoll war. Vielleicht kann Lucy die Sonnenbrille herschicken. Er erinnert sich an die Fahrt. Auf dem Highway reihten sich die SUVs aneinander wie an einer Schnur. Der Regen klatschte an die Scheibe. Eva schlief und roch nach Chanel. Nach vier Stunden Fahrt kamen sie in Vermont an. Immerhin wärmten die Ledersitze. Der Hybrid beschleunigt aus dem Stand heraus in kaum 4 Sekunden auf 80 Meilen. Im Kofferraum lässt sich der Inhalt von drei Einkaufswagen mit Vorräten problemlos verstauen, rechnet er sich aus. Er muss dringend einen Termin mit Doktor Rosenbaum vereinbaren, um seinem Therapeuten Antworten zu entlocken. Aber der beantwortet die Mails nicht. Online sollte funktionieren. Nachdem sie die Koffer im Flur abgestellt hatten, fuhren sie zum Supermarkt. Im Safeway trafen sie Sarah und Mike und wären beinahe an ihnen vorbeigelaufen, weil der Laden brechend voll von New Yorkern war. Weil keiner zu spät kommen, die Regale leer vorfinden wollte.
„Wenn wir Lucy herholen, müssten wir nicht selbst kochen und aufräumen.“
„Wir finden hier eine Haushälterin, wart’s ab.“
„Ich bin ja kein Rassistin, aber ich mache mir Sorgen wegen ihrer Hautfarbe.“
„Eine farbige Frau aus Brooklyn. Na und?“
„Hier gibt’s keine wie sie. Bestimmt wird sie sich hier nicht wohlfühlen.“
„Kann sein. Hat sie eigentlich Kinder?“
„Drei!“
„Jesses.“
Eva steht auf, um die Online-Yogastunde nicht zu verpassen und berührt Matts Unterarm im Vorbeigehen für einen Moment.