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Follow the yellow Brick Road

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26.02.2003
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Follow the yellow Brick Road

“Das ist für Blinde“, sagt Yuki, als ich darauf deute und sie frage, was es damit auf sich habe. Mitten auf dem Gehsteig ist ein schmaler, gelber Streifen mit einem erhabenen Muster darauf, fünf Rillen, die sich der Länge nach erstrecken. Tokyo ist voll davon. Sie sind auf allen Gehsteigen. Sie führen über Treppen hinauf und hinab in U-Bahnhöfe. Enden exakt an den Punkten, wo sich die Tür des Zuges öffnen wird, wo eine Straße überquert werden muss, oder wo eine Treppe beginnt. An solchen Stellen warnt der fühlbare Pfad durch eine Veränderung des Musters. Punkte statt Streifen erzählen dem Wandernden von Hindernissen und Abweichungen.

Aufmerksam geworden betrachte ich meine Umgebung nun genauer, sämtliche öffentliche Beschilderung ist auch mit dem dazugehörigen Pendant in Blindenschrift versehen, ebenso die Knöpfe in den Aufzügen. Wir warten an einer Fußgängerampel auf das grüne Licht und Yuki zeigt mir Yen-Geldscheine. Darauf sind Punkte. Sie sagt, daran könne man fühlen, welcher Geldschein es sei. Ich versuche es, aber meine Finger ertasten kaum das Vorhandensein der Punkte, ebenso wie meine Füße nicht in der Lage sind den gelben Weg zu erfühlen. Ein Geräusch reißt mich aus meinen Versuchen in die Gefühlswelt blinder Menschen einzutauchen. Die Ampel spielt eine hübsche Melodie und teilt uns so mit, dass wir die Straße nun gefahrlos überqueren können. Kein stumpfsinniges Piepsen wie ich es von zuhause kenne. Endlich ein Zeichen das sogar ich, als Sehender, mit geschlossenen Augen deuten kann. Die Richtung, in die ich zu gehen habe, ist unverkennbar. Yuki amüsiert sich über mich, als ich versuche die Straße als „Blinder“ an ihrer Hand zu überqueren.

Nach meinem Urlaub in Japan komme ich am Schwechater Flughafen an. Das letzte Stück der Strecke zum Wiener Westbahnhof lege ich in der U-Bahn zurück. Und was sehe ich in der Station? Graue Fliesen auf dem Boden. Manche von ihnen haben Rillen. Genau wie in Japan bilden sie einen Weg, zwar nicht gelb, aber immerhin. Ich wusste nicht, dass es bei uns auch so etwas gibt.
„Muss man immer zuerst in ungewöhnliche Umgebung kommen um solche Dinge zu bemerken?“, denke ich, als mir auffällt, dass der heimische Blindenpfad in einer Wand endet.
Ein Versehen?
Ein Fehler?
Unwissenheit der Fliesenleger?

Wie auch immer, ich hoffe dass sich nie ein blinder japanischer Tourist hierher verirrt.

 

Hallo klara und Eva :)

freut mich, dass auch euch meine Geschichte gefallen hat.

Klara: naja, ich würde das ganze "komprimierte Realität" nennen. Es ist nicht so passiert wie in der Geschichte. Aber es ist passiert, mit zeitlichen Sprüngen ;)

Heli

 

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