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Fleischvögel und gebrannte Creme
Da hat er gehangen, am Querbalken der Scheune. Grossvater Alfred, von allen nur Ätti genannt. Die Erinnerung ist präsent, als hätte mir jemand ein Polaroid ans Hirn geklebt. Mit schiefem Kopf, die blaue Zunge seitwärts aus dem Mund, Augen nach oben verdreht. Schwarzer Anzug, weisses Hemd, Krawatte, glänzende Lackschuhe. Aus der rechten Jackentasche lugt ein Zettel heraus. Und zu beiden Seiten auf der Bockleiter – meine Eltern. Vater stemmte den leblosen Körper hoch, Mutter säbelte mit einem Küchenmesser am Strick herum. Ein rot eingefärbtes Hanfseil, dreifachverdrillt, ohne Zweifel das Seil vom Ätti. Selbst gefertigt, hing immer über der Drehbank in der Werkstatt, gleich neben dem Bild der Greta Garbo.
„Schau nur, Franz, eine grossartige Schauspielerin. Und die gleichen Augen wie dein Grosi Hanni“, sagte er damals, als ich ihm das Znüni brachte und dabei auf das Bild starrte. Das Hanni, auf ewig dem Ätti Alfred versprochen, war eine bodenständige Frau. Selbst als der Ätti mit ihr ins Stöckli zog und den Hof dem Vater überliess, half sie weiter bei der Stall- und Haushaltsarbeit. Eines Morgens stand das Hanni nicht mehr auf.
„Das Alter“, sagte der Arzt.
„Der Kummer“, sagte Mutter.
„Musste wenigstens nicht lange leiden“, sagte Vater.
Dafür litt der Ätti. Jeden Freitag tuckerte er auf seinem geliebten Hürlimann zu Hanni auf den Friedhof und danach auf ein Zweierli Roten in den Ochsen. Später fuhr er nur noch zum Ochsen, dafür täglich. Ein Zweierli reichte schon lange nicht mehr.
„Wenn der so weiter säuft“, meinte Vater, „dann kann er sich bald neben sein Hanni legen.“
Dabei war der Ätti schon einmal nahe dran. Beim Umladen im Futtersilo fünf Meter runtergefallen, das Bein zog er fortan etwas nach. Ein Kururlaub kam nicht in Frage. „Eher würde ich mich aufhängen“, hatte er bei der Rückkehr aus dem Spital gesagt und mit einer Krücke gegen den Dachbalken geklopft.
„Der versäuft noch seine ganze Rente.“
„Lass ihm doch die Ausfahrten“, meinte meine Mutter und stellte die geschwellten Kartoffeln auf den Tisch.
„So, aha, und wer hat dem Huber seinen Landschaden bezahlen müssen?“
Lange wurde im Dorf darüber gesprochen, wie der Ätti mit seinem Hürlimann den direkten Weg über Bauer Hubers frisch bestelltes Rapsfeld genommen hat, nur damit er nach seiner ausgiebigen Ochsentour nicht an der Polizeistation vorbei musste. Am anderen Tag verriet die Dreckspur zu unserem Hof, wem Huber den Schaden zu verdanken hatte. Huber tobte, hatte irgendetwas von Ernteausfall gepoltert, mein Vater hatte gezahlt und der Ätti bekam einen Monat Traktorverbot. Da ist er halt gelaufen, zum Ochsen. Mutter fand ihn anderntags schlafend auf dem Miststock, direkt neben den Hühnern.
***
Das Seil gab nach. Vom Gewicht überrascht, fiel Vater mit dem Ätti rückwärts ins Stroh. Ich stand wie angewurzelt am offenen Scheunentor.
„Hans, der Bueb!“
Vater schob den Ätti von sich weg und sprang auf die Beine.
„Franz, raus! Mach, dass du wegkommst.“
Ich starrte weiterhin auf den leblosen Ätti, der unförmig zwischen den Strohballen lag.
„Los, mach schon“, brüllte Vater und zeigte aufs Haus.
Ich konnte mich nicht bewegen, da knallte es auf meiner Backe. Laute Worte war ich gewohnt, die Ohrfeige war neu. Heute weiss ich, es war Hilflosigkeit. Ich rannte heulend ins Haus, warf mich aufs Bett und vergrub den Kopf in die Tagesdecke. Der Geruch war vertraut und beruhigend. Ein leises Klopfen und die Tür ging auf. Mama setzte sich neben mich und gleichzeitig spürte ich ihre Hand auf meinem Rücken.
„Tut mir so leid, Franz. Vater wollte halt nicht, dass du das mit ansehen musst.“
Ich fragte mich, wie die Ohrfeige dazu passte. Jedenfalls blieb es bis heute die einzige.
***
Ich war gerade unterwegs auf der A1 Richtung Zürich-Flughafen und drückte die Freisprechtaste. Es klingelte drei Mal, dann ein Knacken.
„Hallo Mutter! Wie geht es dir?“ Blick in den Seitenspiegel, rechts einordnen, runter vom Gas.
„Ja, geht schon, Bueb. Wir schlagen uns durch“, sagte sie mit aufgewühlter Stimme.
„Ich muss was mit dir bereden.“ Nicht mit euch, nein, mit dir, Mutter. "Geht es Sonntag?"
Mit gesetztem Blinker überholte ich einen schleichenden Lastwagen. Schlachtvieh. Auf der Seitenwand ein lachender Kuhkopf.
"Oh wie schön, ich mache Fleischvögel, und zum Dessert gibt’s gebrannte Creme, für dich extra mit frischer Niedle."
In Mutters Stimme schwang Bekümmerung mit. Wenn sie jetzt wieder wegen Vater anfing ...
"Vater ist etwas durcheinander, gestern waren wieder diese Herren vom Bundesamt für Strassenbau da."
Da war es wieder, das Magenbrennen, ich musste mir unbedingt noch etwas aus der Apotheke besorgen. Innerlich stöhnte ich auf und schloss kurz die Augen, nach dem Öffnen leuchteten vor mir dutzende Bremslichter. Das ABS ratterte, die elektronische Lenkhilfe behielt den Wagen in der Spur, Technik und Mensch verhinderten gemeinsam den Aufprall.
"Also gut, Mutter, Sonntag. Tut mir leid, aber hier ist grad sehr viel Verkehr."
"Oh, ja, natürlich, bis Sonntag, pass auf dich auf, Bueb."
Ein Knacken beendete unser Gespräch und aus den Lautsprechern erklang die Stimme einer fröhlichen Moderatorin. Ich drückte den Ausknopf.
***
Sonntag. Vor mir das offene Scheunentor.
Ich höre Vater kommen, sein Schlurfen hat die letzten Monate zugenommen. Seine Hose steht offen und ein Zipfel seines Hemds schaut heraus. Spärliche Haarsträhnen lugen aus seiner Mütze hervor. Einen kalten Stumpen im Mundwinkel, er ist alt geworden.
„Der Balken ist neu.“
Das helle Holz, der Rest Sägespäne, alles deutet auf kürzlich durchgeführte Zimmermannsarbeiten hin.
"Morsch. Musste ihn ersetzen. Nicht dass er mir noch auf den Kopf fällt."
Wie damals der Ätti. Schnell wische ich den Gedanken beiseite und so blicken wir weiter schweigend auf die Stelle in der Mitte des Balkens.
Sinnlos, denn der Hof steht seit langem im Weg, höheres Interesse und so. Der Staat baut seit längerem an der letzten Ausfahrt der A1, ein direkter Anschluss zum Stadion muss her, die Kosten steigen und der politische Druck wird immer grösser.
„Warum hast du ihn überhaupt noch ausgewechselt?“
„Morsch, hab ich gesagt. Dass du auch nie zuhörst. Aber das hast du ja noch nie ...“
Er dreht sich um und schlurft Richtung Haus davon, dabei brennt mir noch eine viel wichtigere Frage auf der Seele. Jetzt nur nicht den Moment verpassen, ich hole tief Luft.
„Warum hat sich der Ätti damals aufgehängt?“, rufe ich ihm nach, will nicht warten, bis wir in der Küche bei Mutter sitzen.
Vater schlurft weiter, dreht aber den Kopf leicht zur Seite.
„Hat es halt nicht verkraftet“, meinte er und zieht dabei die Schultern hoch.
„Was hat er nicht verkraftet, Vater? Hannis Tod?“
Jetzt steht er vor der Haustür, streckt die zitternde Hand Richtung Klinke, zögert.
„Oder hat er es einfach nicht mehr ausgehalten? Hat er vielleicht dich nicht mehr ausgehalten?"
„Red‘ keinen Blödsinn, komm rein, Mutter hat Fleischvögel gekocht.“ Damit stösst er die Haustür auf und quält sich über die Schwelle.
Ich schaue noch einmal zu dem frisch verbauten Balken, einen kurzen Moment sehe ich wieder die polierten Lackschuhe, darüber den Sonntagsanzug. Die Erinnerung machte mich schwindelig, Vaters Blick, die Ohrfeige, der Zettel aus Ättis Tasche. Vater hat ihn an sich genommen, als sie zusammen am Boden lagen.
"Ein Zettel? Keine Ahnung, was du meinst", pflegte Vater meine Fragen abzuwürgen. Vielleicht war es tatsächlich nur die Einbildung eines verschreckten Kindes.
Eigentlich will ich nicht ins Haus, will nicht wie früher zwischen Tisch und Wand sitzen, bis Mutter die Fleischvögel aufträgt und Vater nach dem Käse verlangt, dabei aber keinen Mucks duldet, denn im Radio laufen gleich die Zwölfuhrdreissig-Nachrichten.
Als Kind lebte ich gerne auf unserem Hof, obwohl die Arbeit nach der Schule hart war. Kühe treiben und melken, den Stall ausmisten und im Sommer bei dreissig Grad in der prallen Sonne auf den Wiesen das Heu umschichten. Aber es gab auch die schönen Seiten des Hoflebens, zum Beispiel als das Vreneli mitten in der Nacht kalbte und Vater mich dazu aus dem Bett holte. Er hatte feuchte Augen und ich durfte das Frischgeborene mit Stroh abreiben. Oder mit den Schulfreunden im Heu Verstecken spielen, der Karin den jüngsten Wurf Katzen zeigen und dafür einen Kuss ernten.
Es war in der sechsten Klasse, da mussten meine Eltern wegen irgendeiner Gerichtssache in die Stadt fahren und ich durfte im Nachbarhof bei Gublers zu Mittag essen. Ich hatte gerade einen gefüllten Teller vorgesetzt bekommen und begann, mir Erbsen in den Mund zu schieben, da rief Karins kleiner Bruder: "Mama, warum darf Franz schon essen?"
Herr Gubler schaute mich mit erhobenem Zeigefinger streng an, doch sein Lachen verriet, dass es wohl nicht ganz so schlimm war. Ich kaute verlegen auf meinen Erbsen herum und Karin grinste.
Als Frau Gubler ihre Schürze ablegte und sich setzte, riefen alle gleichzeitig: "Einen Guten miteinander." Und dann begann ein geschäftiges Treiben. Beat schaufelte in sich hinein und erzählte mit vollem Mund, wie der Max vom Lehrer einen Schwamm an den Kopf bekommen hatte, Karin schenkte mir Wasser nach und erzählte aus unserer Schulstunde, wie Herr Guggenbühl mit uns Knallgas herstellte und danach das ganze Zimmer nach faulen Eiern gerochen hatte. Karins Mutter lachte und der Vater schüttelte belustigt den Kopf.
„Irgendwann jagt der Guggenbühl noch das ganze Schulhaus in die Luft.“
Es war eines meiner schönsten Mittagessen.
Bei uns zu Hause ging es nie so fröhlich zu, kaum hatte Mutter den ersten Topf auf den Tisch gestellt, begann Vater zu essen, polterte irgendwelche Tiraden gegen die da oben in Bern, und Neuigkeiten gab es nur Punkt zwölfuhrdreissig aus dem Radio. Dann hiess es absolute Ruhe.
Erst nachdem Vater wortlos aufgestanden war und sich in der Stube aufs Sofa gelegt hatte, konnten Mutter und ich ein paar Worte wechseln. Doch da hatte die erzwungene Stille meine Gedanken bereits vernebelt.
Den Hof übernehmen, das wollte ich nie. Die Welt bereisen, das war mein Traum, all die Länder aus Mutters Gutenachtgeschichten. Ich bewarb mich als Reiseleiter, ganz zum Missfallen meines Vaters.
***
In der Küche riecht es wie damals. Ein Gemisch aus kaltem Stumpen und Bratfett. Wie von selbst bewege ich mich zum angestammten Platz, Vater sitzt an der Stirnseite und schiebt sich gerade eine Kartoffel zwischen die Zähne. Dazu presst er auf die Schale und fängt das Gelbe der Knolle mit dem Mund auf. Den Blick starr zum Fenster, das Radio auf dem Wandbrett in Griffnähe. Mutter eilt geschäftig zwischen Herd, Kühlschrank und Tisch umher, stellt die restlichen Speisen auf den Tisch, während Vater Käse schneidet. Kartoffeln und Käse genügten ihm, um satt zu werden.
Der aufkommende Novemberwind rüttelt an den Fensterläden. Schweigend, wie damals, essen wir vor uns hin, doch ich bin nicht mehr der kleine Bueb von damals und so lasse ich meine Gabel sinken und drehe mich zu ihm um.
„Vater. Wegen des Hofs musst du endlich ...“
„Ruhe, ich höre Nachrichten“, faucht Vater und dreht den Ton lauter.
Wir essen schweigend weiter und mit dem Schluss-Signet von Radio SRF1 schiebt Vater den Teller von sich, steht auf und verlässt die Küche.
Mutter setzt Kaffee auf, aus der Stube ertönt lautes Schnarchen und ich falle mit der Tür ins Haus.
„Ich verstehe einfach nicht, warum Vater den Hof nicht verkaufen will.“ Mutter räumt das Geschirr in die Maschine.
„Die Abfindung vom Bund ist doch recht grosszügig. Oder ist es vielleicht wegen dem Ätti?“
Beinahe wäre ein Teller zu Bruch gegangen.
„Dein Vater meint, kein Geld der Welt treibt ihn von seinem Hof.“
„Sturer Bock.“
„Franz!“
„Ist doch wahr. Der Ätti hätte das sicher nicht gewollt.“
„Sag nicht sowas, Bueb.“
„Warum hat er sich eigentlich damals aufgehängt?“
„Sei still, ich will nicht, dass du so über ...“
„Dann verkauft den Hof. Macht eine Weltreise, du hast dir doch immer gewünscht, die Welt zu sehen.“
„Ach Bueb, dein Vater ...“
„Ich weiss, der Hof ist sein alles. Aber was ist mit dir?“
„Mein Platz ist hier auf dem Hof, bei Karl.“
Die gebrannte Creme schmeckt komisch, vielleicht ist die Niedle ja sauer geworden.
Den Kaffee trinken wir schweigend, ich weiss nicht, wie ich den Faden wieder aufnehmen soll. Danach begleitet mich Mutter zum Auto. Vater lassen wir schlafen. Der Novemberwind frischt auf und treibt Blätter über den Innenhof. Ein Huhn flieht gackernd vor der jagenden Katze. Ein leichter Niesel setzt ein und lässt meine Brille beschlagen.
„Komm, steig ein, wir müssen darüber reden“, sage ich zu Mutter und öffne ihr die Tür.
Sie blickt mich erstaunt an, erkennt aber, dass ich es ernst meine.
Ich starte die Standheizung und drehe mich zu Mutter um.
Der bequeme Beifahrersitz meines Geländewagens scheint sie förmlich zu verschlucken, ihr Blick ist starr geradeaus gerichtet.
„Sie werden euch den Hof wegnehmen.“
„Ich weiss, aber dein Vater will halt nicht verkaufen.“
„Ist es wegen dem Ätti? Sag endlich, Mutter. Ich spüre doch, dass da mehr war als Kummer.“
Ihre Lippen zittern.
„Mutter?“
Die Tränen laufen nun ungebremst.
„Wir konnten doch nichts dafür. Erst die Sache mit dem Milchpreis, dann standen wir vor einem Berg mit Schulden, der Hof sollte sogar zwangsverpfändet werden, das hat der Ätti wohl nicht länger ...“
„Gab es einen Zettel, Mutter?“
Sie zieht ihr Taschentuch aus der Schürze und schnäuzt sich geräuschvoll.
„Vater hat ihn weggeworfen.“
„Was stand darauf?“
Sie sieht weiter geradeaus und beginnt zu rezitieren:
„Lieber Karl, liebe Fränzi. Macht euch keine Vorwürfe, ihr sollt den Hof nicht verlieren müssen. Deshalb gehe ich jetzt zu meinem Hanni und ihr könnt meine Lebensversicherung einlösen.
Alles Gute, Euer Ätti Alfred.“
Ich schlucke leer, mit einem Schlag verschiebt sich mein ganzes Weltbild. Alles erscheint mir in einem neuen Licht. Unser Hof, meine Eltern, der Tod vom Ätti.
„Aber, die Versicherung zahlt doch gar nicht bei … in solchen Fällen.“
Mutter wischt sich über die Augen und plötzlich wird ihre Stimme klar und fest.
„Wir haben ihn zurechtgemacht, ins Bett gelegt und dann Doktor Hofstettler angerufen.“
Ich lasse die Scheibenwischer laufen und sehe, wie Vater in der Tür steht. Mit einem frischen Stumpen zwischen den Zähnen schaut er ungerührt zu uns herüber. Kleine Rauchwölkchen steigen auf, werden vom Herbstwind verwirbelt.
„Ihr habt mich glauben lassen, der Ätti habe noch gelebt, nachdem ihr ihn vom Balken geschnitten habt.“
„Hat er ja auch, erst im Bett hat sein Herz aufgehört zu schlagen. Doktor Hofstettler hat den Brief gelesen, genickt und ohne zu Zögern den Totenschein ausgestellt. So konnten wir den Ätti würdig neben dem Hanni begraben."
Würdig begraben? Als ob sie dem Ätti sonst seine letzte Ruhestätte verwehrt hätten.
"Und die Versicherung?"
"Hat gezahlt, unser Hof war gerettet."
Schweigend starren wir vor uns hin, das Schruppen des Scheibenwischers ist das einzige Geräusch.
„Wir fliegen nächsten Monat nach Bali. Komm doch einfach mit?“ Keine Ahnung, was der spontane Gedanke gerade soll, aber es fühlt sich richtig an.
Mutter starrt durch die Seitenscheibe, dicke Tropfen ziehen ihre Bahnen und verschleiern die Sicht auf den Hof.
„Einfach mal die Sonne geniessen, am Strand spazieren. Wann warst du das letzte Mal am Meer?“
Sie dreht sich abrupt um.
„Aber Bueb, ich kann den Karl doch nicht alleine lassen.“
Ihr Blick lässt keinen Zweifel offen.
Ich lehne mich zu ihr rüber und nehme sie in die Arme.
„Schon gut, Mutter. Passt auf euch auf.“
Sie gibt mir einen Kuss auf die Backe und öffnet die Beifahrertür.
„Das werden wir. Schreib uns eine Karte aus Thailand.“
Ich starte den Wagen und rolle vom Hof. Im Rückspiegel sehe ich Mutter winken, Vater ist bereits verschwunden. Ein Schild bei der Abzweigung weist auf den Bau des letzten Zubringerstücks der A1 hin. Ich schüttle den Kopf und biege auf die Landstrasse Richtung Stadt ein.
Meine Gedanken sind gerade beim frisch gezimmerten Querbalken, als das Telefon klingelt. Ich schaue aufs Display und drücke die Freisprechtaste.
„Hallo Karin. Ja, ich bin auf dem Heimweg.“
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Glossar
Grosi = Grossmutter
Stöckli = kleineres Gebäude auf einer Hofstätte, das für die Altbauern errichtet wurde
Zweierli Roten = ein Glas (2dl) Rotwein
geschwellte = gekochte
Fleischvögel = Rinderrouladen
Niedle = Rahm
Miststock = Misthaufen
Znüni = Vesper zwischen Frühstück und Mittagessen