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Ficken ohne Ende
Die Männer vom Einsatzkommando hatten ihn aufgrund von Hinweisen mehrerer Personen, die voller Angst und mit flackernden Augen von markerschütternden Schreien im Bereich der Parkdecks berichteten, in der dritten Etage der Tiefgarage eines Einkaufszentrums gefunden und umstellt. Eine abgewetzte Cordhose, ein mit Blutspritzern besudeltes Hemd und eine Bermuda mit dem Aufdruck ‚Mickey Mouse is in the house‘ lagen in einem wirren Knäuel auf der verbeulten Motorhaube eines rostroten Pajero. Im Zuge der nachfolgenden Recherchen stellte sich heraus, dass er für ein paar Stunden in diesem Wagen auf der Lauer gelegen und wie ein hungriges und zu allem entschlossenes Tier auf seine Chance gewartet haben musste. Der Kopf des Mädchens war da schon mit gebrochenem Genick um neunzig Grad zur Garagendecke gebogen und zwischen den schweißüberströmten nackten Oberschenkeln des Mannes eingeklemmt. Zum Zeitpunkt des Polizeizugriffs brüllte er ohne Unterlass perverse Unflätigkeiten und Drohungen gegen die vorrückenden Männer, zog das lange Haar des leblosen Mädchenkopfes mit beiden Händen straff und stieß seinen Schwanz mit harten, ruckartigen Bewegungen seines nackten Beckens tief in ihren an den Seiten eingerissenen, blutigen Mund. Als ihn die Männer mit vorgehaltenen Waffen von dem ebenfalls völlig nackten Körper des Mädchens trennen wollten, erkannten sie, dass dieser Körper kein Lebenszeichen mehr von sich gab und das Mädchen bereits tot war. Ihre Arme waren hinter ihrem Rücken in der Höhe der Handgelenke mit einem breiten Ledergürtel festgezurrt. Sie lag mit dem Bauch in einer dunklen Lache getrockneten Blutes und ihre Beine waren unnatürlich weit gespreizt. Um die beiden Fußknöchel waren stählerne verschraubte Manschetten angebracht, die mit einer meterlangen steifen Stahlstange miteinander verbunden waren, die so zur grotesken Spreizung ihrer Beine beitrug. Ihre Körperöffnungen waren ein roter, undefinierbarer Brei. Sie rissen ihn von der Mädchenleiche weg, schlugen ihn wortlos keuchend und voller Abscheu mit Gummiknüppeln auf Kopf, Rücken und zwischen die Beine. Nach Minuten erst ließen sie von ihm ab. Das, was zitternd und heulend von ihm übrig blieb, warfen sie angewidert und voll von unaussprechlichem Hass in einen vergitterten Polizeiwagen, der mit grellem Sirenenton davonbrauste.
Sie hatte nie den geringsten Hauch einer Chance gehabt.
Sie war zweiundzwanzig, studierte Bauingenieurswesen und hatte sich ganz einfach in der Etage geirrt, während sie ihren Wagen suchte. Sie hatte bis zu diesem Zeitpunkt alles richtig gemacht. Sie hatte ihr Diplom fast in der Tasche, wie wir erfuhren – und wahrscheinlich dieses unglaubliche Selbstvertrauen von jungen Frauen, die ihre Ziele kennen und wissen was sie wollen. Sie hätte viel erreichen können und sie war wahrscheinlich der Typ, der es mit dem nötigen Quäntchen Selbstdisziplin immer geschafft hätte. Aber dann kommen aus dem Nichts diese unerklärlichen Ereignisse, die sich wie Tierspuren in der Wildnis kreuzen und einen nicht mehr loslassen, einen verändern, mit einem ungefragt irgendwelche Dinge tun, einen endgültig aus der Bahn werfen. Ich war bei diesem Einsatz als Schütze dabei und ich kann ihnen sagen, dass uns diese Sache ziemlich lange an die Nieren gegangen ist.
Sie müssen wissen, dass diese Art von Einsätzen unser tägliches Geschäft ist. Wenn die vielbeschworene Scheiße am Dampfen ist, dann holen sie uns und wir bringen den Job zu Ende. Es ist wie ein Feld bestellen und danach die Ernte einfahren. Unsere demokratisch gewählten Volksvertreter säen mit ihren selbstgestrickten Erlässen und Verordnungen den Boden, auf dem unsere Stadt gebaut ist und wir holen irgendwann die Früchte vom Feld, die keiner haben will, weil die eher zum Sondermüll und nicht in den Haushaltsplan unserer Stadtväter passen. Wenn ich es mir genau überlege, darf man nicht zu sehr darüber nachdenken, was da abgeht. Die Angst, die hinter alldem lauert, darf nicht Oberwasser bekommen, aber mit den falschen Gedanken kommt man genau in diese verfluchte Gasse, wo es egal wird, ob man den Abzug drückt oder einem nur die Rechte vorliest.
Nach dem Einsatz in der Tiefgarage hatte sich in unserem Team eine Kleinigkeit verändert. Niemand von uns sprach es an, aber wir alle wussten, dass es da war. Es hing in unseren Spinden, wenn wir die Kampfanzüge rausholten und überstreiften und es spiegelte sich in den Augen jedes einzelnen von uns, wenn wir unsere Automatikwaffen überprüften und im Trab zu den Einsatzfahrzeugen liefen. Es war ein Grauen, das sich uns bemächtigt hatte und uns wie ein Dämon im Nacken saß. Ein Grauen davor, was Menschen wie du und ich anstellen konnten, wenn man es zuließ. Und ein noch größeres Grauen vor dem, dass es tatsächlich in unserer Rechtsprechung Gesetze gab, die solche Taten aufgrund gutachterlicher Argumentationen und Feststellungen nicht in dem Maße ahndeten, wie wir es als Männer, die die Einhaltung dieser Gesetze zu exekutieren hatten, für richtig erachteten.
Als es viele Monate später zum Prozess gegen den vermutlichen Vergewaltiger und Mörder der Zweiundzwanzigjährigen kam, überschlugen sich die Zeitungsmeldungen mit angeblich neu entdeckten Details zu diesem Fall. Eine große Menge Kokain wurde genannt, die mit im Spiel gewesen sein soll und eine unerklärliche DNA- Spur, die nicht vom mutmaßlichen Vergewaltiger bzw. Mörder selbst stammen konnte, tauchte auf. Momentane Unzurechnungsfähigkeit unter starkem Drogeneinfluss eines sonst unbescholtenen Bürgers wurde zum Thema gemacht und das Anwälteteam des Angeklagten rang verbissen um den Erfolg in diesem Prozess. Dubiose Zeugen wurden genannt, um sogleich wieder verworfen zu werden und im Vorleben der Ermordeten fand man auf einmal Ungereimtheiten, die ihre bisherige Unbescholtenheit betraf. Dem Polizeipräsidenten warf man grobe Fehler in der Art und Weise, wie er die Ermittlungen leitete, vor und dem Staatsanwalt letztendlich Fehler in der Beweisführung.
Am Ende des Prozesses wurde der mutmaßliche Vergewaltiger und Mörder selbst als Opfer beteiligter Dritter dargestellt und in allen Anklagepunkten frei gesprochen.
Wissen sie, wenn sie die Gesichter der Eltern des Mädchens bei der Urteilsverkündung gesehen hätten, hätten sie sich ebenso in Grund und Boden geschämt wie ich. Wenn der Gerichtssaal der Spiegel unserer gesetzlich legitimierten Spielregeln sein soll, dann war der Spiegel, in den ich in diesem Augenblick schauen musste, blind.
Ich bin während der Urteilsverkündung im Gerichtssaal gesessen, bin danach nach Hause gefahren und habe mich krank gemeldet. Ich habe mir eine Flasche Scotch und einen Liter Mineralwasser auf den Couchtisch gestellt, habe meine Hauslatschen übergestreift, habe den Fernseher angemacht, mir die Katze auf den Bauch gelegt, ein bisschen in den Kanälen gesurft und dann einen Nachrichtensender erwischt, in dem sie die ganze Sache noch einmal aufrollten. Und wissen sie, was der Freigesprochene mit entwaffnendem Lächeln auf die Frage eines Journalisten, was er denn nun mit seiner Freiheit anzufangen gedenke, ins Mikrofon rief: Ficken ohne Ende!
Was sagen sie dazu?