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Februar2021 Keine Zeit

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Anmerkungen zum Text

Schreibübung aus der Zeit der Pandemie. Radikaler Perspektivwechsel.

Februar2021 Keine Zeit

Ich hab keine Zeit. Ja, verdammt, ich muss mich vermehren und zwar plötzlich.
Mir bleiben nur ein paar Tage, dann kommt der Hass. So wird es laufen, es ist immer dasselbe. Nur ein paar Tage habe ich Ruhe, dann geht es los. Erst wird es immer heißer, so eine Art galoppierender Klimawandel. Dann gibt es richtig Stress und ich muss sehen, dass ich fertig werde.
Für Euch ist das angeblich sogar romantisch mit der Vermehrung. Für mich leider nicht, ich verstehe das auch nicht, es muss wohl mit diesem komplizierten Verfahren zusammenhängen, das Ihr entwickelt habt.
Ich mache das Gegenteil, hab es radikal vereinfacht. Ohne einen Körper mit diesen komplizierten Organen und sogar ohne eigene Zellen. So geht Minimalismus!
Warum soll ich alles selbst besitzen, wenn es auch leihweise geht? Ich leih mir einfach eine von Euch.
Na gut, ich gebe zu, die Zelle ist danach hinüber, wenn ich sie völlig umgebaut habe, aber Ihr habt doch genug davon, stellt Euch nicht so an!
Leider könnt Ihr mich ja nicht ausstehen, Ihr hasst mich.
Einige behaupten sogar, ich wäre gar kein richtiges Lebewesen, weder Pflanze noch Tier, noch nicht mal ein Schimmelpilz, bloß weil ich nicht so einen albernen Stoffwechsel habe.
Das waren bestimmt wieder eine paar weiße alte Männer, die sich das ausgedacht haben. So etwas ist ja wohl der Gipfel in Sachen Diskriminierung. Na wartet, über das Thema reden wir noch! Werden ja sehen, wer dann zum Schluss noch lebt! Ihr habt ja jetzt schon die Hosen voll, ich sag nur Klopapier.
Ihr wollt das wirkliche Leben abschaffen, nur um Euren schlaffen Arsch noch für ein paar Jahre zu retten? Wie erbärmlich ist das denn? Deshalb den jungen Leuten den Spaß verderben und alle einsperren, keine Partys, kein Küsschen, immer nur im Haus hocken mit den selben Leuten, die sich bald alle auf den Geist gehen?
Das ist doch kein Leben, Ihr müsst rausgehen, verreisen, neue Leute treffen, da komme ich dann gerne mit. Ich mach auch gar keine Umstände, hab so wenig Gepäck, dass Ihr es noch nicht mal mit dem Mikroskop sehen könnt. Das ging doch bisher auch immer, also was soll jetzt diese Panik?
Was ist denn jetzt auf einmal mit der Schulpflicht, der Konjunktur, der schwarzen Null und mit Freiheit und Menschenwürde?
Alles egal, nur weil ein paar alte Säcke die Hosen voll haben!
Die Kinder und die jungen Leute sind doch Eure Zukunft, das sagt Ihr doch selber. Denen tu ich doch kaum etwas, drei Wochen Schulfrei, etwas Hustensaft, wo ist das Problem?
Die alten Säcke sind das Problem, die an der Macht sind, sich daran festklammern und Angst um den Rest ihres Lebens haben.
Auf einmal alles in den Keller schicken, bloß weil Ihr nicht kapiert habt, wofür der Tod gut ist. Ihr habt doch diese Sorgen wegen der zunehmenden Vergreisung der Gesellschaft, hier kommt die Lösung! Lasst mich einfach machen, dann steigen auch die Renten wieder, junge Frauen und Männer haben dann wieder eine Chance in Politik und Wirtschaft.
Ein bisschen Konsolidierung schadet doch sonst auch nicht, stellt Euch nicht so an! Alte Leute sind schon immer an irgendwas gestorben.
Ja ich weiß, Ihr wollt lieber die Schachtel mit dem Krebs.
Aber jetzt reichts, ich hab keine Zeit.

 

Hallo @Nicolaus ,

zunächst heiße ich dich herzlich willkommen hier bei uns Wortkriegern und hoffe, dass du hier eine Heimat für deine Texte findest, wobei ich, ich habe kurz in dein Profil geluschert, erwähnen möchte, dass wir hier davon leben, dass nicht nur Feedbacks genommen, sondern auch ausgeteilt werden. Und da ist jede Meinung wichtig, folglich auch deine. Ich freue mich also auf deine rege Beteilung auf gesamter Linie.

Nun zu deinem Text. Vorweg muss ich einräumen, dass ich vom Titel eher abgetörnt war, denn er ist relativ nichtssagend, wenn auch mir schon klar ist, dass du damit die Zeit der Pandemie einfangen wolltest und ein Thema ist da ja auch der Zeitfaktor. Dein Titel soll also schon irgendwie ein wenig den Inhalt der Geschichte widerspiegeln, insoweit ist er nicht total verfehlt gewählt.
Idealerweise klingt aber ein Titel, der etwas über den Inhalt ausagt und trotzdem so innovativ formuliert ist, dass er wie ein Hingucker wirkt.
Ich will mich aber gar nicht weiter beim Titel aufhalten, sondern das, was mich innerhalb der gesamten Geschichte die Stirn kraus ziehen hat lassen, ist die Frage, was der satirische Inhalt sein soll.
Was ist das Satirethema bei dir?
Doch nicht etwa, dass du erklären willst, ein Virus habe Zeitmangel? Oder ein Virus beschwere sich über die Maßnahmen, die ergriffen wurden, damit er sich nicht ausbreiten kann?
Mir fällt es etwas schwer, da um die Ecke zu denken. Soll ich mir das Satirische darin vorstellen, dass das Virus die politische Entscheidung eines Lockdown kritisiert? Und das, obwohl natürlich jedes Virus darüber, hätte es eine Stimme, klagen würde, dass ihm der Hahn abgedreht würde? Da fehlt dann das Doppelbödige der Satire nach meinem Dafürhalten.

Eine Satire ist stets quasi eine Geschichte in der Geschichte. Es wird vordergründig etwas mitgeteilt (hier: Virus beklagt sich über den Lockdown), dahinter steht aber die eigentlich gesellschaftliche Kritik (er findet diese Maßnahme nicht richtig). In deinem Text ist die zweite Geschichte nicht vorhanden.
Als kleinen Tipp bitte ich dich, die aktuellste Empfehlung, das ist nämlich eine Satire, anzuschauen. Da kannst du die klassische Struktur einer Satire erkennen. Der Bauarbeiter gräbt, wie ihm geheißen das Loch und die Personen drumherum sind entsprechend rat- und hilflos. Das ist die eine Geschichte. Die andere Geschichte, die aber in diesem gesamten Verhalten steckt ist die Kritik an unseren bürokratischen Abläufen und Verordnungen, Anordnungen, die so fest zementiert sind, dass man sich dagegen nicht stemmen kann, weil es schlicht aussichtslos ist. Alle wissen, dass etwas dumm ist, aber alle sind machtlos.

Stilistisch finde ich, hättest du deutlich mehr aus der Geschichte rausholen können, einmal abgesehen vom Plot, der mir die Satirekriterien nicht erfüllt.
Ich rate dazu, Geschriebenes mehrfach sich selbst laut vorzulesen, als sei man der unbeteiligte Zuhörer, weil man auf diese Weise gut erkennen kann, wo es sprachlich nicht so gut klingt, nicht so geschmeidig verläuft, gar hakelt.

Gut gefallen hat mir, wie das Virus spricht, wenn es um seine Eigenarten und -heiten geht.
Das ist teils pfiffig von dir erdacht.

Aber dann tauchen solche Sätze auf und ich weiß nicht, was die nun in dem Text mitteilen sollen?

Ihr wollt das wirkliche Leben abschaffen, nur um Euren schlaffen Arsch noch für ein paar Jahre zu retten?
Hier gerät mir der Plot leicht aus dem Ruder. Willst du anprangern, dass die ältere Bevölkerung überleben möchte und aus diesem Grunde die Jüngeren zurückstecken mussten? Ist deine Virusfigur also der Ansicht, dass die Alten alle ruhig hätten sterben sollen, damit die Jungen weniger eingeschränkt leben können?

Was ist denn jetzt auf einmal mit der Schulpflicht, der Konjunktur, der schwarzen Null und mit Freiheit und Menschenwürde?
Freiheit und Menschenwürde dann nur für Junge? Aua ...
Alles egal, nur weil ein paar alte Säcke die Hosen voll haben!
Auch hier wieder meine Frage: Das Virus ist also der Auffassung, dass alte Menschen ruhig hätten sterben sollen?
Die alten Säcke sind das Problem, die an der Macht sind, sich daran festklammern und Angst um den Rest ihres Lebens haben.
hier auch.
Auf einmal alles in den Keller schicken, bloß weil Ihr nicht kapiert habt, wofür der Tod gut ist.
Diesen Satz verstehe ich inhaltlich nicht, weil ich jetzt nicht verstehe, was der Keller symbolisieren soll. Meinst du mit Keller das Eingeschlossensein? Wenn ja, dann würde ich das treffender formulieren.
Alte Leute sind schon immer an irgendwas gestorben.
Alle Menschen sind schon immer an irgendwas gestorben. Hier geht es also wieder um die Alten, die keine Rechte haben sollen. Darin kann ich keine Satire erkennen.
Auf der anderen Seite: Wäre ich damals wunschgemäß an diesem Virus gestorben, hättest du jetzt keine so negative Kritik erhalten. Und DAS ist Satire. :D

Leider kein so gelungener Einstand, aber ist ja noch kein Meister vom Himmel ... und so.


Lieber Gruß

lakita

 

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