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Faszination der kreisförmigen Existenz
Traum DR.03
Die Tür geht nicht mehr auf. Armin schreit und fuchtelt und muss erkennen, sie geht nicht auf. Dann braucht er sich ja nicht länger zum Affen machen. Aber die Rampen im Inneren hatten ihm wirklich gut gefallen – viele Haarnadelkurven. Armin nimmt den Rollstuhl, setzt sein resigniertes Gesicht auf und fährt davon. Der Innenhof bietet ihm eine sanfte Abfahrt. Mittig ist der Hubschrauberlandeplatz in orangen Linien gekennzeichnet. Vier hoch oben angebrachte Scheinwerfer strahlen ihr eiskaltes Licht in den quadratischen Hof. Armin fühlt sich fast wie auf dem Boden eines Brunnens, das Licht von oben blendet ihn. Hastig fährt er bis zum Tor, dann scharf rechts die holprige Gasse hinunter. Schlagartig wird es dunkler. Seine Pupillen brauchen ein paar Sekunden.
Die diesige Luft verwischt die Straßenlaternen wie auf einer Leinwand. Rechts und links stehen, etwa mannshohe, bröckelnde Mauern verschiedener Grundstücke. Sie sind windschief und kantig. Hinter ihnen erstreckt sich gräuliches Schwarz, bestückt mit den Umrissen einiger Häuser. Ein morbider Charme, der wohl erst in diesem Halbdunkel zum Tragen kommt. Das romantische Auge wird dann aber in die unschöne Realität zurückgeholt, wenn man die silbernen Gehäuse der Überwachungskameras entdeckt. Wie polierte Vogelscheuchen stehen sie da, argwöhnisch und aufmerksam. Jemand hat sie geputzt. Armin findet es amüsant, das paradoxe Verhalten der Nachbarn. Eine Kamera, die alles, aber nie sich selbst sehen kann zu polieren – fast schon tragisch.
Die Wurzeln einer alten Eiche sprengen den Asphalt, bringen seinen Wagen zum Hüpfen. Efeu beißt sich ins Gemäuer. Armin gefällt die Vorstellung von der Rache der Natur. Die wieder eingeführte Regelmäßigkeit der Dinge. Menschheit ist Krankheit. Alles nur eine Frage der Zeit.
Der Stuhl wird schneller. Die Gasse wird steiler. Die, durch die unregelmäßige Bauweise der begrenzenden Mauern entstehende, Straßenführung fordert einem beschleunigenden Rollstuhlfahrer einiges ab. Doch scheinbar geübt regelt Armin mit seinen nackten Händen die Ausrichtung seines Gefährts. Auf einmal wirken die Rampen seines Hauses in ihrer monotonen Symmetrie weit weg und über alle Maße unattraktiv. Seine Augen sind starr auf den Verlauf der quadratischen Kleinpflastersteine gerichtet, wie es sie nur noch in der Altstadt gibt. Die lieblichen Mauern und die paradoxen Kameras verschwimmen. Sie bilden nur noch die Repräsentation einer Begrenzung, generalisiert, als ein Objekt der Wahrnehmung. Armins Handflächen glühen auf, in dem Versuch die Geschwindigkeit seines Gefährts zu beeinflussen. Eine scharfe Rechtskurve, dann ein leichter Anstieg, den Armin mit dem restlichen Schwung vom Abhang überwindet, und dann leger vor der Leitplanke zum Stehen kommt.
Jetzt sieht er rechts die Lichter der Stadt, seiner Stadt. Goldgelb und Purpur liegen sie in ihrem Tal. Von oben und von weit weg sieht alles immer so ruhig aus, unbewegt. Ein Schein der meist trügt. Gut so. Armin muss weiter, näher ran. Schon lange wartet er auf ein wenig Abwechslung. Ein wenig zu viel Glühwein und das simple Leben eines Gewöhnlichen. Das wünscht sich Armin. Er rollt weiter.
Aber unten wartet die Schwester, deren Namen er immer vergisst. Aber ihr mitleidiger Blick kommt Armin bekannt vor. Sie haben den schwarzen VW-Bus schon mitgebracht. Sie fahren wieder den Berg hoch, in sein schönes Zimmer. Armin glaubt nicht mehr daran jemals unten anzukommen. Sich unter die Leute zu mischen, die Dynamik der Großstadt zu spüren.
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In seinem schlichten weißen Zimmer mit dem groben Putz lag er lange auf dem Bett, den Blick unverwandt auf einen Punkt über der Tür gerichtet. Die kleine dort angebrachte Luke war keineswegs der Ort an dem etwas außergewöhnliches passieren würde. Einzig und allein die Angewohnheit den Blick auf den Ursprung einer Tonquelle zu richten und die Eigenschaft der Luke, den Schall vom Gang am direktesten einzulassen, bestimmten die Haltung des Liegenden. In seinem Bauch brodelte noch die Reste des vorzüglichen Kaffees, den er vor etwa einer Stunde geliefert bekommen hatte. Keine Wassersuppe die man sonst so bekam. Ordentlich, mit Espresso. Das kleine, polierte Silbertablett stand jetzt, mitsamt filigranem Rosenthal, ordentlich vor der massiven Holztür. Dunkles Holz, vielleicht Walnuss. Und mit der Hand verarbeitet, dass war an der unregelmäßigen Oberfläche zu erkennen, die der Tür ein abwechslungsreiches Profil verlieh. Die Struktur des Holzes schien zum Teil erhalten, die gesunde Regelmäßigkeit der Dinge gewahrt.
Wohl bekannte Sohlen liefen jetzt wieder leise durch den Gang. Die schweren Türen der anderen Zimmer öffneten und schlossen sich, darauf bedacht keinen unnötigen Lärm zu verursachen. Die Luke kündigte auch seinen Besuch an. Seine Messingklinke wurde heruntergedrückt und der große aber schmale Schatten eines Mannes trat ein. Nachdem der Dimmer in Türnähe betätigt worden war legte der Lieferant stumm einige frische Bleistifte und einen neues Notizbuch auf den großen, sonst leeren, Schreibtisch und setzte sich auf einen der beiden Stühle. Lange passierte nichts.
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Ich werde den Dialog mit dem guten Herrn Professor suchen und meine Abneigung gegen einen Fensterblick gen Westen zur Seite legen müssen. In einen Dialog über die Freiheit des Einzelnen, die Inspirationskraft der dreckigen Welt und die Relevanz der Sonne werde ich ihn verstricken.
„Das Produzieren ist von äußerster Wichtigkeit“, spricht drahtige Mann mir ins Gesicht. Das erste Wort, dass ich durch mein stetiges Starren in seine unruhigen, etwas wässrigen Augen erzeugen konnte. Er trägt keine Brille. Ich habe mich inzwischen auf dem zweiten Stuhl platziert und mich dem Professor direkt zugewandt. Unsere Gesichter sind, aufgrund unserer beider Unwilligkeit den eigenen Stuhl über den steinernen Boden zu bewegen, nur etwa vierzig Zentimeter voneinander entfernt. Eine Nähe, die mein Gegenüber wohl zu verunsichern scheint. Ich bin mir nicht sicher in welchem Maß er den Widerstand seiner Zöglinge gewohnt ist oder ob es kategoriale Unterscheide gibt. Die Jungs von Science-Fiction sollen mal versucht haben rauszukommen. Dachten ihre Bleistifte wären irgendetwas futuristisches. Ich sitz in Drama. DR.03 steht auf meiner Tür. Auch von Innen. Mehr weiß ich nicht. Mehr sollte ich nicht wissen. Die Trennung ist sehr streng hier. Stark zensierter Briefkontakt ist aber möglich, des kreativen Potenzials wegen.
Der Professor räuspert sich lautstark. Ich muss ihn von der Aussichtslosigkeit dieses Projekts überzeugen, das lebende Beispiel des Scheiterns. Noch fühle ich mich überlegen, klar und mit festen Vorsatz das System zu verneinen aber wohl wissend, dass diese Geisteshaltung nicht von Dauer seien kann. Der Kaffee ist inzwischen schon mindestens neunzig Minuten her. Langsam fangen die Ränder meiner Retina wieder an zu verschwimmen. Mein Kopf wird erst immer leichter bevor es dann anfängt. Sie kennen das ja.
„Sie wissen, dass sie ihr schönes Zimmer hier nur behalten können, wenn sie uns etwas dafür geben.“
Die Banalität der Sätze widert mich an. Aber ich nehme an sie verfehlen ihren Zweck dennoch nicht. Irgendeine psychologische, subtile Wirkung werden sie auf mein Bewusstsein schon haben. Ich wende den Blick ab. Sehe rüber zum schwarzen Fenster. Der Manipulation meines Geistes wohl bewusst, denke ich nur noch an die Verzweiflung des Widerstandes, die dicken Mauern die um meine Freiheit errichtet wurden. Meinen Körper, der sie nicht überwinden konnte. In mir muss es etwas wahres geben. Etwas das ich dem Zwang entgegenstellen kann. Eine innere Stärke um mich zu verschließen.
Instrumentalisiert. Aber da sind auch Zweifel. Alles wirkt so simpel, fast verdächtig. Die Wärter sind die Männer in Schwarz und wir, die Zöglinge, die Engel in Beige. Leinenanzüge haben wir bekommen. Ein fein geschneidertes Hemd mit kleinen Hornknöpfen, eine komfortable Hose und etwas dunklere Wildledermokassins. Der Professor hat so Birkenstockdinger an. Er starrt immer noch zurück. Es wird immer schwerer mich zu konzentrieren und irgendwann wirkt die Welt, das Zimmer und der Professor einfach zu schwer, die Situation zu aussichtslos. Dann geht es ganz schnell. Mein Denken beschleunigt sich und wird diffuser. Ich rutsche weg, entferne mich von mir selbst. Butterweich umgibt mich das Licht, der Rest schon kaum mehr wahrnehmbar.
„Aber bitte, nimm dir deine Freiheit!“, höre ich es irgendwo hinten in meinem Kopf widerhallen.
In all dem großen Weiß, verlassen von der Physik der Wirklichkeit, in dieser großen Wüste baue ich mir meinen Moment. Meine abstrakte Kreation eines Lebens, in einer unendlichen Fusion von Farben breitet es sich vor mir aus wie die Lichter einer Stadt. Ich bin der Künstler im sterilen Raum. Ich beginne zu schreiben um der Übermacht in meinem surrenden Kopf Herr zu werden. Ich will Armin heißen. Will die Luft außerhalb der Mauern spüren. Meine unfreiwillige Fantasie ergötzt sich auf das Weiß der Seiten.
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Ich stehe vor einer gläsernen Schiebetür, so wie die im Supermarkt. Das Licht, dass in einer schwarzen Kunststoffanzeige integriert ist, leuchtet rot wenn ich mich darauf zu bewege. Das Glas bewegt sich nicht. In der Ecke steht ein Rollstuhl. „Nimm dir deine Freiheit“, sagte der Professor. Aber ich weiß unten werden sie mich wieder aufgreifen, er und die Schwester, und mich zurückschleifen in mein schönes kleines Zimmer mit dem groben Putz und dem leckeren Kaffee.