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Fabelhaft
So richtig gewillt war der zufällig anwesende Rettungsschwimmer Rock nicht, aber es musste wohl sein. Wer sonst wäre dafür geeignet, das wie verrückt wiehernde Einhorn aus der Jauchegrube zu befreien. Der schwergewichtige Bauer mit seinen abgetragenen Gummistiefeln war dazu jedenfalls nicht in der Lage, das war ihm klar. Der füllige Landwirt schien überhaupt kein Interesse an der Rettung des Tieres – oder besser: Fabelwesens – zu haben. Er kaute an einem Grashalm und blickte abwechselnd auf das Einhorn und den Rettungsschwimmer. Wäre eine seiner Milchkühe in die Grube gefallen, sähe die Sache anders aus, war sich Rock sicher. Aber so hatte der Bauer nichts zu verlieren, denn das Einhorn gehörte ihm nicht und würde wohl auch nach einer eventuellen Rettung nicht auf seinem Hof bleiben und arbeiten wollen.
Rock schnappte sich also seine Boje und sprang in die bestialisch stinkende Brühe. Als er das Tier – oder besser: Fabelwesen – erreichte, band er dem Einhorn die Rettungsboje um. Wie sich allerdings rasch herausstellte, war das Rettungsgerät für das Tier – oder besser: Sie wissen schon – zu klein dimensioniert, es drohte trotz Boje unterzugehen und sich gleichzeitig daran zu strangulieren. Rock und das Einhorn wurden panisch. Der Bauer beobachtete das Schauspiel und kaute weiter an seinem Grashalm. Schließlich bewegte er sich gemächlich zu einem Hebel und legte ihn um.
Es begann zu gluckern und innerhalb weniger Minuten war die Grube leer. Der Verlust des natürlichen Düngers schien ihm nahezugehen, also öffnete der Landwirt eine Flasche Korn und trank sie in einem einzigen Zug aus. Rock, der mühsam aus der leeren Grube geklettert war, hätte auch gern einen Schluck genommen, aber die Flasche war genauso leer wie die Jauchegrube. Das Einhorn war übrigens weg, offenbar war es nichts weiter als eine fabelhafte Illusion.