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- 15.03.2008
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Ey die Hunde
Ungefähr sechs Stunden nach dem Kennenlernen gibt's Sex. Schnell, hart und wild, als wären beide ausgehungert. Carla ist unglaublich laut, er ist sicher, Francois nebenan wird auch was davon haben, vielleicht mehr als er wissen wollte, sicher mehr, als er um drei Uhr morgens hören will. Ihr expressives Stöhnen wirkt durch den Gegensatz zu seiner letzten Geliebten, die überhaupt keinen Laut machte, noch krasser. Priva muss zwischendurch die Idee wegschieben, sie stöhne für Publikum. Vielleicht ne Visitenkarte, denkt er. Sie meinte doch vorhin so nebenbei, wie sie lebt und liebt. Könnte sein, die sind so unterwegs? Er kennt sich da nicht aus.
Priva leert seine Gedanken, konzentriert sich auf den Akt, sieht und spürt ihre definierten Muskeln, die sehr helle Haut, das Gesicht, voll hingegeben, schutzlos, der prächtige Arsch. Da muss er gleich noch mal grabschen. Als er ihre Beine auf seine Schultern legt, muss er aufpassen, sie nicht zu verletzen. "Arbeitest du hier Stellungen ab?", fragt sie, als er ihren Körper wieder anders hinlegt, um sich von hinten an sie ranzumachen. "Will nur sehen, was so ein Artistenkörper alles kann." Sie versteht ihn richtig und lacht. Hebt den Arsch ein Stück, schiebt ein Kissen drunter und streckt sich ihm ein kleines Bisschen entgegen. Damn, babe.
Carla stöhnt beim ersten Kontakt wieder so laut, er ist versucht, den Rücken durchzustrecken, um eine gute Figur zu machen.
Später, als sie auf ihm sitzt und schneller wird, greift er nach ihrer Kehle und drückt zu. Leicht, nur leicht. Trotzdem wirft sie sich nach hinten, knallt mit dem Schädel gegen die Heizung und verdreht dabei seinen Schwanz so schmerzhaft, dass ihm ihr vorwurfsvoller Blick erst mal gleichgültig ist. "Mach das nie, nie wieder." Er nickt. Nickt und schweigt, konzentriert sich aufs Brennen im eigenen Körper, geht in den Schmerz, um ihn auszuhalten. Priva fragt nicht, was gerade passiert ist. Er will so eine Geschichte nur hören, wenn es sein muss. Wenn sie will, dass er es weiß, wird es ohnehin erzählt werden.
"Kannst du dir vorstellen, so zu leben?", fragt Carla.
"Vorstellen kann ich's mir. Wir werden sehn wie's läuft." Priva steht am Balkon und raucht, spürt die stille Erschöpfung im Raum, ihrer beider Begehren, die verdammten Erwartungen sich anschleichen. Vor dem "La Strada" stehen ein paar Straßenschmoks, teilen sich nen Jolly und beleidigen einen alten Mann, der an ihnen vorübergeht. Er kriegt Bock, sich zu schlagen, und schließt die Balkontür, um die Wut auszusperren.
"Ich find das auch nicht immer einfach", sagt sie.
"Warum willst du dann so lieben, was soll das?"
"Es fühlt sich einfach richtig an, wir gehören niemandem. Menschen sind kein Besitz."
Eine Binsenweisheit, denkt Priva, die so auch nicht stimmt.
Später, wieder im Bett. Die luziden Momenten kurz vorm Schlaf, dem kleinen Tod. Die Bilder wechseln schon schneller, das Bewusstsein schaltet langsam auf Autopilot um, da drängt sich noch ein Gedanke ins Bewusstsein, viel zu klar und definiert für diese Uhrzeit: Wir sind unfrei und täten besser daran, damit zu arbeiten, statt so zu tun, als wäre die Welt anders eingerichtet. Er weiß, sie werden miteinander noch einiges an Zeit verbringen. Das wird nicht nur einfach sein.
Am nächsten Morgen hat sie deutliche Mühen, sich um sieben vom warmen Bett loszureißen. Priva würde nicht mit ihr tauschen wollen, und dass sie sich nicht drum kümmert, leise zu sein, ärgert ihn nicht. Wachsein ist nicht das Problem, jetzt raus in die kalte Welt zu müssen, das wäre ätzend, aber er liegt ja und hat auch nicht vor, allzu bald aufzustehen. "Ich hab ein graues Haar! Mein erstes graues Haar! Ich werde sie färben müssen, sonst kriegt die Rollen im Kindertheater wer anders!" Priva antwortet, sie solle sich bloß die Haare färben, ihm sei das Grauhaar schon gestern aufgefallen und es sehe furchtbar aus. Sie zieht ihre bunten Winterklamotten an, bei denen er sich schon gestern fragte, aus welcher Spende sie die gezogen hat, und küsst ihn noch mal zum Abschied. Sieht ihn einen Moment nur an, sagt "der erste Morgen", und er nickt, ja, es sehe aus, als hätten sie noch was öfter miteinander zu tun. Ihre Mimik verändert sich kein Stück, als er das sagt, sie sieht ihn weiter einfach nur an und strahlt, ein paar Sekunden, die sich verdammt lang anfühlen, zum Ende sogar unangenehm werden, er weiß nicht wieso, aber als er die Tür ins Schloss fallen hört, hat er das Gefühl, eben wie ein Spielzeug angesehen worden zu sein. Wie ein Spielzeug, das jemand besitzen will. Er steht auf und kuckt ihr hinterher: Carlas schreiend bunte Gestalt, grüner Anorak, blaue Thermohose. Sie geht um den Brunnen rum, an dem schon so früh, im Winter, die Suffis mit ihrem Bier hocken. In zwei, drei Minuten wäre sie beim Hauptbahnhof, von wo aus sie die U-Bahn nehmen wird, Linie 3, zum Workshop für Neuen Zirkus. Am Ende dieser Woche ist eine kleine Show geplant, für Carla und ihre Kolleginnen. Fast nur Frauen in dem Team. Er wird sich das wohl ansehen, jetzt also Zirkus und Theater. Eine überraschende Wendung, mal wieder.
"Wir müssen mal raus."
"Du gehst doch raus. Jeden Morgen machst du einen Heidenlärm. Wenn du nicht schläfst, sollen auch die anderen wach sein."
"Aber du nicht."
"Ich war das letzte halbe Jahr praktisch nur unterwegs. Zwischendurch die Welt drei Wochen von hier im Auge behalten, ist ne gute Sache."
"Wir können ja mal kucken, kuck doch mal nach."
Priva fährt den Laptop hoch und klickt sich durch den Bewegungsmelder und die Argonautensuche, liest hier einen Filmtitel und dort den Bandnamen.
"Wer spielt, Mühlheim Asozial? Zeig mal her, das glaub ich nicht."
Carla liest und erzählt, das seien Freunde von ihr, da müssten sie hin. In der Flora sei sie auch noch nicht gewesen! Priva würde lieber weitervögeln, den Winter von drinnen betrachten und vorbeiziehen lassen. Abends auf die Ankunft ihres prächtigen Arsches warten. Aber früher oder später kriegen alle nen Rappel und wollen irgendwas machen, besser man gewöhnt sich dran, so lange sie noch gut gelaunt sind. Man weiß es nicht, es könnte sogar Spaß machen.
Auf dem Weg von der Sternschanze zur Flora gehen sie am Stand vorbei, wo er im Sommer seine Erdbeeren kauft, über den Platz, wo die Bullen sie vor einem Jahr gekesselt haben, und lassen den Schanzenpark links liegen, über den die Beginner gerappt haben, wo die Junkies rumhingen und Stoff vertickt haben, bevor das Gefahrengebiet eingerichtet wurde.
Eine Straße weiter gibt sie ihm ihre Jacke und macht eine Fahne an einem Straßenschild. Und das it wirklich mal was, das ihn beeindruckt, passiert nicht mehr oft, die Jahre fordern ihren Tribut, aber das hier, ihr Körper, der scheinbar mühe- und schwerelos horizontal in der Luft liegt, nur von ihren Armen gehalten! Dass das überhaupt geht.
Als sie loslässt und sich auf Signal von ihm fangen lässt, applaudieren ein paar Menschen auf der anderen Straßenseite. Carla strahlt und winkt zu ihnen rüber, sieht sein schwarzes Gesicht und fragt, ob alles in Ordnung sei. "Klar", sagt Priva, "Körperbeherrschung ist fast so sexy wie korrekte Konjunktive". Doch schon ist der starke Moment vorbei und erneut legt sich ein Schatten über Welt und sein Gesicht wie ein Schleier. Diesmal muss er hinsehen. Er wird noch nichts sagen. Wie könnte er auch am zweiten Tag das tiefe Misstrauen ansprechen, das Priva gegen Bühne und Beifall hegt.
Sie stehen mitten auf der Tanzfläche und sehen sich um. Carla begrüßt jemanden und stellt sie einander vor. Das ist also einer von der Band, ja, hi. Sie führen ein nettes Gespräch, beziehungsweise versuchen ein Gespräch in Gang zu bringen, so viel Mühe gibt sich Priva eigentlich nicht, wenn Carla den nicht kennen würde, wäre er schon längst woanders. Die nächsten zehn Minuten stehen sie zu dritt im Eingang, neben dem Tresen, aufgehangen in einem schleppenden Gespräch. Scharen von gerüsteten Punks marschieren ein. Das Bild drängt sich Priva gerade auf. Wie es hier klirrt und klingt, das Stampfen der schweren Stiefel und die betont harten Ansprachen der Jungs lassen Priva an den Einmarsch einer undisziplinierten Truppe denken. "Das kann ja wieder was werden", sagt Carlas Kumpel. Er sieht unglücklich aus, und hört sich auch so an. "Was ist das Problem?", fragt Priva.
"Die Jungs sehen nach Stress aus. Wir wollen nicht dass sich jemand wehtut, aber das Publikum sieht das meistens anders." Priva will lachen, sieht noch mal genauer hin, und reagiert gar nicht. Der meint das ernst, denkt er, das wurde eben wirklich gesagt.
Fünfzehn Minuten später geht's los. Kann sein, es waren sechzehn.
Mitten im Pogen gibts nen Schlag in die Nieren von irgendwo, Priva zieht unwillkürlich die Luft ein, schmerzt gleich noch mal, gleich doppelt, wer weiß, vielleicht kommts auch von innen. Auf dem Weg aus dem Kessel fällt ein Altpunk von der Statur eines riesigen Wildschweins vor seine Füße. Trotz der Schmerzen muss er grinsen. Lehnt sich an eine Säule und sieht sich um. Direkt vor der Bühne ist Hexenkessel. Ist bestimmt zehn Jahre her, dass er gesehen hat, wie Leute so abgehen.
„Ey die Hunde!“, kommt der Refrain und wird von zig Kehlen zurück geworfen. Ein Kidpunk taumelt gegen Priva, haut ihm fast die Beine weg, entschuldigt sich. Er nickt und lacht. Ziemlich genau die Szene vor fünfzehn Jahren war er selbst das Kid, er siehts noch vor sich, also das Gesicht des alten Punkers, bei dem er sich damals entschuldigte, der nur meinte, er solle weitermachen, weiterspielen. In der Nacht, als Ana und Karl sich vom Acker machten, um zu ficken. Fühlt sich an als wäre das so fünf bis sieben Leben her.
Priva kuckt noch mal rüber zur Seitenbühne, wo er zuerst mit Carla stand, bis ihn der Hexenkessel fortlockte. Wo sie eben stand und tanzte, steht sie nicht mehr.
Und wieder der Refrain und wieder werden massig Leute von den Beinen gehauen, durch den Raum geschleudert. „Ich muss mal ne Ansage machen“, sagt der Sänger, die Instrumente schweigen. „Seid lieb zueinander, tut euch nicht weh. Wenn das weiter so krass abgeht, hören wir auf.“
Süß, denkt Priva, das kuschlige Köln.
Weiter wird gespielt. Weiter abgegangen. Schmerzen lassen nach.
Da hinten ist doch was zu sehen, diese hässliche Jacke, das kann nur sie sein. Was machen die da? Er checkts echt nicht. Dann doch, klar. Küssen sich. Priva schüttelt den Kopf. Erstes Mal zusammen weg und dann so ne Nummer. Wenn er was nicht leiden kann, ist es so demonstrativer Bullshit.
Als hätte sie das gehört, sieht Carla auf, ihm in die Augen. Die blonde Frau folgt dem Blick. Jetzt grinsen ihn zwei Blondinen an. Ja, well. Er grinst zurück, gibt den Daumen. Zweites Bier und nachm Tanzen, who cares. Er lässt die beiden machen und die Atmosphäre der Flora wirken. Ihr kurzes Gespräch auf dem Hinweg läuft noch mal Revue.
„Haha, nee, komm! Das meinst du nicht ernst, du warst echt noch nich in der Flora?“
„Klar. Was soll ich da?“
Jetzt singt und grölt die Band was davon, unter der Woche in der Bank zu arbeiten und am Wochenende trotzdem Punk zu sein. Ab und an fallen ihm welche aus der Pogo-Meute vor die Füße, rappeln sich wieder auf und springen in die Meute zurück.
Ein junges Mädchen, Mitte zwanzig, quatscht ihn an, fragt nach Feuer und bleibt stehen, versucht ihm was über die Jungs auf der Bühne zu vertellen, aber Priva versteht kein Wort, gibt sich aber auch keine Mühe. Was soll der Scheiß, sich auf nem Konzi gegenseitig in die Ohren zu schreien, riesen Aufwand, uneffektiv. Sie gibt aber nicht auf, labert weiter. Zwischendurch überlegt er, ob sie denkt, er höre zu, und sich da reinhängt und er ein Arsch ist, wenn er das so laufen lässt. Deutet Richtung Bühne und auf seine Ohren. „Ja, die sind mega!“, schreit ihm das Mädchen ins Ohr. Priva nickt, stellt sein leeres Glas gegen die Säule, nimmt ihr Bier, zieht nen längeren Hieb, bietet die Flasche wieder an.
Der Sänger ist jetzt völlig durch, auch durchgeschwitzt in seinem Bühnenteil aus hellblauem Fellimitat, so Ganzkörperanzug.
Alle haben Wasser neben sich stehen. Was haben die? Wasser neben sich stehen. Priva kuckt noch mal durch, tatsächlich, gute Leute. Pseudo-Punks auf Wasser spielen eine Meute echter Punks noch besoffener, die ohnehin voll drüber ist und alle satirischen Texte ernst nimmt.
Carla hat ihm auf dem Herweg erzählt, wie seltsam das für die Jungs zuerst gewesen sei, dass Deutschlands Punks voll auf die Texte eingehen und abgehen, dabei sind die halt nicht ernst gemeint.
Zuerst habe die Band das witzig gefunden, aber mittlerweile eher unheimlich, und sie wüssten nicht, wie sie damit umgehen sollen. Touren erst mal durch Deutschland und müssen sich feiern lassen.
Er fragt die Kleine nach noch nem Schluck, beim Rübergeben der Flasche beugt sie ihren Oberkörper mit und schreit ihm ins Ohr, ob er allein hier wäre. Cool, Nippel gezeigt.
Er zeigt auf die beiden Blondinden, die anscheinend Schokolade am Mund haben und sich gegenseitig die Brüste überprüfen. Sie muss lachen und spuckt ihm dabei nen halben Mundvoll Bier über Oberarm und Gesicht. Der muss mit ihrem Bier geholfen werden, bevor die noch mehr verschwendet.
„Welche von denen ist deine?“
„Beide“, sagt er und nimmt noch nen Schluck Bier.
Eigentlich hätte er wieder Bock auf den Kessel, aber nach dem Vollspucken will er die Kleine neben sich auch nicht mehr aufgeben. Kaum fängt man an, was zu opfern, bleibt man am Ball. Er dreht seinen Kopf und sieht ihr ins Gesicht. Könnte für unverschämt gehalten werden, so was kriegt er immer wieder zu hören. Sie hält seiner Musterung gelassen stand und fragt, ob ihm gefalle, was er sehe. Nicken. Ob seine Freundinnen was dagegen hätten, wenn sie ihn auch mal küssen würde? Kopfschütteln.
„Ey, das ging ja schnell! Euch geht’s wohl gut?!“, ruft Carla, steht auf einmal neben Priva. „Wie heißt sie denn?“ Priva zuckt die Schultern. Kommt die jetzt angeschissen, das gibt’s doch nicht. Er sieht das Mädchen an und will sagen, sie solle sich vorstellen, da sagt sie schon selbst: „Frida“, und reicht Carla die Hand. Die beiden beginnen ein Gespräch, schreien sich also an.
Die Flora ruft geschlossen nach Zugabe. „Zugabe, Zugabe, Zugabe!!“ der Kölner Jung stammelt ins Mikro, dass er sich gerade nicht so fühlt und sie ihm das bitte nachsehen mögen, aber er werde jetzt die Bühne verlassen, wenn sie Glück hätten, spielten die andern noch ein Instrumental.
„Nee.“ „Was? Nee!“ „Auf keinen Fall!“
Jeder schnappt sich seine Wasserflasche und schon sind die runter von der Bühne.
„Ey die Hunde!“, ruft Priva in den Saal, der jetzt vom Stimmengewirr surrt. Er liebt diesen Sound nach dem Konzert, nach der Mucke, nach dem Tanzen, mit Bier im Blut. Die meisten gehen nach draußen, wo es stärker schneit, dicke weiße Flocken. Priva freut sich auf die Anblicke der Straße auf dem Weg nach Hause.
„Und, wie küsst er so?“, hört er Carla fragen.
Frida wird rot, „also ja, hm, wie soll ich …“
„Ich kann auch kurz mal ein paar Schritte weiter gehen“, sagt Priva.
„Einfach mega, wie ihr das macht!“, platzt Frida raus.
„Wie wir was machen?“, fragt Carla. „Was machen wir denn?“
„Ja, das ihr halt alles dürft und damit cool seid!“
„Ist das so? Priva? Dürfen wir alles und sind damit cool?“
„Weiß nicht. Haben wir nicht besprochen. Wird sich zeigen.“
„Nicht besprochen?“ Frida kriegt große Augen.
„War schon gewagt“, sagt Carla. „Hat sich so ergeben.“
„So cool. Ich will das auch, aber mein Freund ist eifersüchtig.“
Priva denkt, nee, nicht schon wieder so ein Gespräch.
„Aber du bist entspannt damit, das ist so cool!“
Er glaubt das nicht ganz verstanden zu haben und fragt noch mal nach: „Was bin ich?“
„So cool! Mein Freund ist mega eifersüchtig!“
„Ah ja, das habe ich doch verstanden. Ich dachte da käme noch was.“
„Nee nee.“ Sie wird schon wieder rot, oder ist’s immer noch. Er merkt sich den Anblick und wettet mit sich, dass sie postkoital ziemlich genau so aussieht.
„Ist der hier?“, fragt er.
„Wer?“
„Dein Freund.“
„Nee, Quatsch.“
„Dann ist seine Eifersucht ja nicht unser Problem.“
„Du grinst wie ein Haifisch“, sagt Carla.
„Ist nicht so gemeint.“
„ … und du musst Mädchen küssen“, sagt Carla zu Frida, „damit kommen Typen erfahrungsgemäß besser klar.“ Sie lacht. „Oder, Priva, was denkst du?“
Frida und Carla kucken ihn an.
„Was ich denke? Mädchen küssen ist cool.“
Die Kleine lacht als hätte er was Lustiges gesagt, Carla grinst, als hätte er sich verraten und hakt sich bei ihm unter und sagt der Kleinen, die solle sich am andern Arm festhaken, zieht sie beide mit zum Sänger, der an der Bühne steht und an seinem Wasser nuckelt. Stellt ihn erst mal Frida vor, die pauschal ihre Begeisterung raustut. Wie super die gespielt hätten!
„Danke“, sagt der Sänger und kuckt sie zweifelnd an.
Priva muss lachen: „Backgroundcheck für’s Lob?“
Lacht der Sänger mit. „Haha, stimmt, o Mann.“
„Hab ich was Falsches gesagt?“, fragt Frida.
„Nein, nein“, beruhigt Carla, „die haben n…“
„Woher weißt du das denn“, fragt der Sänger dazwischen.
„Stimmt das nicht, hat sie was Falsches gesagt?“
„Nein, nein“, beruhigt sie der Sänger, fast in gleichem Ton und Sprechrhythmus wie Carla.
Sie lachen wieder. Frida wird wieder rot. Priva sieht Carla zärtlich Frida betrachten, die verträumt den Sänger ansieht. Carla streichelt über Fridas Wange, wickelt eine Haarlocke um ihren Zeigefinger und flüstert ihr was ins Ohr. Die steht da, wird noch röter, ist jetzt ampelrot, grinst und nickt.
„Echt, ist so! Ihr wart super!“, kommt eine andere Stimme angerollt, von hinten. „Ey di Hunde Aller!!“ Priva könnte schwören, dass des Sängers Gesicht einen Sekundenbruchteil in sich zusammen fiel.
Der Mensch zu der Stimme geht noch ein paar Schritte, Priva dreht sich, sieht nen spacken Schlacks näher kommen, unsanft in aller Mitte drängen, dem Sänger auf die Schulter schlagen und lachen, lachen, lachen.
„Ich arbeite in keiner Bank und am Wochenende bin ich trotzdem Punk!! Hamma Alla, derber Hamma!!!“, sprach der Unbekannte und schlug dem Sänger noch drei Mal auf die Schulter.
Glückwunsch, denkt Priva, ‚ Jeder sollte einen Fan haben. Hoffentlich verdienen die Geld mit dem Kram.
Der Sänger wirkt nicht, als wäre er von dieser Situation überrascht. Dieser leidende Gesichtsausdruck eines Märtyrers, Priva sieht die Schulter, auf der des Fans Hand liegt, um fünf Zentimeter absinken, als er antwortet: „Eigentlich heißt es ja: ‚Du arbeitest in einer Bank und am Wochenende biste trotzdem Punk.’“
Der Andere überlegt einen Moment, einen langen Moment, es sind fast zwei Momente, aber dann lacht er wieder. „Was? Waasss? Das ist ja noch geiler!!!“
„Und‚ ‚ey die Hunde!’ ist sowieso der Knaller, ehrlich, ich liebe es.“ Was wohl so ziemlich genau das ist, was jeder Zweite immer wieder sagt, und jeder Erste jedes zweite Mal, wenn Carla richtig zählte und erzählte.
Der andere nimmt seine Pranke von der Sänger-Schulter, fragt ob er sich eine drehen dürfe von jemandem und gräbt wahrscheinlich in den Untiefen seines Schädels nach dem nächsten Geistesblitz.
Wenn das jetzt hier keiner beendet, wären sie noch locker ne halbe Stunde die Geiseln dieser Situation. Nicht in diesem Leben, und wenn er jemanden verprellt und wenn er sich schlagen muss. Egal. Lieber Arsch als Dulder.
Priva fingert seinen Tabak raus, zieht ein Blättchen, sagt „Hand auf“, drückt ihm beides auf die sich öffnende Handfläche, legt seine andere Hand darüber, als bekräftige er einen Schwur oder wichtigen Handel.
Nimmt die fast leere Flasche von Frida, drückt sie in die freie Hand des Fans, der kooperativ ist, als wäre er eine lebendige Schaufensterpuppe: Bereitschaft, Lernwille und Scharniere.
Als alles beisammen ist, dreht Priva ihn um 180 °, zeigt auf die Bar und meint, er könne dort die Flasche abstellen und die Kippe drehen. Der Fan stratzt los.
„Wirkt nicht so, als wäre er sauer“, überlegt Carla.
„Der ist gut unterwegs“, antwortet Priva.
"Fans", sagt der Sänger, "sind eine seltsame Sache."