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Etwas
Etwas kroch in die Badewanne. Er hatte sich gerade abgetrocknet, stand nackt mit noch feuchten Füßen auf der Badematte und hatte den Brausekopf in der Hand, um die Schaumreste zu zerspritzen. Da sah er, wie sich etwas aus den Katakomben des Abflusssystems nach oben in die Wanne zwängte.
Das, was da herauskroch, länglich und dünn, so dünn, dass es durch eines der fünf Löcher des Siebes passte, erinnerte ihn an nichts. Es war weder hässlich noch schön, nur einfach lang, dünn und milchig wie ein altes, ehemals durchsichtiges und mit der Zeit trüb gewordenes Schlauchstück.
Anfang und Ende sahen vollkommen gleich aus.
Ungeheuer, Schlange, monströser Bandwurm. Nichts erklärte dieses Etwas richtig und das Eigenartigste, fast eigenartiger als das Ding selbst, war, dass es ihn nicht abstieß, nicht erschreckte, dass er weder Angst noch Ekel empfand. Es begann, sich auf dem noch nassen Wannenboden zu schlängeln, fast anmutig, fast als schriebe es ihm mit seinem Leib Worte in einer Sprache, die er nicht kannte.
Gebannt sah er zu. Las ohne zu verstehen. Und er erschrak und litt mit ihm, als er wahrnahm, dass seine Bewegungen langsamer wurden, unrund, dass plötzlich die Geschmeidigkeit verloren ging. Er fühlte, dass es dem Ding nicht gut ging.
Er war besorgt und schalt sich dafür. Etwas war in seiner Badewanne und nun schien es darin nicht lebensfähig. Es konnte ja zurück, dachte er. Auf dem Weg, auf dem es gekommen war. Aber konnte es das wirklich noch? Seine Bewegungen wurden zunehmend unkoordinierter, auch wenn er natürlich nicht genau wusste, wie es sich in einem Zustand des Wohlbefindens bewegen würde.
Wasser, dachte er. Es braucht Wasser.
Er schob den Stöpsel in den Ablauf und drehte den Hahn auf. Kaum benetzt erholte es sich rasch, und als genügend Wasser in der Wanne und es zur Gänze bedeckt war, begann es, sich ausgelassen zu wenden und zu winden.
Der dünne Körper malte nun flüchtige Figuren und Formen in alle Dimensionen, ließ entstehen und vergehen, wachsen und verschwinden mit einer Anmut, die ihn erstaunte und begeisterte und bannte. Es tanzte für ihn.
Doch so fasziniert er war, so gern er diesem Tanz weiter beigewohnt hätte, Margit wartete.
Und Margit wartete nicht gern.
Sie hatte heute gekocht, er wusste nicht was. Sie würden gemeinsam essen, über die Hochzeit sprechen. Vielleicht würden sie miteinander schlafen, aber die letzten Male hatten endlose und kontroverse Planungsgespräche jegliche Lust verscheucht. Die Lust auf Sex, sogar die Lust auf die Hochzeit. Aber diesen Gedanken durfte er nicht weiter denken.
Es konnte ja heute anders kommen. Er hatte gebadet. Vorsorglich. Den Männerduft zurechtgelegt, den sie ihm letzte Woche zum Geburtstag geschenkt hatte. Nun war er wieder verschwitzt. War es die Aufregung? Oder waren es Gedanken an den Abend mit Margit? Er fühlte sich schmutzig.
Er hatte das Wasser nicht abgedreht, obwohl ein Bruchteil an Volumen genügt hätte, um das Ding zu bedecken. Jetzt war die Wanne voll.
Es tollte im Wasser. Er staunte, wie eindeutig und klar es Freude zeigen konnte, ohne einen einzigen Ton von sich zu geben.
Nun gut, dachte er. Fische sind auch stumm und fühlen sich wohl im Wasser. Aber dieses Ding war kein Fisch. Es vermochte, sich mitzuteilen. Komplexeres als pures Wohlgefühl.
Wir sind das so gewohnt, wir Menschen, dachte er. Brauchen Jauchzen, Schreien, Seufzen, Brüllen, Stöhnen. Sonst können wir die Gefühle des anderen nicht entschlüsseln.
Es hatte keine Laute, es hatte anscheinend auch keine Organe oder Werkzeuge, um Töne zu produzieren, jedenfalls sah er keine, und es hatte auch keine nötig. Er verstand auch so.
Danke, sagte es.
Danke, dass ich hier sein darf.
Danke, dass du mich benetzt hast.
Danke, dass du dich nicht ekelst vor mir.
Komm doch rein!
Er verstand so problemlos, als würde das Wasser, dieses schweigsame Element, seine Bewegungen in vernehmbare Worte übersetzen.
Er war noch nicht angezogen. Ohne nachzudenken, hob er einen Fuß über den Rand. Dann den anderen. Stand in der Wanne, setzte sich. Das Wasser war angenehm warm. Er lehnte sich zurück. Schloss die Augen.
Zuerst spürte er es an den Füßen. Eine kleine, leise Berührung, die Haut ein wenig rau, nicht wie geschuppt, aber auch nicht so glatt und weich, wie er sich die Haut eines so zarten geschmeidigen Geschöpfs vorgestellt hatte.
Es berührte ihn an den Zehen, zwängte sich so sanft zwischen sie, als wären Zwang und Sanftheit keine Gegensätze. Dann die Sohlen, es umschlang seine Knöchel, rieb sich an seinen Waden, schmiegte sich in seine Kniekehle.
Bedankte es sich mit diesen schmeichelnden Berührungen? Wusch es ihn vielleicht?
Obwohl er jemand war, der immer verstehen wollte, alles, was er wahrnahm, alles, was ihm geschah, fiel es ihm in diesem Moment, mit diesem seltsamen Wesen in der Wanne sitzend, leicht, diese Fragen unbeantwortet zu lassen. Sie berührten ihn nicht.
Nur dieses Etwas berührte ihn, wand sich um seine Schenkel, streichelte seinen Bauch.
Hätte er sich seiner aufsteigenden Gefühle schämen sollen? Sie unterdrücken? Aufspringen und aus der Wanne steigen? Es einfach wegspülen oder sogar gewaltsam zurückstopfen an den Ort, woher es gekommen war?
Doch diese Gedanken streiften seinen Sinn aus weitester Ferne. Blieben nebulös, forderten kein Handeln. Sie waren zu schwach, zu diffus, hatten nichts mit dem zu tun, was er fühlte. Er hörte nicht auf sie.
Seine Augen waren geschlossen. Etwas berührte ihn nun dort, wo sein Körper bereits wartete. Strich, umschlang, rieb, massierte so sanft und zart und liebevoll, wie er es noch nie erlebt hatte.
Wie es noch nie jemand vermocht hatte.