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Es ist nicht immer alles so wie es scheint!
Immer und immer wieder spielte die Anlage das gleiche Lied. Seit nunmehr zwei Stunden. Es war Frühling und die Sonne schien. Es war warm. Doch fühlte sie nichts als eisige Kälte. Fühlte sich alleine, missverstanden und klein. Vor zwei Stunden sprach er es aus. Sagte, er wolle keine Beziehung mehr.
Es war als würde die Welt zusammenbrechen, als würde man alles, das man je für wichtig gehalten hat, weggenommen bekommen. Jetzt war es also vorbei. Fast ein Jahr hielt die Beziehung, alles schien perfekt. Das perfekte Paar.
Zwei Stunden. Und immer wieder das gleiche Lied. Sie wollte allein sein, wollte das er geht. Aber er blieb. Saß neben ihr und weinte. Wie war es möglich, dass er neben ihr sitzen blieb, sitzen blieb, ihre Hand hielt und weinte? Und immer wieder das gleiche Lied, seit zwei Stunden.
Er sagte, er würde jetzt gehen, man würde sich bald sehen, miteinander telefonieren. Dann ging er mit einem leeren Blick. Sie lag im Bett, das Zimmer war dunkel. Konnte nichts mehr fühlen, wollte einschlafen und nie mehr aufwachen. Das Kissen war nass, voll mit Tränen. Sie schlief ein.
Am Abend wachte sie auf und für einen Moment schien ihr alles wie ein böser Traum. Aber das Lied, es kam noch immer. Sie schleppte sich ins Training, wusste, er würde auch da sein. Hoffnung kam auf, vielleicht war es ja doch nicht vorbei. Blicke von Verzweiflung waren im Raum, beide waren unkonzentriert, konnten an nichts anderes denken, als an das, was am Mittag geschehen war. Geredet wurde nicht viel. Nicht miteinander und auch nicht mit den anderen, nur ein paar belanglose Sätze, mehr nicht.
Die nächsten Tage waren die Hölle. Nichts war mehr wichtig. Er kam zu spät zur Arbeit, sie zu spät zur Schule. Immer wieder liefen sie sich über den Weg, trafen sich auf der Straße. Er war ihr Nachbar. Dann ein Telefongespräch, er wolle sich nur erkundigen wie es so laufe. Gut laufe es, sagte sie, sie könne sich nicht beklagen. Traurig war sie über ihre Lüge, traurig darüber, dass es ihm nicht schlecht ging.
Immer wieder erzählten ihr die Freunde, was er am Wochenende tat, wie sehr er gefeiert habe, betrunken sei er auch gewesen. War das seine Art mit Schmerz umzugehen? War es das was sie auch versuchen sollte? Das nächste Wochenende würde sie feiern, neue Männer kennenlernen, sich amüsieren. Mit Freunden ging sie in die Disco. Und betrank sich, doch es half nichts, sie wollte nur nach Hause, allein sein, das Lied hören.
Zwei Wochen waren vergangen, zwei Wochen, die vergingen, ohne dass sie es bemerkte, denn alles was sie fühlen konnte, war Schmerz. Viel dachte sie nach in dieser Zeit und immer wieder stelte sie sich die Frage, was er wohl gerade tat und wo er wohl war.
Es war Abend und sie sah sich die Serie an, die wie immer zur gewohnten Zeit kam und auf dem selben Sender lief. Und doch war etwas anders. Er war nicht da. Es war die Serie, die sie sich sonst immer gemeinsam angesehen hatten. Eine Weile überlegte sie, was sie tun sollte, was ihr wirklich fehlte?! Denn eines war klar, so konnte es einfach nicht weitergehen. Sie lag schon im Bett als sie sich dazu entschied ihn anzurufen. Sie griff zum Hörer und wählte die Nummer, die Nummer die sie schon so oft in ihrem Leben gewählt hatte.
Leise meldete sich eine traurige Stimme. Sie erschrak, denn das war das Letzte womit sie gerechnet hatte - eine traurige Stimme. Sie musste ihm sagen, wie sehr sie ihn vermisste, dass sie nicht mehr schlafen konnte, nicht mehr essen, nicht mehr klar denken.
Er schlug ihr ein Treffen vor, zum Reden meinte er, denn es sei nicht gut am Telefon darüber zu sprechen. Am nächsten Abend lief sie aufgeregt zu ihm hinüber, es war das erste Gespräch seit fast drei Wochen. Unsicher klingelte sie, war gespannt, wie es ihm geht, wie er aussah, ob er sie auch vermisste.
Er hatte Tee gemacht, den Tee, den sie ihm immer gemacht hatte, wenn es ihm nicht gut ging. Wie gut es tat, dieses Gefühl ihn einfach nur in ihrer Nähe zu haben. Sie sprach sich alles von der Seele und nicht einmal unterbrach er sie. Hörte einfach nur geduldig zu.
Als sie fertig war, fühlte sie sich besser, befreiter, leichter. Dann fing er an zu reden. Sagte, wie sehr er auch sie vermisste, wie schlecht es ihm in letzter Zeit ging. Zum ersten Mal sprach er offen darüber, wie er fühlte, wie er wirklich dachte.
Sie hätte ihm sehr gefehlt sagte er, aber nicht die Beziehung. Nein, nicht die Beziehung, sondern sie, sie als Person, sie als seine Freundin, mit der er über alles reden konnte, bei der er sich sicher fühlte. Es tat ihre weh, das zu hören, sie wollte es nicht wahrhaben, dass er keine Beziehung mehr wollte. Zuviel Hoffnung hatte sie sich gemacht. Aber das sagte sie ihm nicht, denn sie wollte versuchen ihn zu verstehen. Enttäuscht ging sie nach Hause. Und dachte nach. Die ganze Nacht lang aber sie konnte es einfach nicht verstehen.
Am nächsten Abend klingelte es, er stand vor der Tür, fragte ob er reinkommen dürfe. Sicher, sagte sie, komm rein. Sie war gerade dabei sich die Serie anzusehen und auf einmal fiel es ihr wie Schuppen vor die Augen. Er vermisste die Person, der er alles anvertrauen konnte, seine Ängste, alles. Sie war nicht mehr seine Geliebte, er nicht mehr ihr Geliebter. Nein, sie waren Freunde. Lange saßen sie zusammen, tranken eine Flasche Wein und hatten Spass miteinander.
Zufrieden legte sie sich an diesem Abend ins Bett und dachte sich - Es ist doch nicht alles so wie es scheint. Dann schlief sie ein mit dem gleichen Lied im Hintergrund.