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Es ist Nacht
Der Asphalt roch nach Regen, als der Wagen die Kurve verpasste.
Eine Woche später war die Beerdigung. Melanie hatte sich schließlich doch für das schwarze Kleid entschieden. Hosen hatte sie nie besonders gemocht.
Heute war der Himmel blau, und Sonnenstrahlen umspielten den Geistlichen, der auswendig gelernte Massenabfertigung für Trauernde sprach.
Der Sarg wurde in das Grab gelegt. Das Grab wurde mit Erde aufgefüllt. Die Erde verzierte man mit Kränzen. Die Kränze ließ man so lange dort, bis sie welk wurden.
Sie sitzt auf dem Stuhl und hat zum ersten Mal einen Eindruck davon, wie es ist, wenn man keine Gedanken in sich hat. Wie sich Leere anfühlt.
Seit gestern geht sie wieder arbeiten. Augenkontakt mit den Kollegen ist die Bestürzung über jene Dinge, die eben immer geschehen können, so tragisch sie auch sein mögen.
Der Baum steht mitten im Feld. Hinter der Kurve. Sie betrachtet ihn, als brenne das Wrack noch immer dort. Es ist ein mächtiger, eindrucksvoller Baum.
Manchmal isst sie nichts, wenn sie den ganzen Tag zu der Musik aus den Kopfhörern trauert. Melanie weiß dann, dass es so nicht sein sollte und hört weiter.
Ihre Mutter hat die neue Hüfte bekommen. Ganz ohne Komplikationen ist die Operation verlaufen. Die Mutter lacht, und zündet sich eine Zigarette an.
Ein Jahr ist inzwischen vergangen. Ein Blitz ist in den Baum eingeschlagen, in der Nacht zum Freitag. Hat ihn in der Mitte durchtrennt. Es sollte ihr Genugtuung sein, aber dem ist nicht so.
Die Kollegen haben die Bestürzung abgelegt, strahlen Normalität aus. Alles nimmt seinen Lauf.
Sie geht nach Hause, und es fängt zu regnen an. Melanie spannt den Schirm auf, riecht den Asphalt und denkt kurz, dass es weiter geht.
Dann läuft sie eilig los.