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Es ist Nacht

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24.04.2003
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Es ist Nacht

Der Asphalt roch nach Regen, als der Wagen die Kurve verpasste.

Eine Woche später war die Beerdigung. Melanie hatte sich schließlich doch für das schwarze Kleid entschieden. Hosen hatte sie nie besonders gemocht.
Heute war der Himmel blau, und Sonnenstrahlen umspielten den Geistlichen, der auswendig gelernte Massenabfertigung für Trauernde sprach.
Der Sarg wurde in das Grab gelegt. Das Grab wurde mit Erde aufgefüllt. Die Erde verzierte man mit Kränzen. Die Kränze ließ man so lange dort, bis sie welk wurden.

Sie sitzt auf dem Stuhl und hat zum ersten Mal einen Eindruck davon, wie es ist, wenn man keine Gedanken in sich hat. Wie sich Leere anfühlt.

Seit gestern geht sie wieder arbeiten. Augenkontakt mit den Kollegen ist die Bestürzung über jene Dinge, die eben immer geschehen können, so tragisch sie auch sein mögen.

Der Baum steht mitten im Feld. Hinter der Kurve. Sie betrachtet ihn, als brenne das Wrack noch immer dort. Es ist ein mächtiger, eindrucksvoller Baum.

Manchmal isst sie nichts, wenn sie den ganzen Tag zu der Musik aus den Kopfhörern trauert. Melanie weiß dann, dass es so nicht sein sollte und hört weiter.

Ihre Mutter hat die neue Hüfte bekommen. Ganz ohne Komplikationen ist die Operation verlaufen. Die Mutter lacht, und zündet sich eine Zigarette an.

Ein Jahr ist inzwischen vergangen. Ein Blitz ist in den Baum eingeschlagen, in der Nacht zum Freitag. Hat ihn in der Mitte durchtrennt. Es sollte ihr Genugtuung sein, aber dem ist nicht so.

Die Kollegen haben die Bestürzung abgelegt, strahlen Normalität aus. Alles nimmt seinen Lauf.
Sie geht nach Hause, und es fängt zu regnen an. Melanie spannt den Schirm auf, riecht den Asphalt und denkt kurz, dass es weiter geht.

Dann läuft sie eilig los.

 

Hallo Cerberus81,

interessant, deine kleine Geschichte beschreibt den Ablauf eines der Dinge

die eben immer geschehen können, so tragisch sie auch sein mögen.
Was könnte alltäglicher sein?

Gelungen finde ich die einzelnen Phasen, den irgendwo durchaus positiven Schluss, und den Seitenhieb (hab ich zumindest so aufgefasst) auf die Mutter, die ihre neue Hüfte hat und dann fleißig raucht, das unterstützt das.

Nicht ganz klar ist mir, wer in dem Auto saß. Ich nehme an, Melanies Mann/Freund?

Netter Happen.

Viele Grüße,
Maeuser

 

Hallo Maeuser.

Ich habe lange nichts mehr geschrieben, und es freut mich, dass du mit der Geschichte etwas anfangen konntest.

Wer nun im Auto saß, überlasse ich der Phantasie des Lesers. Es hat sich jedenfalls um einen wichtigen Menschen für Melanie gehandelt.
Die Stelle mit der Mutter sollte eigentlich nur darauf hindeuten, dass der Alltag weiter läuft, ganz egal, was geschieht. Aber das ist halt Interpretationssache.

Vielen Dank fürs Lesen und Kommentieren!

 

Hallo Cerberus81!

Es sind gute Sätze da drin. Schon der erste gefällt mir.

Augenkontakt mit den Kollegen ist die Bestürzung über jene Dinge, die eben immer geschehen können, so tragisch sie auch sein mögen.
da bin ich hängengeblieben. Der Augenkontakt ist die Bestürzung, meinst du das so? Beim Augenkontakt mit den Kollegen sieht sie Bestürzung ... Würde mir klarer sein. Also, ansonsten klingt das für mich, als hätte sie ansonsten niemals Augenkontakt mit ihren Kollegen.

Die Kollegen haben die Bestürzung abgelegt, strahlen Normalität aus.
find ich gut.

Melanie spannt den Schirm auf, riecht den Asphalt und denkt kurz, dass es weiter geht.
wieder der nasse Asphalt. Den Geruch kennt jeder und der ist sicherlich bei den meisten auch irgendwie emotional besetzt. Das ist für mich das bessere Ende. Dieser Satz wäre der Letzte, wenn das meine Geschichte wäre. Sicherlich steht eine Bedeutung hinter deinem letzten Satz. Für mich ist sie aber nicht klar.

Gut geschrieben, zu kurz, um mich wirklich zu berühren.

Lollek

 

Hallo Lollek.

Die Stelle, an der du hängen geblieben bist, hat mir auch nicht so wirklich zugesagt. Dennoch hast du die Aussage richtig verstanden. Ich schaue mal, wie ich den Satz noch abändern kann. Hast mir ja bereits einen Vorschlag gemacht.
Und ... naja, kurz ist das Ganze zugegebenermaßen schon, ist ein wenig persönliche Bewältigung momentan.
Auch dir vielen Dank fürs Lesen und Kommentieren!

 

Ich weiß nichtmal, ob man den Satz

:Augenkontakt mit den Kollegen ist die Bestürzung über jene Dinge, die eben immer geschehen können, so tragisch sie auch sein mögen
Nicht so stehen lassen könnte. Es war nur so ein Gefühl! Hätte Thomas Mann das so geschrieben, hätte sicherlich jeder gesagt: Ja, oh, das kann man so schreiben... Ich hoffe du verstehst. Mir gefällt das Ganze wirklich gut. Es ist schon auf den Punkt gebracht. ich hätte mir nur mehr von diesen Sätzen gewünscht...

 

Hallo Cerberus

Der Stil deiner Geschichte schien mir sehr eigen beim Lesen. Ich verfiel beinah in eine monotone Wahrnehmung, als wollten Satzbau und Inhalt mich einlullen. Nicht lyrisch, aber etwa so in der Art wie Junge SMS abfassen.

Vom Inhalt her ist es kurz und präzis wiedergegeben, gewollt grosse Lücken offen lassend. Ich überlegte mir, welchem Genre sie zuzuordnen ist, wohl am ehesten experimentell.

Nicht ungern gelesen, für so zwischen durch.

Schöne Grüsse

Anakreon

 

Hey Cerberus81,

kann man ja nun nicht so viel zu sagen, weil ja auch nicht so viel da steht ;).

Als Geschichte ist es ein Gerippe. Ein ziemlich vollständiges, gebe ich zu - also, da sind die Knochen gut beieinander, und selbst die Lücken hast Du übernommen :).

Also, ich mochte das Gerippe, da sind schon schöne Sachen drin. Einzig die Stelle hier:

Der Sarg wurde in das Grab gelegt. Das Grab wurde mit Erde aufgefüllt. Die Erde verzierte man mit Kränzen. Die Kränze ließ man so lange dort, bis sie welk wurden.

fiel für mich aus dem sprachlichen Klang des Rests. Inhaltlich finde ich es gut, sprachlich halt nicht so. Ist aber sicher so ein Vorliebendings.

Beste Grüße Fliege

 

Lieber Cerberus81,

schön zum Lesen? Ja. Alltäglich? ja. Berührend? Wie schon gesagt: dafür ist die Geschichte etwas zu knapp. Du bietest eine Situation, wie sie wohl bei vielen Verkehrsunfällen vorkommt. Etwas beleibter und mit mehr Konzentration auf die Assoziationen "nasser Asphalt" und "Todesbaum" würde mir die Geschichte viel besser gefallen. So sehe ich deine KG als eingefangenes Gefühl: hauptsächlich Trauer und das Bestreben, über den Tod eines Geliebten hinwegzukommen.

Zwei Anmerkungen/ Verbesserungsvorschläge:

Heute war der Himmel blau, und Sonnenstrahlen umspielten den Geistlichen, der auswendig gelernte Massenabfertigung für Trauernde sprach.
falsches Wort: Massenabfertigung - vielleicht: Phrasen, Floskeln oder so etwas.

Sie sitzt auf dem Stuhl und hat zum ersten Mal einen Eindruck davon, wie es
ist, wenn man keine Gedanken in sich hat. Wie sich Leere anfühlt.
"hat einen Eindruck" - ich finde, dass passt klanglich nicht zu deiner Geschichte.
Wie wäre es mit: Sie sitzt auf dem Stuhl und weiß zum ersten Mal, was Leere ist. Wie es sich anfühlt, wenn man keine Gedanken in sich hat.


Meiner Meinung nach hätte man mehr aus der Geschichte machen können. So bleibt sie Experiment. Nur einzelne Sätze (die sind dafür richtig gut) können überzeugen.

Trotzdem nicht ungern gelesen.

Beste Grüße
markus.

 

Hallo Cerberus81,

man merkt, dass Du Baricco liest, in dem kleinen Text bleibt vieles offen, dem Leser überlassen, mit lyrischen Anklängen. Einerseits stören die Wiederholungen von 'wurde', 'war', 'hatte' oder 'ist', andererseits unterstreicht diese Form den fast gedichtartigen Charakter.
Hätte länger sein dürfen.

Viele Grüße vom
gox

 

Hallo Cerberus81!

In deiner Geschichte geht es um Trauerarbeit. Wer einen teuren Menschen verloren hat, muss den Verlust verarbeiten und seine Gefühle vom dem Toten lösen, um sich wieder dem Leben und seinen Anforderungen zuwenden zu können, was nicht auf die Schnelle geht, sondern ein mühseliger, schmerzlicher Prozess ist, zu dem auch oft Rückschläge gehören.

Mitten in solch einem Prozess steht Melanie, was sich auch im Schluss offenbart:

Sie geht nach Hause, und es fängt zu regnen an. Melanie spannt den Schirm auf, riecht den Asphalt und denkt kurz, dass es weiter geht.

Dann läuft sie eilig los.


Die Trauerarbeit ist im Gang, aber noch nicht abgeschlossen, ihre Gefühle von dem Toten zu lösen, ist Melanie noch nicht vollständig gelungen, denn der Geruch des nassen Asphalts erinnert sie an ihren letzten Augenblick mit dem Toten, deshalb strebt sie eilig nach Hause, um diesem Geruch, der ihre Erinnerung an ihn wiederbelebt, zu entgehen.

Interessant ist auch der Baum, der mit dem Toten in mystischer Verbindung stehen muss. Melanie verspürt Aggressionen gegen diesen Baum, denn etwas in ihr will, dass sie Genugtuung über die Zerstörung des Baumes empfindet - nun hat der Kommentator Fliege zu Recht festgestellt, dass deine Erzählung einem Gerippe gleicht - die Lücken auszufüllen ist Sache des jeweiligen Lesers und ich sage jetzt einfach mal, wie ich für mich die Lücke ausfülle:

Was hat der Baum mit dem Toten zu tun? Es ist eine archetypische, also allen Menschen angeborene unbewusste Vorstellung, dass die Seele eines Verstorbenen in einem Baum weiterlebt. Für Melanie, die sich noch nicht vollständig von dem Toten gelöst hat, das aber schaffen will, lebt seine Seele in dem Baum weiter, ist also nicht wirklich verschwunden, was aber der Blitz, der die Baum-Wohnung des Toten zerstört, schafft (schaffen soll). Deshalb ihr ambivalentes Verhältnis zu dem Blitz.

Das ist meine ganz persönliche Deutung, die ich natürlich keinem aufdrängen will.

Grüße gerthans

 

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